Klima- und Entwicklungsziele mit Politikmix erreichbar
Eine neue MCC-Studie zeigt: Klimaschutz, Ernährungs- und Energiesicherheit sind zugleich möglich. Der Wettbewerb um Land ist ein zentrales Thema.
Eine breite Kombination von Maßnahmen könnte am besten geeignet sein, sowohl die Klimaziele als auch die meisten nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen für zu erreichen. Diese Maßnahmen reichen von der CO2-Bepreisung über die Regulierung des Schutzes von Wasser und Wald bis hin zu Lebensstiländerungen. Das zeigt eine neue Studie unter Beteiligung des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC). Das Forschungsteam unter der Leitung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) hebt besonders das komplexe Zusammenspiel der verschiedenen Ziele hervor. Eine nur auf die CO2-Preise konzentrierte Politik wäre am billigsten, würde aber wahrscheinlich auf Kosten des Schutzes von Landflächen gehen.
„Um die Risiken der globalen Erwärmung innerhalb der von den Regierungen im Pariser Abkommen vereinbarten Grenzen zu halten, müssen wir unsere Energiesysteme grundlegend umbauen“, sagt Leit-Autor Christoph Bertram vom PIK. „Dies wird tiefgreifende Auswirkungen auf andere Bereiche haben, die für die Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung relevant sind. Es wird sowohl Vorteile als auch Risiken für die Menschen mit sich bringen: etwa einerseits die Verringerung der Luftverschmutzung und andererseits höhere Preise für Nahrungsmittel und Energie.“ Die Bewertung dieser Kompromisse ist eine wichtige Information für Entscheider in Politik und Wirtschaft.
„Dies ist die erste Studie, die Auswirkungen verschiedener politischer Maßnahmen auf eine Reihe von Elementen der Nachhaltigkeit analysiert“, sagt Bertram. „Und das Ergebnis ist, dass ein Maßnahmenpaket die Nachhaltigkeitsvorteile der Treibhausgasminderung erheblich steigern und die Risiken reduzieren kann.“
Der Wettbewerb um Land ist dabei eines der zentralen Themen. „Ohne zusätzliche Regulierung würden allein aufs Klima fokussierte politische Maßnahmen zum raschen Ausstieg aus der fossil befeuerten Stromerzeugung beispielsweise den Anbau von Pflanzen zur Erzeugung von Bioenergie fördern“, sagt Co-Autor Alex Popp vom PIK. „Das würde die Treibhausgasemissionen reduzieren, da die Verbrennung der Pflanzen nur das CO2 freisetzt, das sie beim Anbau aufgenommen haben – aber es würde auch eine großflächige Umwandlung von Agrarflächen bedeuten, die sonst für die Nahrungsmittelproduktion oder für Ökosysteme zur Sicherung der Biodiversität genutzt werden. Im schlimmsten Fall könnte bis zu einem Drittel der heutigen Anbaufläche für Bioenergieplantagen genutzt werden.“
„Einige Nachhaltigkeitsthemen wie Ernährungssicherheit und Zugang zu erschwinglicher Energie sind für die Öffentlichkeit wichtiger als der Klimawandel – einfach weil die schlimmsten Auswirkungen der globalen Erwärmung erst in der Zukunft auftreten werden, Essen und Strom aber heute zählen. Unsere Studie zeigt, dass beide Herausforderungen gleichzeitig angegangen werden können: Es ist möglich, schlaue klimapolitische Pakete zu entwerfen, die auch in anderen wichtigen Dimensionen der menschlichen Entwicklung entscheidende Fortschritte ermöglichen“, sagt Ko-Autor Jan Minx vom MCC. „Das sind gute Nachrichten für Regierungen und Gesellschaft: Es gibt nicht nur eine einzige allein richtige, sondern eine Reihe von Möglichkeiten.“
Die Forscher analysierten 16 politische Elemente und 12 Indikatoren, die sich auf 10 der 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der UN beziehen, mit Hilfe von Computersimulationen, erklärt Minx. „Wissenschaftler müssen auf die spezifischen Vor- und Nachteile verschiedener Politiken hinweisen, damit die politischen Entscheidungsträger fundierte Entscheidungen treffen können.“
Selbst das Politikpaket, das bei den meisten der analysierten Nachhaltigkeitsindikatoren am besten abschneidet, hat einen Nachteil: Eine breite Kombination von Nachhaltigkeitspolitiken kostet kurzfristig mehr Geld als die CO2-Bepreisung allein. Die reine Preispolitik würde die Energieerzeugungskosten in Grenzen halten und wäre in dieser Hinsicht am kostengünstigsten. Eine solche Politik würde jedoch zu einem Anstieg der Nahrungsmittelpreise um etwa ein Drittel in 15 Jahren führen, da die Flächen für den Klimaschutz genutzt würden. Dies könnte letztlich dem Ziel der nachhaltigen Entwicklung, der Armutsbekämpfung, zuwiderlaufen. Um diesen unbeabsichtigten Effekt zu vermeiden, wären zusätzliche Maßnahmen erforderlich.
