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Wer ist das Wir in „Wir verursachen den Klimawandel?“

Am 10. Oktober diesen Jahres erschien im Magazin „Slate“ der Artikel „Who Is the We in “We Are Causing Climate Change”? Everyone is not equally complicit here“ von Dr. Genevieve Guenther.

Guenther lehrt am Tishman Environment and Design Center der New School und ist Gründerin wie auch Direktorin von EndClimateSilence.org. Wir haben den Text für Sie frei übersetzt:

„In Schriften zum Klimawandel, wird gerne das Wort „wir“ verwendet. Zum Beispiel steht dort „Wir hätten die globale Erwärmung in den 80ern verhindern können“, „Wir stoßen mehr Kohlendioxid aus als je zuvor“ oder „Wir müssen Lösungen für die Klimakrise finden“

Diese sprachliche Marotte tauchte erst kürzlich wieder auf, als der Sonderbericht „Global Warming of 1.5°C“ des Weltklimarats (IPCC) veröffentlicht wurde. Der IPCC erklärte darin nachdrücklich den Unterschied zwischen einer Erderwärmung um 1,5 oder 2 °C. Auch machte der IPCC-Bericht deutlich, dass der Klimawandel in den nächsten Jahrzehnten das Leben von Hunderten von Millionen Menschen bedrohen wird, sollten die Treibhausgasemissionen nicht in 10 Jahren halbiert und in 30 Jahren auf null heruntergefahren werden. Dazu schrieb ein prominenter Klimajournalist bei Twitter: „Wir hatten mehr als genug Zeit und es gab ausreichend Warnhinweise, um diesem Schicksal ohne übermäßige Unannehmlichkeiten zu entgehen, aber jetzt können wir uns ihm nur mit EXTREMEN Beeinträchtigungen entziehen. Angesichts der Tatsache, wie sehr wir es bisher vermasselt haben, sieht es ganz danach aus, dass wir auch weiterhin zu langsam dagegen vorgehen werden.“

Da der Klimawandel ein globales Problem ist, ist die Versuchung groß, das Wort „wir“ zu verwenden. Aber es gibt ein echtes Problem damit: Das schuldige Kollektiv, auf das es sich beruft, existiert einfach nicht. Das „wir“, dass für den Klimawandel verantwortlich gemacht wird, ist ein fiktives Konstrukt, das sowohl verzerrend als auch gefährlich ist. Indem wir verschweigen, wer wirklich für unsere gegenwärtige, erschreckende Situation verantwortlich ist, bieten wir genau den Menschen politische Deckung, die bereit sind, Hunderte von Millionen Menschen für ihren eigenen Profit und ihr Vergnügen sterben zu lassen.

Man sollte deshalb unbedingt genauer darüber nachdenken, wer dieses „wir“ sein könnte. Sind damit vielleicht die 735 Millionen Menschen gemeint, die laut Weltbank von weniger als 2 Dollar pro Tag leben? Oder sind es die etwa 5,5 Milliarden, die laut Oxfam mit 2 bis 10 Dollar pro Tag auskommen müssen? Zu dem „wir“ würden auch die Millionen von Menschen auf der ganzen Welt gehören (400.000 davon nahmen 2014 am Klimamarsch in New York City teil), die alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihre eigenen Emissionen zu senken und der fossilen Brennstoffindustrie entgegentreten. Unter anderem fiele dann auch Bill McKibben, der verdiente Streiter aus der Klimabewegung, der schon 1989 sein erstes Buch über den Klimawandel schrieb, darunter. Und was ist mit Greta Thunberg, dem 15-jährigen Mädchen, das derzeit vor dem schwedischen Parlament sitzt und in einem Schulstreik fordert, dass ihre Regierung eine Politik verfolgt, die die Produktion, Verteilung und den Verbrauch fossiler Brennstoffe tatsächlich beendet? Nicht zuletzt würde das „wir“ auch die indigenen Völker einschließen, die über Generationen hinweg in Harmonie mit ihren Ökosystemen lebten? Mal ganz abgesehen von unseren Kindern …

Es ist durchaus verständlich, dass das „wir“ glaubhaft erscheint. So bildet das Wirtschaften auf Basis fossiler Brennstoffe heute die Struktur für das, was die Menschen auf diesem Planeten tun. Es legt sämtliche Bedingungen für das menschliche Handeln fest, es scheint allumfassend, vor allem aus bürgerlich-amerikanischer Sicht. Aber es ist alles andere als vollkommen und sicherlich auch nicht immerwährend. Denn ständig muss aktiv eingegriffen werden: mit Subventionen, dem Aufbau und Erhalt von Infrastruktur, durch die Durchsetzung von Rechtsansprüchen, durch den Schutz seiner „Vermögenswerte“ durch das Militär oder auch mittels Instagram-Fotos, die vorgeben, dass seine Vorteile Vergnügen bereiten, und so weiter und so fort.

