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© Depositphotos.com | BiancoBlue | Auch Windkraftbetreiber sollen „Zufallsgewinne“ zurückgeben.

Windbürgergeld: Wir kaufen uns eure Akzeptanz

2019 war für die deutsche Windindustrie ein Jahr zum Vergessen. Aufwendige Genehmigungsverfahren und wachsende Widerstände durch Bürgerinitiativen brachten den Ausbau der Windenergie zwischenzeitlich fast vollständig zum Erliegen. Ein Gastkommentar von Marius Heyer

Die Prognose der Bundesregierung: Es mangele vor allem an Akzeptanz

Der Vorschlag eines „Windbürgergeldes“ durch die SPD soll Abhilfe schaffen – und ist symptomatisch für die Unvernunft sich verwehrender Bürger auf der einen und Hilflosigkeit der Politik auf der anderen Seite.

Deutschland stellt sich nach außen gerne als Vorreiter in Sachen Energiewende und Klimaschutz dar. Die einst als Nischentechnologie verhätschelte Windenergie war laut Fraunhofer Institut im ersten Halbjahr 2019 die stärkste Energiequelle – gefolgt von Braunkohle und Kernenergie. Anlagenbauer wie Senvion, Enercon oder Nordex entwickelten sich in den letzten Jahren zu neuen Aushängeschildern einer Hochtechnologienation.

Insgesamt wurden allein auf deutschem Festland über 29.000 Windenergieanlagen errichtet. Lag der Zubau 2017 noch bei 1.792 Anlagen, waren es 2018 knapp eintausend Anlagen weniger. 2019 folgte der Einbruch: In den ersten sechs Monaten wurden lediglich 86 neue Anlagen errichtet. Verglichen mit dem bereits schwachen Vorjahreszeitraum zeigte sich ein Rückgang um nicht weniger als 82 %. Mittlerweile hat Senvion Insolvenz angemeldet. Bei Enercon stehen derzeit knapp 3.000 Jobs auf dem Spiel und Nordex verzeichnete nach dem dritten Quartal einen Nettoverlust von 76,5 Millionen Euro.

Was sich aus Sicht der Branche oder der „Friday-for-Future“-Szene vernichtend anhört, freut das in der Klimadiskussion auftretende Pendant. Kritiker und Widerständler erneuerbarer Energien haben sich laut eigenen Angaben in über 1.000 Bürgerinitiativen organisiert, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Energiewende zu blockieren.

Dies widerspricht nicht nur jedweder Zielsetzung der Bundesregierung und bei Betrachtung wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Klimawandel auch jedweder Vernunft, sondern schadet nachhaltig auch einem der vielversprechendsten deutschen Industriezweige. Genau aus diesen Gründen kommt dieser Tage SPD-Fraktionsvize Miersch mit der Idee des Windbürgergeldes um die Ecke. Hiervon erhofft man sich, die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger kaufen zu können.

Auch wenn das Ziel, weniger Gegenwind aus der Bevölkerung zu bekommen, richtig ist, ist der Weg doch der falsche. Dabei mag es durchaus sein, dass monetäre Anreize verlockender sind als die von Wirtschaftsminister Altmaier vorgeschlagenen Abstandsregelungen. Allerdings wird der Widerstand weder proportional zu der Entfernung zum nächsten Windturm sinken, noch wird er es bei steigenden Windbürgergeldern tun.

Zudem setzt die Einführung solcher Gelder ein grundlegend falsches Zeichen: Widerstand scheint belohnt zu werden! Dieser Anschein darf nicht erweckt werden. Die Energiewende dient dem Allgemeinwohl. Sich nachhaltig von Energieträgern wie Kohle oder Uran zu verabschieden ist nicht weniger als vernünftig. Windenergie ist sicher, sie macht weniger abhängig von Ressourcen aus dem Ausland und sie ist – besonders auf lange Sicht – deutlich kosteneffizienter als fossile Energien. Um das zu erkennen, braucht es keine Bonuszahlungen. Die gab es bislang auch nicht für Anwohner anderer Kraftwerke.

Es mag durchaus sein, dass Windkraftanlagen zu hören sind und dass physikalische Phänomene wie Infraschall auftreten. Und ja – es trifft vor allem Bewohner ländlicher Regionen. Auch wenn der Strom möglicherweise größtenteils in die Stadt fließt. Steht ihnen deshalb ein Windbürgergeld zu? Nein. Ich als Städter bin auch Emissionen ausgesetzt, beispielsweise denen des Verkehrs. Ich besitze kein Auto, sondern fahre täglich mit dem Rad. Von der dreispurigen Kreuzung vor meiner Haustür habe ich dementsprechend herzlich wenig, von dem Verkehrslärm und den Abgasen dafür umso mehr. Meines Wissens – man belehre mich eines Besseren – steht mir dafür auch kein Bürgergeld zu.

Würde die Zustimmung für jedes Projekt, das dem Allgemeinwohl dient, erkauft werden müssen, wären die Kassen vermutlich schon vor Abschluss der Planungsphase leer. In Anbetracht der Tatsache, dass selten eine Transformation drängender war als die der heutigen Energieversorgung, stimmen einen die Unvernunft seitens mancher Windkraftgegner und die hilflosen Vermittlungsversuche der Politik noch trauriger.

