Postwachstum: Nachhaltiges Leben und Wirtschaften leichter machen
Viele würden gerne beim Einkaufen auf übermäßige Verpackungen verzichten.
Das Handy reparieren lassen anstatt ein neues zu kaufen oder mit nur einem Zugticket mit Bus und Bahn quer durch Europa fahren. Das ist leichter gesagt als getan, wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Das Obst und Gemüse im Supermarkt ist eben mehrfach verpackt, der Handyhersteller bietet keine Reparatur an und für die öffentlichen Verkehrsmittel braucht man für jede Strecke ein eigenes Ticket. Für viele dieser alltagsrelevanten Hindernisse könnte die EU mit klugen Regeln gute Lösungen finden, um Bürgerinnen und Bürgern einen ressourcenleichten Lebensstil einfacher zu machen. Ressourcenleichtes Lebens bedeutet oft ein mehr an Komfort, Freiheit und Sicherheit. Das ist das vorläufige Ergebnis einer in Auftrag gegebenen Studie von Leon Leuser und Katharina Bohnenberger, die kurz vor der Veröffentlichung steht.
“Suffizienz” versteht sich als Strategie für eine nachhaltigere Lebens- und Wirtschaftsweise, die den Energie- und Ressourcenverbrauch bei der Herstellung und Nutzung von Produkten und Dienstleistungen absolut reduziert. Damit hat Suffizienz das Potenzial, als Lebens- und Wirtschaftsweise einen Beitrag zu leisten, um den Energie- und Ressourcenverbrauch einzudämmen und die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten. Dieser Wandel zu einer nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweise muss fair und inklusiv gestaltet werden.
Die Idee ist zu hinterfragen, was tatsächlich benötigt wird, wie ein bestimmter Bedarf gedeckt wird und was dazu tatsächlich erforderlich ist. Das geht über das Überdenken und Anpassen von Konsumentscheidungen, Routinen sowie sozialen und kulturellen Praktiken. Der Vorteil von Suffizienz im Vergleich zu anderen Nachhaltigkeitsstrategien (z.B. Effizienz und Konsistenz) besteht auch darin, dass keine zusätzlichen Maschinen und Innovationen benötigt werden. Suffizienz ist daher „quasi über Nacht realisierbar“. Für eine Bewältigung der gegenwärtigen Klima- und Umweltkrisen werden allerdings alle drei Nachhaltigkeitsstrategien gemeinsam benötigt.
Ressourcenschonende Lebensstile zu ermöglichen, zu erleichtern und zu bestärken ist Aufgabe einer zukunftsorientierten Gesellschaftspolitik. Viele gesellschaftliche Strukturen und Vorstellungen davon, was normal ist, stehen im Widerspruch zu nachhaltigem Handeln. Das Flugzeug ist dann doch verlockend, wenn eine Zugfahrt nicht nur sehr viel länger dauert, sondern auch ein Vielfaches kostet. Kaum ein Mensch vermag alle Optionen zu übersehen, nachhaltig zu handeln und konsumieren, weil Informationen und Wissen über die Auswirkungen des eigenen Handelns begrenzt sind. Auch kann niemand die durch eigenes Handeln hervorgerufenen Gesamteffekte vollständig erfassen und bewerten. Schließlich können auch die Engagiertesten durch strukturelle Bedingungen zu Handlungen gezwungen sein, die den eigenen Überzeugungen zur Nachhaltigkeit widersprechen: So verhallen Appelle zur verstärkten Nutzung des Fahrrads bei Vielen, die sich bei jeder Fahrradfahrt wegen schlechter oder fehlender Fahrradwege um ihre Gesundheit sorgen.
Der persönliche Handlungsspielraum ist somit begrenzt durch gesellschaftliche Anschlussfähigkeit, Strukturen und Rahmenbedingungen. Die Bürgerinnen und Bürger dürfen mit der Verantwortung nicht allein gelassen werden. Deshalb braucht es eine europäische Nachhaltigkeitspolitik, die individuelle Entscheidungen zu einem ressourcenleichten Leben ermöglichen. Durch bessere Informationen, ein verändertes Angebot von Produkten, Gütern und Dienstleistungen, andere Infrastrukturen und bestimmte Rechte auf suffiziente Optionen lässt sich das realisieren.
