Energiewende vor der Bundesregierung schützen
Deutsche Umwelthilfe zieht Bilanz und blickt auf das bevorstehende Wahljahr. Sonne, Wind und Effizienz im Zentrum des neuen Energiesystems verankern.
Im Wahljahr 2013 werden die Weichen weit über die nachfolgende Legislaturperiode hinaus gestellt: Richtung Erfolg oder Misserfolg bei der Energiewende, Richtung Erfolg oder Misserfolg beim nationalen, europäischen und möglicherweise sogar beim weltweiten Klimaschutz, Richtung Erfolg oder Misserfolg auch beim umweltorientierten Verbraucherschutz. Darauf haben die beiden Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH), Jürgen Resch und Michael Spielmann anlässlich der Jahrespressekonferenz der Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation in Berlin hingewiesen.
Insbesondere die Wahlkämpfer der Regierungsparteien davor gewarnt, „im anstehenden Superwahljahr den Verlockungen des Populismus nachzugeben“, wie das anlässlich der Strompreisdebatte der vergangenen Monate vielfach zu beobachten gewesen sei.
„Wahlauseinandersetzungen sind in der Demokratie Zeiten der politischen Zuspitzung, aber nicht der Volksverdummung. Wer diese Unterscheidung im Superwahljahr 2013 verwischt, sollte dafür von den Wählerinnen und Wählern abgestraft werden“, erklärten Resch und Spielmann. Energiewende und Klimaschutz könnten nur gelingen, wenn beide – wie von der Ethikkommission der Bundesregierung gefordert – als gesellschaftliches „Gemeinschaftswerk für die Zukunft“ angelegt werden. Dazu bedürfe es neben eines planvollen Vorgehens vor allem einer fairen Verteilung von Chancen und Lasten des eben erst begonnen Transformationsprozesses.
„Wo ist die Klimakanzlerin Angela Merkel?“, fragten die DUH-Geschäftsführer angesichts der Dauerblockade zwischen den Ministern Rösler (FDP) und Altmaier (CDU) und eines Bau- und Verkehrsministers Peter Ramsauer (CSU), der als eigentlicher Klimaschutzminister nicht in Erscheinung trete.
Die Parteien stehen nach Überzeugung der DUH in der Pflicht, vor der Bundestagswahl im Herbst 2013 umsetzbare Konzepte für die nächste Stufe der Energiewende zu präsentieren. Auf Basis dieser Zukunftsprogramme könnten Wählerinnen und Wähler dann entscheiden, sagte Spielmann. Als Eckpunkte nannte er:
- Die Dynamik beim Bau regenerativer Energieanlagen erhalten. Dazu müsse das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) so fortentwickelt werden, dass der Vorrang für Sonne, Wind und Co. und die Sicherheit der Investments erhalten bleibe.
- Die Akzeptanz der Energiewende in der Bevölkerung sicherstellen. Dazu müssten Chancen und Lasten der Energiewende gerecht verteilt und vom Umbau des Energiesystems besonders betroffenen Bürgerinnen und Bürgern echte Beteiligungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten angeboten werden.
- Ungelöste Atomendlagerfrage voranbringen. Dazu müsse der Rückholplan für die Skandal-Deponie Asse zügig vorangetrieben und noch 2013 ein wissenschaftsbasiertes Endlagersuchgesetz für hochradioaktiven Atommüll im Parteienkonsens verabschiedet werden.
- Die Versorgungssicherheit absichern. Dazu müsse neben dem aktuellen Strommarkt der Rahmen für einen weiteren Teilmarkt für „Versorgungssicherheit“ geschaffen werden, der zum einen bundesweit die Sicherheit der Stromversorgung zu jeder Stunde des Jahres garantiert und zum anderen die Einhaltung der Klimaschutzziele im Auge behält.
- Den Naturschutz in einer sich verändernden Kulturlandschaft sichern. Dazu müssten reale Zielkonflikte erkannt, systematisch thematisiert und konkret entschärft werden.
- Die Energieeffizienz zu einem Funktionsprinzip der postfossilen Gesellschaft entwickeln. Dazu müsse eine Kombination aus wirtschaftlichen und ordnungsrechtlichen Rahmensetzungen in den Sektoren Strom, Wärme und Mobilität die anhaltende Energieverschwendung zurückdrängen.
Spielmann verwies darauf, dass die von der Bundesregierung berufene vierköpfige Wissenschaftler-Kommission zur Evaluation der Energiewende die Arbeit der Minister Rösler und Ramsauer soeben mit der Note „mangelhaft“ bewertet habe: „Wenn wir für energetische Effizienz im Gebäudebestand und im Verkehrssektor keinen Schlüssel finden, können wir die Energiewende vergessen.“ Diese fast schon banale Erkenntnis habe sich leider in der Bundesregierung noch nicht überall rumgesprochen.
