Nick Reimer kontra Franz Alt

Nick Reimer, Chefredakteur von klimaretter.info, über Franz Alt und die Vorstellung, das Weltklimaproblem könnte durch eine deutsche Energiewende lösbar sein.

Natürlich ist das Ergebnis der Weltklimakonferenz zu wenig für den Schutz des Klimas. Nie stiegen die Emissionen schneller in der Menschheitsgeschichte, als in den vergangenen fünf Jahren. Während sich die Klimadiplomaten um Nebensätze streiten, katapultiert sich das Problem in die unlösbare Sphäre.

Kritiker wie der Umweltjournalist Franz Alt sprechen deshalb vom „Klimazirkus“: Lösbar sei das Problem nur vor Ort, weshalb beispielsweise die deutsche Energiewende so wichtig sei. Franz Alt macht sich das viel zu einfach: Würde Deutschland seinen Treibhausgas-Ausstoß bis 2020 halbieren, entspräche das gesparte Kohlendioxid in etwa jener Menge, um die die Emissionen Chinas, Indiens und Indonesiens binnen weniger Wochen zusätzlich anwachsen. Chinesische Emissionen haben aber die unangenehme Eigenschaft, sich nicht auf die Atmosphäre über China zu beschränken. Sie betreffen alle.

Den fossilen Lobbyisten ist das spinnerte Deutschland völlig egal: Sollen die doch mit ihrem Spleen der Energiewende machen, was sie wollen! Hauptsache mit den Fossilen lässt sich weiterhin in den guten, energiehungrigen Volkswirtschaften ordentlicher Profit machen: in den USA, in Katar, in Japan, ja und ganz besonders in den Schwellenländern, die mittlerweile die Hälfte der Weltbevölkerung stellen.

Laborversuch zur Zukunft der Demokratie

Insofern müssen sich Kritiker wie Franz Alt dann doch einmal in die Manege des „Klimazirkusss“ herablassen und sich der Mühe unterziehen, zu analysieren, worum es auf den Klimakonferenzen eigentlich geht. Es geht dort nämlich gar nicht um Klimaschutz. Auf Klimagipfeln wird die Frage diskutiert, ob die westliche Lebensweise irgendeine Zukunftschance besitzt. Zur Disposition steht die Demokratie.

Und zwar mit all ihren Auswüchsen: Es geht um „the german bleifuss“ mit Tempo 200 genauso wie um den „american way of live“ mit McDonalds und 20 Tonnen Treibhausgas pro Jahr und Kopf. Es geht um den Urlaubsjet nach Mallorca genauso wie um die Aktienkurse der Solarkonzerne, um die Bedeutung des Europa-Parlamentes genauso wie das Wahlrecht, es geht schlicht um die Frage: Ist das Problem der Erderwärmung mit demokratischen Mitteln lösbar?

Oder anders gefragt: Darf der Menschheit jene Wahlfreiheit zum Ausleben individueller Neigung weiterhin eingeräumt werden, die heute in Berlin, Baden-Baden, Birmingham oder Boston gilt? Wer will den Chinesen, Chilenen, Costa-Rikanern, den Kasachen, Kenianern, Koreanern, Kubanern verbieten, genau so viele Flugkilometer im Jahr zurück zu legen wie wir? Wer? Und: Mit welcher Legitimation? Oder muss das Zusammenleben zur Stabilisierung des Weltklimas künftig nach chinesischen Parteiparametern, indischen Kastenvorstellungen oder nordkoreanischen Mangelsymptomen organisiert werden?

Klimakonferenzen sind demokratische Musterveranstaltungen. Zwergenstaaten wie Kribati haben hier das selbe Gewicht wie die USA, die Umweltschützer den selben Zugang wie die Öl-Lobbyisten, nahezu überall sind Journalisten zugelassen, so dass selbst die Autokraten dieser Welt, die Despoten, respektive ihrer Stellvertreter Antworten auf Fragen geben müssen, die in ihren Heimatländern nicht einmal gedacht worden wären. Klimakonferenzen sind ein Laborversuch: Ist die Demokratie in der Lage, die drängendste Menschheitsfrage zu lösen? Falls Klimakonferenzen dazu nicht in der Lage sind – und das legen uns Kommentatoren wie Franz Alt nahe – dann ist die Demokratie und ihre Institutionen auch nicht zukunftsfähig. Wer das müsam errungene Weltforum der Klimakonferenz als „Zirkus“ abtadelt und es abschaffen will, der plädiert automatisch für das Ende der demokratischen Idee.

Gesucht: Die Rolle des Dompteurs

Franz Alt argumentiert in seiner Ablehnung des „Klima-Konferenz-Zirkusses“: „Die höchste handlungsfähige Organisationsform ist immer noch der Nationalstaat.“ Dann sei zurückgefragt: Wieso ist Deutschland dann immer noch der siebtgrößte Klimasünder dieser Welt? Wieso ist nicht längst die Braunkohleverstromung verboten, das Tempolimit eingeführt, die innerdeutschen Flüge abgeschafft, die Gebäudesanierung Gesetz, das Unterrichtsfach Klimaschutz eingeführt?

Anders gefragt: Mit welchem Recht glaubt Franz Alt ein Vorreiter zu sein, der doch statistisch für 9 Tonnen Treibhausgas pro Jahr wie Du und Ich verantwortlich ist? Sagen wir: Vorbild für einen Birmesen, der es auf 0,3 Tonnen pro Jahr bringt. Oder einem Simbabwer (0,7 Tonnen), einem Marokkaner (1 Tonne), einem Kolumbianer (2 Tonnen) oder einem Ungarn (5 Tonnen)?

Natürlich könnte Franz Alt auf die Klimakonferenz fahren und für die Energiewende werben. Seht her: Es geht auch anders und das hat sogar Vorteile. Er könnte für die Chinesen (4 Tonnen) und Inder (1,5 Tonnen) fleischgewordenes Argument werden, dass Alternativen zum fossilen Irrweg aufzeigt. Er könnte den Lobbyisten der fossilen Wirtschaft ins Wort fahren und ihnen nachweisen, dass ihre Argumente falsch sind, ihre Interessen überlebensfeindlich, ihre Berechnungsmodelle interessengesteuert. Franz Alt könnte den Dompteur auf der Klimakonferenz geben mit seinem Geist und seiner Erfahrung. Aber dafür müsste er sich der Mühe unterziehen, Klimakonferenzen zu besuchen, zu verstehen, zu beeinflussen. Statt dessen gibt er den Kommentator aus der Provinz Deutschland. Das ist nicht hilfreich.

Klimakonferenzen scheitern nicht am Format. Sie scheitern daran, dass die falschen Leute mit einem viel zu schwachen Mandat über die falsche Sache verhandeln. Die Wissenschaft sagt: Wenn wir das Zwei-Grad-Ziel erreichen wollen, dürfen wir nicht mehr als 230 Gigatonnen Kohlendioxid in der Atmosphäre abladen. Im Boden sind aber noch 12.000 Gigatonnen Kohlenstoff. Deshalb müssten auf Klimakonferenzen Wirtschaftsminister, Finanzminister, Staatschefs darüber verhandeln, wie die Besitzer der 12.000 Gigatonnen Kohlenstoff-Lager entschädigt werden. Wer welchen Preis dafür zahlt. Und wer welchen Anteil am knappen 230 Gigatonnen-Kuchen noch erhalten soll.

So lange aber die Franz Alts dieser Welt behaupten, Klima-Konferenzen sind „Zirkus“, so lange brauchen die fossilen Lobbyisten auch keine Angst zu haben, dass es ihnen durch den Mehrheitswillen der Menschheit an den Kragen geht. Würde sich die Demokratie auf diesen Konferenzen tatsächlich den Weg brechen, es wäre das bislang einzig wirklich gefährlichen Forum für die Macht der fossilen Interessen.

Quelle

Nick Reimer 2012Redaktionsleiter von www.klimaretter.info