Europäische Stellschrauben für alltragspraktische ressourcenschonende Reformen
Die Europäische Union hat viele Möglichkeiten mit alltagspraktischen Suffizienzpolitiken schon heute Strukturen für ein ressourcenschonendes Handeln zu implementieren. Ausgewählte Möglichkeiten, die bereits in der nächsten Legislaturperiode des Europäischen Parlaments umgesetzt werden können, werden im folgenden Abschnitt vorgestellt. Die Wirkung dieser alltagspraktischen Reformen könnte durch umfassende Rahmenbedingungen wie den Abbau von Subventionen für fossile Energiegewinnung und Industrien oder eine Ausweitung und Scharfstellung des CO2-Zertifikatehandels verstärkt werden. Diese Reformen größerer Dimension sind aber jenseits des Umfang dieses Beitrags.
Reduzierung von Hausmüll durch EU-weites Mehrweg-Pfandsystem
Obwohl das Problem zunehmenden Hausmülls bekannt ist, hat sich das Aufkommen in der EU seit 2002 nur kaum reduziert, in Deutschland ist es sogar gestiegen. Das liegt vor allem an Einweg-Plastikflaschen, To-Go-Kaffee-Bechern und Transportverpackungen aus dem Online-Versand. Die aktuelle Strategie der Europäischen Union fördert die Kreislaufwirtschaft. Das stellt zwar sicher, dass anfallender Müll in Zukunft besser recycelt wird, garantiert aber keine Reduktion der absoluten Menge des Hausmülls. Die richtige Nachhaltigkeitspolitik kann genau an diesem Punkt ansetzen: Ziel muss es sein, die Entstehung von Abfall zu vermeiden indem Verpackungen auf das Nötige beschränkt werden.
In der aktuellen Gesetzgebung ist angelegt, dass Hersteller zunehmend verpflichtet werden, Verpackungen zurückzunehmen. Diese Strategie ist ein guter Übergang zu Mehrweg-Systemen und schafft Anreize für Einzelhändlern, verpackungsfreies Einkaufen anzubieten. Langfristig sollte verpackungsarmes oder sogar verpackungsfreies Einkaufen die Regel werden. Dazu braucht es eine europaweites Mehrweg-Pfandsystems, wie es in Deutschland beispielsweise bereits für Glasflaschen existiert. Alle Verpackungen, von Plastik- und Glasflaschen, Dosen, Kaffeebecher, Lieferdienste- und Online-Versandverpackungen, Gemüsekisten, Schachteln und Kunststoffverpackungen z.B. für Wasch- und Putzmittel (PET, HDPE) sollten in das europäische Pfandsystem eingeschlossen werden . Die Rücknahme von Mehrweg-Verpackungen könnte an einheitlichen Rücknahmestellen erfolgen, um Bürger*innen das Entsorgen einfach zu machen. Supermärkte sollten standardmäßig Mehrwertbehälter anbieten für spontane Einkäufer, die ihre Mehrwegverpackungen nicht von zu Hause mitgebracht haben. Solche Maßnahmen könnten im Rahmen des geplanten Berichts und einer Gesetzesvorlage der Europäischen Kommission zur Förderung von Wiederverwendung auf den Weg gebracht werden.
Energie- und Ressourceneffizienz-Standards für Software
Auf Anwendungen der Informations- und Kommunikationstechnologie und die zugehörige Infrastruktur gehen gegenwärtig 8-10 % des europäischen Stromverbrauchs zurück. Dadurch ist dieser Sektor für etwa 4 % der europäischen CO2-Emissionen verantwortlich. Mit fortschreitender Digitalisierung nimmt die Bedeutung der Informations- und Kommunikationsindustrie für den Energie- aber auch den Ressourcenverbrauch weiter zu. Damit spielt die Auswirkung des Software-Einsatzes auf den Energie- und Ressourcenverbrauch eine wachsende und bedeutende Rolle.Im Zuge einer klugen europäischen Nachhaltigkeitspolitik sollte die EU daher Energie- und Ressourceneffizienz-Standards für Software einführen. Eine konkrete Maßnahmen wäre beispielsweise, die Software für Handys für meine Mindestdauer zu garantieren. Heute werden Handys oft nach einiger Zeit mangels Softwareupdates obsolet. Gleichzeitig sollten Softwareupdates für bestehende Modelle nicht zu einem Mehrverbrauch an Energie führen und die Hardware älterer Modelle nicht überfordern, um eine lange Lebensdauer der Geräte zu ermöglichen. Mit der Anwendung Ökodesign-Richtlinie auf Firm- und Software könnten diese Vorschläge gesetzlich umgesetzt werden.
