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Suffizienz: Grau ist alle (Energie-) Theorie

Täglich werden in Deutschland rund 69 Hektar als Siedlungs- und Verkehrsflächen neu ausgewiesen wie auch immer mehr Baugenehmigungen erteilt. Mit diesem Zubau kann das Bevölkerungswachstum in Deutschland keineswegs mithalten. Vielmehr weckt ein gestiegener Komfortanspruch in Kombina­tion mit niedrigen Zinsen das Bedürfnis nach neuem Wohnraum. Ein Kommentar von Matthias Hüttmann

Die erzeugten Begehrlichkeiten führen zu einem erhöhten Flächenbedarf pro Person und wiederum dazu, dass unser Gesamt­-Energieverbrauch nach wie vor nicht ab-, sondern zunimmt.

Sanieren oder neu bauen?
Aber auch trotz steigendem Wohnflächenbedarf müsste nicht in dem Maße neu gebaut werden. Es ist genügend Substanz vorhanden. Nur entscheidet man sich statt eines Umbaus bzw. einer Vollmodernisierung immer häufiger für einen Abriss mit anschließendem Neubau. Glaubt man einer Studie, ist jedes zehnte Wohnhaus in Deutschland nicht mehr wirtschaftlich zu sanieren. Aber selbst wenn dies zutrifft, stellt sich die Frage, ob Wirtschaftlichkeit hier überhaupt das entscheidende Kriterium sein sollte. Angesichts des drängenden Handlungsdrucks durch den Klimawandel sollte die Prämisse der Suffizienz und das Bemühen um einen möglichst geringen Rohstoff- und Energieverbrauch deutlicher in den Vordergrund gerückt werden. Das Ziel eines klimaneutralen Wohnungsbestands im Jahr 2050 ist nur durch den Erhalt von Bausubstanz zu erreichen.

Ressourceneffizienz!
Eine Studie aus Österreich offenbart, dass der Herstellungsenergiebedarf von Niedrigenergie- und Passivhäusern wesentlich höher als der während des gesamten Lebenszyklus erforderliche Heizenergiebedarf sein kann. Hauptverantwortlich dafür sind Baustoffe, welche in zahlreichen energieintensiven Umwandlungsschritten hergestellt wurden, wie z.B. Dämmstoffe auf Kunststoffbasis, Kleber oder auch gebrannte Ziegel. Grundsätzlich gilt: Je mehr ein Baustoff bei seiner Herstellung bearbeitet, Wärmebehandlungen unterzogen bzw. chemisch verändert wird, umso höher sind die umweltrelevanten Belastungen. Im ungünstigen Fall kann die „graue Energie“ für die Gebäudeerrichtung mehr als das 100-fache des jährlichen Heizenergiebedarfs eines Passivhauses betragen. Da seine erwartete Lebensdauer kürzer als 100 Jahre ist, hat die graue Energie bei Passivhäusern mehr Einfluss auf den Gesamtenergiebedarf als die Heizenergie selbst.

Abnehmender Grenznutzen
Wenn nun, wie zuletzt zu hören war, das Energieeinsparungsgesetz (EnEG) und die Energieeinsparverordnung (EnEV) mit dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG) zusammengelegt werden, nicht zuletzt um die EU-Gebäudeenergieeffizienzrichtlinie zu erfüllen, ist das ein sinnvoller Ansatz. Schließlich hat die Strategie der stetigen Verschärfung von Anforderungen die EnEV zu einer Zwangsjacke werden lassen. Es hat sich herausgestellt, dass Dämmung allein keine Lösung ist, da diese ab einem bestimmten Punkt oftmals nur noch Kosten verursacht, aber zu kaum noch messbaren Energieersparnissen führt. Zudem wird der Bewegungsspielraum für Investitionen in Erneuerbare Energien eingeschränkt. Weitere Verschärfungen des energetischen Neubaustandards führen auch zu einem Mehrverbrauch an Ressourcen und Energie, was für das Ziel einer Energiewende kontraproduktiv ist. Leider spielt der Aspekt, dass bei rein regenerativen Heizungssystemen die Grenzkosten gegen Null gehen, im Gerüst der EnEV kaum eine Rolle. Dämmung als solches sollte nicht verteufelt werden, jedoch geht es um ein optimiertes Verhältnis von Haustechnik und Bauphysik. Ein besserer Ansatz: Die Ökobilanzierung über den ganzen Lebenszyklus eines Gebäudes. Ein solches  Gesamtbilanzierungsverfahren sollte dann auch die „graue Energie“ sowie realistische Bedarfsannahmen berücksichtigen.

Provokante Thesen
Eine Begrenzung des Neubaus wäre wichtig, ein Flächenmoratorium ein sinnvoller Ansatz. In der Schweiz gibt es beispielsweise ein Siedlungslimit, das den verschwenderischen Umgang mit Bodenflächen und die Zersiedlung der Landschaft stoppen soll. Der ehemalige Architekturverleger Daniel Fuhrshop geht noch ein wenig weiter. In seinem Blog gegen die Bauwut „Verbietet das Bauen“ veröffentlicht er streitbare Ansichten, die zu Denken geben. Radikale Ansätze, die sicherlich berechtigt sind. Leider passen solche Überlegungen nur schlecht in unsere auf Wachstum gebürstete Gesellschaft. Aber womöglich würde ein Umschwenken auf „Sanierung first“ zu einem Boom im Handwerk führen. So ein Aufschwung wäre dann nicht nur ein quantitativer. Durch anspruchsvolle Aufgaben wäre die Tätigkeit am Bau außerdem attraktiver. Unter Umständen könnte man auch noch die Wohnungsnot in den Städten bekämpfen. Darüber lohnt es sich allemal, ganz ressourceneffizient, ein paar Gedanken zu verschwenden, das kostet nichts.

sonnenenergie.de | Richard Mährlein
Quelle

Matthias Hüttmann 2016 | Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS) 2016

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