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Industrielle Landwirtschaft im Kampf gegen Hunger gescheitert

Felix zu Löwenstein hat die globale Dimension des Ernährungsproblems erkannt und zeigt in seinem Buch „Food Crash“, wie es gelingen könnte, die Menschheit zu ernähren und dabei gleichzeitig die Umwelt weniger zu belasten. Ein Interview mit Felix Prinz zu Löwenstein von Thomas Wardenbach

Löwenstein erläutert in seinem Buch, wie sieben Milliarden Menschen ernährt werden können und warum noch mehr Menschen zukünftig nicht mit einer industrialisierten Landwirtschaft ernährt werden müssen.

In seinem unterhaltsam geschriebenen Buch beleuchtet er, welche Hebel politischen und privaten Handelns jetzt in Bewegung gesetzt werden müssen, damit ein drohender Umweltkollaps und eine Eskalation humanitären Leids noch abgewendet werden können.

Felix zu Löwenstein, Agrarwissenschaftler, Ökolandwirt auf Hofgut Habitzheim in Südhessen und Vorstandsvorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), beantwortet im folgenden Interview acht Fragen, die Thomas Wardenbach gestellt hat:

Herr zu Löwenstein, Sie haben ein Buch über die Zukunft der Ernährung der Menschheit geschrieben. Das Buch trägt den Titel „Food Crash“ – haben wir denn alle den „Knall“ noch immer nicht gehört?

In den letzten Monaten wird die globale Ernährungssicherung zum Thema. Allerdings melden sich meistens diejenigen zu Wort, die industrielle Intensivierungskonzepte anbieten oder – und oft sind es die selben – die Produkte anbieten wollen, die solche Konzepte brauchen: Düngemittel, Pestizide und Gentechnik. Dass der Ökolandbau hier überhaupt ein Thema ist, scheint vielen Menschen noch undenkbar.

Im Untertitel Ihres Buches steht die Kernaussage „Wir werden uns ökologisch ernähren oder gar nicht mehr“. Ist die konventionelle Landwirtschaft in den Entwicklungsländern gescheitert und warum sind die Bemühungen der Hilfsorganisationen nur Strohfeuer?

Die „Grüne Revolution“ (Anmerkung Wardenbach: seit Ende der 1950er Jahre werden für Entwicklungsländer spezielle Hochleistungs- bzw. Hochertragssorten entwickelt und eingesetzt) hat ohne Zweifel die landwirtschaftlichen Erzeugungsmengen gesteigert. Aber die Zahl der Hungernden ist gleich groß geblieben. Und der für eine solche Form von Landwirtschaft erforderliche Verbrauch an Ressourcen wie Energie, Rohstoffe, Biodiversität, Wasser etc. ist eindeutig zu groß. Immer mehr Hilfsorganisationen setzen jetzt auch auf eine Ökologisierung der Landwirtschaft. Das wirklich umzusetzen erfordert aber, dicke Bretter zu bohren. Denn die „einfachere“ Landwirtschaft ist die konventionelle. Sie funktioniert nach Rezepten und braucht wenig Verständnis des Ökosystems.

Sollten sich nicht gerade die Entwicklungsländer auf den Segen von Kunstdünger, Gentechnik oder den Einsatz von mehr Pestiziden verlassen dürfen, um mehr Menschen ernähren zu können?

70 Prozent aller Nahrungsmittel weltweit werden von Kleinbauern erzeugt. Auf ihnen muss jedes Konzept von Landwirtschaft aufbauen, das in den Entwicklungsländern zur Lösung der Ernährungsprobleme beitragen soll. Alles, was „input-intensiv“ ist, verbraucht nicht nur zu viele Ressourcen, es verschärft auch das Problem der ökonomischen Abhängigkeit. Je mehr im Kreislauf gewirtschaftet wird, desto höher ist auch die Ökonomie. Davon abgesehen ist eine vielfältige, nicht auf wenige Monokulturen beschränkte Landwirtschaft produktiver und bietet Sicherheit bei Schwankungen der Witterung oder der Marktpreise. Auf keinen Fall ist eine solche Landwirtschaft schlicht gesagt der Rückfall in traditionelle Verfahren. Es bedarf der Entwicklung einer ökologischen Intensivierung, aufbauend auf Erfahrungswissen einerseits und modernster Forschung andererseits. Die größte Rolle spielt deshalb die Bildung.