Anstatt den Klimawandel als etwas zu betrachten, was „wir“ tun, sollte man immer berücksichtigen, dass es Millionen, möglicherweise Milliarden von Menschen auf diesem Planeten gibt, die die Zivilisation lieber bewahren, als sie durch den Klimawandel zu zerstören. Menschen, die es bevorzugen, das Wirtschaften mit fossilen Brennstoffen beenden. Diese Menschen sind keineswegs alle aktiv, aber sie sind da. Die meisten Menschen sind gut.

Man sollte vielmehr nicht übersehen, dass es eben auch andere gibt, von denen einige die Welt regieren. Menschen, die bereit zu sein scheinen, die Zivilisation zu zerstören und Millionen von Menschen sterben zu lassen, damit das Wirtschaften mit fossilen Brennstoffen weitergehen kann. Wir wissen, wer diese Leute sind. Wir sind nicht diese Menschen.

Natürlich sollte man nicht übersehen, dass es auch um Komplizenschaft geht. Jedoch haben die meisten von uns ohne strukturelle Veränderungen keine andere Wahl, als fossile Brennstoffe bis zu einem gewissen Grad zu nutzen. Aber beschränkte Wahlmöglichkeiten darf man nicht mit der unbedachten Komplizenschaft der 10 Prozent, die jedes Jahr 50 Prozent der globalen Emissionen produzieren gleichsetzen, indem sie zahlreiche Langstreckenflüge zum Vergnügen unternehmen, ihre Häuser heizen, anstatt einen Pullover anzuziehen und aufgeblasene SUVs fahren, die sie alle paar Jahre ersetzen. Ebenso sind beschränkte Wahlmöglichkeiten nicht mit der tiefgreifenden und beschämenden Komplizenschaft vieler Print- und Fernsehnachrichtenmedien gleichzusetzen, die sich dem Begriff des Klimawandel selbst in Berichten über die Auswirkungen des Klimawandels verweigern.

Mitschuldigen Menschen und Institutionen müssen aufgerufen und zum Wandel ermutigt werden. Auch muss die fossile Brennstoffindustrie bekämpft werden. Genauso müssen Regierungen, die die Wirtschaft der fossilen Brennstoffe unterstützen, ersetzt werden. Aber keiner von uns wird dabei erfolgreich sein, wenn wir den Klimawandel als etwas betrachten, was „wir“ tun. Den Klimawandel als etwas zu betrachten, das „wir“ tun, anstatt etwas, an dem wir gehindert werden, rückgängig zu machen, setzt die Ideologie der Wirtschaft mit fossilen Brennstoffen fort, die wir zu verändern versuchen.   

Der Klimawandel kann Sie dazu inspirieren, darüber nachzudenken, was es bedeutet, ein Mensch zu sein und was Ihre Moral ist. So weit alles klar. Aber man sollte auch immer daran denken, dass es ein Kampf gegen die Mächte der Zerstörung ist, um etwas von dieser schmerzhaft schönen, völlig wunderbaren Welt für die Zukunft unserer Kinder zu retten. Die Industrie der fossilen Brennstoffe und die Regierungen, die sie unterstützen, arbeiten im wahrsten Sinne des Wortes zusammen, um Sie davon abzuhalten, eine Welt zu schaffen, die mit sicherer Energie betrieben wird. Sie versuchen, die Wirtschaft mit fossilen Brennstoffen aufrechtzuerhalten. Was mich und die Millionen von Menschen betrifft, die den Klimawandel rückgängig machen wollen, so sage ich: Wir sind gegen sie, und wir werden um das geliebte Leben streiten.“ 

Quelle

Der Artikel wurde von
der Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie
e.V. (Mattias Hüttmann) 2018
 verfasst
– der Artikel darf nicht ohne Genehmigung von Matthias Hüttmann weiterverbreitet werden! | SONNENENERGIE 03/2018 |
Das Inhaltsverzeichnis  zum Download!

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