Ostermärsche 2012: Mehr als Günter Grass
Die Themen der Ostermärsche 2012 waren die Waffenexporte, Krieg in Afghanistan, Konflikt um das iranische Atomprogram und Günter Grass.
Wenn Tausende von Menschen bei eisigen Temperaturen, Regen, Hagel und Schnee überall im Land auf die Straße gehen, dann muss es ihnen Ernst sein mit ihrem Anliegen. Und das geht weit über das hinaus, was Günter Grass in seinem Poem „Was gesagt werden muss“ angesprochen hat.
Es ist wahr: Im Konflikt um das iranische Atomprogramm gibt es nicht den einen Schurken (Ahmadinedschad) auf der einen und friedfertige Staaten auf der anderen Seite. Dass Israel über 250 einsetzbare Atomsprengköpfe besitzt, dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten ist, keinerlei internationale Kontrollen über seine Atomanlagen zulässt und zudem offen das Für und Wider eines „Präventivkriegs“ gegen Iran diskutiert, sind Tatsachen, die Günter Grass auf seine Weise ins rechte Licht gerückt hat.
Der darüber entstandene Medien-Hype erstaunt, da doch die Fakten nicht nur in der Friedensbewegung lange bekannt sind. Und die Reaktion der israelischen Rechts-Regierung (Grass zur Persona non grata zu erklären) zeugt von derselben Geisteshaltung, mit der einst der israelische Atomphysiker Mordechai Vanunu wegen Hochverrats und Spionage zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, weil er einer britischen Zeitung gegenüber enthüllt hatte, dass Israel Atomwaffen hergestellt habe.
Nicht Günter Grass gehört an den Pranger, sondern diejenigen Politiker/innen, die weiterhin an der Eskalationsschraube im Nahen und Mittleren Osten drehen, indem sie den Iran mit Wirtschaftssanktionen immer mehr in die Enge treiben. Die logische Folge des Sanktionsregimes aber heißt Krieg.
Genau davor haben die über 80 Ostermärsche in ca. 100 Orten gewarnt. Und sie haben darauf aufmerksam gemacht, dass ein Krieg gegen Iran einen Flächenbrand im Nahen Osten verursachen könnte – mit weit schlimmeren Folgen, als der Irak-Krieg hervorrief. Ähnliches gilt auch im Fall einer ausländischen Intervention gegen Syrien.
Die gegenwärtige Kriegspropaganda und Kriegsvorbereitung gegen Iran und Syrien muss und kann gestoppt werden, z.B. durch
- ein Ende der Sanktionsspirale mit seiner finalen Kriegslogik,
- der sofortigen Umsetzung eines umfassenden Waffenembargos gegen alle Kriegsparteien im Nahen Osten,
- die Einstellung der Kämpfe und den Beginn von Verhandlungen,
- die Einberufung einer internationalen Konferenz über die Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen/Mittleren Osten mit dem Ziel einer atomwaffenfreien Zone,
- ernsthafte Schritte zur Zweistaaten-Lösung im israelisch-palästinensischen Konflikt, das setzt voraus den sofortigen Stopp des israelischen Siedlungsbaus, die Beendigung des Besatzungsregimes und die Aufhebung der Gaza-Blockade.
Die Ostermärsche 2012 haben darüber hinaus deutlich gemacht, dass der Krieg in Afghanistan umgehend beendet werden müsse. Das versprochene Abzugsdatum Ende 2014 bedeute – wenn es denn überhaupt eingehalten würde – weitere zwei Jahre grausamen Krieg, unter dem hauptsächlich die Zivilbevölkerung leiden muss. Auch in zwei Jahren wird es heißen: „Nichts ist gut in Afghanistan“.
Schon bis heute hat der zehneinhalbjährige Krieg über 100.000 Menschen das Leben gekostet. Die Forderungen der Ostermarschierer/innen lauten daher nach wie vor: Sofortiger und bedingungsloser Abzug der Truppen aus Afghanistan und Erhöhung der Mittel für den zivilen Aufbau des Landes!
Ein weiteres zentrales Thema bei den diesjährigen Ostermärschen war der Waffenexport. Deutschland, so wurde in fast allen Ostermarsch-Reden hervorgehoben, ist in die Spitzengruppe der größten Waffenexporteure der Welt (dritter Platz hinter USA und Russland) aufgestiegen und somit verantwortlich für die Versorgung der halben Welt (geliefert wird in über 80 Staaten) mit todbringenden Waffen.
Waffen die von Regimen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden können, Waffen die in Bürgerkriegen – häufig auf allen Seiten der Fronten – Verwendung finden, Waffen, die in Spannungsgebieten zu immer weiterer Aufrüstung beitragen. Waffenexporte insbesondere in die Dritte Welt behindern Entwicklung und verschärfen Spannungen. Sie sind zu stoppen. Waffenexporte sind generell zu verbieten – das war eine weitere wichtige Botschaft der Ostermärsche.
Angesichts der österlichen Wetterverhältnisse machte schließlich noch ein Vorschlag aus Kassel die Runde: Die Ostermärsche doch künftig an Weihnachten durchzuführen, weil dann die Temperaturen angenehmer seien.
Quelle
Bundesausschuss Friedensratschlag | Peter Strutynski 2012