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Roland Horn | Claudia Kemfert

© Roland Horn | Claudia Kemfert

„Die Energiewende muss verteidigt werden“

Die Bundestagswahl im Herbst entscheidet darüber, wie ernst wir die Energiewende nehmen. Ein Interview von Benjamin von Brackel mit der Energieökonomin Claudia Kemfert.

Die alte Energiewelt und ihre Mittelsmänner in der Politik blasen zum Angriff auf die Energiewende und versuchen, diese – auch mithilfe von Fake News – abzuwürgen oder gar in eine Energiewende der Großkonzerne umzuwandeln. Damit droht das einstige Bürgerprojekt seinen ursprünglichen Charakter zu verlieren. So sieht es Claudia Kemfert. Kaum jemand streitet auf so leidenschaftliche und polarisierende Weise für die Energiewende wie die Energieökonomin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Im Interview erklärt sie, wie sich Großinvestoren als Fake-Bürgerenergiegenossenschaften tarnen, weshalb Winfried Kretschmann rückwärtsgewandt denkt und warum eine Koalition aus Grünen und Merkels CDU nach der Bundestagswahl für den Klimaschutz die günstigste Konstellation wäre.

Frau Kemfert, Sie haben kürzlich ein Buch geschrieben mit dem Titel «Das fossile Imperium schlägt zurück». Darin behaupten Sie, dass sich die alte Energiewelt noch einmal aufbäumt und die Energiewende mithilfe der Politik erfolgreich ausbremst. Lassen Sie uns das doch mal prüfen: Wir haben aus den Programmen für die Bundestagswahl fünf Parolen entnommen, die Sie bitte der richtigen Partei zuordnen – ein kleines Quiz. Bereit?

Bereit.

Nummer eins: «Die großen Energiekonzerne wollen wir ablösen: saubere Energie in Bürgerhand.»

Ich denke, das haben die Grünen gesagt …

Nicht ganz.

… oder die Linken.

Richtig.

Beide fordern eine dezentrale Energiewende, was ein sinnvoller Ansatz ist, weil die Ökoenergien dezentraler und kleinteiliger sind, weil viele Anbieter Wettbewerb schaffen und dafür sorgen, dass die Energiewende partizipativ und demokratisch abläuft. Deshalb ist es so problematisch, dass die Regierung die Rahmenbedingungen für die Bürgerenergiewende drastisch verschlechtert hat.

Ist das die Richtung, in die wir uns bewegen – hin zu einer Energiewende der Konzerne?

Wir sind auf dem Weg in eine Struktur, die eher den Großinvestoren und Konzernen hilft. Nehmen wir die Ausschreibungen für die großen Windparks in Nord- und Ostsee – die gewinnen die Großinvestoren. Bürgerenergiegenossenschaften haben weniger finanzielle Möglichkeiten mitzuhalten.

Die Regierung ist diesen doch mit Sonderregeln im Bieterverfahren entgegengekommen?

Durchaus, allerdings bergen Ausschreibungen grundsätzlich die Gefahr, dass sich Bieter strategisch verhalten – wenn man es nicht explizit unterbindet. Unternehmen können sich beispielsweise als Bürgerenergiegenossenschaften tarnen, um den Zuschlag zu bekommen. Genau so ist es in der jüngsten Ausschreibungsrunde nun passiert. Echte Bürgerenergien werden auf diese Weise benachteiligt.

Die Gewinner der ersten Ausschreibungsrunde für Offshore-Windparks kommen ohne staatliche Förderung aus. Ist das kein Erfolg?

Ich warne vor Euphorie. Der Park soll in acht Jahren ans Netz gehen. Die Anbieter spekulieren auf den völlig ungewissen Fall, dass sich die Börsenstrompreise in diesem Zeitraum mindestens verdoppeln und die Erzeugungskosten halbieren. Beides ist in höchstem Maße unwahrscheinlich. Es handelt sich also um ein hochriskantes und strategisches Manöver, vor allem mit dem Ziel, andere Wettbewerber auszustechen. Was aber passiert, wenn diese Bedingungen nicht eintreten und der Investor den Park gar nicht baut?

Wie hoch schätzen Sie das Risiko ein?

Hoch. Wir kennen das aus anderen Ländern wie England, Frankreich oder auch Brasilien, wo weniger als die Hälfte der Projekte realisiert wurden.

Sollten wir uns nicht freuen, wenn die Energiekonzerne die Energiewende für sich entdeckt haben?

