‹ Zurück zur Übersicht
Letzte Generation | Stuttgart

© Letzte Generation | letztegeneration.de | Straßenblockaden mit festgeklebten Händen haben die „Letzte Generation“ in die Schlagzeilen gebracht. Nun soll damit Schluss sein.

Warum rügt die Bundesregierung die „Letzte Generation“?

Nun treten dank der Proteste der „Letzten Generation“ die gesellschaftlichen Konflikte um den fehlenden Klimaschutz mehr und mehr zu Tage. Die Verursacher der Klimakatastrophe – große Teile der älteren Generation – stellen sich immer stärker gegen die junge Generation, die die Klimazerstörung nicht zu verantworten hat und verzweifelt ist über das unzureichende Handeln. Die Jungen haben auszubaden, was die Älteren verbrochen haben.

Die Bundesregierung rügt jetzt sogar die „Letzte Generation“ dafür, dass sie mit zivilem Ungehorsam endlich wirksamen Klimaschutz einfordert, obwohl sie selbst keinen wirklich wirksamen Klimaschutz umsetzt.

Wie sehr die „Letzte Generation“ Recht hat, zeigt der gestern veröffentlichte Bericht der UN-Wetterbehörde, WMO auf: Er ist vollgepackt ausschließlich mit alarmierenden Schreckensanalysen, wie der massiven Beschleunigung des Meeresspiegelsanstieges in den letzten zwei Jahren.

Viele Äußerungen von einigen Regierungsmitgliedern der letzten Tage und insbesondere auch aus der CDU-Opposition sind inakzeptabel, denn die „Letzte Generation“ hat Recht. Nirgendwo, auch nicht in Deutschland, wird genügend Klimaschutz verwirklicht. Völlig richtig stellt die grüne Außenministerin Baerbock fest: „Die Menschheit steuert auf einen Abgrund zu, auf eine Erwärmung von über 2,5 Grad, mit verheerenden Auswirkungen auf unser Leben auf dem einzigen Planeten, den wir haben“.

Wie kann man dann die Überbringer dieser Botschaft rügen, eben die junge Generation, die genau weiß, dass sie persönlich ums nackte Überleben wird kämpfen müssen, wenn die heute Verantwortlichen nicht endlich das Ruder rumreißen und eine Welt ohne Emissionen bis spätestens 2030 schaffen.

Insbesondere die Bildzeitung führt die Hetze gegen die Klimaschützer*innen der „Letzten Generation“ an: „Ob Straßenblockaden, Attacken auf weltberühmte Kunstwerke oder die Besetzung von Parteizentralen: Die selbst ernannte „Letzte Generation“ scheint zunehmend radikalere Aktionen durchzuführen – und nimmt dafür offenbar auch die Gefährdung von Menschenleben in Kauf!“

Die Unterstellung, die Protestierenden würden mit ihren „Aktionen die Gefährdung von Menschenleben in Kauf nehmen“, ist an Polemik nicht zu überbieten. Die „Letzte Generation“ führt ausschließlich gewaltfreie Proteste durch. Letzte Woche hatte ein Betonmischer eine Radfahrerin in Berlin überrollt und ein zur Rettung angefordertes Spezialfahrzeug stand in einem von der „Letzten Generation“ ausgelösten Stau, weil die Autofahrenden keine Rettungsgasse gebildet hatten. Mittlerweile ist erwiesen, dass die Verspätung des Spezialfahrzeugs keinen Einfluss auf den späteren Tod der Radfahrerin gehabt hat. Die Protestaktion kann nicht als billigendes Inkaufnehmen der Gefährdung von Menschenleben betrachtet werden! Staus gibt es täglich auf unseren Straßen, meist ausgelöst durch Baustellen. Immer wieder kommt es vor, dass wegen solcher Staus Rettungswagen behindert werden. Zu Recht wird Baustellenleitenden nicht vorgeworfen, mit einer Baustelle Menschenleben zu gefährden. Was für eine Schieflage in dieser Debatte!

Die „Klima-Proteste“ seien „demokratiefeindlich“, sagte Katja Mast, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion im gleichen Bildzeitungsartikel. Damit stellt sich Katja Mast sogar außerhalb des Grundgesetzes, das sehr wohl Proteste und damit auch Klimaproteste erlaubt.

Eine der aktuellen Forderungen der „Letzten Generation“ ist ein generelles Tempolimit auf Autobahnen, um die Emissionen im Verkehrssektor schnell senken zu können. Das Tempolimit wird aber von der FDP in der Ampelkoalition verweigert. Damit nimmt die FDP, insbesondere Verkehrsminister Wissing und Finanzminister Lindner, billigend viele Verkehrstote in Kauf. Untersuchungen zeigen, dass bei einem generellen Tempolimit von 130 auf den Autobahnen die Unfallzahlen drastisch sinken.

