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Bigi Alt

© Bigi Alt | Michail Gorbatschow wurde 91 Jahre alt. Sein Appell an die Welt: „Nie wieder Krieg“

Von Gorbatschow LERNEN

Er hat uns mehr als alle anderen gezeigt, was heute notwendig und machbar ist. Ein Kommentar von Georgios Zervas & Peter Spiegel

Reichen Abschiedsworte zu Michail Gorbatschow, auch wenn sie zum weitaus größten Teil sehr ernsthaft würdigend sind und nur wenige meinen, diese mit besserwisserischen Belehrungen versetzen zu müssen? Besser wäre, wenn wir in eine allgemeine Lernhaltung gehen und uns fragen: Was können wir von Gorbatschow lernen? Gerade jetzt und exakt zu unseren gegenwärtigen Weltherausforderungen.

Von ihm können wir lernen, wie man die eigene Nomenklatura und die Führungskräfte der Gegenseite davon überzeugen kann, erste und dabei noch erstaunlich substanzielle Abrüstungsverträge der Weltgeschichte abzuschließen – und diese auch noch zur Umsetzung zu bringen. Die Atomfrage ist jetzt wieder so akut wie zu Zeiten der Initiative von Gorbatschow.

© Peter Spiegel

Von ihm können wir lernen, wie man verkrustete und aus der Zeit gefallene Dogmen und Ideologien aufbrechen kann. Wie man Selbstbestimmungsrechte so friedlich gestalten und einlösen kann wie nie zuvor in der Weltgeschichte. Wie man serienweise weitere visionäre fundamentale und das Wohl aller Nationen in den Fokus stellende Konzepte für ein friedliches, sicheres, nachhaltiges und prosperierendes Europa und der Welt insgesamt entwickeln und in die weltöffentliche Diskussion bringen kann.

Einige davon haben wir zwischenzeitlich wieder vergessen, wobei es sich bei den folgenden um Initiativen handelt, die gerade unseren dramatischsten gegenwärtigen Herausforderungen die notwendige Wende geben würden.

„GESAMTeuropäische Haus“ – „Welt-Umweltsicherheitsrat“ – „entscheidungsstarke demokratische UNO“
  • Gorbatschow hat gleich zu Beginn verkündet, konkret am 3.10.1985, „die Überwindung der Spaltung Europas in einander gegenüberstehende Gruppierungen in mehr oder weniger überschaubarer Zukunft“ überwinden zu wollen. Gemeinsam mit seinem engsten Berater Vadim Sagladin erarbeitete er ein detailliertes Konzept für ein „Gesamteuropäisches Haus“ – einschließlich einer neuen europäischen Sicherheitsarchitektur – auf der Grundlage dieser Überzeugung: „Ohne Europa, das über einmalige Erfahrungen – historische, intellektuelle, diplomatische und politische – verfügt, kann ich mir die erfolgreiche Lösung der internationalen Probleme nicht denken.“ Seine Vorstellungen vom „Gesamteuropäischen Haus“ sind so brennend aktuell und dringlich wie nie zuvor.
  • Gorbatschow präsentierte 1988 vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen – und damit vier Jahre vor der ersten Welt-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro – den Vorschlag zur Einrichtung eines „UN-Umwelt-Sicherheitsrates“. Der Kern: Ein solches Gremium sollte mit weltweiter Sanktionsgewalt gegen Umweltverbrechen ausgestattet werden. Wo würden wir heute mit unseren Umweltherausforderungen stehen, wenn dies weltöffentlich gehört und zum Beispiel 1992 durch die Rio-Konferenz als Hauptbeschluss verabschiedet worden wäre?
  • Gorbatschow erklärte 1989 vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen, wie wir gleich zwei „Weltrevolutionen“ miteinander verknüpfen können: Die UNO entscheidend stärken in ihrer Entscheidungskompetenz „in allen Sphären, die natürlich zur Kompetenz der UNO gehören: in der militärpolitischen, der ökologischen und der humanitären“ (7.12.1988) und substanziell demokratisieren in ihren Strukturen und Entscheidungsprozessen. Dafür erklärte er sich bereit, entsprechend nationale Souveränität dorthin abzugeben, denn bereits am 2.11.1987 erklärte er weltöffentlich: „Wir haben uns entschieden dafür eingesetzt, die Autorität der UNO zu stärken, damit die Rechte, mit denen die Weltgemeinschaft sie und ihre Organe ausgestattet hat, vollwertig und wirksam wahrgenommen werden.“

Wir würden Gorbatschow nicht gerecht werden, wenn wir sein Hinscheiden nicht zum Anlass nehmen würden, von ihm lernen zu wollen. Lernen zu wollen, wie wir unsere heutigen Herausforderungen besser, klüger, visionärer und wirkmächtiger zu bewältigen als wir es bisher erreicht haben. Er bietet dafür weit mehr Inspiration und Learnings als wir bis heute realisiert haben.

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Preisverleihung für Michail Gorbatschow 1997 in der Frankfurter Paulskirche. Foto: martinjoppen.de

Michail Gorbatschow wurde 1997 vom internationalen Thinktank Club of Budapest, gegründet von Ervin Laszlo, mit dem Planetary Consciousness Award ausgezeichnet. Diese Veranstaltung fand bewusst in der Frankfurter Paulskirche statt, verbunden mit der Einladung an ihn, offen alles anzusprechen, was noch zu leisten ist von der Weltgemeinschaft für eine substanzielle Vollendung seines Weltprogramms namens Perestroika. Die Laudatio hielt Richard von Weizsäcker.

  • Georgios Zervas ist Sachbuchautor sowie Projektleiter für WeQ Politics beim WeQ Institute, Mitglied im Senate of Europe und Ehrenmitglied im Club of Budapest Deutschland.
  • Peter Spiegel ist Zukunftsforscher und Leiter des WeQ Institutes, Autor und Herausgeber von 40 Publikationen sowie International Ambassador for Business Affairs beim Club of Budapest und vormals dort Generalsekretär. Als Verleger des damaligen Horizonte Verlags veröffentlichte er das von Hartmut Nowotny 1990 herausgegebene Buch „Michail Gorbatschow – Meine Vision“, aus dem die oben angeführten Originalzitate stammen.
Quelle

Peter Spiegel und Georgios Zervas | Von Georgios Zervas und Peter Spiegel gemeinsam erscheint im Februar 2023 beim Wiley Verlag das Buch „Planet We – Wirtschaft und Weltpolitik wettbewerbsneutral gestalten“.

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