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Wie teuer wird „Stuttgart 21“ aus Sicht des erfahrenen Bahnexperten?

Herr Professor Bodack – welche Vorteile bringt uns „Stuttgart 21“?Karl-Dieter Bodack: Wenig. Im Schnitt unterm Strich und im Durchschnitt sind die Fahrgäste in den Zügen eine halbe Minute schneller in Stuttgart. 30 Sekunden schneller. Das muss man in Relation zu mindestens 10 Milliarden Kosten einschließlich der Neubaustrecke Ulm-Stuttgart sehen. Zehn Milliarden für eine halbe Minute.

Julian Aicher: Wie kommen Sie zu dieser Behauptung?

Karl-Dieter Bodack: Die frühere Stuttgarter Umweltministerin Tanja Gönner hat noch vor der letzten Landtagswahl bei SMA eine Studie in Auftrag gegeben. Und dort hat man extrem gründlich, umfangreich und genau gerechnet. Da wurde dann nicht gelobt, dass ein leerer Zug schneller ankommt – das bringt ja nichts. SMA ging bei seinen Berechnungen von den Fahrgästen aus. Also Bahnfahrenden, die aus Karlsruhe, Mannheim, Horb, Crailsheim oder Ulm nach Stuttgart rein fahren. Manche dieser Züge – zum Beispiel aus Ulm – sind tatsächlich schneller.

Manche Fahrgäste kämen aber dank „Stuttgart 21“ aber auch deutlich später in Stuttgart an, weil es aus diesen Richtungen teils nur eingleisige Verbindungen gibt. Horb zum Beispiel. Oder Aalen. Alles mit allem verrechnet brächte „Stuttgart 21“  30 Sekunden Zeiteinsparung. „K 21“ – also der verbesserte Kopfbahnhof, brächte 54 Sekunden Beschleunigung. Mit einem sinnvoll sparsamen Ausbau ganz weniger, kurzer Neubaustrecken südlich von Stuttgart bräuchte man diese Bauten wie in „Stuttgart 21“ und „K 21“ geplant, gar nicht.

Diese Strecken – darunter vor allem vom Flughafen Stuttgart nach Wendlingen, wäre für 200 Millionen Euro zu bauen – ohne teure Tunnels. Man kann sich gut vorstellen, dass dieses SMA-Gutachten bei Frau Gönner damals blankes Entsetzen ausgelöst hat. Ministerin Gönner hat die Studie deshalb sofort in ihrem Giftschrank verschwinden lassen. Nun kann man diese Studie auf der Website des Verkehrsministeriums Stuttgart nachlesen.

Julian Aicher: Aber das hieße doch: Wieder neue Planfeststellungs- und Genehmigungsverfahren über Jahre?

Karl-Dieter Bodack: Nein. Die wichtige Neubaustrecke Flughafen Stuttgart nach Wendlingen, ist bereits genehmigt. Sie läge neben der Autobahn, wäre also sehr umweltverträglich. Dazu käme für weitere 50 Millionen die Rohrer Kurve. Also alles in allem 250 Millionen. In drei bis vier Jahren könnte man diese neuen Strecken befahren.

Und nicht erst lange nach 2020, wie „Stuttgart 21“. Der Effekt für die Fahrgäste wäre in beiden Fällen etwa der selbe. Vorteil: 200.000 Leute, die auf den Fildern leben, hätten schnellere Verbindungen.

Übrigens: Derjenige Streckenbereich von „Stuttgart 21“ am und beim Flughafen Stuttgart ist bisher nicht planfestgestellt also noch nicht genehmigt. Und das ist der Mittelteil. Das heißt: Ohne diesen Teil sind die anderen „Stuttgart 21“-Strecken völlig sinnlos. Das ist in etwa so, wenn Sie ein Haus bauen wollen, für das zwar das Erdgeschoss und das Dachgeschoss genehmigt worden sind, nicht aber das erste Obergeschoss dazwischen. Kein vernünftiger Mensch würde anfangen, so etwas bauen!

Und ganz wichtig: Die Deutsche Bahn AG hat für diesen mittleren Streckenabschnitt am und nahe Stuttgart Flughafen seit 2002 mehrere Bauanträge gestellt. Keiner davon ist in der Vorprüfung beim Eisenbahn-Bundesamt angenommen worden. Daher kann niemand seriös sagen, was diese Strecken mit dem neuen Tiefbahnhof am Ende kosten soll.

Julian Aicher: Trotzdem: Hand aufs Herz – wie teuer wird „Stuttgart 21“ aus Sicht des erfahrenen Bahnexperten?