„Der in Deutschland praktizierte systematische Verzicht auf eine Vollzugskontrolle bei umweltbezogenen Verbraucherschutzgesetzen wird mehr und mehr zu einer Belastung nicht nur für den Klimaschutz, sondern auch für die Geldbeutel der Verbraucher“, verwies Jürgen Resch auf ein Problem, das die DUH als klageberechtigte Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation immer stärker beschäftigt. Die Situation sei inzwischen „zu einem Abbild der deregulierten und wirkungslosen Lebensmittelkontrolle von vor zehn Jahren eskaliert“.
Im zu Ende gehenden Jahr sei die DUH gegen mehr als 1.000 Verstöße juristisch vorge-gangen. Dabei ging es um die Verletzung von mehr als einem Dutzend verschiedener Umweltgesetze und -verordnungen. Selbst wenn Verbraucherinnen und Verbraucher wissentlich und gezielt mit falschen Angaben über angebliche Umweltvorteile, Energieverbräuche oder den Quecksilbergehalt von Energiesparlampen getäuscht würden, gebe es in aller Regel kein Einschreiten der Behörden – wegen angeblicher oder tatsächlicher Arbeitsüberlastung.
Eine vorsichtige Hochrechnung der so verursachten zusätzlichen CO2-Emissionen kommt auf einen Wert von deutlich über 10 Millionen Tonnen des Treibhausgases pro Jahr. Diese verdeckten Klimalasten tauchten in keiner an internationale Gremien gemeldeten deutschen Klimabilanz auf. Resch: „Wir werden mit unseren Stichproben-Kontrollen fortfahren, solange der Staat nicht tut, was seines Amtes ist. Und wir werden die Autoindustrie oder die Hersteller von Haushaltsgeräten solange mit ´Reality Checks´ nerven, bis eingesparte CO2-Emissionen und Euros für den Energieverbrauch nicht mehr nur auf dem Papier stehen.“
Resch verwies darauf, dass die DUH in Fällen von grundsätzlicher Bedeutung in den vergangenen Jahren Entscheidungen bis zum Bundesgerichtshof erfolgreich durchgefochten habe und dies auch weiter tun werde. Im zu Ende gehenden Jahr seien Einschüchterungsversuche aus der Automobil-, Kunststoff- oder Einweggetränkeindustrie geradezu eskaliert. Jedes Mal sei die DUH unter Drohungen aufgefordert worden, ihre Kontrolltätigkeit aufzugeben.
Beispiele für das Versagen des Staates bei der Kontrolle von Umweltregelungen:
- Die von der Automobilindustrie bei der Meldung neuer Pkw-Modelle an die Zulassungsbehörden gemeldeten Angaben über Spritverbrauch und CO2-Emissionen werden von den Behörden grundsätzlich akzeptiert und selbst bei Klagen über drastische Abweichungen nach oben nicht überprüft.
- Verstöße gegen Energieeffizienz- bzw. so genannte Nasshaftungsangaben bei Reifen, der Quecksilbergehalt von Energiesparlampen oder die korrekte Angabe von Stromverbrauchswerten von Elektrogeräten werden von den Behörden selbst dann nicht geahndet, wenn die Abweichungen offiziell gemeldet werden.
- Vier Jahre, nachdem die DUH erstmals vor den Risiken des von der chemischen Industrie präsentierten Kältemittels 1234 yf für Pkw-Klimaanlagen gewarnt hat, bestätigen Daimler und VW plötzlich die DUH-Analyse – nur um anschließend weiter das seit Anfang 2011 EU-weit verbotene extrem klimaschädliche, alte Kältemittel R 134a ungerührt weiter zu verwenden. Reaktion von Politik und Behörden auf den offenen Rechtsbruch: Null.
Im zu Ende gehenden Jahr 2012 ist die DUH wie bereits in den Jahren zuvor weiter gewachsen und beschäftigt aktuell 86 hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, etwa gleichgewichtig verteilt auf die Geschäftsstellen am Stammsitz Radolfzell (Bodensee) und in Berlin. Weitere vier Personen arbeiten in der Geschäftsstelle Hannover sowie je eine in den Projektbüros Elbe in Köthen und in Erfurt. Die Deutsche Umwelthilfe fühlt sich deshalb gut gerüstet, ihre Arbeit für Umwelt- und Verbraucherschutz im Jahr 2013 mit noch mehr Intensität fortzusetzen.
Den druckfrischen Jahresbericht 2012 der Deutschen Umwelthilfe, der unter der umsichtigen Regie der Journalistin und Autorin Ulrike Fokken entstand, finden Sie als PDF unter http://www.duh.de/jahresberichte.html
Quelle
Deutsche Umwelthilfe 2012