Schwacher Klimagipfel, beherrschbarer Klimawandel und drei Gründe für Optimismus
Trotz extrem schlechter Voraussetzungen brachte die COP 29 in Baku den Klimaschutz einen Schritt nach vorn, sagt Hartmut Graßl, Physiker und Meteorologe und Mitglied des Herausgeberrats von Klimareporter°. Der technische Fortschritt sei in vielen Ländern schneller als die politischen Einstellungen.
Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Professor Hartmut Graßl, Physiker und Meteorologe.
Klimareporter°: Herr Graßl, gestern ging in Aserbaidschan nach 30-stündiger Verlängerung ein in jeder Hinsicht umstrittener Weltklimagipfel zu Ende. Wie bewerten Sie die Ergebnisse?
Die COP 29 in Baku hat klar die beiden zentralen Schwächen der Struktur der Vereinten Nationen erkennen lassen, wenn es um erfolgreichen Klimaschutz geht.
Erstens werden die reichen, Erdöl und Erdgas exportierenden früheren Entwicklungsländer, die inzwischen Rekordhalter bei den Emissionen von Treibhausgasen pro Kopf sind, weiterhin nicht als selbstständig zum Klimaschutz aufgerufene Länder gezählt.
Zweitens sind die zur Gruppe der Hauptemittenten aufgestiegenen früheren Entwicklungsländer wie China, die jetzt auch pro Kopf der Bevölkerung bei den Emissionen die Industrieländer erreicht oder übertroffen haben, nicht zur Hilfestellung beim Klimaschutz für die wirklichen Entwicklungsländer herangezogen worden.
Bei dieser falschen Kategorisierung der zum Klimaschutz besonders verpflichteten Länder werden Erfolge zu leicht verhindert. Genau das ist bei der COP 29 in Baku geschehen, unterstützt durch die meist miserable Konferenzleitung eines ölexportierenden Landes mit einem diktatorischen Regime.
Der gefundene Kompromiss – 2035 sollen die jährlichen Klimazahlungen an die Entwicklungsländer 300 Milliarden US-Dollar erreichen, dreimal so viel, wie bisher für 2020 bis 2025 pro Jahr versprochen und nur zum Teil eingehalten wurde – wird von diesen Ländern zum Teil vehement kritisiert. So sagte die indische Unterhändlerin Chandni Raina, die im Abschlusspapier genannte Summe von 300 Milliarden Dollar sei „abgründig klein“ und „dürftig“. Die Vertreterin Nigerias bezeichnete die 300 Milliarden als „Witz“ und „Beleidigung“.
Bedenkt man, dass Indien die Treibhausgasemissionen jüngst besonders stark gesteigert hat – zuletzt über drei Prozent in einem Jahr – und dass Nigeria zu den Ölstaaten mit hoher Korruption gehört, dann sind das eher hohle Worte. Ein Vertreter Boliviens beklagte, die ärmeren Entwicklungsstaaten würden mit ihrem Leid in der Klimakrise allein gelassen.
Trotz extrem ungünstiger Voraussetzungen hat die COP 29 doch noch einen Schritt nach vorn gebracht. Die am wenigsten entwickelten Länder sollten demnächst wie die Industrieländer einen verpflichtenden Beitrag von den heftig emittierenden reichen Ölstaaten und Schwellenländern fordern.
Das neue 300-Milliarden-Dollar-Ziel zur Klimafinanzierung reicht also nicht aus, damit die ärmeren Staaten einen ausreichenden Klimaschutz betreiben können?
Weil die durch den raschen Klimawandel verursachten neuen Wetterextreme wie Hitzewellen und Starkniederschläge auch rasch steigende Opfer fordern sowie Schäden in der Landwirtschaft und den Siedlungen verursachen, wären die bis 2025 verabredeten und nur zum Teil eingezahlten Hilfen von jährlich 100 Milliarden Dollar in Zukunft viel zu wenig gewesen.
Deshalb hat die COP 29 zunächst 250 Milliarden für 2035 angeboten und nun 300, was vielen Staaten entschieden zu wenig ist – und was auch bei einigen Industrieländern wegen der fehlenden Beteiligungspflicht der reich gewordenen Opec-Länder und Chinas auf Ablehnung stieß. Der Baku-Beschluss ist ein typischer UN-Beschluss in einer Ära mit von den mächtigen Ländern wie USA oder Russland geschwächten Vereinten Nationen.
Weil die erneuerbaren Energien inzwischen eine Kilowattstunde elektrischen Strom oft so preiswert bereitstellen können wie aus Kohle oder Erdgas, sollte das Geld aus der neuen Klimafinanzierung nur die Differenz für bisher noch geplante neue fossile Kraftwerke begleichen.
Am wichtigsten beim Klimaschutz ist eigentlich das schnelle Absenken der Treibhausgasemissionen. Doch gerade hier war der Fortschritt bisher am geringsten, die Emissionen steigen sogar immer noch an. Sind wir gerade dabei, die letzte Chance auf einen noch beherrschbaren Klimawandel zu verspielen?
