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Warum die Idee der Genossenschaft von Friedrich Wilhelm Raiffeisen ganz schön frisch ist

Heute geht es um Unternehmen, weil ich am Samstag in meiner Rolle als Unternehmer nach Berlin fuhr. Wir Postwachstums- und Regionalwirtschaftsfreaks träumen ja bekanntlich von einer Wirtschaft, in der möglichst viele auf regionaler Ebene an Produktionsmitteln und Wertschöpfung beteiligt sind. Deshalb bin ich seit Jahren Genosse. Genosse Unfried. Klingt etwas merkwürdig. Bitte keine Missverständnisse: ich bin nicht Mitglied der SPD oder einer Neu-Trotzkistischen Vereinigung. Genosse kommt bekanntlich von Genossenschaft, und die Idee der Genossenschaft ist älter als die Parteien.

Wie jeder weiß, hat der legendäre Friedrich Wilhelm Raiffeisen 1862 den „Heddesdorfer Darlehnskassenverein“ gegründet. Und auch deshalb feiern die Vereinten Nationen heuer das Jahr der Genossenschaften. Ich finanziere als Genosse also unter anderem eine Tageszeitung, die Berliner taz. Das ist ein tolles Gefühl, wenn einem ein Stück Zeitung gehört. Schreiben die nämlich etwas Gemeines zur Photovoltaik, dann errege ich mich noch mehr als bei anderen Blättern.

Genosse sein macht aber auch demütig: es ging am Samstag in Berlin um Einnahmen, Ausgaben, Rückstände, Gewinne, Verluste. Anders als in der AG hat in der Genossenschaft übrigens jeder eine Stimme. Egal wie viele Anteile er hält. Feindliche Übernahmen kann es als nicht so leicht geben. Das ist dufte. Weniger dufte ist, dass die Unternehmensform Genossenschaft nicht vor der Wirklichkeit schützt. Wie ich am Samstag erfuhr, bezahlt die taz immer noch sehr bescheidene Gehälter. Manche sprechen von Selbstausbeutung der ZeitungsmacherInnen.

Und ich bin als Genosse mitverantwortlich, wo ich doch auch als Postwachstumskapitalist faire Löhne möchte. Meine Ausrede: Bei anderen Zeitungen wird im Moment gerne mal eben verkauft, entlassen, fusioniert und outgesourct. Das wiederum wird es bei der Genossenschaft nicht geben, und nicht nur weil viele Mitarbeiter ebenfalls Genossen sind.

Seit längerem bin ich auch bei einer Energiegenossenschaft dabei mit Wasserkraft und Pipapo. Davon gibt es in Deutschland mittlerweile über 500. Die haben beinahe eine Milliarde investiert in Erneuerbare Energien. So haben sich im Strombereich auch die Besitzverhältnisse gegen den Trend entwickelt. Die Konzerne verlieren in Deutschland Marktanteile. Es gibt schon weit mehr als eine Millionen Solaranlagen in Deutschland und viele Leute haben Anteile an Windparks und Biogasanlagen.

Bei einer Bürgerwindanlage bin ich übrigens Kommanditist in einer Kommanditgesellschaft. Das hat gegenüber dem Genossen einen Nachteil: man kann das Wort kaum aussprechen und die Mitsprache ist etwas eingeschränkter. Als taz Genosse durfte ich am Samstag sogar mit dem Bundesumweltminister diskutieren. Der sehr sympathische Herr Altmaier lobte den Charme der Energiegenossenschaften. Hatte aber Recht, als er sagte, es gäbe auch andere tolle Unternehmen, die professionell Wind- und Solarprojekte entwickeln wie Juwi aus Rheinland-Pfalz.

Peter Altmaier meinte, jetzt kämen schon die Beschwerden von den Genossenschaften, dass Juwi sich clever alle guten Standorte schnappe. Solle man die Energiegenossenschaften nun politisch bevorteilen? Das finde ich nun auch schwierig. Natürlich gibt es auch Energiegenossenschaften, die nicht gut wirtschaften. Wenn das halbe Dorf mit der Genossenschaft Geld verbrennt bei einem schlecht geplanten Windprojekt, ist auch niemandem geholfen.

Zu dieser Komplexität passt, dass mich in Berlin ein Stuttgarter darauf aufmerksam gemacht hat, dass die Debatte über Konzerne und Bürgerunternehmen im Südwesten sowieso komplett gedreht sei: die ENBW sei ja bekanntlich seit letztem Jahr ein VEB, volkseigener Betrieb, der zu 100% dem Land Baden-Württemberg und einigen Landkreisen gehöre. Milliardenverluste wären da natürlich ein politisches und finanzielles Problem für die Regierung. Also Sonderbehandlung? Und wer regiert dort nochmal?

Quelle

Martin Unfried 2012 | Ökosex 2012

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