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Neue deutsche Klimaaußenpolitik: Herr Altmaier – übernehmen Sie!

Es ist Zeit für die klimapolitische Wahrheit! Die verfehlte Klimaaußenpolitik Deutschlands vernichtet die großen heimischen Klimaschutzerfolge, schädigt die Öko-Industrie und führt mittelfristig zur Unterminierung der deutschen Weltmarktposition. Zu dieser klimapolitischen Wahrheit gehört gleichermaßen: Entgegen der landläufigen Meinung ist die geradezu skandalöse Klimaschutz-Abstinenz vieler großer Klimasünder wie der USA, China und Russland nicht die Hauptursache für den Marsch in die Klimakatastrophe. Von Prof. Lutz Wicke

Die Hauptursache liegt vielmehr darin, dass die gesamte Weltgemeinschaft inklusive Deutschland und der EU an einem strukturell grundsätzlich falsch konzipierten Weltklimaschutzsystem festhält: Das System fordert alle Staaten geradezu dazu auf, nichts oder nur wenig für den Klimaschutz zu tun. Es lässt Klimaschutz-Vorreiter auf Dauer allein, sodass diese sich gegen ein klimafreundliches, aber teures Energiesystem und für das Trittbrettfahren entscheiden, um ihren Wirtschaftsinteressen nicht zu schaden.

Wenn nicht auf der kommenden Weltklimakonferenz noch ein „Wunder von Doha“ geschieht, ist die internationale und mit ihr auch die deutsche Klimapolitik gescheitert.

Denn ohne ein solches Wunder ist das in Cancún beschlossene Zwei-Grad-Ziel nicht mehr erreichbar, ja nicht einmal mehr ein Drei- oder Vier-Grad-Ziel. Der von der Internationalen Energieagentur IEA prognostiziertedisastrous climate change wird unvermeidbar. Darin sind sich alle einig: die wahrlich nicht als „grün“ einzuschätzende IEA, der Weltklimarat IPCC und das höchstrangige deutsche Wissenschaftler-Gremium WBGU

Eine deutsche Initiative für eine „Direct Road Map to a 2°-max-Climate Treaty by 2015 kann die praktisch bankrotte Weltklimapolitik in Doha noch auf die Erfolgsspur bringen. Dazu muss der Bundesumweltminister aber persönlich die Zügel der Klimaaußenpolitik in die Hand nehmen und gemeinsam mit der EU-Kommission die in Durban geschlossene, mit 120 Staaten zahlenmäßig überlegene Allianz aus EU, den afrikanischen Staaten sowie den kleinen Inselstaaten und den am wenigsten entwickelten Ländern zu einer „2°-max-Klimaallianz“ fortentwickeln.

Eine solche Klimaallianz sollte eine eigenständige Expertengruppe installieren, um bereits 2013 konkrete Pläne zum Erreichen des Zwei-Grad-Ziels auf den internationalen Verhandlungstisch zu legen. Das würde alle 192 Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention zwingen, Farbe zu bekennen und nach dem einstimmigen Beschluss von 2010 – „maximal plus zwei Grad“ – auch tatsächlich ab 2013 über seine Realisierung zu verhandeln. Eine Vorab-Kapitulation vor der hohen Zwei-Grad-Hürde darf es nicht geben. Man gibt schwer errungene, von der gesamten internationalen Gemeinschaft einstimmig bestätigte Positionen nicht einfach auf!

Fehlgesteuerte deutsche Klimaaußenpolitik

Zwar hat Deutschland sehr große Anstrengungen zum Energiesparen, zur Verbesserung der Energieeffizienz und zur Förderung der Erneuerbaren unternommen. Hierin ist das Land Weltspitze und für viele ein Vorbild. Aber: Das Engagement von Millionen umweltbewussten Bürgern und Unternehmen wird durch die seit mindestens zehn Jahren wirkungslose Klima-Außenpolitik Deutschlands wieder zunichte gemacht. Nicht nur, dass das viel gefeierte Kyoto-Protokoll mit seinen derzeitigen Konstruktionsmängeln unwirksam ist. Deutschland und die EU haben es auch unterlassen, das Protokoll bis zum Jahr 2012 zu überarbeiten und klimawirksam fortzuentwickeln – obwohl sie Artikel 8 des Protokolls dazu verpflichtet. Und obwohl sich die deutsche Klimaaußenpolitik einen großen Einfluss erarbeitet hat, hat sie es pflichtwidrig versäumt, entscheidende Initiativen für eine Fortentwicklung des gegenwärtigen internationalen Klimaschutzsystems zu einem tatsächlich klimaschützenden System zu starten.