Karl-Dieter Bodack: Seriös kann Ihnen das keiner sagen. Nach dem was man heute weiß, kosten Stuttgart 21 und die Neubaustrecke mindestens 10, eher 11 Milliarden; Stuttgart 21 allein dürfte 6 Milliarden kosten. Veranschlagt war dieses Projekt mit 3,1 Milliarden zuzüglich Kostensteigerungen durch Unvorhersehbares von 1,4 Milliarden. So kamen die bekannten 4.5 Milliarden zusammen.

Inzwischen werden die kalkulierbaren reinen Baukosten – ohne spätere Preissteigerungen! – mit 4,5 Milliarden genannt. Bei der ersten Planung, die ja Grundlage des Vertrags zwischen dem Land Baden-Württemberg und der Deutschen Bahn AG war, waren mit 1,4 Milliarden aber 47% zur Abdeckung von Preissteigerungen während der jahrelangen Bauzeit eingerechnet worden. Jetzt sind es 0%. Geht man von den 47% des Vertrags aus, müssten aber seriös gerechnet heute mindestens 2,1 Milliarden mehr für solche Preissteigerungen mit einberechnet werden. Also 4,5 Milliarden heute fest kalkulierbar und 2,1 Milliarden – also zusammen nur für „Stuttgart 21“ – ohne die neue Strecke Stuttgart-Ulm ! – 6,6 Milliarden. Da kommen Sie nie und nimmer mit 10 Milliarden hin, wenn Sie die Strecke Ulm-Stuttgart noch mit einberechnen.

Julian Aicher: Das mag ja alles richtig sein. Aber aus Ulm freuen sich doch viele darauf, mit der Neubaustrecke und „Stuttgart 21“ eine halbe Stunde schneller in Ulm zu sein. Darf man ihnen das verübeln?

Karl-Dieter Bodack: Nein, natürlich nicht. Würde man also für wenige hundert Millionen Euro die bestehende Strecke Stuttgart-Ulm sanieren und den Fahrplan ähnlich optimieren wie er um 1990 schon mal war, könnten Ulm in etwa 45 Minuten und München in weniger als 2 Stunden erreicht werden.

Dabei muss erwähnt werden, das „Stuttgart 21“ laut SMA-Studie ja für manche Verbindungen Fahrtverlängerungen bringt. Die Strecke Stuttgart-Ulm könnte man übrigens ohne große Kosten sofort entlasten, würde man Teile des Güterverkehrs auf die Strecke über Nördlingen schicken. Die geht großenteils durch dünn besiedeltes Land.

Julian Aicher: Wollen Sie damit sagen, Ihre ehemaligen Kolleginnen und Kollegen von der Deutschen Bahn können nicht rechnen?

Karl-Dieter Bodack: Selbstverständlich kann die DB AG rechnen und tut das intensiv. Aber schauen Sie sich mal die Verträge an, die die Deutsche Bahn AG mit der Stadt Stuttgart und dem Land Baden-Württemberg gemacht hat. Da finden Sie nirgends eine Verpflichtung drin, dass die Deutsche Bahn AG „Stuttgart 21“ auch fertig baut. Bauen ja, aber fertig bauen, nein. Heißt: Das jetzt geplante Geld reicht voraussichtlich 5 Jahre – und dann stehen da Bauruinen.

Dann müssen das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart wieder Milliarden nachschießen. Der Bund hält sich da heraus: Der hat nur 560 Millionen fix zugesagt.

Julian Aicher: Aber die Deutsche Bahn AG ist doch Bauherrin von „Stuttgart 21“?

Karl-Dieter Bodack: Die DB AG baut, finanziert aber Stuttgart 21 de facto nicht, verwendet nur Mittel von Stadt, Land und Bund. Weil derzeit keine Reserven im Budget ist, werden Stadt und Land in fünf, sechs Jahren noch ein bis zwei Milliarden Euro zusätzlich aufwenden müssen, um die Anlagen fertig stellen zu lassen.

Die Deutsche Bahn AG darf aus eigenen Mitteln „Stuttgart 21“ ganz einfach deshalb nicht finanzieren, weil das Projekt betriebswirtschaftlich unwirtschaftlich ist.

Julian Aicher: Glauben Sie das wirklich?

Karl-Dieter Bodack: Das hat nichts mit glauben zu tun. Es gibt Streckenneubauten der Deutschen Bahn, zum Beispiel in Thüringen, da stehen Millionen teure Brücken in der Landschaft – ohne jeden Gleisanschluss. Seit Jahren. Das ist die Wirklichkeit.

