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pixabay.com | Titus Staunton | Pipeline

© pixabay.com | Titus Staunton | Pipeline | Im Krieg kann die Abhängikeit von Energieimporten verheerend sein.

Wie Russland jetzt ausgeschlossen werden muss

Der Krieg Putins gegen die Ukraine bricht eklatant Völkerrecht. Bereits nach kurzer Zeit ist großes Leid vieler Menschen zu beklagen. Ein Kommentar von Rolf Kreibich

Und die Todesbahnen werden sich weiter verstärken. Ebenso die bereits erfolgten Zerstörungen in den ukrainischen Städten und Dörfern. Vor diesem Hintergrund ist das Zögern und Hinausschieben eines Ausschlusses Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT nicht zu verstehen.

Ein Ausschluss aus dem SWIFT ist das einzige scharfe Schwert, das wir gegen Putin haben. Es darf auch nicht sein, dass wir Deutsche in einem Weltkonflikt dieser Dimension versuchen, ohne massive Gegenwehr und Beeinträchtigungen unseres eigenen Lebens davonzukommen.

In den 40 Jahren seit ich Energieforschung und Energiepolitik betreibe, ist seitens der Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft viel versäumt worden und vieles falsch gelaufen. Wir könnten heute längst energieautark sein. Aber klagen allein hilft nicht. Deshalb nur zu den letzten Jahren kurz die gravierenden Versäumnisse der Großen Koalition.

Die Versäumnisse

Seit 2017 ist leider der Ausbau der regenerativen Energien (Windenergie, Photovoltaik, Solarthermie, Geothermie und Nutzung von Bioenergie) nicht gezielt und massiv ausgebaut worden. Im Gegenteil, der Anteil der Regenerativen ist massiv zurückgegangen, besonders der Windkraftausbau. Wir wissen seit Jahren, dass Deutschland von Gas und Öl aus Russland extrem abhängig ist. Auch wenn Russland in der Vergangenheit seine Lieferverpflichtungen eingehalten hat, kann doch nicht davon ausgegangen werden, dass das für alle Zeiten und insbesondere in Krisen- und Konfliktzeiten so weitergehen muss. Wie naiv ist eigentlich unsere Politik zu glauben, dass das Herunterfahren des Ausbaus der Windkraft, der Photovoltaik und der Solarthermie in den letzten vier Jahren unter zahlreichen Gesichtspunkten (Unabhängigkeit, Sicherheit der Versorgung, Klimaschutz etc.) keine Schäden hinterlassen würde.   Die Verantwortung lag vor allem bei der alten Bundesregierung, insbesondere beim Wirtschafts- und Energieministers Peter Altmaier. Leider hat die ganze Regierungsmannschaft und der Bundestag dieser Fehlentwicklung tatenlos zugesehen. Mit dem Völkerrechtsbruch Putins durch die Annexion der Krim und der Schaffung autonomer Republiken in der Ostukraine gab es doch genug schrille Warnsignale. Trotzdem ging die öffentliche Debatte und das Verhalten der Regierung bis zur derzeitige Gas- und Ölknappheit und den rasant steigenden Energiepreisen an der Energiewirklichkeit völlig vorbei. Denn es gab und gibt genug Energie, um den Bedarf in Deutschland und Europa auch ohne Russland zu decken:  