Das derzeitige Weltklimaschutzsystem krankt an fünf entscheidenden Strukturfehlern:

  • Erstens: Die faktische Nicht-Fixierung eines klaren Klimaziels, wie etwa des Zwei-Grad-Ziels. Stattdessen funktioniert das System momentan nach dem „Klingelbeutelprinzip“. Der Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber drückt es so aus: „Jeder gibt so wenig, wie er kann“ – oder gleich gar nichts.
  • Zweitens: Eine fatale Gerechtigkeitslücke: Jedes Land soll seine Emissionen vom aktuellen Stand aus reduzieren. Das führt zum Abseitsstehen der Entwicklungs- und Schwellenländer, weil sie nicht gewillt sind, sich auf Pro-Kopf-Emissionen weit unterhalb der Industrieländer zu beschränken und Entwicklungsnachteile hinzunehmen.
  • Drittens: die „Klimaschutz-Zusagen-Durchsetzungs-Impotenz“ von Nationalstaaten: Sie können bei ihren Bürgern, Unternehmen und Verwaltungen schlicht nicht durchsetzen, wozu sie sich bei Klimaverhandlungen verpflichten. Denn viertens: Es fehlt ein weltweiter marktwirtschaftlicher Anreizmechanismus, der alle Konsumenten, Unternehmen und Staaten zum klimafreundlichen Verhalten motiviert. Und schließlich fünftens: Da das Kyoto-Protokoll keinerlei Höchstgrenzen für die weltweiten Emissionen vorsieht und vor allem Kohle und Gas noch für Jahrhunderte zur Verfügung stehen, werden alle regionalen Minderungserfolge, z.B. in Deutschland und Europa, durch Mehremissionen in anderen Weltregionen wieder zunichte gemacht.

Fatale Folgen: Das Weltklima, die Öko-Industrie und die gesamte deutsche Wirtschaft werden geschädigt

Alle in Deutschland mit hohem Engagement, Kostenaufwand und Einschränkungen – zum Beispiel Strompreissteigerungen – erreichten Reduktionserfolge verschwinden im internationalen Klimafass ohne Boden, da die weltweiten Treibhausgasemissionen weiter mit großer Geschwindigkeit steigen. Nach dem desaströsen „Klimaschutz-Horror-Jahrzehnt“ von 2000 bis 2010, in dem die CO2-Emissionen jährlich um zwei bis drei Prozent (insgesamt um 34 Prozent!) angestiegen sind, beschleunigt sich der Emissionsausstoß nun sogar noch weiter: 2011 lag die Steigerungsrate bei knapp vier Prozent oder circa 1.000 Millionen Tonnen. Damit stößt die Welt pro Jahr zusätzlich mehr aus, als Deutschland mit 800 Millionen Tonnen insgesamt pro Jahr emittiert.

Gleichzeitig schaden Deutschland und auch die EU ihren Eigeninteressen. So führt das fortdauernde Trittbrettfahrertum wichtiger Weltmarktkonkurrenten in der Klimapolitik mittelfristig zu großen Wettbewerbsnachteilen für den „Vorreiter-Standort“ Deutschland mit seinem dann sehr klimafreundlichen, aber teuren Energiesystem

Denn die meisten Staaten werden wirklich substanzielle und kostenaufwändige Klimaschutzanstrengungen weiterhin vermeiden, solange diese teurer sind als weiter auf die relativ billigen fossilen Rohstoffe Kohle und Gas zu setzen. Zugleich schädigt die verfehlte deutsche Klima-Außenpolitik auch die deutsche Öko-Industrie, die Güter und Dienstleistungen für den Umwelt- und Klimaschutz anbietet. Denn ohne die internationale Verpflichtung zur Durchführung von umfassenden Klimaschutzaktivitäten fragt das Ausland diese Güter und Dienstleistungen in viel zu geringem Umfang nach und verschlechtert dadurch die Exportchancen dieser Öko-Industrien.