Die Bahn selbst braucht ja „Stuttgart 21“ und Stuttgart-Ulm neu gar nicht. Die kann ja auf den bestehenden Strecken weiterfahren.

Julian Aicher: Warum macht die Deutsche Bahn AG überhaupt solche Projekte?

Karl-Dieter Bodack: Ganz einfach: weil die Deutsche Bahn AG eine Aktiengesellschaft ist. Und der Eigentümer, also die Bundesregierung, erwartet von der Deutschen Bahn AG Gewinne. Woher kommt ein Großteil dieser Gewinne? Nicht von den vielen Auslandsgeschäften oder von der weltweiten Logistik, die die Deutsche Bahn AG betreibt. Nein: Den größten Teil ihres Gewinns zieht die Deutsche Bahn AG aus Geschäftsfeldern, die weitgehend aus Steuergeldern finanziert werden. Bei Neubauvorhaben, die der Bund finanziert, darf sie 17% für Eigenleistungen einbehalten. Deshalb baut die Bahn lieber Großprojekte, anstatt sinnvolle Umbauten zu viel geringeren Kosten zu verwirklichen.

Julian Aicher: Wie wirkt sich das auf das Land Baden-Württemberg insgesamt aus?

Karl-Dieter Bodack: Auch da gebietet es sich, bereits bekannte Fakten zur Kenntnis zu nehmen. Zum Beispiel die Folgen des Strecken-Neubaus Ingolstadt-Nürnberg. Diese Strecke hat viel Geld gekostet. Also ist ihre Benutzungsgebühr entsprechend teurer. Jedes Bundesland erhält einen gewissen Betrag, mit dem dieses bei Bahnanbietern wie der Deutschen Bahn AG Zugfahrten bestellen kann. Fahren Züge auf Strecken, die teurer sind, müssen entweder die Fahrpreise für die Endkunden – also uns alle, die mitfahren – erhöht werden, oder das jeweilige Bundesland muss mehr für jeden gefahrenen Zugkilometer bezahlen.

Julian Aicher: Das heißt, sie meinen, wenn „Stuttgart 21“ und Stuttgart-Ulm mal neu gebaut sein würden, würden auf anderen Strecken im Land weniger Züge fahren.

Professor Karl-Dieter Bodack: Genau. Das Land erhält fix vom Bund 700 Millionen Euro: Werden die Zugfahrten nach Stuttgart teurer, kann des Land weniger Zugkilometer bestellen.

Julian Aicher: Herr Professor, wenn man Ihnen da so zuhört, wird’s einem Angst um die Finanzierung der Staatshaushalte. Dann liegt Griechenland vielleicht irgendwann doch nicht so weit weg, wie man sich’s zurzeit wünscht. Aber wir Baden-Württemberger, wir zahlen doch ohnehin so viel in die Bundeskasse. Warum soll man sich da nicht mal was vom Bund zurückholen. Zum Beispiel jetzt für „Stuttgart 21“?

Karl-Dieter Bodack: Weil der Bund sich vertraglich verpflichtet hat, nur 560 Millionen Euro zu „Stuttgart 21“ bei zu steuern. Mehr nicht, also nicht mal 10 Prozent heute bekannten Gesamtkosten von „Stuttgart 21“!

Den überwiegenden Teil zahlt das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart. Das spüren letztlich alle, denn diese Milliarden müssen ja an anderer Stelle wieder eingespart werden.

Julian Aicher: „Stuttgart 21“ also als Schwabenstreich, den zwar die Bevölkerung bitter bezahlen muss, während die heute und gestern verantwortlichen Politiker bei einer erhofften Fertigstellung in mehr als zehn Jahren längst in Ruhe ihre Pensionen kassieren und von aktueller Politik mehr oder weniger nichts mehr wissen möchten?

Karl-Dieter Bodack: Damit wäre dann wohl zu rechnen.

Julian Aicher: Trotzdem die Frage: Wo bleibt das Positive? Stuttgart bekommt doch durch „Stuttgart 21“ 100 Hektar Bauland in bester Innenstadtlage?

Karl-Dieter Bodack: Eine schöne Illusion. Und eine teure, für die die Stadt Stuttgart im voraus schon mal ganze 450 Millionen Euro an die Deutsche Bahn AG gezahlt hat. Für was?

Damals, als 1995 „Stuttgart 21“ geplant wurde und man viele Geleise in Tunnels verschwinden lassen wollte, da hat die Deutsche Bahn AG die Stadt Stuttgart offensichtlich nicht richtig informiert.  Der „Wissenschaftliche Dienst“ des Deutschen Bundestags hat geprüft, ob die Gleisanlagen mit der Genehmigung bei Inbetriebnahme des neuen Bahnhofs automatisch entwidmet, d.h. für andere Zwecke benutzt werden können.