Die Möglichkeiten zu mehr Energieunabhängigkeit
  1. Wir haben in allen Verbrauchssektoren – Industrie, Dienstleistungen, Mobilität, Haushalte, Bau- und Wohnungswirtschaft, öffentliche Gebäude, private Unternehmen, Handwerk etc. – enorme Potentiale zur Energieeinsparung und effizienteren Energienutzung. Bisher wurde dieses Einsparpotential nur höchst zögerlich genutzt. Kurzfristig können wir Heizungen und das Energiemanagement wesentlich besser einstellen. Allein dadurch können wir etwa 20 Prozent des Gasverbrauchs einsparen.        
  2. Es gibt viele Länder auf der Erde, die uns mehr Öl und Gas liefern können: Algerien, Katar, Australien, Kanada, USA, Saudi-Arabien. Hier ist eine Diversifizierung sträflich vernachlässigt worden und dringend geboten.
  3. Es gibt noch immer die Möglichkeit, in Krisenzeiten auch auf Kohleenergie zurückzugreifen: sowohl auf eigene Förderung als auch auf Kohle aus Australien, Südafrika, Polen etc.
  4. Es ist möglich, in einem noch wesentlich höherem Tempo die ganze Palette regenerativer Energien auszubauen. In einer Krisensituation, in die wir sehen-den Auges immer weiter hineinschliddern, sollten wir keine Kosten und Mühen scheuen, die Energiebasis unseres Landes auf zukunftsfähige und sichere Energie schnellstmöglich aufzubauen.
  5. Ein besonders schlimmer Schaden ist dadurch entstanden, dass unsere Reserve-und Sicherungssysteme mit der Speicherung von Energie nicht funktionieren.Wie konnte es dazu kommen, dass unsere leistungsfähigen Gasspeicher heute insgesamt nur zu etwa 32 Prozent gefüllt sind? Wer ist dafür verantwortlich? Rund 28 Prozent unseres gesamten Jahresverbrauchs, das sind 23 Milliarden Kubikmeter Erdgas, können in den etwa 40 Gasspeichern eingelagert und in Krisensituationen in das Gasnetz eingespeist werden. 
Deutsche Notspeicher in russischer Hand

Wie konnte es dazu kommen, dass der größte Erdgasspeicher in Deutschland in Rehden (Niedersachsen) heute nur zu 3 Prozent gefüllt ist? Den Schlüssel hierfür entnehme ich dem Tagesspiegel vom 11.02.2022: „Ausgerechnet die größten Speicher in Deutschland (auch Rehden) werden von einer Tochtergesellschaft des russischen Staatskonzerns GAZPROM betrieben“. Mehr noch, sie sind Eigentum von GAZPROM. In Niedersachsen, wo Altkanzler Gerhard Schröder bis 1998 Ministerpräsident war, und heute einer der größten Lobbyisten für russisches Gas ist, befindet sich auch der große Speicher Jemgum. Auch dieser Speicher wurde 2013 in Kooperation mit der WINGAS GmbH (Kassel) und der VNG Gasspeicher GmbH (Leipzig) in Betrieb genommen. WINGAS ist eine hundertprozentige Tochter von GAZPROM. Das alles ist deshalb so fahrlässig, weil die Energiesicherung zur Daseinsvorsorge des Landes gehört und niemand den Irrsinn begehen darf, seine ehernen Versorgungsgrundlagen zu gefährden.

Prof. Rolf Kreibich, © privat

Wir in Berlin-West wissen wovon wir sprechen. Wir lebten bis zur Wiedervereinigung unter alliiertem Recht. Dieses verpflichtete die Stadt, in allen Bereichen der Daseinssicherung ein Jahr autonom sein zu können. So hatten wir riesige Kohlehalden im Norden von Berlin und große Sprittanks in Marienfelde, wo aus dem Sprit im Crackingverfahren Strom produziert wurde. Beide Versorgungslager waren sogar nicht ganz ungefährlich. Deshalb haben wir in den achtziger Jahren den Erdgas-Aquiferspeicher unter Ruhleben errichtet. Das verlief auch nicht ohne Proteste eines Teils der dort lebenden Menschen. Aber die Vernunft siegte und die Versorgung von Berlin-West war gesichert.

Quelle

forum Nachhaltig Wirtschaften 2022 | Prof. Rolf Kreibich ist Physiker und Soziologe, Professor für Soziologie der Technik, Technikfolgenabschätzung und Zukunftsforschung. Er leitete von 1981 bis 2012 das Berliner ITZ – Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung. Zusammen mit forum-Chefredakteur Fritz Lietsch hat er „Zukunft gewinnen!“ Die sanfte Revolution für das 21. Jahrhundert veröffentlicht. Außerdem ist er Mitglied des Kuratoriums von forum Nachhaltig Wirtschaften.

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