Intelligentes Produktdesign
Die vorgeschlagene Nachhaltigkeitsstrategie zielt auf die absolute Reduktion von Energie- und Ressourcenverbrauch und setzt damit einen anderen Fokus als die Effizienz, bei der die Einsparungen oft durch zunehmende Größe von Geräten zunichtegemacht werden. Aus Sicht der Ressourcensparsamkeit können vor diesem Hintergrund allgemeine Anforderungen an das Produktdesign und damit eine mögliche Regulierung formuliert werden. Mögliche und sinnvolle Regeln könnten zum einen das Energiesparen erleichtern, indem Geräte mit einer automatischen Energiesparfunktionen ausgestattet werden. Wenn diese Funktion in den Standardeinstellungen aktiviert ist, handelt jeder, der sich nicht weiter damit beschäftigen will, automatisch nachhaltig.Eine kluge Nachhaltigkeitspolitik muss außerdem Übermaße reduzieren, indem Produktgrößen und absolute Verbräuche adressiert werden. Wichtig wäre dies insbesondere bei Produkten, die in den vergangenen Jahren immer weiter gewachsen sind wie etwa Fernsehern, Trockner und Waschmaschinen. Eine Möglichkeit wäre etwa progressive Effizienzanforderungen zu stellen. Das heißt, das größere Geräte in der gleichen Effizienzklasse wie kleinere Geräte eine höhere Effizienz erreichen müssen und somit stärker zur Sparsamkeit angehalten werden.
Darüber hinaus können verlängerte Lebensdauern ressourcenschonend wirken. Dafür sollten sowohl für entscheidende Bauteile als auch das Gesamtgerät eine Mindestlebensdauer festgelegt werden, wie dies beispielsweise im Fall von LED-Leuchten schon der Fall ist. Die vor Kurzem für einige Produkte beschlossene Verbesserung der Reparierbarkeit und der Verfügbarkeit von Ersatzteilen sollten zukünftig bei allen Produktgruppen berücksichtigt werden. Dabei geht es insbesondere darum, dass wesentliche Bauteile leicht austauschbar sind, Ersatzteile für eine bestimmte Zeit erhältlich und Reparaturanleitungen frei verfügbar sind. Auch nachhaltiges Handeln der Benutzer*innen kann durch kluges Gerätedesign ermöglicht werden. Besonders bei Kühlschränken und Heizungsthermostaten ist heute eine wenig aussagekräftige Skala zur Einstellung der Temperatur Standard. Eine echte Temperaturangabe kann Nutzer*innen das Energiesparen erleichtern. Auch diese Vorschläge könnten in der Ökodesign-Richtlinie aufgegriffen werden.
Kennzeichnung für ressourcenschonende Produkte
Nachhaltige Produkte könnten mit einem Suffizienzlabel gekennzeichnet werden, ähnlich dem bestehenden Energielabel für Kühlschränke und Waschmaschinen. Die Effizienzklassen sollten dabei kleinere Geräte bevorteilen, um das Größenwachstum von Produkten zu hemmen. Dies könnte beispielsweise durch progressive Effizienzanforderungen oder Obergrenzen für den Energieverbrauch erfolgen. Die Kennzeichnung sollte auch Informationen über Lebensdauer und Reparierbarkeit der Produkte enthalten. Eine Erweiterung der bestehenden Energieeffizienzkennzeichnung wäre der richtige Ort für diese Informationen.
Nachhaltige MobilitätZentral für eine nachhaltige Mobilitätspolitik ist der Umstieg von motorisiertem Individualverkehr und dem Flugzeug auf aktive Fortbewegungsmittel wie das Fahrrad und bei längeren Strecken öffentliche Verkehrsmitteln. Wo nicht anders möglich, können elektrisch unterstützte individuelle Verkehrsmittel wie E-Bikes zum Einsatz kommen. Um alle Einsparpotenziale zu heben wird künftige nachhaltige Mobilität deswegen zunehmend intermodal sein.
