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Deutschland und seine internationalen Atomkooperationen

Würde mit Laschet als Kanzler eine Atomrenaissance auch in Deutschland eingeleitet?

Wer in diesem Wahlkampf bei der CDU genau hinhörte, wird erstaunt sein über die atomfreundlichen Aussagen, insbesondere von Kanzlerkandidat Armin Laschet und dem Mitglied seines Kompetenzteams Friedrich Merz. Gerade im vorletzten Kanzlertriell setzte Laschet nochmal bewusst und pointiert die These, dass es wohl ein Fehler sei, zuerst aus der Atomenergie und dann erst aus der Kohle auszusteigen. Eine These, wie sie aktuell wieder verstärkt in den Propagandaäußerungen der Atomlobbyisten zu finden ist.

Solche atomfreundlichen Thesen gab es vielfach ab 2008, die dann dazu führten, dass die Union zusammen mit der FDP 2010 den rot-grünen Atomausstieg mit einer Laufzeitverlängerung beendete. Dieser wurde 2011 nach dem Fukushima Supergau zwar wieder rückgängig gemacht, dennoch sind die Atombefürworter in der Union und FDP nie verstummt. Insbesondere auch die gefährliche Hoffnung auf neue Atomreaktoren der 4. Generation wird mit den atomfreundlichen Thesen und vor allem mit dem Hinweis verbunden, dass in anderen Ländern mit „Erfolg“ an den neuen Reaktoren gebaut würde. Noch wird versucht zu verschweigen und zu vertuschen, dass es im „Atomausstiegs-“ Deutschland eine starke internationale Kooperation genau dafür gibt. Die atomfreundlichen Äußerungen von Laschet lassen befürchten, dass es nach einem eventuellen Wahlsieg der CDU wieder einen Roll Back in Richtung Atomkraft geben könnte. Wohl weniger für eine neue Laufzeitverlängerung der noch in Betrieb befindlichen Atomreaktoren in Deutschland, dafür dürfte die verbleibende Zeit bis zum Abschalten Ende 2022 zu kurz sein, aber möglicherweise wird intern in der CDU eine Strategie für den Bau neuer Atomreaktoren vorbereitet.

Auf den 6. Atomtagen in Karlsruhe, letzte Woche wurde erneut, hervorragend initiiert von MdB Sylvia Kotting-Uhl, intensiv über diese Fragen diskutiert. In meinem Vortrag stellte ich die Aktivitäten und auch die deutschen Kooperationen in der internationalen Atomagenda heraus.

Es ist ein großer Verdienst von Sylvia Kotting-Uhl, mit der ich lange Jahre im Bundestag und auch nach meinem Ausscheiden vertrauensvoll zusammenarbeitete, immer wieder auf die gefährlichen Aktivitäten der Atomaktivitäten auch in Deutschland hinzuweisen. Es gibt viel zu wenige Experten, wie sie, die dauerhaft an diesem Thema arbeiten, statt unentwegt die Gefahren der Atomenergie auszublenden und nur noch die Propagandathese – wie eben Laschet – zu verbreiten, Atomenergie wäre ein Beitrag zum Klimaschutz. Auch diese Tagung zeigte: Atomenergie kann keinen Beitrag für den Klimaschutz liefern.

Wie stark die internationalen Kooperationen in Deutschland in der Atomwirtschaft und Atomforschung sind, wurde auch auf dieser Tagung diskutiert und das Bild, welches sich ergibt ist erschreckend: Deutschland ist noch längst kein Atomausstiegsland. Das Abschalten der Atomkraftwerke reicht dafür nicht aus.