„Hey, wir kaufen uns eure Akzeptanz“

Sollte es soweit kommen, dass der Anteil der Erneuerbaren Energien am deutschen Strommix aufgrund auslaufender Förderungen und dem damit verbundenen Rückbau von Windkraftanlagen sinkt, wäre dies ein Schlag ins Gesicht einer Branche, der auch in Zukunft eine Schlüsselrolle bei der klimaneutralen Energieversorgung zukommt. Es wäre ein Schlag ein Schlag für all die Klimaaktivisten, die seit über einem Jahr freitags auf den Straßen für eine bessere Klima- und Energiepolitik demonstrieren. Und es wäre ein weiterer Schlag für das Image Deutschlands als Vorreiter im Bereich der Energiewende und Umweltpolitik. Quasi nach dem Motto: „Hey, wir kaufen uns eure Akzeptanz.“

Man kann der Politik an dieser Stelle eine Teilschuld unterstellen. Man kann ihr Ratlosigkeit und Unentschlossenheit vorwerfen. Die Idee eines Windbürgergeldes bessert das Gesamtzeugnis der Regierungsparteien für die Klimapolitik der letzten Jahre in etwa so weit auf wie der von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier gemachte Vorschlag eines Mindestabstandes von 1.000 Metern für Windräder zu Wohnbebauungen oder der Einsatz von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet für das neue Steinkohlekraftwerk Datteln IV zu Zwecken des Klimaschutzes – nämlich gar nicht.

Den größeren Teil der Schuld trifft jedoch die Menschen, die sich in Bürgerinitiativen formieren und geeint unter Vereinsnamen wie Vernunftkraft mit scheinheiligen Argumenten wie Artenschutz, Walderhaltung oder Landschaftsverspargelung an die „besorgten Bürger dieses Landes“ appellieren und sich einem notwendigen und längst überfälligen Strukturwandel unserer Energieversorgung verwehren.

Ohne Frage ist Artenschutz wichtig, ebenso wie der Erhalt der Wälder. Daran besteht kein Zweifel. Zweifel am Appell der Initiativen kommen erst dann auf, wenn man ihnen wissenschaftliche Erkenntnisse gegenüberstellt. In der Wissenschaft gilt der Klimawandel als einer der Hauptfaktoren für das derzeit vonstattengehende sechste Massenaussterben. Der Temperaturanstieg gefährdet ganze Ökosysteme. Windkraftanlagen? Fehlanzeige.

Dies soll in keiner Weise das Risiko von Windkraftanlagen für verschiedene Vogel- und Fledermausarten infrage stellen. Abschaltregelungen und Umweltgutachten müssen die Gefährdung besonders von geschützten Arten so gering wie möglich halten. Fakt ist jedoch, dass diese Technologie bei der Stromerzeugung so umweltverträglich ist wie kaum eine zweite. Und wer in den weißen Türmen eine ernsthafte Gefahr für unsere Flora sieht, der werfe einen Blick nach Australien, wo derzeit durch die Erderwärmung verstärkt die schwersten Buschbrände seit Jahrzehnten wüten.

Wenn jemand unter dem Aspekt des Naturschutzes nun ernsthaft abwägt, ob die Windenergie, die Kohlekraft oder vielleicht doch die Atomenergie mit ihrem Jahrtausende lang strahlenden Müll (eine Entscheidung bei der Endlagersuche wird ja schon 2031 gefunden sein) die beste Option ist – nun, da kann es bei jedem Vernunftbegabten nur eine Antwort geben.

Der wahre Grund der Gegenwehr liegt vermutlich irgendwo zwischen Bequemlichkeit, sich mit der Veränderung in der eigenen Region auseinanderzusetzen, und der Ignoranz, dass der Klimawandel menschengemacht ist und uns längst – auch in Deutschland – eingeholt hat. Man kann von niemandem verlangen, dass er beim Anblick der weißen Spargelstangen am Horizont ins Schwärmen verfällt, auch nicht beim Zischen des Rotorblattes, wenn es an seinem Turm vorbeirauscht.

Aber man kann Akzeptanz verlangen, denn es ist ein verkraftbares Übel. Wer das nicht einsieht, sollte sich überlegen, ob ihm der Castor-Transport oder der Kohlebagger vor seiner Haustür lieber wäre. Vielleicht wäre damit die ganze „Not-in-my-Backyard“-Diskussion erledigt.

Ich als „besorgter Bürger“ möchte abschließend ebenfalls für etwas appellieren: Für mehr Verstand und mehr Weitsicht. Und gleichzeitig für mehr Rücksichtnahme auf kommende Generationen – nicht auf trumpistisch, postfaktisch argumentierende Klimaleugner. Und vielleicht auch für mehr Vernunft.

energy-charts.deFraunhofer ISE | Die Grafik zeigt die Nettostromerzeugung aus Kraftwerken zur öffentlichen Stromversorgung. Das ist der Strommix, der tatsächlich aus der Steckdose kommt. Die Erzeugung aus Kraftwerken von „Betrieben im verarbeitenden Gewerbe sowie im Bergbau und in der Gewinnung von Steinen und Erden“, d.h. die industrielle Erzeugung für den Eigenverbrauch, ist bei dieser Darstellung nicht berücksichtigt.
Quelle

Marius Heyer 2020 studiert an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg das Fach Umweltwissenschaften und schließe derzeit mit meiner Bachelorarbeit zum Thema „Strombezugs von Erneuerbaren Energien“ ab.

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