Das ist zu negativ formuliert. Sehr viele, meist die wirtschaftlich erfolgreichen Industrieländer, reduzieren zum Teil schon seit Jahrzehnten ihre Treibhausgasemissionen kräftig. Selbst der im Staatenvergleich größte Emittent, China, hat laut dem Global Carbon Project im Jahr 2024 fast stagnierende Emissionen erreicht, was er ursprünglich erst für 2030 versprochen hatte.
Nur in den großen Schwellenländern mit starker Industrialisierung oder Entwaldung, wie Indien, Brasilien und Indonesien, steigen sie noch an, sodass auch in diesem Jahr global noch mehr emittiert werden wird als im Vorjahr.
Es ist immer so, wenn sich eine neue Technologie durchsetzt, wie jetzt mit den erneuerbaren Energien: Die Besitzer der Treibstoffe für die alten Verbrennungstechnologien wie die Opec-Länder schaffen bei sich selbst kaum Treibhausgasreduktion, weil sie im Land selbst und auch beim Export gut verdienen können oder weil Korruption die alte Technologie stützt.
Auch die Frage, was ein noch beherrschbarer Klimawandel sei, ist noch offen. Die Klimakonferenzen haben versucht, darauf eine Antwort zu geben, und die COP 21 in Paris hat im Jahr 2015 einen damals gefeierten Beschluss gefasst: Die globale Erwärmung soll „wesentlich unter zwei Grad“ im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung bleiben – mit dem Zusatz, man wolle „wenn möglich 1,5 Grad anstreben“.
Der wissenschaftliche Fortschritt hat seitdem klargemacht, dass schon das Zwei-Grad-Ziel den Eisschild auf Grönland mit hoher Wahrscheinlichkeit über Jahrhunderte bis Jahrtausende im Wesentlichen abschmelzen wird, mit einem entsprechenden Meeresspiegelanstieg um mehrere Meter. Auch deswegen ist inzwischen die wissenschaftliche Debatte zur Rückholung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre ein wesentliches Thema in manchen Ländern geworden.
Klimaschutz ist auf der politischen Agenda deutlich nach hinten gerutscht – in Deutschland, in Europa und vor allem auch in den USA. Sehen Sie politische oder gesellschaftliche Entwicklungen, die uns zu Hoffnungen berechtigen?
Ich sehe das etwas anders. Der technische Fortschritt überrennt in vielen Ländern die politischen Einstellungen. Für Optimismus gibt es technologische, politische und gesellschaftlichen Gründe.
Die technologischen Gründe sind die beispiellos rasche Preissenkung für Strom aus Photovoltaik, getragen durch die Massenproduktion und die stark gesteigerte Effizienz bei der Umwandlung des Energieflusses von der Sonne in elektrischen Strom sowie die Verbilligung der Windenergienutzung durch immer größere Anlagen.
Dies hat nicht nur den Meilenstein Paris-Abkommen erlaubt, sondern nun auch – unabhängig von der politischen Einstellung – erneuerbare Energien ökonomisch so attraktiv gemacht, dass immer mehr privatwirtschaftliche Entscheidungen für die Erneuerbaren fallen.
Aber es gibt auch politische Gründe. Die COP 29 selbst ist ein Beispiel für die weiterhin große Bedeutung des Klimaschutzes. Sie bringt das Thema wieder nach vorn, und sie hat den Einsatz zu einer Umlenkung relativ großer Finanzströme gegeben.
Auch in Deutschland ist für die erneuerbaren Energien aus Sonne und Wind nach einer Stagnationsphase von etwa einem Jahrzehnt wieder Schwung eingekehrt, sodass die Reduktionsziele des Klimaschutzgesetzes nicht mehr illusionär sind, sondern wieder realistisch erscheinen.
Schließlich die gesellschaftlichen Gründe: Die stetige Verbilligung erneuerbarer Energien macht auch vor einem Präsidenten Trump nicht halt. Er wollte der Kohle wieder eine Chance geben, und trotzdem schrumpften die Emissionen des CO2 aus der Kohleverbrennung in den USA während seiner ersten Präsidentschaft stark.
Inzwischen haben wegen der Eindeutigkeit der Klimaänderungen auch Gerichte ihre Entscheidungen im Sinne des Klimaschutzes gefällt und damit sogar politische Verbesserungen erreicht. Deutschland soll deshalb 2045 treibhausgasneutral sein, fünf Jahre früher als die EU.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Die offene Kritik der Delegationen vor allem aus Großbritannien und Deutschland an der beim Gipfel in Baku versteckt geplanten, aber doch entdeckten Einflussnahme durch Saudi-Arabien auf den Text der Verhandlungsführung. Dies hat den Kompromiss erleichtert und die COP 29 gerettet.
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Jörg Staude/Hartmut Graßl) 2024 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden! Fragen: Jörg Staude – Bild: Christoph Mischke/VDW