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Politiker, die nicht lernen wollen

Solange Regierungschef*innen noch am alten fossil-atomaren Denk- und Handlungsmuster festhalten, werden die Energieprobleme nicht gelöst.

EU-Präsidentin von der Leyen, Bundeskanzler Olaf Scholz, Präsident Macron, Taiwans Präsidentin Tsai Ing Wen, wie auch die meisten anderen Regierungschef*innen – sie alle zeichnet aus, dass sie in ihren wichtigen hochrangigen Funktionen die Energiesicherheit fast immer nur aus einer fossil-atomaren Brille betrachtet haben. Priorisiert haben sie immer die Geschäftsinteressen der großen Energiekonzerne, deren Fokus ein fossil-atomarer ist.

Die dadurch erzeugten geopolitischen Spannungen und den Klimaschutz haben sie in ihrer Politik der Beschaffung von Erdöl, Erdgas, Kohle und Uran untergeordnet, obwohl die Konsequenzen seit Jahrzehnten absehbar waren. Heimische Erneuerbare Energien als einzig wirkliche Lösung auch für die Energiesicherheit haben Sie nicht wirksam befördert. Damit verantworten sie zum wesentlichen Teil, dass die EU und andere Regionen heute in großer Abhängigkeit von ausländischen Energielieferungen sind und tragen große Mitschuld an den aktuellen, sich immer weiter verhärtenden Energieproblemen, geopolitischen Spannungen und der Erdaufheizung.

Nun könnte man meinen, dass sie mittlerweile neue Erkenntnisse hätten und erkennen, dass nun Alles daran gesetzt werden muss, den Ausbau der Erneuerbaren Energien mit maximaler Geschwindigkeit zu beschleunigen. Doch weit gefehlt. Es gilt der berühmte Spruch von Hermann Scheer: „Wer ein Problem geschaffen hat, kann es nicht lösen.“

Und man sieht es in ihren Handlungen und öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten zur Eindämmung der Energiekrise. Meist besuchen die Regierungschef*innen Brennpunkte der fossilen Energiewirtschaft und suchen dort die Lösungen, wo sie nicht zu finden sind. Statt zu den Verhinderer*innen des Ausbaus der Erneuerbaren Energien zu fahren und sie anzumahnen, endlich die Blockaden zu lösen, bedienen sie die Interessen der fossilen und atomaren Wirtschaft.

Bundeskanzler Olaf Scholz

So war auch Bundeskanzler Scholz immer noch nicht in Bayern, dem Land, das seit Jahren der größte Blockierer der Energiewende ist und im kommenden Winter nun besonders großen Energieproblemen gegenübersteht. Wohlgemerkt selbst verschuldet durch eine jahrelange CSU-geführte Anti-Erneuerbare Energien Politik.

Was wäre es für ein Zeichen, wenn Kanzler Scholz nach Bayern käme, sich mit den Bürgergemeinschaften treffen würde, die seit Jahren Windräder oder Freiflächensolaranlagen bauen möchten, und ihm erklären könnten, wie Söder und die CSU sie seit Jahren behindern mit 10H-Regelungen, Genehmigungsschikanen, fehlenden Flächenausweisungen und anderem. Der Druck auf Söder wäre enorm und er könnte die Blockaden nicht noch länger aufrechterhalten.

Stattdessen hat Scholz gerade einen öffentlichkeitswirksamen Termin zur Besichtigung der Siemensgasturbine für die Nordstream 1 Pipeline abgehalten, um zu dokumentieren, dass diese einsatzfähig ist. Wieder ein Einsatz für die fossile Erdgaswirtschaft. Ein Signal an Präsident Putin sollte es wohl sein. Doch der wird darüber sicherlich nur gelacht haben, ob der Zeitverschwendung eines Bundeskanzlers.

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen:

Erst vor kurzem ist die Kommissionspräsidentin von der Leyen nach Aserbaidschan geflogen und hat dort neue Verträge für Erdgaslieferungen in die EU unterschrieben. Aserbaidschan kann die Erdgasförderung aber kaum erhöhen, die Erdölförderung hat längst ihren Höhepunkt überschritten. Eine daraus resultierende Erhöhung der Arbeitslosigkeit führt zu sozialen Spannungen und wird im autokratischen und menschrechtsverletzenden Regime unterdrückt. Gleichzeitig sucht die Regierung mit Krieg in Berg-Karabach außenpolitisch abzulenken, gerade flammt der Krieg wieder auf.

