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Über die „Freiheit“

Interview-Serie von Christian Frietsch mit Franz Alt. Teil 5 „Freiheit“ – Im fünften goodnews4-Interview befassen sich Christian Frietsch und Franz Alt mit dem Begriff „Freiheit“. „Für mich ist ein großes Vorbild, was Freiheitskampf angeht, der Kollege Nawalny,“ Franz Alt.

goodnews4: Franz, ein Begriff, der viel an Gewalt, Mut und Tapferkeit und auch Ungerechtigkeit ausgelöst hat, ist der Begriff «Freiheit», den ja jeder anders sieht. Wenn man für die Freiheit kämpft, Gewalt einsetzt, dann hat man in der Geschichte einen guten Platz. Vielleicht hat Wolodymyr Selenskyj auch mal einen guten Platz in der Geschichte, obwohl er auch ein Kriegsherr ist, genauso wie Putin, aber vielleicht hat Selenskyj einen Platz als Freiheitskämpfer. Was ist denn die Freiheit? Wir haben auch das Thema Frieden besprochen und das steht ja kongenial zueinander. Welchen Preis könnte man bezahlen im Freiheitsverzicht, um den Frieden zu haben?

Franz Alt: Für mich ist ein großes Vorbild, was Freiheitskampf angeht, der Kollege Alexej Nawalny. Der russische Oppositionelle, der in Freiheit lebte, nachdem er vergiftet wurde. Angela Merkel hat ihn zurückgeholt nach Deutschland und er wurde wieder gesund und ging freiwillig zurück nach Russland, weil er sagte: «Wenn ich Stachel im Fleisch dieses Gewaltsystems bin, kann ich vielleicht mehr erreichen für die Freiheit, als wenn ich von außen für die Freiheit in Russland kämpfe.» Dieser Mann hat unglaublich viel eingesetzt, sich engagiert für die Freiheit und ist für mich wirklich ein überzeugender Freiheitskämpfer. Also das gibt es auch in Russland und eine ganze Reihe von Oppositionellen. Zum Beispiel die Mütter der gefallenen Soldaten, die immer wieder demonstrieren gegen Putin und seinen Krieg in der Ukraine, sind für mich auch Freiheitshelden. Die jungen Frauen, die ohne Kopftuch in Teheran auf die Straße gehen, die in Afghanistan auf die Straße gehen und für die Freiheit kämpfen, für die Freiheit der Frauen kämpfen, sind für mich wirklich Helden und Heldinnen. Das sind die eigentlichen Helden unserer Zeit. Oder die jungen Leute, die in China auf die Straße gehen mit weißen Blättern. Das sind für mich wirkliche Freiheitskämpfer, die setzen ihr Leben aufs Spiel und sind bereit, für die Freiheit und ihre Freiheitsideale auch ins Gefängnis zu gehen.

goodnews4: Das sind die großen Symbole, von denen Du sprichst. Blicken wir mal wieder in den Alltag. Jahrzehnte lang mussten Frauen, auch in Deutschland, die Genehmigung ihres Ehemannes einholen, um etwas einkaufen zu können.

Franz Alt: Bankkonto eröffnen, Beruf auszuüben.

goodnews4: Heute sind noch viele Überbleibsel oder auch größere Bereiche da, dass die Freiheit in unserem unmittelbaren Zusammenleben gegenseitig eingeschränkt wird, dass die wirtschaftliche Ressource auch dazu führt, dass die Menschen diese Art der Freiheit, die die großen Freiheitskämpfer versucht haben durchzusetzen, dort gar nicht ankommt. Was ist denn das Mindestmaß der unmittelbaren Freiheit, die man erlebt, und vor allen Dingen, was muss der Einzelne auch dafür leisten?

Franz Alt: Er muss sich engagieren. So wie die Frauenbewegungen in Deutschland vor über hundert Jahren mit dafür gesorgt haben, die große Emanzipationsbewegung – Bertha von Suttner und andere –, dass Frauen das Wahlrecht bekamen und selbstverständlich heute arbeiten dürfen, einen Beruf ausüben dürfen und gleichberechtigt sind und das auch im Grundgesetz so festgeschrieben ist. Das ist leider nicht in allen gesellschaftlichen Gruppen vorhanden. Wenn ich mir die Spitze der Konzerne angucke, das ist immer noch ein großes Ungleichgewicht zwischen Mann und Frau. Und am meisten sehe ich das Ungleichgewicht, zwischen Männern und Frauen in der großen Katholischen Kirche – darüber ist gerade mein neues Buch erschienen. Das Buch hat den Untertitel «Die Zukunft der Kirche ist weiblich».

goodnews4: Aber die Kirche, Franz, ist ein gutes Beispiel, die nicht die Errungenschaften der Aufklärung und der darauffolgenden Demokratie verinnerlicht hat. Aber auch in der sogenannten Zivilgesellschaft ist die errungene Freiheit mit viel Blut und großem Preis zwar angekommen, aber man nutzt diese Privilegien gar nicht. Zu vielen Wahlen geht nur noch die Hälfte der Wahlberechtigten. Geht die Freiheit im Wohlstand unter?

Franz Alt: Die Freiheit ist eine Medaille mit zwei Seiten. Die eine Seite heißt Freiheit und die Kehrseite heißt Verantwortung. Es gibt keine wirkliche Freiheit ohne Verantwortung. Als ich noch CDU-Mitglied war, habe ich mal mit Richard von Weizsäcker zusammen mitgearbeitet an einem Grundsatzprogramm der CDU. Wir haben damals lange überlegt, wie schreiben wir Freiheit in das CDU-Grundsatzprogramm. Und wir haben das Wort gefunden «Freiheit ist immer verantwortete Freiheit». Und das empfehle ich auch meiner früheren Partei, der CDU, jetzt – die schreibt gerade wieder ein Grundsatzprogramm – Freiheit ist immer verantwortete Freiheit oder es ist keine Freiheit. Verantwortete Freiheit heißt immer, so haben es auch die emanzipierten Frauen vor über hundert Jahren gesagt, Freiheit muss immer die Freiheit des anderen sein. Dann ist sie verantwortbar. Wenn das nicht der Fall ist, ist es Gewalt und keine verantwortete Freiheit.

goodnews4: Ein bisschen hat man den Eindruck, dass die Menschen in Deutschland die Freiheit, die erworben wurde, gar nicht zu schätzen wissen.

Franz Alt: Das ist oft der Fall, ja.

Quelle

goodnews4 2023 | Danke für das Interview. Das Interview führte Christian Frietsch für goodnews4.de

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