Kosten der Kernenergienutzung: Jahrhundertproblem Atomkraft
Die Endlagerung des deutschen Atommülls verzögert sich um Jahrzehnte und dürfte viel teurer werden als gedacht. Bezahlen müssen das nicht die Stromkonzerne, sondern die Allgemeinheit. Deshalb dürfen die Beteiligungsrechte der Betroffenen jetzt nicht beschnitten werden.
Die Atomkraft sollte eine Jahrhundert-Technologie werden. Die Elektrizität so billig, dass man keinen Stromzähler mehr brauchen würde. Gigantische Energiemengen aus wenig Rohstoff. Antrieb für ein neues Zeitalter des wirtschaftlichen Überflusses.
Breit eingeführt wurde sie hierzulande in den 1970er Jahren, doch nun zeigt sich: Die Kernenergie ist eine Jahrhundert-Technologie, aber ganz anders als gedacht. Es könnte hierzulande volle 100 Jahre dauern, bis überhaupt ein Endlager-Standort für den Strahlenmüll gefunden sein wird.
Erst 2074, so ein Gutachten des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base), dürfte es so weit sein – im besten Fall. Das bedeutet eine neue, schwere Hypothek für die hierzulande ohnehin verkorkste Entsorgung der Hinterlassenschaften des „Atomzeitalters“.
Der Ursprung des Problems liegt darin, dass die neue Energietechnologie, die zur Hochzeit ein Drittel des in Deutschland verbrauchten Stroms lieferte, vor 60 Jahren etabliert wurde, ohne dass die Endlagerung auch nur ansatzweise gelöst war. Fahrlässiger als die Atomfans der damaligen Unions- und SPD-geführten Regierungen hätte man nicht vorgehen können. Das rächt sich bis heute.
Sie wählten das alte, löchrige Salzbergwerk Asse bei Wolfenbüttel aus, um dort schwach und mittel radioaktiven Strahlenmüll unterzubringen. Das endete im Fiasko. Das dortige Atomlager, das als Muster für die Endlagerung gepriesen wurde, droht abzusaufen. Die Sanierung, wenn überhaupt möglich, wird die Steuerzahler:innen mehrere Milliarden kosten.
Ein halbes Jahrhundert wurde mit Pseudo-Politik vertan
Noch schwerwiegender war die Vorfestlegung auf den Salzstock Gorleben im Wendland nahe der deutsch-deutschen Grenze für den ganz heißen Abfall, obwohl große Zweifel an der Eignung bestanden. Hier verbaute der Bund, der diese Lösung blindlings durchdrücken wollte, zwei Milliarden Euro, angeblich für ein „Erkundungsbergwerk“, tatsächlich aber schon für ein Endlager.
Er erzeugte damit einen der größten gesellschaftlichen Konflikte, die die alte Bundesrepublik erlebte, die Anti-Atomkraft-Proteste um Gorleben. Die fatale Folge: Ein halbes Jahrhundert wurde mit Pseudo-Politik vertan, die „Entsorgung“ nur vorspiegelte, um die Atomkraftwerke weiterbetreiben zu können.
Erst der Beschluss für den Atomausstieg, gefasst 2011 nach dem Fukushima-Super-GAU, legte die Basis für eine neue, an wissenschaftlichen Kriterien orientierte Endlagersuche. Die wurde vom Bundestag dann 2017 mit großer Mehrheit parteiübergreifend beschlossen, seither läuft sie.
Damals wurde kalkuliert, ein Endlagerstandort könne bis 2031 gefunden werden. Doch nun der Schock. Es wird laut dem Base-Gutachten wohl mehr als vier Jahrzehnte länger dauern, weil bei der alten Kalkulation offenbar wichtige Verfahrensschritte ausgeklammert worden waren.
Man wird das wohl als bittere Wahrheit anerkennen müssen, auch wenn es natürlich hanebüchen ist. Denn es bedeutet, dass der Bundestagsbeschluss von 2017 in Unkenntnis der tatsächlichen Lage gefasst wurde.
Die Zwischenlager müssen neu genehmigt werden
Die sich abzeichnende Verzögerung bringt mehr als den Zeitplan durcheinander – es geht auch um Sicherheit und Geld.
So muss eine Lösung für die weitere Verwahrung des heißen Strahlenmülls gefunden werden, der derzeit in Hallen in Gorleben und an den alten AKW-Standorten geparkt ist. Die dortigen Castor-Zwischenlager sind nur für 40 Jahre genehmigt, und die Genehmigungen laufen weit vor 2074 aus. Eventuell braucht es hier auch bauliche Nachbesserungen, zum Beispiel wegen höherer Kriegs- oder Terrorismus-Gefahren.
Klar ist aber auch, dass die um Jahrzehnte verlängerte Endlagersuche insgesamt deutlich mehr Finanzmittel braucht. Finanziert wird das Verfahren bisher aus einem Staatsfonds, Kenfo genannt, in den die Stromkonzerne im Jahr 2017 rund 24 Milliarden Euro eingezahlt haben. Die Summe war damals für die Zeit bis 2031 und den nachfolgenden Endlagerbau kalkuliert, sie dürfte nun kaum mehr reichen. Die AKW-Betreiber sind fein raus. Wer bluten muss, sind die künftigen Steuerzahler:innen.
Die Frage ist nun: Kann die Bundesrepublik es sich wirklich leisten, dass die Endlagerung erst im nächsten Jahrhundert komplett abgeschlossen sein wird? So lange würde es tatsächlich dauern, bis, beginnend ab 2074, das Lager gebaut und alle Castoren untergebracht sind.
Die Bundesregierung sollte sich dazu entscheiden, das ganze Verfahren auf den Prüfstand zu stellen und mit dem Vorgehen anderer Staaten abzugleichen, die in der Endlagersuche weiter fortgeschritten sind, wie etwa die Schweiz.
Allerdings darf bei Beschleunigungsschritten, die dann vielleicht ergriffen werden können, keinesfalls die Beteiligung der betroffenen Bürger:innen beschnitten werden. Der Versuch früherer Bundesregierungen und ihrer Behörden, sie hinters Licht zu führen, hat ja die ganze Misere ausgelöst. Noch einmal darf das nicht passieren.
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Joachim Wille) 2024 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden!