„Die Chefs der alten Schule haben ausgedient“
Die klassischen Hierarchie-Ebenen wird es bald nicht mehr geben, meint Zukunftsforscher Erik Händeler. Sozialkompetenz wird so wichtig wie nie zuvor. Erik Händeler, 42, ist Volkswirt und Zukunftsforscher. Er vertritt die These, dass eine Kultur der Kooperation und das Sozialverhalten wichtige Eckpfeiler für den Wohlstand der Zukunft sein werden. Die Konkurrenzfähigkeit von Unternehmen hängt zunehmend davon ab, wie das Wissen gemanagt wird, sagt er.
SZ: Herr Händeler, Wissen wird zum Rohstoff der Zukunft. Welche Charaktere in Unternehmen brauchen wir?
Erik Händeler: Menschen, die in der Lage sind, das Wissen zusammenzuführen und die sich vom Statusdenken verabschieden. Menschen, die ihre eigene Wahrnehmung hinterfragen. Leute, die Konflikte transparent analysieren können und die mit offenem Visier streiten.
SZ: Welche Eigenschaften sind konkret wichtig?
Erik Händeler: Kooperationsbereitschaft und die Fähigkeit, sich auf andere einzulassen. Sozialkompetenz auf allen Ebenen wird so wichtig wie nie zuvor.
SZ: Betrifft das alle hierarchischen Ebenen?
Erik Händeler: Ja. Der Erfolg von Firmen wird davon abhängen, wie Mitarbeiter mit Wissen umgehen. Und Umgang mit Wissen ist immer auch Umgang mit anderen Menschen, die man unterschiedlich gut kennt und unterschiedlich gerne mag. Wissen zusammenzuführen ist eine soziale Fähigkeit.
SZ: Was bedeutet das für die Mitarbeiter? Händeler: Sie werden ein Leben lang lernen müssen, um im Job fit zu bleiben. Und wir werden mehr selbständige Wissensarbeiter bekommen. Damit lösen sich die Strukturen in den Unternehmen auf. Es wird in den Firmen Rumpfmannschaften geben und viele Menschen, die ihnen zuarbeiten – je nach tagesaktuell geforderter Kompetenz.
SZ: Welche Rolle spielen in einer solchen Welt die klassischen Hierarchien mit Chefs und Untergebenen?
Erik Händeler: Früher war die Fachkompetenz ganz oben und unten war man der kleine, gehorsame austauschbare Arbeiter. Heute sind die Dinge komplex geworden. Auf den unteren Ebenen arbeiten jene, die sich auskennen. Das sind der Sachbearbeiter und der Facharbeiter. Führungskräfte müssen den Informationsfluss gestalten. Das verlangt eine andere Führung. SZ: Wie sieht die aus? Händeler: Es geht nicht mehr um fachliche Anweisungen, sondern um das Moderieren von Fachkenntnissen. Kooperation wird wichtig. Doch wir haben noch die Chefs der alten Schule und den statusorientierten Mittelbau. Auch sind die Facharbeiter und Sachbearbeiter noch nicht bereit, Verantwortung für ihr Fachgebiet zu übernehmen. Das hieße nämlich, dass sie dem Chef mal fachlich widersprechen. Doch so weit sind wir noch nicht. Da kommt dann das Sozialverhalten ins Spiel.
SZ: Wie bringt man Menschen dazu, sich sozial zu verhalten?
Erik Händeler: Es gibt eine ökonomische Notwendigkeit, sich kooperativ zu verhalten. Wenn die Firmen das nicht hinkriegen, werden sie hohe Reibungsverluste haben, viel zu teuer produzieren und irgendwann vom Markt verschwinden.
SZ: Warum ist es ausgerechnet die Kooperationsfähigkeit, die den Unternehmenserfolg ausmacht?
Erik Händeler: Der psychisch-soziale Druck durch destruktives Verhalten wird so groß werden, dass er uns zu Änderungen zwingt. Die Schäden werden immer größer. Firmen haben doch heute schon enorme Verluste etwa durch Mobbing und Burn-out.