Wo sind die Rufe in der Bildzeitung oder des Chefs der Polizeigewerkschaft Jochen Kopel, die verantwortlichen Blockierer eines Tempolimits in der FDP einer juristischen Prüfung des Verbots der FDP zu unterziehen? Jedenfalls hatte Kopel dies für die „Letzte Generation“ gefordert. Welch ungleiche Debatte: Politiker*innen der FDP, die viele unnötige Verkehrstote wegen Raserei auf deutschen Autobahnen durch Verhinderung eines Tempolimits billigend in Kauf nehmen, lässt man laufen und junge Leute, die für ein Tempolimit und den Klimaschutz kämpfen, sperrt man ins Gefängnis. Gerade wurden in München zwölf Klimaaktivist*innen für 30 Tage in Gewahrsam genommen.

Selbst Klimakanzler Robert Habeck kritisiert die Klimaschützer*innen im gleichen Bildzeitungsartikel: „Wer mit seinem Protest Gesundheit und Leben von anderen riskiert, büßt damit jede Legitimität ein und schadet auch der Klimabewegung selbst“.

Nun müssen sich alle, die solche vorschnellen überzogene Äußerungen gemacht haben, unbequeme Fragen stellen lassen:

Eine Politik, die weiter keinen wirksamen Klimaschutz schafft, nimmt billigend den Tod von Millionen Menschen in Kauf. So berichtet aktuell Oxfam: „In Somalia handelt es sich um die schlimmste Hungerkrise seit Menschengedenken. Die Zahl der Menschen, die unter akutem Hunger leiden, übersteigt bereits die Zahl der Hungersnot von 2011, bei der mehr als eine Viertelmillion Menschen starben. Fast jeder sechste Mensch in Somalia ist inzwischen von extremem Hunger betroffen.“

In Somalia, Kenia und Äthiopien sind mehr als sechs Millionen Kinder von akuter Unterernährung bedroht oder leiden bereits darunter. Viele von ihnen sind dem Tode geweiht oder schon gestorben. Grund ist laut Oxfam die durch den Klimawandel ausgelöste Trockenheit.

Auch diese schockierende Hungersnot ist das Ergebnis der Klimagasemissionen, die auch wir Deutschen in den letzten Jahrzehnten unentwegt in die Atmosphäre emittierten. Im Mittel stößt jeder Deutsche etwa 10 Tonnen CO2 pro Jahr aus und diese Emissionen gehen unentwegt weiter.

CDU-Generalsekretär Mario Czaja wird in der Bildzeitung zitiert mit: „Warum landen Blockierer nicht mehrere Tage im Anschlussgewahrsam und bekommen die vollen Einsatzkosten in Rechnung gestellt?“ Dabei trägt seine Partei mit 16 Jahren Merkel-Regierung und 16 Jahren Kohl-Regierung Hauptverantwortung für den fehlenden Klimaschutz. Unter ihren Regierungen wurden erhebliche Mengen Klimagase in die Atmosphäre emittiert, ohne dass sie etwas Nennenswertes unternommen hätten.  Nein, sie haben unter Merkel sogar den unter rot-grün mit dem EEG begonnen Klimaschutz wieder im Keim erstickt. Sie, die Union, ist mitverantwortlich, dass heute in Ostafrika Hunger herrscht und in weiten Teilen der Welt zunehmend Stürme, Überschwemmungen und Hitzewellen massenhaft Menschenleben fordern.

Czaja stellt sich mit seiner Forderung ganz in die Nähe von skrupellosen Unterdrückungsregimen wie Ägypten. Dort wurden zu Beginn der Weltklimakonferenz mit der ägyptischen Polizeigewalt hunderte Klimaaktivist*innen festgenommen, die so wie die „Letzte Generation“ in Deutschland für mehr Klimaschutz protestieren. Wer in Ägypten festgenommen wird, muss mit Folter in den Gefängnissen rechnen. Der Mut dieser Klimaaktivist*innen in Ägypten ist daher noch viel größer als der große Mut der „Letzten Generation“. Sicherlich spricht sich Czaja nicht für Folter aus, doch seine Forderung nach Verschärfung des Strafrechtes ist eine bedenkliche Rutschbahn in immer stärkere Unterdrückung von Klimaprotesten.

Unbeirrt hat die Union jetzt sogar in Windeseile einen Bundestagantrag vorbereitet, der Klimaschutzprotestierende mit härteren Strafen belegen soll.