Die Wissenschaftler betonen, dass die höheren Kosten einer breiten Kombination von Nachhaltigkeitspolitiken im Vergleich zur reinen Klimapolitik nicht das ganze Bild sind. Die Analyse nennt nicht die Kosten von Klimaschäden, die entstehen würden, wenn überhaupt keine politischen Maßnahmen ergriffen würden – es ist klar, dass die Kosten des Nichthandelns, sowohl in Form von Geld als auch von menschlichem Leid, enorm wären.
Sowohl der Nutzen als auch die Risiken der Nachhaltigkeit steigen, wenn der Ehrgeiz dahin erhöht wird, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen; dieses Ziel wird in der Pariser Vereinbarung als erstrebenswert genannt. „Einerseits könnten etwa die Korallenriffe weltweit wahrscheinlich gerettet werden, und das Risiko eines langfristigen, vollständigen Abschmelzens Grönlands, das zu einem erheblichen Anstieg des Meeresspiegels führen würde, wäre reduziert“, sagt Ko-Autor Gunnar Luderer vom PIK. „Auf der anderen Seite verdreifachen sich die wirtschaftlichen Kurzzeitkosten und die Langzeitkosten verdoppeln sich. Das liegt daran, dass wir für das Einhalten der 1,5 Grad-Grenze den Verbrauch fossiler Brennstoffe viel schneller reduzieren und auch die Verfügbarkeit der CO2-Entnahme aus der Atmosphäre rasch erhöhen müssten, beispielsweise durch den Einsatz von Technologien zur CO2-Abscheidung und -Speicherung, CCS.“
„Doch wenn die CO2-Preisgestaltung mit anderen Maßnahmen kombiniert wird, können die Probleme für die Nachhaltigkeit stark reduziert werden. Zu unserer großen Überraschung können solche engagierten Maßnahmen die negativen Nebeneffekte einer Verschärfung der Temperaturgrenze von 2 auf 1,5 Grad auf zum Beispiel die Preise von Nahrungsmitteln und Energie mehr als ausgleichen“, sagt Luderer. „Dies ist eine wichtige Erkenntnis: Während ehrgeizigere Klimapolitik sicherlich teurer ist und daher Geld braucht, das für andere Nachhaltigkeitsziele wie die Armutsbekämpfung dann fehlt, kann die Kombination der Klimapolitik mit anderen Politiken die Nachhaltigkeitslücke tatsächlich schließen.“
Lebensstil-Änderungen erweisen sich als einer der effizientesten Wege zur Ergänzung der CO2-Preisgestaltung. Wenn die Menschen etwa Flugreisen und Fleischkonsum reduzieren, könnte dies die höheren kurzfristigen Kosten für frühzeitige Klimaschutzmaßnahmen ausgleichen helfen. „Während die Möglichkeiten, solche Lebensstiländerungen herbeizuführen, oft sehr umstritten sind und daher nicht im Mittelpunkt der aktuellen politischen Diskussionen stehen, scheinen diese Veränderungen das größte Potenzial zur Reduzierung von Nachhaltigkeitsrisiken und zur Maximierung des Mitnutzens von Minderungsmaßnahmen zu haben“, sagt Luderer. „Gemeinsam können Politik und Menschen mehr erreichen, als sie denken.“