In der „Klima-Literatur“ liegen mindestens drei geeignete Vorschläge für einen wirklich wirksamen Weltklimavertrag bereit:

  • Vorschlag 1: Das gegenwärtige Weltklimaschutzsystem, das auf dem Kyoto-Protokoll basiert, wird umfassend erweitert und um vertraglich eindeutig fixierte, verbindliche nationalen Verpflichtungen ergänzt.
  • Vorschlag 2: Auf alle Kohlendioxid-Emissionen aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas wird eine globale Klimaschutzabgabe erhoben.
  • Vorschlag 3: Auch in Weiterentwicklung des Kyoto-Protokolls wird ein globales Emissionshandelssystem installiert, bei dem ab spätestens 2020 eine weltweite Höchstgrenze für Emissionen („Peak“) festgelegt wird, die in der Folge stufenweise abgesenkt wird. Staaten erhalten auf der Ausgangsbasis gleicher Emissionsrechte eines jeden Menschen ihre Klimazertifikate. Der Preis für diese Zertifikate wird unter anderem auf Kohle, Öl und Gas umgelegt. Damit wäre die Ära der kostenlosen „Klimamüll-Deponie Erdatmosphäre“ beendet. Alle drei Vorschläge haben das Potenzial, zum Erreichen des Zwei-Grad-Ziels beizutragen.

DasWunder von Doha ist machbar!

Wie könnte das „Wunder von Doha“ ausgelöst und die Staatengemeinschaft dazu gebracht werden, diese Vorschläge umzusetzen? Ganz sicher kann der erfrischend unkonventionelle Querdenker Bundesumweltminister Peter Altmaier kein „Maximal-plus-zwei-Grad-Kaninchen“ aus dem Hut zaubern. Was wir brauchen, ist die folgende Strategie, die mit äußerster Anstrengung und in breitestmöglicher Kooperation mit den Klimaallianz-Partnern umgesetzt werden kann.

Die rund 120 Umwelt- und Klimaschutzminister der von der EU und Deutschland 2011 in Durban erfolgreich geschmiedeten Klimaallianz schließen sich auf deutsche und EU-Initiative zur „2°-max-Klimaallianz“ zusammen. Sie erteilen in Doha einer Gruppe aus erfahrenen Wissenschaftlern und Behördenvertretern den Auftrag, bis Oktober 2013 bis zu drei verhandlungsreife Vorschläge für den Weltklimavertrag 2015 auszuarbeiten. Die Erfolgschancen dafür sind in dieser Klimaallianz hervorragend, denn gerade die Nicht-EU-Länder haben ein existenzielles Interesse daran, dass das Zwei-Grad-Ziel nicht nur beschlossen, sondern auch tatsächlich realisiert wird.

Der Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber bringt es auf den Punkt: Würde man weiter auf die derzeitigen Selbstverpflichtungen der Staaten („pledges„) setzen, landete man am Ende bei einer globalen Temperaturerhöhung von 3,5 statt zwei Grad Celsius. Ende Oktober 2013 sollen die Umweltminister der Klimaallianz dann entscheiden, welchen der ausgearbeiteten Vorschläge sie den rund 70 übrigen Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention zur Schlussverhandlung für den Weltklimavertrag 2015 unterbreiten, der ab 2020 in Kraft treten soll. Das würde alle 192 Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention zwingen, zum Zwei-Grad-Ziel Farbe zu bekennen.

Quelle

Mit freundlicher GenehmigungProf. Lutz Wicke ist Direktor des Instituts für UmweltManagement in Berlin, ehemaliger Wissenschaftlicher Direktor am Umweltbundesamt und Ex-Umweltstaatsekretär. Wicke befasst sich in diesen Funktionen seit 25 Jahren mit praktischer Energie- und Klimapolitik. Unter anderem hat er das Buch „Der ökologische Marshallplan“ (1989) und zusammen mit Klimaforschern vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung das Grundsatzpapier „Die 2°-max-Klimastrategie“ (2010) verfasst.Erstveröffentlichung KLIMARETTER.INFO 2012 

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