„Green New Deal“ oder „European Green Deal“?
Der negativ geladene Begriff „Corona-Pandemie“ wird wohl zum Unwort des Jahres 2020 werden. Soll es aber ein positiv geladener Begriff sein, dann könnte „Green New Deal“ das Wort des Jahres werden. Was steckt hinter diesem Begriff? Eine kritische Einschätzung von Professor Udo E. Simonis
Braucht es, angesichts der vielfältigen Probleme unserer Zeit eines „Green New Deal“? Zur Beantwortung dieser Frage kommt es entscheidend darauf an, was man unter dem Begriff überhaupt verstehen will. Der Vorschläge dazu gibt es inzwischen viele: allgemeine Absichtserklärungen mehrerer Regierungen, ausgefeilte Konzepte einiger Institutionen, große Ideen einzelner Wissenschaftler.
Der Begriff „Deal“ ist im englischsprachigen Teil der Welt weit verbreitet und in der Regel auch positiv besetzt, im Sinne „sich auf etwas Wichtiges verständigen“. In der deutschen Alltagssprache ist das ganz anders; da versteht man darunter eher das „abgekartete Spiel, die Mauschelei im Hinterzimmer“. Es klänge schon besser, wenn man darunter verstehen wollte: „Die Karten müssen neu gemischt werden!“. Ich persönlich präferiere aber einen ganz anderen Begriff, der weniger missverständlich ist: den Begriff „Ökologische Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft“. Was aber hat es mit dem nun einmal omnipräsenten Begriff „Green New Deal“ auf sich?
Thomas L. Friedman, dem wir die erste begründete Begriffsfassung „Green New Deal“ verdanken (2008), hatte die Vorstellung, dass man mit „grünen“ (sauberen und nachhaltigen) Technologien und Produkten einen durchgreifenden Strukturwandel der Weltwirtschaft erreichen könne, der eine gefährliche Klimaänderung verhindern und die Folgen des Klimawandels eindämmen könne.
Edward B. Barbier formulierte das Konzept auf Basis einer bildhaft-rhetorischen Frage (2010): „Wollen wir die Überwindung der derzeitigen Krise aus der Wiederbelebung der bestehenden ‚braunen‘ Weltwirtschaft heraus begründen oder wollen wir die globale Wiederbelebung in Richtung einer ‚grünen‘ Ökonomie voranbringen, die ökologische Schäden von vornherein zu vermeiden sucht“. Das kann der Markt nicht richten. Das bedarf der aktiven staatlichen Lenkung, die eine kluge Mischung aus Entscheidungen und Rahmenbedingungen schafft, die zugleich zu Wiederbelebung (recovery) und zu Nachhaltigkeit (sustainability) führen. Die besondere Aufmerksamkeit muss dabei den nationalen und internationalen Möglichkeiten der Schaffung einer kohlenstoff-armen Ökonomie und dem umfassenden Schutz der ökologischen Systeme gelten.
Während die Ökonomie seit der Industrialisierung immer die Priorität gegenüber der Ökologie voraussetzte und dies auch radikal durchsetzte, hat die jüngere akademische Debatte um den „Green New Deal“ zu zwei markanten neuen Positionen geführt: Das Konzept erfordert grundsätzlich die Parität von Ökonomie und Ökologie, sagen die einen; angesichts der entstandenen massiven ökologischen Schäden erfordert das Konzept die Priorität der Ökologie, sagen die anderen.
Worum gings beim „New Deal“ Franklin D. Roosevelts von 1933?
Die Jahre 1933 und 2020 kann man nicht unmittelbar vergleichen: Massenarbeitslosigkeit in den USA damals, weltweite Corona- und Wirtschaftskrise heute. Das Besondere des „New Deal“ von Präsident Roosevelt sehe ich in der ausgeprägten Radikalität des damaligen Denkens und Handelns: Es ging um Börsen- und Bankenüberwachung, um Verkürzung der Arbeitszeit und Mindestlöhne, um ein progressives Steuersystem, um einen Arbeitsdienst zur Wiederaufforstung des Landes, um massive Gebäude- und Infrastrukturinvestitionen, um den Staat als aktiven Energieversorger. Einiges davon ist auch heute – angesichts von Corona- und Wirtschaftskrise – relevant, anderes ist aber hinzugekommen. Und das kann nicht per präsidialem Dekret, sondern nur nach demokratischen Prinzipien behandelt und entschieden werden.
Ist heute – im Jahr 2020 – die Forderung und Förderung quantitativen Wirtschaftswachstums die passende Antwort? Ich denke, wir stehen in Teilen der Welt am Beginn einer „Postwachstums-Ökonomie“. In den letzten Jahren lagen die jährlichen Wachstumsraten mehrerer Industrieländer bei nur noch 1% oder 2%, bei einigen wurde sogar „De-Growth“ zur Realität. Das bedeutet aber noch nicht, dass der historische Wachstumsfetischismus bei den meisten Regierungen, Industriezweigen und Menschen überwunden ist – „Re-Growth“ hat derzeit bei vielen Hochkonjunktur. Das zeigt sich gerade auch wieder mal beim Streit um die Anteile an und um die inhaltliche Deutung der beschlossenen Konjunktur- und Zukunftspakete in Deutschland und der Europäischen Union. Ob und wie diese Pakete umgepackt oder beigepackt werden können, das ist zurzeit ein großes Spiel auf Bundes- wie auf EU-Ebene.
Wie steht‘s um die vielzitierte Entkopplung?
Es gibt, was die Frage der Entkopplung von Wirtschaftswachstum (Bruttoinlandsprodukt – BIP), CO2-Emissionen und Ressourcenverbrauch angeht, ein paar Vorreiter, viele Nachzügler und zahlreiche Sitzenbleiber. Wie mehrere international vergleichende Studien gezeigt haben (vgl. Fischer-Kowalski et al. 2011; Schandl et al. 2016; Parrique et al. 2019; Haberl et al. 2020), gibt es bisher nur Beispiele der relativen Entkopplung, absolute Entkopplung ist, wenn überhaupt, eine krisenbedingte Ausnahme. Das soll nun allerdings, was die CO2-Emisssionen angeht, im Rahmen der De-Karbonisierung der Wirtschaft schnell anders werden – wofür das Ziel „Klimaneutralität“ propagiert wird: Wenn die Wirtschaft weiter wächst (wachsen soll?), dann darf dies nicht das Klima schädigen!
Was die Chancen der Entkopplung von Wirtschaftswachstum (BIP) und Ressourcenverbrauch (De-Materialisierung) angeht, gilt es zunächst Steine aus dem Weg zu räumen, aber auch ganz andere Wege zu gehen: Das immanente zentrale Ziel der Wirtschaft, auf der betrieblichen und der nationalen Ebene, war und ist die Steigerung der Arbeitsproduktivität; darauf baute man die Fortdauer des Unternehmens und die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Landes, das war und ist das Credo der alles dominierenden neoklassischen Wirtschaftstheorie. Demgegenüber wurde die Steigerung der Ressourcenproduktivität sträflich vernachlässigt; die Natur wurde und wird weiterhin massiv ausgebeutet und der strikte Schutz der Natur weitgehend vergessen. Das kann nicht so weitergehen; eine „Weiter so-Politik“ darf jetzt – nach dem Parallel-Erleben von Corona-Pandemie und akuter Wirtschaftskrise – keine Option mehr sein.
Das aber heißt, dass neben der weitgehend schon verinnerlichten neuen Ziel-Kategorie „De-Karbonisierung“ auch die „De-Materialisierung“ zu einer wichtigen technisch-ökonomischen Aufgabe werden muss. Da dies allein die natürlichen Ökosysteme aber nicht retten wird, sollten, so mein andauerndes, penetrantes Plädoyer, diese beiden Kategorien durch eine dritte, natur-basierte Ziel-Kategorie ergänzt werden – die systematische „Re-Naturierung“, die großangelegte Wiederherstellung von Flora und Fauna, in Deutschland, in Europa, in der ganzen Welt. Mit diesem strategischen Ziel-Dreieck geht es um eine weitreichende Re-Politisierung – aber nicht nur der Wirtschaft, auch der Gesellschaft, besonders der Zivil-Gesellschaft.
Handlungsanweisungen für den Green Deal. Was wird diskutiert, was fehlt?
Wenn die erwähnten drei Ziel-Kategorien „De-Karbonisierung“, „De-Materialisierung“ und „Re-Naturierung“ in den Fokus des politischen Handelns kommen, entsteht zugleich die Frage nach den dazu erforderlichen strategischen Handlungsanweisungen. Die Umweltwissenschaft hat hierzu ein anderes „magisches Dreieck“ begründet: das Dreieck von Effizienz, Konsistenz und Suffizienz.
Dass das Handeln der Menschen und der Politik angesichts der ökonomischen Probleme und der ökologischen Gefährdungen möglichst effizient sein sollte, ist common-sense. Dass es auch untereinander möglichst konsistent sein sollte, wird hingegen weit weniger beachtet. Daneben könnte und muss es aber auch um suffizientes Handeln gehen – um Genügsamkeit, Einfachheit, Schlichtheit. Die Corona-Pandemie hat bei vielen Menschen Selbstkritik an ihrem eigenen Lebensstil entstehen lassen und bereits zu vielfältigen, jeden Tag neu entstehenden Alternativen geführt. Wir machen also zurzeit schon große Erfahrungen und interessante Versuche bei der Frage, ob Suffizienz nicht auch ein größeres gesellschaftliches Thema sein kann – oder in Zukunft wieder sein sollte.