Wenn sich schon heute Familien in Asien in Folge von Börsenspekulationen kaum noch eine Tagesration Reis leisten können, wie sollen sie sich dann noch teurere Bio-Lebensmittel kaufen können?

Unsere global arbeitsteilige Landwirtschaft hat gerade dazu geführt: die Ärmsten der Armen hängen am Weltmarkt. Die Produktionskapazitäten in ihren Ländern sind unter dem Bombardement mit unseren billigen Überschüssen zusammengebrochen. Kleinbauern verschulden sich bei ihren Vorlieferanten, müssen dann in der Ernte schon alles verkaufen und dann übers Jahr teuer Lebensmittel zurückkaufen. Ernährungssouveränität ist deshalb die wichtigste Hilfe für sie. All das geschieht nicht von heute auf morgen. Was wir aber sofort beenden müssen, sind die zum Kasino verkommenen Warenterminmärkte. Es muss dafür gesorgt werden, dass sie wieder zur Absicherung der Marktteilnehmer dienen.

Die Auswirkungen des Klimawandels machen sich in den Entwicklungsländern und auch bei uns bereits bemerkbar. Wie kann eine Landwirtschaft zukünftig immer mehr Menschen ernähren, ohne dabei immer mehr klimaschädliche Gase auszustoßen?

Landwirtschaft ist nicht nur das prominenteste Opfer der Klimaänderungen, sondern auch einer der prominentesten Täter. Das ist einer der Gründe, weshalb wir um eine Ökologisierung der Landwirtschaft nicht herum kommen. Gleichzeitig muss Landwirtschaft widerstandsfähig gegen die Wirkungen des Klimawandels werden. Und das ist sie am besten mit fruchtbaren, speicherfähigen Böden und durch Vielfalt – beides eng mit Ökolandbau verbunden.

Sie waren in den 1980er Jahren als Entwicklungshelfer auf Haiti tätig. Wenn Sie morgen nach Haiti fliegen würden, was wäre in Ihrem Gepäck um eine Landwirtschaft nach Ihren Maßstäben aufzubauen?

Das Gepäck müssen die Haitianer selbst packen: nur was sie selbst an Entwicklung weiterbringen, nützt ihnen auf Dauer. Wir können als Impulsgeber und als Ratgeber fungieren. Aller Ehrgeiz der Entwicklungshilfe, der darüber hinaus geht, ist bislang gescheitert oder hat sogar die Abhängigkeit verstärkt. Eines ist leider klar: Haiti hat durch die Zerstörung seiner Böden einen Punkt erreicht, an dem der Aufbau einer sie selbst versorgenden Landwirtschaft nicht mehr möglich ist. Boden, der ins Meer geschwemmt wurde, kehrt durch kein Projekt der Welt wieder zurück.

Wenn Sie die Wahl hätten, welche fünf Persönlichkeiten aus a) Politik, b) Praktikern aus der Landwirtschaft, c) Forschung, d) Humanitärer Hilfsorganisation und e) aus Ihrer Familie würden Sie mit nach Haiti nehmen und warum?

Ich würde eigentlich am liebsten nur mit meiner Frau dorthin fahren. Es gibt vor Ort wunderbare Menschen, die tun können, was zu tun ist, denen man sich zur Verfügung stellen könnte.

An den bevorstehenden Weihnachtsfeiertagen werden bei den meisten von uns die Esstische reich gedeckt sein. Was kann jeder von uns nicht nur an den Feiertagen tun, um nicht nur sein schlechtes Gewissen zu beruhigen, sondern auch eine gerechtere Landwirtschaft in den Entwicklungsländern dauerhaft zu unterstützen?

Unsere Ernährungs- und Lebensstile haben sehr viel mit den Menschen in den Ländern des Südens zu tun. So, wie sie jetzt aussehen, verbrauchen wir sehr viele Ressourcen, die sie brauchen. Wer konsequent Bioprodukte, möglichst saisonal und möglichst aus der Region kauft, tut schon viel. Und wer zu Hause feiert und dafür nicht auf schicke Inseln fliegt, trägt auch zur Klimabilanz etwas bei.

Quelle

text & pressebüro – Dr. Thomas Wardenbach, Köln 2011

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