‹ Zurück zur Übersicht
Depositphotos.com | palinchak | Antonio Guterres

© Depositphotos.com | palinchak | Antonio Guterres

Zukunftspakt der Vereinten Nationen

Am 22. September 2024 hat die UN-Vollversammlung einen Reformplan geschlossen, um die internationale Staatengemeinschaft für die zukünftigen Aufgaben stark zu machen. Professor Udo E. Simonis hat die Rede des Generalsekretärs der Vereinten Nationen übersetzt.   

Antonio Guterres „Breakdown or Breakthrough? – Zusammenbruch oder Durchbruch?“

Willkommen zum Gipfel der Zukunft

„Ich habe zu diesem Gipfel aufgerufen, um tiefgreifende Reformen zu erwägen, welche die globalen Institutionen legitimer, gerechter und wirksamer machen, basierend auf den Werten der UN-Charta.

Ich habe zu diesem Gipfel aufgerufen, weil die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts Lösungen des 21. Jahrhunderts erfordern: Rahmenbedingungen, die vernetzt und inklusiv sind und die das Fachwissen der gesamten Menschheit nutzen.

Ich habe zu diesem Gipfel aufgerufen, weil unsere Welt aus den Fugen gerät – und wir harte Entscheidungen brauchen, um wieder auf Kurs zu kommen.

Was getan werden muss

Die Konflikte wüten und vervielfachen sich, vom Nahen Osten über die Ukraine bis zum Sudan, und ein Ende ist nicht in Sicht. Unser kollektives Sicherheitssystem wird durch geopolitische Spaltungen, nukleares Getue und Entwicklung neuer Waffen und Kriegsschauplätze bedroht. Ressourcen, die Chancen und Hoffnung bringen könnten, werden in Tod und Zerstörung investiert.

Enorme Ungleichheiten bremsen die nachhaltige Entwicklung. Viele Entwicklungsländer ertrinken in Schulden und sind nicht in der Lage, ihre Bevölkerung zu unterstützen. Die Klimakrise zerstört Leben, verwüstet Gemeinschaften und verheert Volkswirtschaften. Wir alle kennen hierzu im Grunde die Lösung – einen gerechten Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe – und dennoch steigen die Emissionen weiter an.

Kurz gesagt: Unsere multilateralen Instrumente und Institutionen sind nicht in der Lage, wirksam auf die heutigen politischen, wirtschaftlichen, ökologischen und technologischen Herausforderungen zu reagieren. Und die von morgen können noch schwieriger und gefährlicher sein.

Die Vergangenheit und die Zukunft

Als die Vereinten Nationen vor fast 80 Jahren gegründet wurden, hatten sie 51 Mitgliedstaaten; heute sind es 193. Die Weltwirtschaft betrug damals weniger als ein Zwölftel ihrer heutigen Größe. Infolgedessen spiegeln die Instrumente und Institutionen für Frieden und Sicherheit eine vergangene Ära wider. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist veraltet und seine Autorität schwindet. Wenn seine Zusammensetzung und seine Arbeitsmethoden nicht reformiert werden, wird er irgendwann jegliche Glaubwürdigkeit verlieren.

Die internationale Finanzarchitektur wurde gegründet, als viele der heutigen Entwicklungsländer noch unter Kolonialherrschaft standen. Sie spiegelt nicht die Realitäten der heutigen Weltwirtschaft wider und ist nicht mehr in der Lage, globale Herausforderungen zu lösen, wie Schulden, Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung. Sie bietet nicht das globale Sicherheitsnetz, das die Entwicklungsländer dringend brauchen.

Inzwischen haben Technologie, Geopolitik und Globalisierung die Machtverhältnisse verändert. Unsere Welt durchlebt eine Zeit der Turbulenzen und eine Phase der Transition. Wir können nicht auf perfekte Bedingungen warten, aber wir müssen jetzt die entscheidenden Schritte unternehmen, um die internationale Zusammenarbeit zu reformieren, damit sie vernetzter, gerechter und inklusiver wird. Und heute haben wir dank Ihrer Bemühungen Einiges dazu geschafft.

Drei wichtige Ansatzpunkte

Der „UN-Zukunftspakt“, der „Globale Digitalpakt“ und die „Erklärung über zukünftige Generationen“ eröffnen neue Möglichkeiten und Chancen. In Bezug auf Frieden und Sicherheit versprechen sie einen Durchbruch bei Reformen, um den Sicherheitsrat besser an die heutige Welt anzupassen und die historische Unterrepräsentation Afrikas, des asiatisch-pazifischen Raums und Lateinamerikas anzugehen. Sie legen den Grundstein für eine flexiblere Kommission für Friedenskonsolidierung und für eine Überprüfung der Friedenseinsätze, um sie den Bedingungen anzupassen, denen sie ausgesetzt sind.

Sie stellen die erste vereinbarte multilaterale Unterstützung für nukleare Abrüstung seit mehr als einem Jahrzehnt dar. Sie erkennen die sich verändernde Art von Konflikten und verpflichten sich zu Schritten, um ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern und den Einsatz tödlicher autonomer Waffen zu vermeiden. Sie umfassen Maßnahmen für eine sofortige und koordinierte Reaktion auf komplexe globale Schocks.