Alle sind willkommen, die Energiewende voranzubringen – wenn sie es denn tatsächlich wollen. Das ist leider nicht immer der Fall, wie die PR-Kampagnen mit Gespensterdebatten um angebliche Kostenexplosionen durch die Energiewende beweisen. Oder Forderungen nach einem groß angelegten Netzausbau. Beides hat nur eines zum Ziel: das konventionelle Energiesystem möglichst lange aufrechtzuerhalten.

Ist es nicht genau andersherum: Die Energiekonzerne wollen sich inzwischen durchaus wandeln, aber der Einstieg in die neue Energiewelt fällt immer schwerer, weil das Fördersystem weiter runtergeschraubt und der Ökoenergieausbau gedeckelt wird?

In der Tat gibt es paradoxe Situationen: Großkonzerne haben durch ihre Kampagnen versucht, die alte Energiewelt so lange aufrechtzuerhalten, wie es geht. Viele Politiker haben sich daran orientiert und als Handlanger der Energiekonzerne deren Geschäftsinteressen durchgesetzt. Nur: Die neuen Rahmenbedingungen, die die Konzerne erkämpft haben, hindern sie jetzt daran, in die neue Energiewelt einzutreten. Die Konzerne haben sich ins eigene Fleisch geschnitten.

Kommen wir zur zweiten Wahlparole: «Konventionelle Energieträger müssen den Ausbau der Erneuerbaren Energien ergänzen.»

Das kommt von der CDU.

Zweiter Versuch?

Von der FDP?

Dritter Versuch?

Dann muss es die SPD sein!

Richtig.

Das zeigt ja, wie ähnlich sich diese Parteien in dieser Frage sind. Sie haben nicht verstanden, dass wir das alte System runterfahren müssen, um das neue System aufzubauen. Kohlekraftwerke passen nicht in eine nachhaltige Energiewende, sie stoßen zu viel Kohlendioxid aus und lassen sich nicht schnell genug hoch- und runterfahren, um als Puffer für die wechselhaften Ökoenergien infrage zu kommen.

Die SPD fordert zwar ein Klimaschutzgesetz, vom «Kohleausstieg» ist aber keine Rede im Programm. Warum brauchen wir überhaupt ein Kohleausstiegsgesetz? Die CO2-Emissionen im Stromsektor sind doch rückläufig. Erledigt sich die Sache nicht von allein?

Nein. Eigentlich sollte das ja der EU-Emissionshandel regeln. Aber die Verschmutzungszertifikate sind viel zu billig. 40 bis 60 Euro pro Tonne Kohlendioxid wären nötig, um eine Wirkung für den Klimaschutz zu entfalten. Derzeit liegen wir bei sechs Euro. Deshalb brauchen wir zusätzlich ein Kohleausstiegsgesetz.

Geplant ist bislang nur eine Strukturwandel-Kommission, die über die Zukunft der Kohleregionen beraten soll.

Das ist ein Anfang. Wir müssen dafür sorgen, zukunftsfähige Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen zu schaffen und den Beschäftigten in der Kohleindustrie eine Perspektive zu bieten. Sinnvoll wäre ein Kohleausstiegskonsens, ähnlich wie beim Atomausstieg.

Die SPD fordert außerdem einen CO2-Mindestpreis, sollte der Emissionshandel nicht wieder in Gang kommen. Wie realistisch ist es, dass solch ein Instrument kommt?

Die Briten haben ihn schon, die Franzosen werben dafür, selbst Amerika diskutiert darüber. Der Vorteil eines solchen Preises ist ja, dass er alle fossilen Energieträger gleichermaßen besteuert. Und mit den Steuereinnahmen ließen sich das Energie- und Verkehrssystem umbauen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Diskutiert wird der Ansatz seit über 25 Jahren, eine wirkungsvolle Steuer wurde aus machtpolitischen Gründen bisher nie irgendwo eingeführt – Beispiel Ökosteuer. Genauso werden leider auch keine ausreichend hohen CO2-Steuern kommen, die nötig wären, um die Klimaziele zu erreichen. Deshalb brauchen wir flankierende Maßnahmen, zum Beispiel Investitionsanreize für Gebäudesanierung und alternative Kraftstoffe im Verkehrssektor.

Hier können Sie das Interview weiterlesen

Murmann Publishers GmbH
Quelle

EWS Schönau 2017Energiewende-Magazin | Benjamin von Brackel 2017

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