Wie aber steht es um die Akzeptanz von staatlichen Eingriffen bei einem Green Deal? Die Bundesregierung, die Länderregierungen und die Gemeinden haben in jüngster Zeit enorme Summen in die Hand genommen für Konjunktur- und Zukunftspakete – und haben dafür Schulden aufgenommen. Dass dies im Grundsatz notwendig ist, ist weitgehend unstrittig; massiven Disput aber gibt es um das Volumen der Verschuldung und die dabei beachtete oder aber missachtete Frage der generativen Gerechtigkeit. Als generelles Prinzip muss gelten: Die jetzt, in der „Phase der Doppel-Pandemie“ aufgenommenen Schulden dürfen die folgenden Generationen netto nicht zusätzlich belasten, sie müssen ihnen zugute kommen – ihre Belastung durch zukünftigen Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Naturzerstörung ist groß genug.
Der „European Green Deal“ – und warum das Adjektiv „new“ wegfiel
Der „European Green Deal“ manifestiert sich in der Form eines Doppel-Pakets der EU-Finanzen, das nach langer vorheriger Debatte im Juli 2020 auf den Weg gebracht wurde. Seine praktische Umsetzung wird noch viel Streit bewirken, doch das kann der Frage, wofür man Geld nur möglichst sinnvoll ausgeben sollte, auch gut tun.
Warum es zum Wegfall des Adjektivs „new“ kam, kann ich selbst nur mit einer Vermutung beantworten. Ein zentrales strategisches Prinzip des Europäischen Rates für die Zukunft der EU heißt „politische Souveränität“ – Souveränität insbesondere im Verhältnis zu den USA und China. Soll sich dieses Prinzip auch im Titel des neuen, großen Vorhabens Europas spiegeln, dann kann man sich nicht mit „Green New Deal“ identifizieren wollen – mit einem Leihwort, das in den USA erfunden wurde. Dann muss das Kind einen europäischen Namen kriegen: „European Green Deal“. Der Name ist also gefunden, doch kann das Vorhaben auch finanziert werden?
Der Europäische Rat hat sich im Juli 2020 auf eine umfassende Finanzierung geeinigt, bei der die Aufgabe des Wiederaufbaus nach der Corona-Krise und die Festlegung des mittelfristigen EU-Haushalts der Jahre 2021-2027 miteinander verknüpft worden sind.
Dabei hat der EU-Rat die EU-Kommission ermächtigt, Finanzmittel für eine „Aufbau- und Resilienzfaszilität“ an den Kapitalmärkten in Höhe von 750 Mrd. € aufzunehmen – eine historisch erstmalige Entscheidung. Davon sollen 360 Mrd. für Darlehen und 390 Mrd. für Zuschüsse an die Mitgliedsstaaten vergeben werden. Zudem wurde der Gesamtbetrag an Mitteln für den EU-Haushalt 2021 bis 2027 auf rund 1.074 Mrd.€ festgelegt, von denen ein großer Teil für den ökologischen und digitalen Strukturwandel der Europäischen Union verwendet werden soll. Das Doppel-Paket der EU-Finanzen für die nächsten Jahre beläuft sich damit insgesamt auf rund 1.824 Mrd. € – eine wirklich gewaltige Summe.
In diesem Übereinkommen wird zudem mehrfach die Notwenigkeit von zusätzlichen eigenständigen Mitteln der EU angeführt. Als zukünftig mögliche neue Finanzierungsquellen werden genannt: Einnahmen aus nicht recycelten Verpackungsabfällen, ein CO2-Grenzausgleich, eine Digitalabgabe und (möglicherweise) eine Finanztransaktionssteuer. Eine weitere Finanzierungsquelle der EU könnte sich auch aus der Ausweitung des europäischen Emissionshandelssystems auf den Luft- und Seeverkehr ergeben.
An ausreichenden Finanzmitteln dürfte es dem „European Green Deal“ also nicht hapern. Eher könnte sein Erfolg an fehlenden oder aber fehlerhaften Ideen und Projekten der Ökologischen Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft Europas scheitern. Wie die effektive Kontrolle des Einsatzes der beschlossenen enormen Finanzmittel gewährleistet werden kann, ist noch weitgehend offen. Doch diese Kontrolle ist ein genuines Anliegen des selbstbewusster gewordenen Europa-Parlaments.
Quelle
Udo E. Simonis 2020 ist Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB)