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Was wir tatsächlich brauchen: Vorrang für Erneuerbare Energien und ein Emissionsverbot

Ein Beitrag zur Debatte um CO2-Bepreisung.

Derzeit kocht, auch angesichts der sehr begrüßenswerten #FridaysforFuture-Bewegung, die Debatte um die Einführung einer Steuer oder Abgabe auf CO2 als wichtiges Instrument für den Klimaschutz hoch, selbst die abendlichen Talkshows werden davon dominiert. Natürlich scheint es auf den ersten und vielleicht auch auf den zweiten Blick sinnvoll und angemessen, dass sozial schädliches Verhalten wie die Emission von CO2 und anderen Treibhausgasen mit einem höheren Preis belegt und damit sozusagen bestraft wird. Nach den dieser Logik zugrunde liegenden Annahmen nimmt das unerwünschte Verhalten, also die Emission von CO2, damit ab und das Klima wird gerettet. Es gibt jedoch einige wichtige Einwände gegen einen solchen Ansatz: 

Welchen Beitrag kann eine CO2-Bepreisung zu 100% Erneuerbaren Energien leisten? 
Inzwischen besteht unter Experten weitgehend Übereinstimmung, dass die notwendige, emissionsfreie Energieversorgung nur mit 100% Erneuerbaren Energien erreichbar ist, zusammen mit anderen wichtigen emissionsmindernden Maßnahmen etwa im Bereich der Landwirtschaft und bei industriellen Prozessen. Verschiedene wissenschaftliche Studien, zuletzt von der Energy Watch Group, haben nachgewiesen, dass ein solches Szenario möglich und in der Gesamtbilanz sogar ökonomisch vorteilhaft ist. Angesichts des weltweiten Vormarsches der Erneuerbaren Energien bringt eine Führungsrolle in dem Sektor außerdem einen erheblichen Vorteil im globalen Wettbewerb. Wie aber lässt sich dieses Ziel 100% Erneuerbare Energien schnellstmöglich erreichen? Die Kernfrage lautet also: Kann ein Preis auf CO2 dazu einen nennenswerten Beitrag leisen? 

Lenkungswirkung durch höhere Preise?
Höhere Preise führen, wie wir aus der Verhaltenspsychologie und aus dem realen Leben wissen, nicht automatisch zu Verhaltensänderungen. Vielmehr treten häufig Gewöhnungseffekte an ein höheres Preisniveau ein. Ein gutes Beispiel dafür liefert hier das Rauchen: Mit jeder Anhebung der Tabaksteuer ging in den vergangenen Jahrzehnten der Tabakverbrauch vorübergehend zurück, erholte sich dann aber nach kurzer Zeit wieder. Erst die Einführung eines nahezu flächendeckenden Rauchverbots in öffentlichen Räumen führte zu einem spürbaren Rückgang des Rauchens. 

Gleiches war und ist beim Mineralölverbrauch und den mit großen Steueraufschlägen versehenen Treibstoffpreisen zu beobachten. Trotz angeblich großer Effizienzgewinne beim Verbrauch von fossilen Automobilen ist der Flottenverbrauch aller Fahrzeuge weder national noch weltweit gesunken sondern stetig gestiegen. Der Preis beeinflusst ganz offensichtlich auch hier das Verhalten nur marginal. 

Auch im Gebäudesektor ist nicht erkennbar, dass die doch erheblichen Fluktuationen der Preise von Erdöl oder Erdgas einen wesentlichen Einfluss auf das Verbraucherverhalten hätten. Klare ordnungsrechtliche Effizienzvorgaben bzw. Standards zeigen dagegen deutlich Wirkung.

Sind Kosten das entscheidende Hindernis für die Erneuerbaren Energien?
Häufig wird argumentiert, dass die Erneuerbaren Energien durch eine Abgabe auf fossile Mitbewerber schneller konkurrenzfähig würden. Allerdings haben die Erneuerbare Energien heute global betrachtet gar keinen Kostennachteil mehr, in den meisten Fällen stellen sie die auch betriebswirtschaftlich gesehen billigste Energievariante dar, und das weltweit. Die Barrieren für Erneuerbare Energien liegen vielmehr im regulatorischen Bereich: Pauschale Abstandsregeln für Windparks wie in NRW oder Bayern und Windkraftmoratorien wie in Schleswig-Holstein oder Brandenburg stellen unüberwindbare Hürden für den weiteren Ausbau der Windenergie in Deutschland dar, die durch eine CO2-Abgabe in keiner Weise kleiner werden. In vielen anderen Ländern stellen nach wie vor regulatorische Fragen wie Netzzugang oder andere technisch-administrative Zugangsbeschränkungen zum Energiemarkt ein entscheidendes Hindernis dar.

Emissionsarme oder emissionsfreie Technologien?
Ein grundsätzliches Problem einer CO2-Bepreisung liegt darin, dass sie systemimmanent nicht zielgenau wirkt, da sie explizit nicht emissionsfreie Technologien unterstützt, sondern emittierende Technologien mit einem Malus belegt. Es liegt also nahe und die bisherige Erfahrung belegt, dass zunächst sogenannte emissionsarme statt emissionsfreie Technologien davon profitieren, etwa sogenannte Brückentechnologien wie Erdgas, und damit eben nicht die Erneuerbaren Energien. Erdgas hat im noch fossil dominierten Energiemarkt einen strukturellen Vorteil, da es bereits Marktzugang und eine starke, etablierte Marktposition hat. Ein schnellstmöglicher Umstieg auf Erneuerbare Energien würde damit aber verzögert und letztlich auch das Ziel der Emissionsfreiheit.

Atom-Renaissance durch Klimaschutz?
Gerade manche Deutsche vergessen, dass es in vielen Ländern derzeit wieder starke Bestrebungen gibt, die Atomenergie als Klimalösung zu betrachten, und dass trotz fragwürdiger Klimaneutralität, ausufernder Kosten, der ungelösten Endlagerfrage, Gefahren der Atomwaffenverbreitung und nicht zu negierender katastrophaler Folgen der Atomunfälle in Tschernobyl und Fukushima. Gerade die Atomenergie zeigt, dass oft andere als betriebswirtschaftliche Argumente wichtig sind, wenn es um die Wahl von Energieträgern geht. 

Vor allem ältere und damit gefährlichere AKWs könnten auf dem offenen europäischen Strommarkt in diesem Zusammenhang zusätzlich enorm von einer “Privilegierung” durch Ausnahme von der CO2-Abgabe profitieren, was wiederum den schnellen Wechsel auf Erneuerbare Energien verzögern würde, möglicherweise um Jahrzehnte.

Lenkungswirkung im Transportsektor?
Auch jenseits des Stromsektors stellt sich die Frage, welchen Einfluss eine CO2-Abgabe hätte. Für den Transportsektor gilt: Die Steuern auf Benzin und Diesel sind nicht nur in Deutschland schon so hoch, dass sich die vorgeschlagenen Aufschläge in den Preisen für Endverbraucher praktisch kaum bemerkbar machen würden. Hier wäre ein Verbot von Verbrennungsmotoren wie bereits in einigen Ländern beschlossen ein wirksamer Weg. 

Im Bereich der Schifffahrt sind innovative Unternehmen bereits daran, entsprechende Alternativen nicht nur zu entwickeln, sondern auch anzuwenden. Grundlage ist die Entscheidung der IMO, die Treibhausgasemissionen der Schifffahrt bis 2050 um 50% zu reduzieren, was im Grundsatz also einer klaren Verbotsstrategie gleichkommt. Die entscheidende Frage wird hier die Verbindlichkeit der IMO-Entscheidung sein. 

Sinnvoll im Sinne einer Umlenkung von Verkehrsströmen könnte – mangels aktuell bestehender Erneuerbarer Alternativen im Flugbereich – eine Kerosinsteuer auf Flüge sein, deren Einnahmen dann aber vollständig in die Entwicklung regenerativer Antriebssysteme für Flugzeuge zu investieren sind, um auch hier schnellstmöglich den Wechsel herbeizuführen.

Verbot als elementares Grundprinzip politischer Ordnung
Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass ein als schädlich erkanntes Verhalten in der Regel durch Ordnungs- oder sogar Strafrecht in der Regel einfach verboten wird. Dies gilt für als Straftaten definierte Tatbestände wie Diebstahl, Körperverletzung, Mord, Vergewaltigung – die allesamt natürlich in der Realität dennoch passieren und dann sanktioniert werden. Niemand käme ernsthaft auf die Idee, solche Straftaten dadurch zu reduzieren, indem statt der Drohung mit Freiheitsentzug eine Steuer eingeführt würde. Warum wird nicht ernsthaft darüber diskutiert, die Emission von fossilem CO2 zu verbieten, dessen Wirkung uns doch in unserer Existenz bedroht?

Abschaffung der Sklaverei durch Steuern?
Man stelle sich vor, Abraham Lincoln hätte zur Abschaffung der Sklaverei eine Steuer auf jeden Sklaven eingeführt. Es ist offensichtlich, dass dies schon aus ethischen Gründen keine ernsthafte Alternative sein konnte. Lincoln hat ein klares gesetzliches, unmittelbar gültiges Verbot in einer ähnlich fundamentalen Frage wie heute der Klimaschutz durchgesetzt und wurde dadurch zur Figur mit historischen Verdiensten. 

Emissions-Verbot ist ein ethischer Imperativ
Natürlich fordert niemand, die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas ab sofort zu verbieten. Angesichts der existenziellen Bedrohung der Menschheit durch die Klimakrise, die keinen Aufschub mehr duldet, ist es allerdings ethisch geboten, ein klares Enddatum für die Nutzung fossiler Energieträger festzulegen. Nach diesem Daten darf es schlichtweg nicht mehr erlaubt sein, fossile Kohlenstoffe zu verbrennen. In jedem Fall muss dieses Verbot so schnell kommen, wie dies die Klimawissenschaft für nötig erachtet, unter Berücksichtigung entsprechender Mengen, die die Atmosphäre noch “verträgt”. Auch existierende Emissionshandelssysteme müssen so umgestaltet werden, dass die erlaubten Emissionen stetig reduziert werden und sich zu einem zu bestimmenden Zeitpunkt bei Null bewegen. 

Ein Verbot muss natürlich letztlich nicht nur für CO2-Emissionen gelten, sondern auch für andere Treibhausgase und entsprechend auch für andere kontaminierende Technologien wie die Atomenergie. 

Das Märchen von den Kosten der Energiewende 
Befürworter einer effektiven Klimaschutzpolitik sollten auch bedenken, dass eine Abgabe auf CO2 bestens zu dem bewusst in die Welt gesetzten, falschen Narrativ passt, dass der Wechsel zu den Erneuerbaren Energien eine ökonomische Belastung darstelle. Ein eindrucksvolles Beispiel war die vom damaligen Umweltminister Altmaier genannte angebliche Billionen-Belastung aus dem EEG, die zwar volkswirtschaftlich betrachtet Unsinn war, aber ihre Wirkung nicht verfehlte und den Boden für einschneidende Maßnahmen bereitete. Um das Narrativ der angeblich untragbaren Kostenlawine noch zu verstärken, werden sozial Benachteiligte ins Feld gezogen, denen eine solche Belastung nicht zumutbar sei. Dabei ist das Gegenteil richtig. Die Erneuerbaren Energien sind heute konkurrenzlos günstig und werden für fast alle Menschen handfeste Vorteile bringen. 

Ablenkung von dem, was geboten ist
Wer die öffentliche Debatte verfolgt und die tatsächlichen Probleme der Energiewende im Blick hat, kann derzeit nahezu verzweifeln, wieweit diese Debatte sich von dem entfernt hat, was tatsächlich den Ausbau der Erneuerbaren Energien behindert bzw. was für effektiven Klimaschutz nötig ist. Der Windkraftausbau ist in Deutschland völlig zusammengebrochen, und nur wenige reden darüber, wie das wieder umzudrehen ist. Die Auseinandersetzung um CO2-Bepreisung lenkt also von den eigentlich wichtigen Themen ab, und das sind die Barrieren, die dem konsequenten Ausbau der Erneuerbaren Energien in der Praxis entgegenstehen. 

Genereller Vorrang für Erneuerbare Energien
Was vor allem dringend benötigt wird, ist ein genereller und absoluter Vorrang für Erneuerbare Energien, wie es das alte EEG für den Stromsektor vorsah. Die Erfolge dieser Regelung sind unbestreitbar, ebenso die katastrophalen Folgen nach Abschaffung des Vorrangs – der Zusammenbruch erst der deutschen Solarindustrie und derzeit der Windindustrie sprechen eine sehr deutliche Sprache. Der alte Vorrang muss also nicht nur wieder hergestellt, sondern notwendigerweise ausgeweitet werden, weit über die Regulierung des Strommarktes hinaus. Es ist eine politische Grundsatzentscheidung für den Vorrang Erneuerbarer Energien in allen Bereichen erforderlich, in denen Energie zum Einsatz kommt, entweder in dem gerade diskutierten Klimaschutzgesetz verankert oder sogar als Nachhaltigkeitsprinzip in der Verfassung. 

Darauf basierend ist eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen erforderlich: Im Transportsektor hat neben dem Ausbau des öffentlichen Personen- und Güterverkehrs aus jetziger Sicht vor allem die Elektromobilität die größten Potenziale. Für Neuzulassung von fossilen Verbrennungsmotoren ist daher ein Enddatum festzulegen, parallel dazu muss alles getan werden, um den Ausbau einer Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge massiv zu beschleunigen. Bau- und planungsrechtliche Vorgaben, die die Nutzung der Erneuerbaren Energien erschweren, sind entsprechend abzuändern. Im Gebäudesektor sind bestehende Standards fortzuschreiben und die Nutzung Erneuerbarer Energien ist dabei als Teil dieser Standards festzulegen, wie dies in einigen Ländern heute schon der Fall ist. Bau- und planungsrechtliche Vorgaben, die die Nutzung der Erneuerbaren Energien erschweren, sind entsprechend abzuändern. In den Bereichen wie Luft- und Schifffahrt, in denen die Antriebe noch vollständig oder weit überwiegend fossil betrieben werden, sind neben einem ebenfalls klaren Enddatum Marktanreizprogramme notwendig, um endlich emissionsfreie Technologien auf den Markt zu bringen.

Vorreiterrolle bringt ökonomische Vorteile
Ein großer Vorteil einer Vorrangstellung für Erneuerbare Energien, verbunden mit einem Emissionsverbot liegt auch darin, dass ein Land dies implementieren kann, ohne Nachteile gegenüber anderen Ländern befürchten zu müssen. Vielmehr kann es, wie auch die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte zeigt, eine technologische Führungsrolle erlangen und seine Innovationskraft stärken, was neben den Vorteilen auf lokaler und nationaler Ebene wie Schaffung von Arbeitsplätzen und Einsparung von Ausgaben für importierte fossile Energieträger auch zusätzliche Exportperspektiven schafft. Die deutsche Industrie hat weltweit bereits eine führende Rolle im Bereich Erneuerbare Energien, die durch den Verlust des heimischen Marktes allerdings derzeit hoch gefährdet ist. 

Insofern spielt es – anders als bei der Frage der CO2-Bepreisung – nur eine sekundäre Rolle, ob eine solche Maßnahme auf nationaler, europäischer oder globaler Ebene beschlossen wird. Selbstverständlich wäre es im Sinne eines effektiven Klimaschutzes, wenn sich möglichst viele Länder dem anschlössen. Falls dies nicht möglich ist, werden Vorreiter aber als Vorbilder fungieren und andere Länder anspornen, ebenfalls konsequente Programme einzuführen. 

CO2-Bepreisung als flankierende Maßnahme
Eine Bepreisung von CO2 kann im Rahmen (!) der gebotenen Vorrang-Strategie für Erneuerbare Energien bestenfalls eine flankierende Maßnahme sein, um den Abschied von alten Gewohnheiten durch stetige Verteuerung zu erleichtern – nicht mehr und nicht weniger. Alleine wird sie aber bei weitem nicht ausreichen, um den nötigen schnellen Wechsel hin zu den Erneuerbaren Energien herbeizuführen – teils kann sie sogar kontraproduktiv wirken, wie hier dargelegt. Im Zentrum muss daher klares Ordnungsrecht stehen.

Klimaschutz und Bürgerenergiewende Hand in Hand
Wenn also das Prinzip des Vorrangs der Erneuerbaren Energien allgemeiner Bestandteil unseres Rechtssystems wird, dann bestehen gute Aussichten, eine nachhaltige Wirtschaftsweise zu erreichen, die auch das Klima nicht weiter schädigt. Klein- und mittelständische wie auch große Unternehmen, aber auch die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes haben bereits in den vergangenen drei Jahrzehnten bewiesen, dass sie in der Lage sind, dazu die technischen und ökonomischen Lösungen auf breiter Basis zu liefern, auf dezentraler, lokaler Ebene, aber auch national und sogar global. Damit Klimaschutz und Bürgerenergiewende Hand in Hand gehen, hin zu einer demokratischeren und nachhaltigen Gesellschaft. 

Quelle

Stefan Gsänger | Executive Committee Member, Global100RE | 2019

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