Ergebnis: Nein: Der Käufer muss das Gelände dieser Geleise weiter zum Bahnverkehr so lange nutzen lassen, bis die Stilllegung und Entwidmung genehmigt sind. Diese können nur ausgesprochen werden, wenn kein anderer Nutzer bereit ist, die Anlagen zu übernehmen und wenn langfristig kein Verkehrsbedarf zu erwarten ist.

Julian Aicher: Aber es gab doch in den letzten Jahrzehnten viele Streckenstilllegungen?

Karl-Dieter Bodack: Richtig. Aber nicht mehr seit der Bahnreform 1994. Zumindest dort nicht, wo irgend ein Anbieter sagt: „Ich nutze die Geleise für Bahnverkehr.“

Dann muss ihm das gewährt werden. So steht’s im Gesetz. Und zwar aus gutem Grund. Stünde das so nicht im Gesetz, könnte die Deutsche Bahn AG zum Beispiel das Gelände des Münchner Hauptbahnhofs für Milliarden verkaufen und die Züge halt nur über Pasing und den Ostbahnhof fahren lassen.

Julian Aicher: Gut – das verhindert das Gesetz, sagen Sie. Aber in Stuttgart hat doch die Deutsche Bahn AG der Stadt Stuttgart rund 100 Hektar Gleisgelände verkauft?

Karl-Dieter Bodack: Richtig. Aber erstens steht nicht in den Verträgen, wann die Deutsche Bahn AG das Gelände der Stadt Stuttgart überlässt.

Und zweitens: Es hat sich bereits eine Gesellschaft gegründet, die die jetzt bestehenden Bahngleise in Stuttgart für Zugverkehr nutzen wollen. Folge: Die Gleise müssen bleiben.

Und jetzt kommt der Clou: Da die bestehenden Anlagen weniger Nutzungsentgelte kosten als die neuen, wird auch jede Zugfahrt in den bestehenden Kopfbahnhof weniger kosten als die Fahrten in den Tiefbahnhof.

Julian Aicher: Meinen Sie damit, Herr Bodack, das die Grundstücke also für ein neues Innenstadtviertel gar nicht zur Verfügung stehen werden?

Karl-Dieter Bodack: Zu einem großen Teil sicherlich nicht. Es sei denn, das neue Stadtviertel wird über die bestehenden Geleise gebaut, wie die Bahn-Büros über dem neuen Hauptbahnhof Berlin. Das könnte man bereits jetzt tun und die Bahnanlagen lassen wie sie sind!

Julian Aicher: Sie, Herr Professor Bodack, lassen also kein gutes Haar an „Stuttgart 21“. Was wäre denn Ihr Gegenvorschlag:

Karl-Dieter Bodack: Wie bereits gesagt: Die bereits genehmigte Neubaustrecke entlang der Autobahn vom Flughafen Stuttgart nach Wendlingen für 200 Millionen Euro ohne ein einzigen Tunnel und die Rohrer Kurve für 50 Millionen Euro, die halte ich für sinnvoll und notwendig.

Und dann kommt es darauf an, einen gut durchdachten Taktfahrplan zu entwickeln. Und zwar so einen wie in der Schweiz. In der Schweiz bekommen Sie zu jedem Zug an den Knotenbahnhöfen Anschluss.

In Stuttgart und der Ballungs-Region läuft das mit der S-Bahn schon ganz gut. Da bekommen sie tagsüber alle Viertelstunde an die wichtigsten Orte. Bei Ihnen, Herr Aicher, in Leutkirch, bekommen Sie in eine Richtung bestenfalls einmal je Stunde irgendwohin und müssen oft sogar auf Anschlüsse unnötig warten. Wenn Sie bequem, sicher und schnell mit der Bahn vorankommen wollen, kommt es auch darauf an,wie lange sie am Umsteige-Bahnhof auf den nächsten Anschlusszug warten. Und genau dieses Problem löst „Stuttgart 21“ nicht.

Julian Aicher: Haaalt, Herr Professor Bodack – Sie vergessen offenbar die Kosten, die das Land Baden-Württemberg unter anderem der Deutschen Bahn AG zurück erstatten muss, wenn „Stuttgart 21“ nun doch nicht gebaut werden würde. 1,5 Milliarden Euro.