Der Bezug von Erdgas und Erdöl aus Aserbaidschan ist nur über die neue Türkei und Adria Pipeline möglich.  Diese wurde vor allem von deutschen CDU und CSU-Politiker*innen über den Europarat befördert. Diese Politiker*innen stehen in der Kritik, dafür Korruptionsgelder aus Aserbaidschan erhalten zu haben. Aserbaidschan Connection hat sie der SWR in einem guten Beitrag genannt.

Zudem verantwortet Frau von der Leyen die Aufnahme des höchst klimaschädlichen Erdgases und der höchst gefährlichen Atomenergie als grüne Energien in die EU-Taxonomie. Offensichtlicher kann man die willfährige Unterstützung der fossilen und atomaren Wirtschaft nicht dokumentieren. Frau von der Leyen versagt völlig im Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Präsidentin Taiwan Tsai Ing Wen

2012 hatte ich mit der damaligen Oppositionsführerin Tsai Ing Wen in Berlin in einem langen Gespräch über die großen geopolitischen Gefahren der immensen Energieabhängigkeit Taiwans gesprochen und ihr einen steilen Ausbaupfad für Erneuerbare Energien empfohlen. Ich hatte den Eindruck, dass sie dies aktiv forcieren wolle. 2019 traf ich sie nun als Präsidentin erneut in Taipeh und bot ihr an, eine Studie zu erarbeiten, wie Taiwan bis 2030 zu 100 % Erneuerbare Energien in allen Sektoren kommen könnte. Sie war angetan und unterstützte diese Idee. In Zusammenarbeit mit dem taiwanesischen Energieministerium konnten wir dann immerhin eine Studie zu 100% Erneuerbaren Energien im Stromsektor bis 2050 erarbeiten.

Diese Studie der Energy Watch Group (EWG) in Zusammenarbeit mit Christian Breyer von der LUT University in Finnland wurde dann Ende 2021 fertiggestellt und vom Forschungszentrum ITRI in Taiwan abgenommen. Leider stimmte die taiwanesische Seite der Veröffentlichung der Studie in Taiwan nicht zu, und auch eine Veröffentlichung der Studie hierzulande wurde uns leider nicht gewährt.

Offensichtlich ist der Einfluss der in Taiwan sehr mächtigen Erdgas- und Atomwirtschaft der Hintergrund dafür. Jedenfalls ist die starke Industrieregion Taiwan fast vollständig von fossilen und atomaren Energielieferungen aus dem Ausland auf dem Schiffsweg abhängig. Eine Unterbrechung der Rohstofflieferungen würde die Wirtschaft schnell ins Bodenlose stürzen.

Genau dies wird aktuell nach dem Besuch von Frau Pelosi aus den USA in Taiwan befürchtet. China reagierte erbost auf die aus ihrer Sicht enorme Provokation und hat damit begonnen, ein Militärmanöver abzuhalten. In Taiwan wird befürchtet, dass eine Blockade der See- und Luftwege vorbereitet wird.

Sollte China tatsächlich die See- und Luftwege völkerrechtswidrig blockieren, würde in kurzer Zeit in Taiwan eine enorme Energieknappheit herrschen und die Wirtschaft zusammenbrechen, mit katastrophalen Folgen für die Weltwirtschaft, auch bei uns in Deutschland. Denn: Zwei Drittel der globalen Auftragsproduktion von Halbleitern findet in Taiwan statt. Sollte Taiwan dies mit militärischen Mitteln zu verhindern versuchen, gäbe es Krieg und die Atommächte USA und China stünden sich wohl kriegerisch gegenüber. Die Horrorszenarien einer unkontrollierten Kriegsentwicklung der Atommächte können kaum schlimmer sein.

Nun zeigt sich, dass es ein Fehler war, dass Tsai Ing Wen nicht sofort nach Regierungsantritt die Energiepolitik in Richtung 100% Erneuerbare Energien gedreht hat und stattdessen weiter die fossile Wirtschaft bediente. Die Atomkraft wollte Tsai Ing Wen beenden, doch die mächtige Atomwirtschaft in Taiwan hatte mit einem Volksentscheid dieses Atomausstiegsgesetz wieder gekippt.

Wenn nun China Taiwan länger blockiert, wird es wohl auch keine Brennelemente mehr für die Atomkraft in Taiwan geben können. Taiwan zeigt aktuell, wie verwundbar die Stabilität von Ländern ist, wenn sie in der fossilen und atomaren Energieabhängigkeit sind. Auch, wenn China die Seewege nicht blockieren sollte, so bleibt immer das Damoklesschwert bestehen, dass China dies irgendwann doch tun könnte. Nur eine schnelle Umstellung auf 100% heimische Erneuerbare Energien kann diese gefährliche Lage für Taiwan mittelfristig lösen.

Präsident Emmanuel Macron

14 neue Atomkraftwerke will der französische Präsident Macron bauen lassen und die bestehenden mit Lauzeitverlängerung von 50 Jahren weiter betreiben, um die französische Energiesicherheit in den kommenden Jahren zu ermöglichen.

Macron könnte keine größere Blindheit gegenüber den letzten Erfahrungen Frankreichs mit Neubauten und Betrieb von Atomkraftwerden zeigen.

So ist der einzige Neubau eines französischen Kernkraftwerkes, der EPR Reaktor in Flamanville seit Baustart 2007 und geplanter Inbetriebnahme 2012 immer noch nicht in Betrieb und die Baukosten sind um mindestens das Dreifache explodiert.

Seine Pläne für den Bau von 14 neuen Reaktoren sind angesichts dieser Erfahrungen mit Sicherheit nicht vor 2050 realisierbar. In der aktuellen Krise also keinerlei Lösung. Und die 14 neuen Atomkraftwerke würden nicht einmal die große Anzahl der aktuell stillstehenden Atomkraftwerke ersetzen.

Dabei tragen die aktuell 56 Atomkraftwerke Frankreichs erheblich zur europäischen Energiekrise bei, also nicht nur die tatsächlichen und befürchteten Gasabschaltungen aus Russland. Bis zu 50 % der französischen Atomkraftwerke sind abgeschaltet, zum Teil, weil erhebliche Sicherheitsrisiken mit Rissen in den Kühlleitungen entdeckt wurden. Zum anderen, weil in diesem Hitzesommer viele Atomkraftwerke abgeschaltet sind, weil die warmen Flusstemperaturen und Niedrigwasserstand eine Kühlung nicht mehr erlauben. In den kommenden Wochen drohen bei anhaltender Trockenheit weitere Abschaltungen – übrigens auch bei Kohlekraftwerken, die meist ebenfalls auf Flusskühlwasser angewiesen sind.

Bisher ist ein französischer Blackout nur mit Ökostromlieferungen aus Deutschland verhindert worden. Die Börsenstrompreise in Frankreich sind regelrecht explodiert und erheblich höher als in Deutschland, aber treiben auch die Strompreise bei uns nach oben.

Klar zu sehen ist: Atomkraft ist zu teuer und leistet keinen Beitrag zur Energiesicherheit. Dass Macron dennoch an der Atomkraft festhält, statt endlich eine Offensive für 100% Erneuerbare Energien bis 2030 anzukündigen spricht für seine Unfähigkeit, aus Energiefehlern zu lernen. Im immer offensichtlicher werdenden Niedergang der französischen Atomenergie weiter auf genau diese zu setzen, kann nur mit einem fehlenden Realitätssinn erklärt werden.

Macron, Scholz, von der Leyen haben nichts aus der aktuellen Energiekrise gelernt, da sie immer noch am fossilen und atomaren Energiesystem festhalten, statt klar alles auf den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu setzen. Diese allein sind es, die uns dauerhaft aus den heutigen und zukünftigen Energiekrisen herausführen können.

Präsident Selenski

Präsident Selenski will nun Strom nach Europa exportieren, um Einnahmen zu generieren. Über 50% des Stroms in der Ukraine kommt aber aus den Atomkraftwerken. Diese sind im Angriffskrieg Russlands hochgefährdet. Raketenirrläufer, genauso wie gezielte kriegerische Angriffe, können ein Atomkraftwerk zum Supergau bringen. Dann sind große Regionen in ganz Europa von radioaktiver Verseuchung betroffen. Nach den jüngsten Angriffen am Wochenende auf das Atomkraftwerk Saporischschja, Europas größtem Atomkraftwerk, spricht die Internationale Atomenergiebehörde vom „realen Risiko einer nuklearen Katastrophe“.

Zumindest in Kriegen müssen Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Präsident Selenski aber hält fest an der Atomstromproduktion, genauso wie er auch den Bau neuer Atomkraftwerke vor dem Krieg angekündigt hat.Zudem bezieht die Ukraine selbst Brennelemente aus Russland und finanziert damit auch den Aggressionskrieg Russlands gegen das eigene Land mit.

Selenskis Festhalten am fossilen-atomaren Energiesystem ist damit auch eine große Gefahr für die Existenz der Menschen in Europa. Nur der Umstieg auf 100% Erneuerbare Energien stellt ein Ausweg aus dieser hochgefährlichen Situation dar. Aber den hat Selenski bisher kaum befördert.

Quelle

Hans-Josef Fell 2022Präsident der Energy Watch Group (EWG) und Autor des EEG

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