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Vera Lengsfeld Bürgerrechtlerin der DDR im Gespräch

In einem sehr interessanten Interview gab Frau Vera Lengsfeld TV-ORANGE Einblick in die jüngste Geschichte unseres ehemals geteilten Landes. Als Bürgerrechtlerin in der DDR gibt uns die jetzige Bundestagsabgeordnete Aufschluß darüber, worin die Ursachen rechten Gedankengutes gerade in der ehemaligen DDR liegen und warum heute im Ältestenrat der Linken ein ehemaliges NSDAP-Mitglied sitzt.

Als Frau, die immer auf der Seite des Menschenrechtes steht, sieht auch sie heute im vereinten Deutschland die Notwendigkeit einer demokratische Reformierung. So unterstützt sie auch den Wunsch nach Direktwahl des Bundespräsidenten durch das Volk.

TV-ORANGE: Sehr geehrte Frau Lengsfeld. 1989 ist ja fast schon als historisch, als Geschichte zu bezeichnen. Aufbau, Ausgleich zwischen West und Ost. Viel hat sich mittlerweile getan. Wie empfinden Sie heute den sozialen, gesellschaftlichen Zusammenhalt im vereinten Deutschland ?

Vera Lengsfeld: Besser, als er in den Medien beschrieben wird. Die Mauer ist gründlich verschwunden, die Mauer in den Köpfen ist eher eine Behauptung derer, die niemals die Vereinigung gewollt haben, als Realität. Die junge Generation kann nicht mal mehr in Berlin sagen, wo die Mauer verlief, welche Stadtbezirke zu Ost oder West gehörten. Das ist auch gut so.

Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR hat es einen dramatischen Wohlstandszuwachs gegeben, der viel zu wenig gewürdigt wird. Die verbleibenden Unterschiede sind marginal. Schließlich unterscheiden sich die Lebens-, und Einkommensverhältnisse zwischen Bayern und Schleswig-Holstein auch ziemlich, ohne dass sich jemand darüber aufregt.  Es ist also eine eher künstliche Diskussion, wenn die Unterschiede zwischen Ost und West immer noch thematisiert werden.

Gern verschwiegen wird auch, dass der Osten längst über die modernere Infrastruktur verfügt. Man muss heute nach NRW fahren, um zu wissen, wie die Schlaglochpisten der DDR ausgesehen haben. Es wird Zeit, den Solidarpakt auf neue Füße zu stellen. Das Geld muss nicht mehr nach Himmelsrichtung, sondern nach Bedürftigkeit verteilt werden.

TV-ORANGE: Die Bürgerrechtsbewegung der DDR,  die riesigen, friedlichen Demonstrationen – all das verbinden wir heute mit dem modernen demokratischen Deutschland. Aber diese demokratische Energie scheint im Sande verlaufen zu sein. Wo sehen sie die Fortsetzung dieser selbstbewußten Haltung der Menschen heute?

Vera Lengsfeld: In den vielen Bürgerinitiativen, Vereinen und Zusammenschlüssen, die sich um jedes nur denkbare Problem kümmern. In den sozialen Netzwerken, wo Tausende inzwischen ihre Stimme zur Geltung bringen. Ich beobachte mit Spannung, wie in Facebook zum Beispiel Anteil am politischen Geschehen genommen wird. Kürzlich gab es eine Demo vor dem Schloß Bellevue, um die Unzufriedenheit mit dem Bundespräsidenten sichtbar zu machen. Das hat es noch nie zuvor gegeben.

TV-ORANGE: Können sie unseren Lesern erklären, warum besonders im Osten Deutschlands, der ehemaligen DDR rechtspopulistische Gruppen soviel Zulauf haben? Die gesellschaftliche Aufklärung in der DDR hätte doch gerade das Gegenteil bewirken sollen, glauben wir einmal zumindest Herrn Krentz oder Herrn Modrow.

Vera Lengsfeld: Das hat historische Gründe. In der DDR gab es eine aktive Neonaziszene, zum Teil mit Verbindungen zur Staatsicherheit. Neonazis wurden ab 1986 eingesetzt, um Veranstaltungen der Opposition zu stören oder zu verhindern. Nicht wenige Neonazis waren Funktionärskinder, oder gingen als Offiziere oder Fallschirmjäger in die Nationale Volksarmee.

Antifaschismus war das Tarnmäntelchen der DDR, unter dem es jede Menge ehemalige Nazifunktionäre in Schlüsselstellungen gab. Um ein bezeichnendes Beispiel zu nennen: Der Philosophieprofessor Hermann Klenner, Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR, heute im Ältestenrat der Linken, war Mitglied der NSDAP Breslau, in der DDR bald SED-Mitglied und mutmaßlich Stasimitarbeiter, was er natürlich bestreitet.

Quelle

Wolfgang Theophil 2012Erstveröffentlichung TV-ORANGE 2012

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