Zum Glück stoßen aber die Vorschläge der Union in der Ampelkoalition auf Ablehnung. Deutlich wurde der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Stefan Gelbhaar: „Dobrindts Vorschlag ist dumm und gefährlich“, sagte er heute im Tagesspiegel Background in Bezug auf den Antrag, der auf eine Initiative von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zurückgehen soll. „Bauern mit Traktoren, Spediteure mit LKWs oder auch mit Bussen, Fahrraddemos – oder auch einfach ganz viele Menschen: Demonstrationen machen Straßen dicht. Sollen all diese Versammlungen kriminalisiert werden?“

Doch der Unionsvorschlag ist ganz in der Tradition der Union , die in der Vergangenheit immer mit harter Hand gegen Menschen vorging, die berechtigte gesellschaftliche Missstände anprangerten und dagegen protestierten. So gab es in den 70er und 80er Jahren Berufsverbote gegen Demonstrierende, die die Gefahren von atomarer Aufrüstung benannten und dagegen protestierten. Auch in Wackersdorf wurden friedliche Bauersfrauen in ihrem Protest gegen die Heimatzerstörung durch eine Atomanlage von der CSU unter Franz Josef Strauß kriminalisiert, nur weil sie gewaltfreien zivilen Ungehorsam mit Bauplatzbesetzungen ausführten.

Es werden in nicht ferner Zukunft die Tage kommen, an denen die Klimakatastrophen wegen der Klimaschutzverweigerungspolitik auch der CDU so schlimm werden, dass die Verursacher der Klimakatastrophe vor Gericht gestellt werden – wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit infolge unterlassener Klimaschutzpolitik. Die Stop Ökozid Initiative bekommt dafür immer mehr internationale Unterstützung.

Tatsächlich findet auch Deutschland und damit auch die aktuelle Ampelkoalition immer noch keinen Weg zum Klimaschutz. Selbst die völlig unzulänglichen Klimaziele der Bundesregierung werden mit der aktuellen Politik nicht eingehalten, so das kürzlich vernichtende Urteil des Klimaexperten-Rates der Bundesregierung.

Wer also Verantwortung trägt Klimaschutz-Politik zu machen und diese Verantwortung dann nicht wahrnimmt, sollte sehr vorsichtig sein, mit Hetze gegen die Klimaaktivist*innen der „Letzten Generation“ vorzugehen. Denn diese sind zu Recht vollkommen verzweifelt,  eben weil die Regierung nicht genügend Klimaschutz macht.

Schnell kann einem Klimaschutzminister der Vorwurf gemacht werden, dass auch er, wie andere verantwortliche Politiker*innen billigend den Tod von weiteren Millionen hungernden Kindern in Kauf nehmen, um Diesel und Benzin-Autofahrer*innen, Erdgasheizungen, Kohlekraftbetreiber, Chemiekonzerne und andere Klimagasemittenten mit ihren Tätigkeiten weiter gewähren zu lassen. Die aktuelle Subventionsorgie für die Nutzer*innen des höchst klimaschädlichen Erdgases, ohne Ansehen der Bedürftigkeit ist beispiellos und wird die Methanemissionen weiter anheizen, die nach dem oben erwähnten WMO-Bericht im letzten Jahr schon sprunghaft zugenommen haben. Die Geschwindigkeit beim Ausbau von LNG-Terminals gibt es auch in der Ampelkoalition für Erneuerbare Energien bis heute nicht.

Selbst das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass der Klimaschutz Verfassungsrang hat und der Schutz der kommenden Generationen nicht ausreichend stattfindet, aber eben heute organisiert werden muss. Es ist nicht zu fassen, dass junge Protestierende nun ins Gefängnis gesteckt werden, nur weil sie die in der Verfassung geforderte Gerechtigkeit gegenüber ihrer jungen Generation einfordern.

Die „Letzte Generation“ fordert zu Recht Gespräche mit der Bundesregierung. Gespräche, die die den Lobbyist*innen der Klimazerstörung fast täglich gewährt werden. Diese können dann wiederum mit ihrer Lobbymacht die Verhinderung des Klimaschutzes durchsetzen.

Ganz oben in der neuesten Liste 2022 der wichtigsten Klimaschutzverhinderer im Bericht „Corporate Climate Policy Footprint“, herausgegeben vom Think Tank Influence Map, ist nun BASF „aufgestiegen“. Nach den US-Erdölgiganten Chevron und ExxonMobile ist nun BASF auf Platz drei der weltweit schlimmsten Klimaschutzverhinderer.

BASF war es, das die Haupt-Lobbyarbeit in den letzten Jahren in Berlin und Brüssel gegen Klimaschutz und für russisches Erdgas gemacht hat. Noch nirgends habe ich in der Bildzeitung oder von Politiker*innen die Forderung nach einer Bestrafung der verantwortlichen BASF-Manager*innen gehört, obwohl nun mit einem Rettungsschirm von 100 Milliarden Euro für den unter anderem von BASF angerichteten Schaden der russischen Erdgasabhängigkeit der bundesdeutsche Haushalt ruiniert wird.

Was ist das für ein Deutschland, das junge Klimaaktivist*innen in Gefängnis steckt und die Manager*innen des weltweit drittgrößten Klimaverhinderers BASF ungeschoren davonkommen lässt?

Quelle

Hans-Josef Fell 2022Präsident der Energy Watch Group (EWG) und Autor des EEG

Diese Meldung teilen

‹ Zurück zur Übersicht

Das könnte Sie auch interessieren