Wie viel Klimaneutralität steckt in den Wahlprogrammen?
Stiftung Klimaneutralität: Mehr Transparenz in der Klimaschutz-Debatte | Parteien im Klima-Check von DIW Econ.
Alle Parteien mit Ausnahme der AfD bekennen sich in ihren Wahlprogrammen zum 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens und widmen lange Passagen der Klimapolitik. Die Unterschiede zwischen den Parteien sind deutlich – jedoch liefert kein Programm schlüssige Konzepte, um die im neuen Klimaschutzgesetz (KSG) gesetzten Ziele für das Jahr 2030 vollständig zu erreichen. Das ist das Ergebnis einer Studie, die die DIW Econ GmbH, eine Tochter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, im Auftrag der Stiftung Klimaneutralität durchgeführt hat.
Die vorliegende Studie analysiert die Parteiwahlprogramme zur Bundestagswahl 2021 dahingehend, ob die darin festgehaltenen klimapolitischen Maßnahmen und Vorschläge ausreichen, um die im neuen Klimaschutzgesetz (KSG) festgelegten Emissionsreduktionsziele von minus 65 % im Jahr 2030 im Vergleich zum Ausstoß von Treibhausgasen im Jahr 1990 zu erreichen. Die Analyse beschränkt sich dabei auf die Wahlprogramme der folgenden fünf Parteien: CDU/CSU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis90/Die Grünen.1
Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung werden die jeweiligen klimapolitischen Maßnahmen dabei in verschiedene Kategorien eingeteilt. Maßnahmen, die sich direkt auf einen Sektor beziehen, werden dem jeweiligen Sektor (Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft) zugeordnet.2 Andere Maßnahmen werden den sektorübergreifenden Kategorien „natürliche Senken“, „Internalisierung der externen Effekte von CO2-Emissionen“ (bspw. CO2-Preis, Zertifikatehandel) und „internationale Klimapolitik“ zugeordnet. Auf Grundlage der Maßnahmen je Kategorie wird anhand einer fünfstufigen, ordinalen Skala (0-4 Punkte) bewertet, ob die Maßnahmen ausreichend konkret formuliert sind, um das im KSG festgeschriebene Emissionsminderungsziel zu erreichen. Die Bewertung erfolgt über ein
mehrstufiges Verfahren auf der Grundlage wissenschaftlicher Literatur. Je näher die finale Bewertung der jeweiligen Kategorie an der Vier-Punkte-Marke liegt, desto wahrscheinlicher kann mit den Vorschlägen der Parteiprogramme das Ziel der Treibhausgasreduktion bis 2030 erreicht werden.
Kein Wahlprogramm enthält ein Konzept, das vollständig mit den Zielen des Klimaschutzgesetzes im Einklang steht
Abbildung 1 präsentiert die Bewertung der fünf untersuchten Parteien CDU/CSU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen für die unterschiedlichen Sektoren und sektorübergreifenden Kategorien in Form von Radargrafiken. Darauf ist ausgewiesen, wie viele der vier möglichen Punkte die Parteien in dem jeweiligen Gebiet erhalten haben. Ein erster Blick zeigt, dass keines der untersuchten Wahlprogramme ein Konzept beinhaltet, um die vereinbarten Emissionsziele des KSG ohne Abstriche zu erreichen. Außerdem lassen sich je Partei unterschiedliche Schwerpunkte identifizieren. Während die Grünen in den meisten Kategorien relativ viele Punkte erreichen, konzentrieren sich die Schwerpunkte der klimapolitischen Maßnahmen der anderen Parteien auf bestimmte Handlungsfelder. So haben CDU/CSU bspw. Stärken im Bereich Industrie und die SPD im Verkehrssektor. Andere Parteien haben relevante Themengebiete, wie Landwirtschaft oder Gebäude (FDP), vollkommen ausgeklammert.
Das Wahlprogramm der Grünen schneidet am besten ab, das Wahlprogramm der FDP am schlechtesten
Insgesamt erhält das Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen die höchste Punktzahl aller
bewerteten Programme. Es gelingt der Partei in allen Sektoren konkrete und weitestgehend geeignete Vorschläge zu präsentieren. Trotzdem reicht das Gesamtkonzept nicht aus, um die KSG Ziele bis 2030 zu erreichen. Die Linke landet auf dem zweiten Platz. Die Partei weist zwar gute Konzepte im Energie- und Verkehrssektor vor, allerdings vernachlässigt sie die Frage nach einer angemessenen CO2-Bepreisung sowie Maßnahmen im Industriesektor und auf interantionaler Ebene. Die Parteien der großen Koalition, CDU/CSU und SPD, liegen ungefähr gleichauf deutlich hinter der Linken. Ihre Vorschläge erkennen die klimapolitischen Herausforderungen zwar an, diese sind jedoch häufig weder konkret genug noch geeignet, um die großen Einsparziele in der verbleibenden knappen Zeit zu erreichen. Das Wahlprogramm der FDP erzielt den niedrigsten Wert. Zwar ist ihr Programm in Fragen der internationalen Klimapolitik sowie marktbasierten Maßnahmen, wie der CO2-Bepreisung, gut aufgestellt. In den einzelnen Sektoren vernachlässigen sie jedoch spezifische Vorschläge, die mit Blick auf die knappe verbleibende Zeit zum Erreichen der Klimaschutzziele notwendig sind, um die Treibhausgasminderungsziele zu erfüllen.
Fazit: Kein Wahlprogramm genügt den KSG Zielen, deutliche Unterschiede zwischen den Parteien
Mit der vorliegenden Studie wird ein Beitrag zur Plausibilitätsüberprüfung klimapolitischer Konzepte geleistet. Fundiert auf wissenschaftlicher Literatur kann gezeigt werden, dass kein Wahlprogramm genügt, um die gesetztlich verankerten Reduktionsziele bis 2030 vollständig zu erreichen. Hinsichtlich des Grads der Zielerreichung gibt es zwischen den Programmen der Parteien allerdings deutliche Unterschiede. Prof. Dr. Claudia Kemfert sagt dazu: „Klimaschutz ist das zentrale Thema der kommenden Regierung. Zur Erfüllung der Klimaziele sind umfassende Maßnahmen erforderlich, die derzeit kaum eine Partei ausreichend im Wahlprogramm addressiert. Das ist in Summe ungenügend. Die Parteien sind aufgefordert, statt Gespensterdebatten endlich die notwendigen Inhalte für erfolgreichen Klimaschutz zu liefern.“
- Die vollständige Studie des DIW Econ steht zum Download bereit unter www.stiftung-klima.de
- Studie: „Wie viel Klimaneutralität steckt in den Wahlprogrammen?“ – Eine Studie für die Stiftung Klimaneutralität (pdf)