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Veggieday für Ausländer

Autobahnmaut versus Veggieday: Warum die Nachhaltigkeit unbedingt professionelle Spindoktoren braucht. Wie jeder weiß, bin ich grundsätzlich für mehr Ordnungspolitik zur Beschleunigung von Energiewende, Low Carbon Economy und öko-sozialer Gerechtigkeit. Gnadenloses städtisches Tempo 30, eisenharte Verbote von Ölheizungen, Kohlekraftwerken, lauten Motorrädern, feigen Plastiktüten und die sofortige Suspendierung der übelsten Auswüchse der Massentierhaltung gehören zu meinem politischen Programm. Nun bin ich Gott-sei-Dank kein Politiker, denn sonst müsste ich ja Wähler überzeugen. Und zugegeben, mit meinen Ansagen hätte ich bei den letzten Wahlen wahrscheinlich keinen Blumentopf gewonnen. Wenn in Deutschland die Empfehlung eines fleischlosen Kantinentages bereits zu „Ökodiktatur“-Debatten führt, dann scheint die Eroberung gesellschaftlicher Mehrheiten für eine Politik des etwas weniger idiotischen Wirtschaftens nicht ganz einfach zu sein. Kolumne von Martin Unfried

Was aber ist die Lehre aus dem grünen Fleischlos-Debakel? Das Büßer-Kleid anziehen und jegliche Verbots-Rhetorik vermeiden? Einige bei den Grünen scheinen begreiflicherweise so zu denken und sprechen selbst schon von zu viel Bevormundung im Wahlprogramm. Diese demütige Haltung empfinde ich, nach langem Überlegen, als grundfalsch. Insbesondere weil es die Mär bestätigt, die ja eigentlich ein Medien-”Spin” also ein Dreh ist, wonach im Vergleich mit anderen gesellschaftlichen Kräften, die ökologisch Orientierten mit Abstand die größten Verbieter und Spaßbremsen seien. Das ist empirisch natürlich absoluter Nonsens.

In Gesetze gegossene Ver- und Gebote gehören zum Handwerkszeug aller deutschen Parteien und Lobbys. Im Bereich Denkmalschutz, Brandschutz oder Gesundheitsschutz können diese weit in die individuelle Freiheit eingreifen, was von der deutschen Gesellschaft breit akzeptiert wird. Immerhin werden damit einige Brände und barocke Anbauten verhindert. Auch ökologische Verbote sind natürlich akzeptiert, geht es beispielsweise um das Verbot, seinen alten Kühlschrank im Wald abzustellen. Niemand käme auf die Idee, dieser Einschnitt in individuelle Freiheitsrechte sei unzumutbar.

Es kommt in Deutschland bei Ge- und Verboten eher darauf an, welcher Bevölkerungsgruppe ein Verbot droht, und ob diese zu den Meinungsmachern gehört. Wird Hartz IV Empfängern beispielsweise verboten, die wichtigen Ersparnisse zu behalten und befohlen, sich bis auf die Knochen vor den Behörden nackt auszuziehen, bleibt das Feuilleton still, spricht von der Bringschuld des Einzelnen statt vom Kontrollwahn des Staates. Geht es aber um das Verbot der Glühbirne im schicken Altbau, wird schon mal die Öko-Diktatur Keule aus dem Schrank geholt. Interessanterweise wurde gerade im Feuilleton bei FAZ und ZEIT der Spin geboren, individuelle Freiheit und ökologische Ansagen gingen einfach nicht zusammen.

Das ist natürlich mehr als lustig angesichts der Verbotskarrieren bisheriger Regierungen. CDU und FDP sind nicht nur für das Verbot von Cannabisrauchen in Restaurants verantwortlich, sondern Beschneiden sogar das bequeme Mitfahren auf dem Gepäckträger eines Fahrrades, die Erwerbstätigkeit von Asylbewerbern und deren akzeptable Unterbringung sowie jegliche Hilfe bei der Beendigung des eigenen Lebens trotz auswegloser Krankheit. Minister Ramsauer forderte jüngst sogar eine Helmpflicht für Fahrradfahrer. Ist also erst das Nachtangelverbot die Spitze des Tugendterrors? Mitnichten, Ge- und Verbote gehören zur deutschen Politik wie Anti-Erneuerbare-Kommentare zur FAZ.

Meine Analyse lautet deshalb: die Grünen haben sicher nicht deshalb Stimmen verloren, weil die Bild-Zeitung sie gegen besseres Wissen als Gemüse-Diktatoren charakterisiert hat. Ihnen hat der gute Dreh gefehlt, um mit der Ansage “weniger Fleisch” positive Gefühle zu transportieren. Im Nachhinein muss man sogar ehrlich feststellen, den Grünen fehlte ein Genie. So ein Genie wie Alexander Dobrindt von der CSU eines ist. Der hätte den Veggieday ganz anders angelegt. Dobrindt hätte sofort gesehen, dass hier die Zielgruppe entscheidend ist. Wahrscheinlich hätte er eine Verbindung von Autobahnraststätten, Niederländern und fleischlosen Tagen als hilfreich vorgeschlagen.

Der Dreh: Veggieday eben nur für Ausländer und nur an Autobahnraststätten. Das wäre weit entfernt gewesen von jeglicher politischen Relevanz (wie die Autobahnmaut), fehlende Umsetzungschancen aufgrund von EU-Recht wären nicht dramatisch gewesen (siehe Autobahnmaut) und das Verbot hätte ein echtes Gerechtigkeitsbedürfnis bedient (Ausländer essen unser Schnitzel weg!). Erst mal in der politischen Arena, hätte der Veggieday auch etwas breiter diskutiert werden können. Die Empfehlung war ja ursprünglich nur auf Kantinen des öffentlichen Dienstes gemünzt. Das war viel zu wenig plakativ. Ein guter Spindoktor nennt hier auch eine Zielgruppe, deren Freiheitsbeschneidung bei der Mehrheitsgesellschaft grundsätzlich positive Vibrations auslöst. Veggieday ja, aber nur für Ausländer, Politiker und Beamte. Und schon sieht das Wahlergebnis ganz anders aus.

Quelle

Martin Unfried 2013 | Ökosex 2013

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