Frankreich, China, Großbritannien und die Niederlande agieren bereits in wichtigen Atombereichen in Deutschland – bald auch Russland? Einige Beispiele sollen im Folgenden die Zusammenhänge verdeutlichen:

Frankreich

Die Brennelementefabrik ANF ist eine Tochter der französischen Staatskonzerne Framatome und EdF, sie produziert im niedersächsischen Lingen Brennelemente für Europa und den weltweiten Markt. Nun ist der Einstieg der russischen Firma TVEL (= ROSATOM-Tochter) mit 25% geplant, neue Atombrennstoffe sollen gemeinsam entwickelt werden. Die ANF und ihre hochverschuldeten Mutterkonzerne versprechen sich davon den Zugang zum osteuropäischen Atombrennstoffmarkt, v.a. dem der Ukraine. Das Investitionsprüfverfahren des Bundeswirtschaftsministeriums unter Altmeier läuft noch, ist jedoch als geheim eingestuft, was nichts Gutes ahnen läßt.

Wie nun vor wenigen Tagen bekannt wurde, macht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Russland für den Mord an Alexander Litwinenko verantwortlich. Der Putin-Kritiker und Ex-Agent Litwinenko war im Jahre 2006 im Londoner Exil mit dem radioaktiven Strahlengift Polonium 210 getötet worden. Die beiden Männer, die Litwinenko mit Polonium 210 vergiftet hatten, handelten dem Anschein nach „im Auftrag oder unter Kontrolle der russischen Behörden“, teilte der Europäische Gerichtshof mit, zudem „wären sie ohne Unterstützung nicht an das seltene Strahlengift gekommen“. Das Polonium 210 stammte aus dem russischen TVEL-Standort Majak – und genau diese russische Firma TVEL, die an Staatsterrorismus beteiligt ist, soll nun auf deutschem Gebiet in die Atomfabrik ANF einsteigen? Eine solche Genehmigung darf vom deutschen Wirtschaftsministerium niemals erteilt werden, denn mit dieser Beteiligung könnte ein schwer durchschaubarer zivil-militärischer Graubereich entstehen, der die Sicherheit und Souveränität Deutschlands gefährden würde. Außerdem könnte die russische Atomindustrie durch Verlagerung der Produktion ins deutsche Lingen EU- Sanktionen im Atombereich unterlaufen.

Framatome Professional School (FPS)

Die FPS ist eine französische Atomschule, die seit einigen Jahren am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) angesiedelt ist. Sie bietet Weiterbildungen und Lehrveranstaltungen zu Atomreaktor-Konzepten und Atombrennstoffen an, darunter auch solche zu neuen Reaktoren der 4. Generation. Weiterhin finden Doktorandenprojekte zu Leichtwasserreaktoren, auch zur 4. Gen. am KIT statt. Framatome ist am chinesischen Druckwasserreaktor des neuen EPR-Typs in Taishan beteiligt, der im Sommer durch ein mögliches Leck weltweites Aufsehen erregte. Am KIT wurden in früheren Jahren Forschungsarbeiten zum EPR-Reaktorkonzept durchgeführt.

China, KIT und SINAP  

Das KIT pflegt Kooperationen mit dem chinesischen SINAP-Institut (= Shanghai Institute of Applied Physics), welches aus dem dortigen Kernforschungszentrum hervorgegangen ist und einen weiteren Campus in Wuwei, am Rande der Wüste Gobi unterhält. Es werden gemeinsame Studenten-Workshops abgehalten und mindestens ein chinesischer Wissenschaftler aus dem SINAP-Atombereich arbeitet am materialwissenschaftlichen Institut IAM des KIT. Darüber hinaus befindet sich die Professur für „Innovative Reaktorsysteme“ (= 4. Gen.) des IATF-Instituts des KIT in chinesischer Hand.

Das KIT war im Rahmen des europäischen Projektes SAMOFAR mit der Forschung zu einem speziellen Salzpfropfen beteiligt, welcher ein essenzielles Sicherheitsmerkmal darstellt, ohne dass das Konzept eines künftigen Thorium-Flüssigsalz-Atomreaktors keine Marktreife erlangen könnte. Bei diesem Reaktorkonzept kann durch die integrierte Wiederaufarbeitung des flüssigen Atombrennstoffs das atomwaffenfähige Uran-233 abgezweigt werden, was der Proliferation Tür und Tor öffnet.

Ein solches eben beschriebenes Salzpfropfen-Prinzip wurde auch bei dem chinesischen experimentellen Thorium-Flüssigsalzreaktor verwendet, der kürzlich am SINAP-Institut in Wuwei fertiggestellt wurde und nun getestet wird. China will bis 2030 eine entsprechende 375 MW-Version davon bauen, danach soll dieser hochgefährliche Thorium-Reaktor auf den Markt kommen.

Auf KIT-Seite ist ein Hauptverantwortlicher für die genannten Forschungen und Kooperationen ein Bereichsleiter, der seit 2014 ca. 35 Institute – darunter alle nukleartechnischen Institute, sowie Maschinenbau, Elektrotechnik & Materialwissenschaften – in seinem Zuständigkeitsbereich vereint. Dieser Bereichsleiter war bereits als Atomlobbyist auf nationaler und europäischer Ebene in Führungspositionen tätig (Deutsches Atomforum, Europäische Kerntechnische Gesellschaft (ENS) und ist in weiteren einschlägigen Organisationen verankert.

Wer kontrolliert unabhängig und in verantwortlicher Weise den Wissens- und Technologietransfer des KIT? Und warum wird am KIT der wichtige Posten des Bereichsleiters 3 mit den oben genannten Instituten nicht endlich mit einem neutralen und atom-unabhängigen Wissenschaftler besetzt?

Großbritannien, Niederlande und URENCO

GB und die NL betreiben zusammen mit Deutschland (E.ON und RWE) die Uran-Anreicherungsanlage URENCO im westfälischen Gronau. Mit Hilfe des sogenannten Zentrifugen-Verfahrens wird dort Uran 235 zur Herstellung von Brennstoff für Atomkraftwerke normalerweise auf 3-5 % angereichert. Dies könnte allerdings mit relativ geringem technischem Aufwand schnell erhöht werden auf einen Anreicherungsgrad von über 80 %, so dass atomwaffentaugliches Material entstünde.

Außerdem entwickelt das URENCO-Konsortium die sogenannte „Uran-Batterie“. Sie gehört zu den Kleinen Modularen Atom-Reaktoren (SMR) der 4. Generation und soll Strom für abgelegene Standorte und 750°C heiße Prozesswärme liefern. URENCO und die Brennelementefabrik ANF / Lingen sind beide vom Atomausstieg ausgenommen. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausführkontrolle (Bafa) erteilt seit 2019 Ausfuhrgenehmigungen für angereichertes Uran an diese zwei Atomfabriken, Empfänger sind Tochterfirmen der russischen ROSATOM. Dies bedeutet einen Verstoß gegen die Dual-Use-Verordnung und gegen EU-Sanktionen, da eine militärische Verwendung des Urans nicht ausgeschlossen werden kann.

Die beschriebenen Beispiele sind nur ein kleiner Teil dieses reichverzweigten „Spinnennetzes“. Aber allein schon dieser Ausschnitt zeigt überaus deutlich: Mit den deutschen Atomkooperationen läuft ein hochgefährlicher Technologie- und Wissenstransfer, der sich noch verstärken könnte und der nicht nur bereits jetzt Souveränitäts- und Sicherheitsfragen Deutschlands betrifft, sondern massive internationale Auswirkungen haben kann. Darüber hinaus soll offenbar ein Geflecht von internationalen und schwer kündbaren Atom-Energie Verträgen den Atomausstieg Deutschlands hintertreiben.

All dies ist keinesfalls weiter hinnehmbar und es muss dringend gegengesteuert werden.

Die unten stehenden Links bieten hinreichend Informationen über die deutschen Aktivitäten in der internationalen Atomarena:

Quelle

Hans-Josef Fell 2021Präsident der Energy Watch Group (EWG) und Autor des EEG

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