In Bezug auf eine nachhaltige Entwicklung stellen diese Abkommen einen großen Fortschritt auf dem Weg zu grundlegenden Reformen dar. Sie können dazu beitragen, die Institutionen der internationalen Finanzarchitektur repräsentativer für die heutige Welt zu machen, sie in die Lage versetzen, stärker auf die Herausforderungen zu reagieren und ein wirksames globales Sicherheitsnetz für Entwicklungsländer zu schaffen – in einer Zeit, in der viele von ihnen in Schulden ersticken und nicht in der Lage sind, ihre Bevölkerung zu ernähren und Fortschritte bei den nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) zu erzielen.

Der „Zukunftspakt“ soll die SDGs und das Pariser Klima-Abkommen beschleunigen, einen raschen und gerechten Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen schaffen und eine friedliche und lebenswerte Zukunft für alle Menschen auf dem Planeten sichern. Er beinhaltet eine strikte Verpflichtung der Regierungen, jungen Menschen zuzuhören und sie in Entscheidungsprozesse auf nationaler und globaler Ebene einzubeziehen. Und er verpflichtet zu stärkeren Partnerschaften mit der Zivilgesellschaft, dem privaten Sektor, lokalen und regionalen Behörden – und mehr.

Der „Global Digital Compact“ basiert auf dem Grundsatz, dass Technologie allen zugutekommen sollte. Er beinhaltet das erste wirklich universelle Abkommen zur internationalen Governance der „künstlichen Intelligenz“ (KI). Er verpflichtet die Regierungen, ein unabhängiges internationales wissenschaftliches Gremium für KI einzurichten.

Die „Erklärung über zukünftige Generationen“ spiegelt den Aufruf der Charta der Vereinten Nationen wider, künftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren, und verpflichtet die Regierungen zum ersten Mal, die Interessen unserer Nachkommen bei den Entscheidungen, die wir heute treffen, zu berücksichtigen.

Die Achtung der Menschenrechte, der kulturellen Vielfalt und der Gleichstellung der Geschlechter ist in alle drei Abkommen eingeflochten. Angesichts des Anstiegs der Frauenfeindlichkeit und der Einschränkung der reproduktiven Rechte von Frauen haben sich die Regierungen ausdrücklich dazu verpflichtet, die rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Hindernisse zu beseitigen, die Frauen und Mädchen daran hindern, ihr Potenzial in allen Bereichen von Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft und Politik auszuschöpfen.

Was möglich werden sollte

Ich begrüße diese drei wegweisenden Abkommen, die wir heute beschließen – ein Schritt hin zu einem wirksameren, inklusiveren und vernetzten Multilateralismus. Wir haben die Tür aufgeschlossen. Jetzt ist es unsere gemeinsame Verantwortung, hindurchzugehen. Das erfordert nicht nur Zustimmung, sondern auch viele Taten. Ich fordere Sie auf, diese Taten zu ergreifen: Den „Zukunftspakt“ umsetzen, indem wir Dialoge und Verhandlungen priorisieren, die Kriege beenden, die unsere Welt zerreißen und die Zusammensetzung und die Arbeitsmethoden des Sicherheitsrats zu reformieren; Reformen des internationalen Finanzsystems zu beschleunigen; die Interessen der Menschheit in den Mittelpunkt neuer Technologien stellen. Um das Vertrauen wiederherzustellen, müssen wir aber in der Gegenwart beginnen und in die Zukunft blicken.

Die Menschen überall hoffen auf eine Zukunft in Frieden, Würde und Wohlstand. Sie rufen nach globalem Handeln, um die Klimakrise zu lösen, Ungleichheiten zu bekämpfen und neue bzw. aufkommende Risiken anzugehen. Und sie sehen die Vereinten Nationen als unverzichtbar für die Lösung dieser Herausforderungen. All dies wurde während der letzten beiden inspirierenden Aktionstage bestätigt. Der Zukunftsgipfel von 2024 gibt die Richtung für eine internationale Zusammenarbeit vor, die ihren Erwartungen gerecht wird.

Ich gratuliere allen Mitgliedstaaten zu ihrem Beitrag, während wir gemeinsam diese ersten wichtigen Schritte unternehmen. Nun machen wir uns an die Arbeit.“


Quelle

Antonio Guterres, geb. 1949, war von 1992 bis 2002 Generalsekretär des Partito Socialista (PS), der Sozialistischen Partei Portugals; von 1995 bis 2002 war er Premierminister von Portugal und von 1999 bis 2005 Präsident der Sozialistischen Internationale. Von 2005 bis 2015 war er Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen. Seit 2017 ist er Generalsekretär der Vereinten Nationen.

Dr. Dr. h.c. Udo E. Simonis 2024 ist Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB)  | Professor Udo E. Simonis hat die Rede des Generalsekretärs der Vereinten Nationen übersetzt.

Diese Meldung teilen

‹ Zurück zur Übersicht

Das könnte Sie auch interessieren