SZ: Was ist der Kern einer guten Arbeitskultur?
Erik Händeler: Transparenz, vor allem was die Entscheidungsfindung betrifft. Dazu gehört auch der offene und respektvolle Disput.
SZ: Wiemotiviert man Teams, ihr Wissen uneingeschränkt mitzuteilen? Viele haben Angst vor Ideenklau.
Erik Händeler: Es muss von vorneherein klar sein, dass derjenige, der die Idee hatte, auch die Meriten dafür erhält. Wissen zielorientiert zusammenzuführen, ist die Grundaufgabe in der Wissensgesellschaft.
SZ: Momentan dominieren Statuskämpfe, Wichtigtuerei, fehlende soziale Kompetenz. Was können Führungskräfte tun, damit sich das ändert? Erik Händeler: Das hängt nicht nur von den Führungskräften ab. Wir müssen alle dazulernen. Dazu gehört beispielsweise, dass Mobbing nicht geduldet wird. Wenn einer den anderen mobbt, dann darf man sich nicht raushalten, sondern muss einschreiten. Das wäre schon ein wichtiger Schritt hin zu einer guten Arbeitskultur. Es genügt nicht, ethisches Verhalten in Unternehmensgrundsätzen festzulegen.
SZ: Welche Chance haben gering qualifizierte Menschen in der Wissensgesellschaft?
Erik Händeler: Wir werden sie weiter brauchen. Momentan haben wir ein Überangebot, weil durch den technologischen Schub der vergangenen zwanzig Jahre deren Arbeitsplätze weitgehend weggefallen sind. Ich bin der Ansicht, dass die Zahl der Niedrigqualifizierten zurückgehen wird, weil wir in die nächste Generation Bildung investieren.
SZ: Die Zahl derjenigen, die keine Ausbildung haben, wird kleiner?
Erik Händeler: Ja, davon bin ich überzeugt. Wissensarbeit wird außerdem auf allen Qualifikationsstufen stattfinden. Auch der Arbeiter an der Maschine muss immer mehr wissen. Wissensarbeit ist keine elitäre Angelegenheit.
SZ: Sie sind der Ansicht, dass durch den ökonomischen Druck der Wissensgesellschaft die Welt besser wird. Wie das?
Erik Händeler: Wir sind aus ökonomischen Gründen gezwungen, stärker zu reflektieren. Wenn wir produktiv in der Wissensgesellschaft zusammenarbeiten wollen, dann dürfen wir nicht nur den eigenen Nutzen verfolgen, sondern ein Interesse am Wohlergehen der anderen haben. Das hat eine neue ethische Qualität.
SZ: Wir haben aber nicht den Eindruck, dass die Menschen besser geworden sind.
Erik Händeler: Jeder neue Entwicklungsschritt löst zunächst einmal Chaos aus. Wir sind im Übergang zur Wissensgesellschaft, der durch die digitalen Technologien ausgelöst wurde. Wir kommen in einen neuen Strukturzyklus hinein und müssen erst lernen, damit umzugehen. Der Computer hat uns die letzten dreißig Jahre produktiver gemacht. Nun sind wir an einem Punkt, wo uns noch schnellere Computer nicht mehr produktiver machen. Die Arbeiten, die uns der Computer abnehmen konnte, die hat er uns abgenommen.
SZ: Wie geht es weiter?
Erik Händeler: Die technischen Möglichkeiten sind weitgehend ausgereift und die Möglichkeit, die strukturierte Wissensarbeit effizienter zu machen. Jetzt kommt es auf die Menschen an. Jetzt geht es um die unscharfe, unstrukturierte Wissensarbeit. Jetzt geht es darum, abzuwägen. Die Fähigkeit, auf das Wissen anderer Leute zurückzugreifen, wird wichtig. Und das ist eine soziale Fähigkeit.
Quelle
Mit freundlicher Genehmigung Erik Händeler 2012dieneuearbeitskultur 2012Erstveröffentlichung „Süddeutsche Zeitung“ | 31.12.2011Interview: Sibylle Haas