Karl-Dieter Bodack: Ob es wirklich 1,5 Milliarden Euro sind, ist sehr umstritten. Da werden zum Teil Äpfel mit Birnen. Zumindest hat das Wirtschafts- und Verkehrsministeriums Baden-Württemberg berechnet, dass es statt 1,5 Milliarden nur 350 Millionen sind. Denn die wesentlichen Posten, die die Bahn da auflistet, haben mit „Stuttgart 21“ gar nichts zu tun oder sind gar keine Kosten, wie z.B. die Rückzahlung des Kaufpreises für die Grundstücke an die Stadt Stuttgart.

Und dann gilt doch ganz klar: Lieber 350 Millionen zahlen als mehrere Milliarden und Steuermittel ausgeben für ein Großprojekt, dessen Nutzen für den Bahnverkehr und die Bahnkunden negativ sein werden.

Julian Aicher: Verstehe ich Sie also richtig Herr Professor Bodack: Die Strecke Flughafen Stuttgart-Wendlingen und Rohrer Kurve für 250 Millionen. Dann Ertüchtigung der vorhandenen Strecke Stuttgart-Ulm für verkürzte Fahrzeit und mit Schallschutz für etwa 700 Millionen Euro. Zusammen mit anderen Verbesserungen, vor allem neue Glashallen über den Bahnsteigen des Kopfbahnhofs kommt man auf 1,4 Milliarden Euro. Dann muss man die Ausstiegskosten für Stuttgart21 dazurechnen: dann sind es 1,75 Milliarden statt voraussichtlich 11 für die jetzigen Pläne!

Also nicht mal ein Sechstel von dem, was die Deutsche Bahn jetzt mit „Stuttgart 21“ und Ulm-Stuttgart neu verbauen will?

Karl-Dieter Bodack: Genau so ist es: Dabei entstehen weit weniger Schäden für die Stadt und die Umwelt, die Leistungsfähigkeit wäre größer, die Anschlüsse besser… mit dem einzigen Nachteil einer etwas längeren Fahrzeit nach Ulm!

Julian Aicher:Herr Professor Bodack. Ihre Äußerungen machen doch sehr nachdenklich. Nur: Was sagt eigentlich die Deutsche Bahn AG dazu?

Karl-Dieter Bodack: Was ich Ihnen hier sage, habe ich Fachzeitschriften veröffentlicht und immer wieder vorgetragen – auch im Beisein kompetenter Vertreter der DB. Ich habe bisher keinen Widerspruch erfahren.

Julian Aicher: Herr Professor Bodack, Sie sind ja doch offenbar leidenschaftlich Eisenbahner. Was treibt Sie an, so massiv gegen ein Großprojekt auf zu treten, das von der Deutschen Bahn AG verwirklicht werden soll und an dem sie doch wohl auch gut verdient?

Karl-Dieter Bodack: Mir geht es um einen besseren Bahnverkehr aber gleichzeitig auch um unsere horrenden Staatsschulden. Je mehr sich der Staat – und hier vor allem das Land-Baden-Württemberg – in Großprojekte versteigt, die die Schulden erhöhen und dem Steuerzahler immense Folgekosten bescheren, rückt der Tag näher, an dem der Staat seine Ausgaben nicht mehr bezahlen kann. Und da ich weiß, wie  unsinnig „Stuttgart 21“ für den Steuerzahler und wie nachteilig es für die Bahnkunden wird, muss ich ihn warnen. Diese Verpflichtungen treiben mich an.

Mit „Stuttgart 21“ steuern wir auf eine Katastrophe zu – auch weil die Risiken der gigantischen Baumaßnahmen unübersehbar sind und die exorbitanten Kosten dazu beitragen, die Staatshaushalte zu ruinieren.

Julian Aicher: Herr Professor Bodack- danke für das Gespräch.

Quelle

Julian Aicher 2011rio’s 2011 Professor Dipl. Ing Karl-Dieter Bodack arbeitete rund 30 Jahre für die Deutsche Bahn. Dabei vor allem für den Vorstand. 1938 in Stuttgart geboren, erwarb Bodack sein Lokführer-Patent auf der Strecke Ulm-Stuttgart. Der ehemalige Student der „Hochschule für Gestaltung“ (HfG) Ulm entwickelte die Interregio-Züge mit. Bodack zählt zu den kundigsten Kritikern von „Stuttgart 21“. Julian Aicher, geboren 1958 in Ulm und seit 1972 im Allgäu aufgewachsen, befürwortete „Stuttgart 21“ noch Anfang 2010. Nachdem er mehrere Aufsätze von Bodack gelesen und mit dem Bahnexperten mehrfach gesprochen hat, stimmt Aicher „Stuttgart 21“ seit Jahresanfang 2011 nicht mehr zu.

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