Sollen umweltschonende Verkehrsmittel benutzerfreundlicher und besser kombinierbar werden, braucht es ein europaweites Tür-zu-Tür Buchungssystem, das die Recherche und Buchung von Verbindungen anbieterübergreifend ermöglicht. Wichtig ist zudem eine klare rechtliche Regelung bei Verspätungen oder Ausfällen zu Gunsten der Reisenden.Bis zu einem europäischen Tür-zu-Tür-Buchungssystem ist es unter den aktuellen Regelungen leider noch ein langer Weg [6], beispielsweise aufgrund einer fragmentierte Rechtslandschaft was die Bereitstellung von Informationen betrifft und fehlende nationale Anlaufstellen für den Austausch von Daten. Um diese Hemmnisse zu überwinden braucht es einen klaren Fahrplan, um die nötigen EU-weiten Standards und rechtliche Klarheiten zu schaffen.
Mobilität ohne Flugzeug für Arbeitnehmer*innen
Fliegen ist die klimaschädlichste Form der Fortbewegung und der blinde Fleck Europas Verkehrspolitik. Zwar haben einige Unternehmen und Institutionen, darunter auch die deutsche Bundesregierung, begonnen ihre Emissionen aus dem Flugverkehr zu kompensieren. Dies verlagert das Problem der Emissions aber nur auf andere Sektoren. “Grünes Fliegen” bleibt ein Wunschdenken und eine klimagerechte Mobilitätspolitik steht weiter vor der Herausforderung, den Luftverkehr zu reduzieren.Weil es schneller geht oder auf Grund der Steuervorteile der Luftfahrt preisgünstiger ist, sind viele Arbeitnehmende aktuell gezwungen zu fliegen. Unternehmen und Institutionen haben aber eine bedeutende Verantwortung für die Reduktion von Flugverkehr und haben ein hohes Reduktionspotential: In Deutschland entfallen 48% Prozent der berufsbedingten Flüge auf innerdeutsche Flüge und weitere 37% auf innereuropäische Flüge. Das sind größtenteils Strecken, die auch mit anderen Transportmitteln bewältigt werden können.
Um die klimaschädliche Luftfahrt einzudämmen, sollte eine nachhaltige Verkehrspolitik Arbeitnehmer*innen das Recht auf Mobilität ohne Flugzeug auf Dienstreisen geben. Dies gilt insbesondere für Strecken, die auch mit anderen Transportmitteln zurückgelegt werden können. Die Förderung von europäischen Nachtzugverbindungen würde die Abkehr vom Flugzeug zusätzlich erleichtern, nicht nur für Dienstreisende. Eine Möglichkeit, diese Ziele zu erreichen, wäre eine Erweiterung der bestehenden Grundsätze der Europäischen Säule sozialer Rechte um das Recht auf umweltverträgliche Arbeitsbedingungen.
Trinkwasser für den öffentlichen RaumEin wichtiger Anteil des Plastikmülls in den Meeren und an den Stränden sind Plastikflaschen. Neben den Auswirkungen durch den anfallenden Plastikmüll, geht der Verkauf von in Plastikflaschen verfülltem Wasser mit teils enormen Emissionen durch den Transport einher. Eine kluge Politik könnte die Verwendung von Plastikflaschen deutlich verringern durch die Einrichtung von leicht zugänglichen Trinkwasserstellen im öffentlichen Raum. Auch eine verpflichtende Bereitstellung von Leitungswasser in Restaurants könnte einen Beitrag leisten zur Verringerung von Plastikmüll und würde nachhaltiges Handeln vereinfachen. Dies könnte innerhalb der der Trinkwasser-Richtlinie erreicht werden, die aktuell überarbeitet wird.
Die hier präsentierten Vorschläge zeigen, dass es oft alltagspraktische, kleine Veränderungen sind, die europäischen Bürger*innen einen ressourcenschonenden Lebensstil ermöglichen. Wie diese und weitere Maßnahmen einer suffizienzorientierten EU-Politik konkret auf dem Gesetzgebungsweg erreicht werden können, wird die eigentliche Studie mit mehr Detail wiedergeben. Solche Veränderungen wollen wir in der nächsten Legislaturperiode auf den Weg bringen, um die EU auf Kurs zu bringen für ihre Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen.