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Konjunkturpaket und Zukunftspaket

Unsere Regierung will die Corona-Folgen mit unglaublich viel Geld bekämpfen, will enorme Schulden machen, um die Konjunktur anzutreiben und die Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Doch was hat sie sonst noch für die Zukunft an- und aufzubieten? Eine kritische Einschätzung von Professor Udo E. Simonis

Als Reaktion auf die Corona-Krise hat der Koalitionsausschuss von CDU, CSU und SPD am 3. Mai 2020 einen Ausgabenplan über 130 Milliarden Euro vorgelegt, das größte Finanzprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg. Es besteht aus einem Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket, einem Zukunftspaket und einer Selbstverpflichtung über Europäische und Internationale Verantwortung. 

Das erste Paket umfasst 31 Punkte, das zweite Paket 23 Punkte mit 12 weiteren Unterpunkten; und dann ist da noch der dritte Teil, der aber nur 2 Punkte umfasst. Bundesfinanzminister Scholz präsentierte die Beschlüsse des Koalitionsausschusses unter einem Begriff, den es im Duden gar nicht gibt; er nannte es ein „Wumms“ – 130 Milliarden Euro, das ist in der Tat ein Superlativ, der solche und andere Sprachgeschöpfe nahelegt.

Die Präsentation des Ausgabenplans erhielt durchweg großes Lob bei den Medien. Die Süddeutsche Zeitung titelte „Berliner Coup“, die Frankfurter Rundschau sprach von einem „Schönen Anfang“. Die Opposition im Bundestag reagierte zwar kritisch, aber differenziert. Am positivsten äußerten sich die Grünen – mit dem Hinweis: „Das Paket ist besser als erwartet“. Es geht aber, wie schon gesagt, gar nicht um ein Paket, da sind deren drei.

Das Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket wurde in den Folgetagen der Präsentation weitgehend wohlwollend aufgenommen, denn schließlich ist für (fast) alle etwas dabei – für die einen aber mehr, als für die anderen. Doch die Autoindustrie ist unzufrieden, weil eine Verkaufsprämie für Neufahrzeuge mit Verbrennungsmotoren nicht aufgenommen wurde. Die SPD dagegen freut sich über den Coup mit der, wenn auch nur temporären Senkung der Mehrwertsteuer.

Über das Konjunkturpaket ist inzwischen schon viel diskutiert worden und das wird weitergehen mit der anstehenden Umsetzung der Beschlüsse. Der bisherige allgemeine Groß-Konsens kann dabei sehr wohl ins Wanken kommen, wenn klarer wird, was eine so massive Verschuldung des Staates für die Zukunft bedeutet. Die neuen Schulden müssen irgendwann ja bezahlt werden. Das Konjunkturpaket von heute kann morgen zu massiven Steuererhöhungen führen. Also kommt es entscheidend darauf an, dass das Zukunftspaket tendenziell und strukturell zu Entlastungen für die zukünftigen Generationen führt – das ist das, was in der Wissenschaft unter dem Stichwort „intergenerative Gerechtigkeit“ diskutiert wird. Ist das beschlossene, vermeintlich gute Konjunkturpaket für die jetzigen Generationen auch gerecht gegenüber den zukünftigen Generationen?

Wir sollten uns deshalb nicht nur das Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket sorgfältig ansehen, sondern auch und besonders das beschlossene „Zukunftspaket“. Das soll im Folgenden geschehen.

Was ist die Zukunftsvision des Koalitionsausschusses der Großen Koalition? „Damit Deutschland gestärkt aus der aktuellen Krise hervorgeht …, werden wir ein Zukunftspaket in Höhe von über 50 Milliarden Euro für die nächsten Jahre auflegen“, so heißt der Eingangssatz zu dem zweiten Teil des Beschlusspapiers. Doch was diese Zukunft ist oder sein könnte, dazu fand ich nichts Fassbares in dem Papier.

Ich fand keine holistische Definition von Nachhaltigkeit, keine überzeugende Vision von Zukunftsfähigkeit. Da ist kein Rekurs zu dem, was in der Wissenschaft zur ökologischen Modernisierung vorgedacht, was zur Transformation der Industriegesellschaft vorgeschlagen worden ist. Exzellenter Rat wird nicht nach-gefragt: Nichts von dem, was der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), was der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) über viele Jahre an genialen Vorschlägen entwickelt haben, nichts von dem, was vor kurzem erst im „Bericht zur Lage der Natur in Deutschland“ zu den Schäden an Flora und Fauna und zu ihrer Behebung aufgezeigt wurde. Ich fand auch nichts zu der Feststellung, dass der „Overshoot day“ (der Erdüberlastungstag) in den letzten 20 Jahren in der Welt und in Deutschland immer früher im Jahr im Kalender steht. Ja, und dann der Hammer: Ich fand nicht einmal einen Bezug zu dem, was jetzt für Europa von der deutschen EU-Kommissionspräsidentin aktiv betrieben wird – dem „Green New Deal“.

Der Wissenschaftler sollte cool bleiben bei seinen Analysen und Ratschlägen, doch diesmal, an dieser Stelle, beim Thema Zukunft, ist‘s fast zum Heulen. Von der Wissenschaft sind über viele Jahre drei fundamentale Ziel-Kategorien entwickelt, drei Groß-Aufgaben begründet worden, um die es in der Welt, in den Industrieländern und damit auch in Deutschland in Zukunft gehen sollte und gehen muss: um „De-Karbonisierung“, um „De-Materialisierung“ und um „Re-Naturierung“ – in Kurzfassung: um rasche Reduzierung der CO2-Emissionen, um drastische Reduzierung der Ressourcenverbrauchs und um die Rettung und Wiederherstellung biologischer Vielfalt, von Flora und Fauna…

Was aber findet sich dazu im Beschlusspapier der Bundesregierung in den Punkten 32 bis 55 (plus 12 Unterpunkten bei Punkt 35), im sogenannten „Zukunftspaket“? Man findet einige recht interessante Ideen, aber auch viele grauenerregende Vorstellungen von dem, was Zukunft sein soll – und bei Erfolg des Programms auch werden könnte. Im Folgenden zitiere ich ein paar Beispiele (nur in Auszügen) der einen wie auch der anderen Sorte.

Punkt 32, erster Punkt des „Zukunftspakets“:

„Der Fördersatz der steuerlichen Forschungszulage wird rückwirkend zum 1.1.2020 und befristet bis zum 31.12.2025 auf eine Bemessungsgrundlage von bis zu 4 Mio. Euro pro Unternehmen gewährt.“

Punkt 33:

„Der Bund unterstützt die großen außeruniversitären Forschungsorganisationen…“

Punkt 34:

„Die projektbezogene Forschung …wird ausgeweitet. Der Fokus liegt auf den nächsten großen Umbrüchen im Energiesystem: Digitalisierung und Sektorkopplung.“

Punkt 35 a.:

„Die Kfz-Steuer für Pkw wird stärker an den CO2-Emissionen ausgerichtet.“

Punkt 35 b.:

„Durch die Umweltprämie fördern wir den Austausch der Kfz-Fahrzeugflotte durch klima- und umweltfreundlichere Elektrofahrzeuge.“

Punkt 35 f.:

„Wir investieren 2,5 Mrd. Euro in den Ausbau moderner und sicherer Ladesäulen-Infrastruktur, die Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich der Elektromobilität und die Batteriezellfertigung.“

Punkt 35 l.:

„Moderne Flugzeuge neuester Bauart emittieren bis zu 30 % weniger CO2 und Lärm. Wir werden die beschleunigte Umstellung von Flugzeugflotten auf derartige Flugzeuge unterstützen.“

Punkt 36:

„Die Bundesregierung wird kurzfristig die ‚Nationale Wasserstoffstrategie‘ vorlegen.“

Punkt 40:

„Die Registermodernisierung stellt eine wichtige Säule der Digitalisierung der gesamten Verwaltung in Bund, Ländern und Kommunen dar….Voraussetzung dafür ist eine fehlerfreie registerübergreifende Identifikation von Personen.“

Punkt 44:

„Der nächste grundlegende digitale Technologiesprung durch Quantentechnologien beginnt jetzt. …(Deshalb) ist es unser Ziel, dass Deutschland in wesentlichen Bereichen der Quantentechnologien, insbesondere dem Quantencomputing, der Quantenkommunikation, der Quantensensorik und auch der Quantenkryptokraphie wirtschaftlich und technologisch an der Weltspitze konkurrenzfähig ist.“

