Greta in Berlin: „Raus aus der Komfortzone“
Schulstreik fürs Klima: Regierungspolitiker fordern die protestierenden Schüler auf, wieder zur Schule zu gehen – Zehntausende von ihnen sehen dafür keinen Grund und demonstrieren mit prominenter Unterstützung erneut in Berlin.
Kurz nach 14 Uhr (29.3.2019) jubeln Tausende Schüler, als ein schmächtiges Mädchen mit Zöpfen und in weinroter Daunenjacke die Bühne vor dem Brandenburger Tor betritt. Sie ergreift das Mikrofon, legt die Stirn in Falten und blickt sich flüchtig um, bevor sie ihrem Ärger über die Untätigkeit der Politik im Angesicht der Klimakrise freien Lauf lässt – das, worauf alle hier Stunden gewartet haben.
Ein regelrechter Ausnahmezustand herrscht am Freitag im Zentrum Berlins. Und das wegen eines 16-jährigen Mädchens aus Schweden. Begonnen hat es an diesem Tag um 10 Uhr am Invalidenpark neben dem Wirtschaftsministerium. Dort, wo alles vor 15 Wochen angefangen hatte, wie Luisa Neubauer erinnert, Mitorganisatorin der Fridays-for-Future-Demos in Berlin. Damals noch mit einer übersichtlichen Zahl an Demonstranten und genau einem Journalisten.
An diesem Freitag zählten die Organisatoren der Demonstration 25.000 Teilnehmer – das ZDF und selbst Bild übertragen live.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und viele andere Politiker haben ihre Sympathie für die jungen Demonstranten geäußert. Angesichts all der Reaktionen seien sie doch schon ein Erfolg gewesen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) forderte in dieser Woche in einem Gastartikel in der Zeit die Schüler auf, nun in die Politik zu gehen und sich zu engagieren, statt die Schule zu schwänzen. Insofern ist interessant, welche Antwort die Schüler und Studenten an diesem Freitag geben werden.
„Es ist zu spät, bis wir alle in irgendwelchen Ämtern hocken“, stellt Neubauer im Invalidenpark klar. „Uns läuft die Zeit davon.“
Sie könne keinen Erfolg erkennen. „Denn es ist nichts passiert. Die Anzugträger im Land machen nichts – und solange das so bleibt, machen wir weiter.“
Die Schüler und Studenten applaudieren. Ganz unterschiedliche Altersgruppen spiegeln sich in den Plakaten wider. „Rettet Natur und Tiere“, steht auf einem, das ein kleines Mädchen hochhält. „Eure Kinder haben Schnee erlebt – unsere auch?“ auf einem weiteren. Aber auch konkrete Forderungen wie „CO2-Steuer“ sind zu lesen.
„Die Lehrer supporten uns nicht!“
Dann bewegt sich die Schülermenge durch Berlins Mitte bis zum Brandenburger Tor. Dort haben sich schon die Achtklässlerinnen Johanna, Jasmin und Paola vom Berliner Max-Planck-Gymnasium positioniert. „Wir wollen für unsere Zukunft kämpfen“, sagt Johanna auf die Frage, warum sie hier seien, und stupst ihre Freundin an, damit sie ihr mit weiteren Gründen hilft.
„Wir wollen nicht, dass die Erde verschmutzt“, sagt Jasmin. Ach, und das Pariser Klimaabkommen solle eingehalten werden. Paola schaltet sich ein: „Wir wollen, dass wir in Zukunft auf der Erde leben können.“ In der Hand hält sie ein Schild mit einem abgemagerten Eisbären und der Warnung: „Schadet ihr der Umwelt, schadet ihr uns!“
Nur wenige aus ihrer Klasse seien gekommen, einige hätten Angst vor schlechten Noten oder wollten keine Klassenarbeiten auslassen. Den dreien sind Fehltage im Zeugnis nicht so wichtig. „Wenn wir jetzt nicht hier hingehen, haben wir gar keine Zukunft mehr“, sagt Paola.
Was ihre Lehrer dazu sagen würden? „Die supporten das nicht!“, beschweren sich die drei. Nur ihr Klassenlehrer habe die Demos angesprochen.
„Wir wollen eine Zukunft – ist das zu viel verlangt?“
Kurz nach 14 Uhr ist es so weit, Greta Thunberg betritt unter Applaus die Bühne. Dann sagt sie ihre schon berühmt gewordenen Sätze: „Die ältere Generation hat versagt, die Klimakrise zu lösen.“ Alles werde gut, würden ihre Eltern sagen, macht euch keine Sorgen. „Aber wir sollten uns Sorgen machen und Panik haben!“
Thunberg will diesmal ihren Satz erklären, über den viele gerätselt haben. „Mit Panik meine ich, dass wir aus unserer Komfortzone ausbrechen sollen“, sagt die 16-Jährige, die am Samstag die Goldene Kamera verliehen bekommt und deshalb in Berlin ist. „Denn wenn man in einer Krise ist, dann verändert man sein Verhalten.“
„Wir wollen eine Zukunft“, sagt sie. „Ist das zu viel verlangt?“
Den ganzen Tag haben die Studenten und Schüler auf sie gewartet, aber nach ein paar Minuten ist sie schon wieder fertig. Und bekommt von Luisa Neubauer noch ihr Schild in die Hand gedrückt, mit dem sie jeden Freitag vor dem schwedischen Reichstag protestiert, statt zur Schule zu gehen. „Skolstrejk för klimatet“ steht darauf in schwarzen Großbuchstaben, sonst nichts.
Bevor sie aber die Bühne verlässt und das Berliner Publikum „Greta, Greta“ skandiert, gibt sie noch eine Antwort darauf, ob sie weiter mit ihrem Schild vor dem schwedischen Reichstag protestieren wird oder ob der weltweite Schulstreik wie von einigen Politikern gefordert nun ein Ende haben wird.
„Das ist erst der Anfang vom Anfang“, erklärt sie. „Glaubt mir.“
Quelle
Der Bericht wurde von
der Redaktion „klimareporter.de“ (Benjamin von Brackel) 2019 verfasst – der Artikel
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