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© unsplash.com | orkhan farmanli | Von Pariser Klimazielen reden und Milliarden in Mineralöl und Erdgas stecken, das passt nicht zusammen.

Mojib Latif: „Ich bin kein Gegner der UN-Klimagipfel“

Klimakonferenzen verschaffen den armen Ländern Gehör, sollten aber deutlich abgespeckt werden, sagt Mojib Latif. Der Kieler Klimaforscher über den Gipfel von Baku, das Hoffen auf China und Donald Trumps Erfolg. Das Interview führte Joachim Wille

JanSteffen – Geomar400 | MojibLatif

Klimareporter°: Herr Latif, Sie haben während des Klimagipfels in Baku gesagt, diese UN-Konferenzen seien ein „Spektakel, das dem Klima bisher nichts gebracht hat“. Jetzt endete dort die Konferenz mit einer Einigung auf eine Verdreifachung der von den reichen Staaten zu zahlenden Klimahilfen – immerhin 300 Milliarden Dollar jährlich. Stimmt Sie das milder?

Nein, denn die Treibhausgaskonzentrationen werden auch in den kommenden Jahren trotz der Beschlüsse von Baku rapide steigen. Die 300 Milliarden Dollar an Klimahilfen sollen erst 2035 erreicht werden. Und der dringende Ausstieg aus den fossilen Energien wurde nicht konkretisiert.

Dem realen, physikalischen Klima hat Baku nicht geholfen?

Eben nicht. Alle messbaren Parameter zeigen in die falsche Richtung.

Was ist Ihre Prognose, ist das 1,5-Grad-Ziel bei der Erderwärmung überhaupt noch drin?

Wir sollten nicht mehr drum herumreden. Die 1,5-Grad-Marke ist de facto gerissen, wenn man die Trägheit des Klimas berücksichtigt. Selbst wenn die Emissionen sofort auf null gesetzt würden, würde es passieren.

Aber können wir wenigstens noch unter dem Zwei-Grad-Limit bleiben, der Sicherheitslinie, die das Paris-Abkommen vorgibt?

Wenn nicht schnell radikal umgesteuert wird, werden wir es nicht schaffen, die globale Erwärmung unter zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu halten. Die Welt steuert derzeit eher auf drei Grad zu. Die Folgen wären fatal.

Schon jetzt, bei 1,5 Grad, erleben wir Katastrophen wie die verheerenden Überschwemmungen in Spanien, die durch die Aufheizung der Atmosphäre viel wahrscheinlicher und stärker geworden sind. Wie es bei drei Grad aussähe, mag man sich kaum ausmalen.

Wenn die Klimagipfel so wenig bringen, sollte man sie dann ganz aufgeben?

Ich bin kein Gegner der UN-Klimagipfel. Sie sind wichtig, um die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf das Thema Klima zu lenken und um den armen Ländern Gehör zu verschaffen. Sonst hätten sie nirgends etwas zu melden.

Allerdings: Zielführender wären kleinere Formate. Die Gipfel müssten deutlich abgespeckt werden. Treffen mit bis zu 90.000 Menschen haben keinen Sinn.

Gäbe es denn andere Formate, mit denen die Emissionen schneller gesenkt werden können?

Durchaus. Die G20 zum Beispiel, in denen Industrie und Schwellenländer vertreten sind und die für rund 80 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich sind. Vielleicht auch die G7, also die klassischen großen Industriestaaten. Sie müssen endlich begreifen, dass auch die Weltwirtschaft ohne einen ambitionierten Klimaschutz großen Schaden nehmen würde.

Das G20-Mitglied China ist inzwischen CO2-Obereinheizer unter den Staaten, baut aber auch die erneuerbaren Energien und die E‑Mobilität gewaltig aus. Ist das die Hoffnung?

Meine Hoffnung wäre in der Tat, dass sich dadurch global eine enorme Dynamik beim Ausbau der erneuerbaren Energien entwickelt. China ist hier wirklich der Antreiber – eine Rolle, die Deutschland in der 2000er Jahren einmal hatte.