Punkt 47:

„Wir wollen den 5G-Ausbau massiv beschleunigen und bis 2025 ein flächendeckendes 5G-Netz in ganz Deutschland aufbauen.“

Punkt 49:

„(Wir wollen) ein Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr aufbauen.“

Punkt 50:

„Der Bund (strebt) mit den Ländern und Kommunen einen ‚Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst‘ an.“

Punkt 52:

„(Es) wird ein Programm zur Förderung der ….inländischen Produktion wichtiger Arzneimittel und Medizinprodukte aufgelegt.“

Punkt 55:

„Im Interesse des Tierwohls wird ein Investitionsförderprogramm für den Stallumbau…aufgelegt.“

Ein erstes Zwischenfazit:

Das also sind verschiedene Punkte des Beschlusspapiers, um die es bei der Frage nach der Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland aus Sicht der Bundesregierung gehen soll – nach den Erfahrungen, die wir mit der Corona-Pandemie gemacht haben. Was aber ist das in Wirklichkeit? Zur sorgfältigen Beantwortung dieser Frage möchte ich hiermit öffentlich aufrufen.

Doch da ist noch eine weitere, betrübliche Passage des Beschlusspapiers, der Teil zum Thema „Europäische und Internationale Verantwortung.“

Zur Einführung heißt es dort: „Die Europäische Union muss alles tun, um aus dieser Krise gestärkt hervorzugehen. Diese außergewöhnliche Situation erfordert auch außergewöhnliche Kraftanstrengungen“.

Nur zwei Punkte werden dann dazu formuliert.

Punkt 56:

„Deutschland und Frankreich haben die gemeinsame Initiative ergriffen, um mit einem Fonds von 500 Mrd. Euro die wirtschaftliche Erholung Europas zu ermöglichen.“

Punkt 57:

„Die Auswirkungen der Corona Krise sind nicht nur in Deutschland, sondern weltweit dramatisch. Wir werden daher bis Ende 2021 zusätzliche Finanzmittel bereitstellen, die sowohl der Bekämpfung der Pandemie als auch zur Ausweitung der humanitären Hilfe und gesundheitlichen Vorsorge dienen. Wir intensivieren den wirtschaftlichen Austausch zwischen Deutschland und den afrikanischen Staaten.“

Ein zweites Zwischenfazit:

Auch dieser Teil des Beschlusspapiers der Bunderegierung ist äußerst schwach. Um wieviel besser wäre es gewesen, zur Rettung und zur zusätzlichen finanziellen und personellen Ausstattung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) beizutragen, zumal die USA ihre Mitgliedschaft beenden werden? Und mehr noch: Auch an die Vorschläge deutscher Wissenschaftler zur Einrichtung einer wirkungsvollen Weltumweltorganisation (WEO) hätte man erinnern können.

Mein Fazit:

Das „Zukunftspaket“ der Bundesregierung, gedacht als Reaktion auf die Corona-Pandemie, repräsentiert eine technologie-orientierte, eine technologie-dominierte Zukunftssicht. Man hat an die Zukunft gedacht, aber Mensch und Natur weitgehend vergessen. Es gibt sie aber, die human- und natur-basierte Sicht der Welt: Es gibt zum Beispiel die Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen, es gibt eine Waldoption in der Klimapolitik, es könnte auch eine ökologische Landwirtschaft geben und man hätte mehr Empathie der Politiker für die Natur erwarten und sie bei der Bevölkerung einfordern können.

Einzelne Punkte des vorgelegten Pakets sind gewiss sinnvoll, insbesondere, wenn es sich um zukunftstaugliche Investitionen handelt. Aber steckt in dem Paket wirklich schon der ernsthafte Versuch, die derzeitige Krise zu einer echten Umkehr zu nutzen? Wenn es dabei bliebe, was da geschrieben steht, dann kann es meines Erachtens keine gute Zukunft für unser Land werden. Vielleicht aber liegt noch eine verborgene Chance in dem Begriff selbst, den man für den Ausgabenplan gewählt hat und der „Zukunftspaket“ heißt: Ein Paket kann man zurückschicken oder auspacken, aber auch umpacken und beipacken.

 

privat | Udo E. Simonis, Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB)
Quelle

Udo E. Simonis 2020 ist Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB)


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