Ökotourismus ist nicht Sensationsgeilheit
Expertin sieht Chancen für nachhaltigen Fremdenverkehr
Ökotourismus ist mehr als nur ein Schlagwort eines grünen Mantels im Fremdenverkehr, der inzwischen zu den größten Wirtschaftsfaktoren der Erde zählt. Doch diese Art des Reisens, die sowohl Sinn für die Besucher, aber auch für die Besuchten macht, will gelernt sein, erklärt die Journalistin und Tourismus-Expertin Susanna Hagen, Mitbegründerin der Plattform Respontour
„Begegnungen wie ein gemeinsames Essen mit dem Dorfältesten in einer kleinen Siedlung in Afrika, bei dem man so nebenbei erfährt, dass er für die lokalen Bewohner und die Kinder der umliegenden Schule eine 5.000-Bücher starke Bibliothek auf die Beine gestellt hat, hat nichts mit Slumming oder Sensationsgeilheit zu tun“, so Hagen. Man lerne sehr viel dabei, nicht nur über Gastfreundschaft. „Eine solche Begegnung kann auch ein Reality-Check sein, dass alles was uns in Europa so viel bedeutet – wie etwa der Konsum – vielleicht doch nicht alles ist.“
Eindeutige Vorteile für Besuchte
„Das Wichtigste dabei ist, dass die Einheimischen eindeutige Vorteile daraus ziehen“, betont Hagen. „Bei verantwortungsvoller Organisation bleibt das Geld in der Region – und noch besser – bei den Menschen, die es brauchen. Der Lebensstandard der Gastgeber kann sich dadurch wesentlich verbessern.“
„Ökotourismus richtig betrieben, fördert auch das gegenseitige Verständnis. Zusätzlich wird in vielen Fällen auch wieder der Stolz zur eigenen Kultur und Lebensart geweckt. Alte Handwerkskünste oder die ursprüngliche Lebensart erhalten dadurch eine neue Bewertung – so nach dem Motto ‚Was andere schätzen, muss etwas Wert sein'“.
Einheimischer muss abbrechen können
„Normalerweise sind Reisende, die sich auf Ökotourismus einlassen, gut vorbereitet und eingelesen, wissen schon etwas über die Kultur, die ‚Do’s and Don’ts‘, deshalb kommt es nur selten vor, dass sie die gegebenen Grenzen überschreiten, oder mit ihrer Neugier und ihrem Interesse zu weit gehen.“
„Die Einheimischen müssen immer die Option haben, nein sagen zu können. Das bedeutet, dass beispielsweise der Ziegenstall gerne besichtigt werden kann oder man gemeinsam das Mittagessen mit den Besuchern teilt“, erzählt Hagen. „Umwerfende Gastfreundschaft ist oft selbstverständlich, doch bei der Schlafzimmertüre oder beim Kinderzimmer ist allerdings dann Schluss.“
Homestay bleibt in ewiger Erinnerung
„Ein wichtiger Faktor im Tourismus ist das Erleben. Während man das Clubhotel, wo man sich in 14 Tagen mit keinem einzigen Einheimischen unterhalten hat, leicht vergisst, bleibt der Aufenthalt bei einer Familie in einem Homestay in ewiger Erinnerung. Ein guter Reiseveranstalter und respektierte lokale Guides sind der Schlüssel für Begegnungen, die Besucher sonst nie hätten und die sie auch nie vergessen werden.“
„Schädlich sind nur Aktionen im Bereich des Massentourismus, wenn etwa eine Kreuzfahrt-Reederei einen Strand auf der ‚Armen-Insel‘ Haiti kauft und die Hungerenden jenseits des Zauns jeden Tag zusehen lässt, wie ein riesiges Schiff anlegt, große Buffets aufgebaut werden, tausende Passagiere von Bord gehen und sich am Strand vollstopfen, nur um danach alles wieder mitzunehmen und abzufahren.“
Was Hagen dabei stört, ist neben der Tatsache, dass nichts im Land bleibt, auch die scheinheilige Argumentation. „Es ist ekelhaft, wenn man so etwas anspricht und man immer wieder hört, dass ohnehin eine Schule gefördert wird, oder sonst eine Lappalie, die in keiner Relation zu dem steht, was die Veranstalter daran verdienen.“
Erweiterter Horizont für Reisende
„Generell glaube ich, dass es Touristen aus sogenannten Wohlstandsländern gut tut, wenn sie sich dafür interessieren, wie die andere Hälfte der Weltbevölkerung lebt. Der Horizont wird erweitert und das Verständnis gestärkt.“ Zudem gebe es immer wieder sehr positive Nachfolgeeffekte solcher Begegnungen.
„Die Aufgabe der Reiseveranstalter und Fremdenverkehrsämter sollte sein, die Verantwortung zu übernehmen, entsprechende Angebote zu identifizieren, aber unbedingt auch für eine Vorbereitung der Besucher und Besuchten zu sorgen, um gegenseitiges Verständnis zu stärken und negative Nebeneffekte zu minimieren“, so Hagen. Tourismus dürfe die Kultur der Gastgeber nicht stören oder gar zerstören. „Einige Veranstalter haben das bereits verstanden und beeindrucken mit klugen Programmen, die ganze Regionen wiederbeleben und Tourismus auf Augenhöhe machen.“
Quelle
pressetext 2012Wolfgang Weitlaner 2012