Erwarten Sie, dass die USA, globaler CO2-Emittent Nummer zwei, mit einem Präsidenten Donald Trump komplett ausfallen? Oder glauben Sie auch, es wird schon nicht so schlimm?

Die USA werden wahrscheinlich aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen. Das ist ein verheerendes Signal an den Rest der Welt. Es gibt zwar US-Bundesstaaten, die einen progressiven Kurs fahren wollen, doch wie erfolgreich das sein kann, muss man sehen.

Welche Rolle sollte nun die Europäische Union einnehmen?

Die EU sollte auf jeden Fall Kurs mit ihrem Green Deal halten und ihre Emissionen weiter senken. Das ist ihre Chance, mit innovativen und energieeffizienten Produkten auch auf dem Weltmarkt zu bestehen.

Und was erwarten Sie von Deutschland beim Klimaschutz unter einer unionsgeführten Bundesregierung?

Ich fürchte, dass man dann beim Klimaschutz eher auf die Bremse treten wird.

Die Union hat sich allerdings klar zur Energiewende bekannt. Und sie verspricht, sie billiger zu machen und die Menschen besser mitzunehmen. Sie setzt aber auch stark auf steigende CO2-Preise bei der Hausheizung und beim Sprit. Kann das gelingen?

Man kann die Menschen nicht nur belasten. Sie müssen bei diesem Konzept an anderer Stelle entlastet werden. Ich bin gespannt, wie konsequent das gemacht wird. Die Ampel-Regierung hat ja ihr angekündigtes Klimageld nicht umgesetzt.

Und vor allem: Umweltschädliche Subventionen, die laut Umweltbundesamt rund 65 Milliarden Euro pro Jahr ausmachen, müssen endlich abgebaut werden. Das würde enorme finanzielle Spielräume eröffnen.

Ist denn nicht aber der CO2-Preis das beste Mittel, um die Weltwirtschaft aufs richtige Gleis zu bringen?

Das ist das richtige Konzept. Ohne eine globale CO2-Bepreisung wird es nicht funktionieren. Die muss aber für alle Länder gelten, und das ist eine große Hürde.

Die EU hat einen erfolgreichen Emissionshandel für Kraftwerk und Industrieanlagen bereits 2005 eingeführt, und China mit seiner großen Volkswirtschaft wird nun nachziehen. Könnte ein Koppeln dieser Systeme den Durchbruch bringen?

Auf jeden Fall. Am besten wäre es, wenn die USA auch mit dabei wären. Aber das ist bei einem Präsidenten Trump leider undenkbar.

Letztes Thema: Was glauben Sie, warum bringen Katastrophen wie die Flut in Spanien, die jüngsten Hurrikans in den USA oder die trockenen Jahre von 2018 bis 2022 hierzulande die Menschen nicht zum Umdenken?

Hauptgrund ist, dass es die allermeisten Menschen immer noch kaum direkt betrifft. Man ist zwar geschockt, hofft aber, man kann sich wegducken. Außerdem hat sich bei vielen ein Gefühl von Ohnmacht eingestellt.

Wieso können Klimawandel-Leugner bis hinauf zu Donald Trump die Probleme völlig wegblenden, obwohl der Zusammenhang zum Klimawandel nachgewiesen ist?

Weil sie die einfachste Lösung für ein komplexes Problem anbieten: Sie erklären es für nicht existent. Und haben Erfolg damit.

Hat die Aufklärung in einer solchen Situation denn noch eine Chance?

Sie ist auf jeden Fall in Gefahr.


Mojib Latif ist Professor für Ozean­zirkulation und Klima­dynamik am Helmholtz-Zentrum für Ozean­forschung Kiel (Geomar) und an der Universität Kiel, außerdem Präsident der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome und Vorstands­vorsitzender des Deutschen Klima-Konsortiums.

Quelle

Das Interview führte Joachim Wille von der Redaktion „klimareporter.de“ 2024 verfasst – das Interview darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden! 

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