‹ Zurück zur Übersicht

Als Krisenhelfer an den Brennpunkten der Welt

Weil es um die Menschen geht. Ein UNO-Feld-Manager berichtet aus 22 Jahren. Von den Brennpunkten der zeitgeschichtlichen Welt. Von Rupert Neudeck

Das ist ein überraschendes Buch: Ein wirklicher Chef eines UNO-Programms hat in ganz großen spannenden Kapiteln sein 22jähriges Leben mit der Weltorganisation geschildert, er war auf fast allen prominenten Katastrophenplätzen, hat sich nach eigenem Bekunden gut geschlagen und gibt am Ende für alle, die es hören wollen und auch, die es nicht wahrnehmen möchten, Ratschläge über die einzige Form der Hilfe, die ihm nach seiner Erfahrung möglich ist. Allerdings ist er nach der Pensionierung bei der UNO Gründer einer eigenen Beraterorganisation „Innovation and Planning Agency“, so dass man nicht weiß, wie interesselos diese Ratschläge in einem ganz langen Kapitel am Ende sind. Dass der Titel blöd ist, dafür kann der Autor ja nichts: „Weil es um Menschen geht“.

Überraschenderweise ist es dann auch noch eine Biographie, gemischt mit sehr viel privaten Einsprengseln: Das Leben als Krisenhelfer, so Kilian Kleinschmidt, hält jemand mit Familie nicht aus. Er hat daraus das Beste gemacht, hat nach Jahren des Auseinanderlebens immer wieder die alte Frau und meist auch eigene Kinder ab- und weggegeben, man hat sich getrennt, und im übernächsten kommt die neue Frau. Er schimpft darüber, aber das ist natürlich eine Entscheidung. Er – der Autor liebte das Leben im Abenteuer und hatte sich dafür entschieden. Trotzdem bleibt ein Hauch des Vorwurfs gegenüber seinem Arbeitgeber, dass man ihn so verschlissen hat, dass er jetzt mit seiner 4. oder 5. Frau in Wien eintreffen kann, wo, wie der Klappentext uns sagt, er jetzt seinen Rückzug organisiert hat.

Kleinschmidt gehört auch noch zu der aussterbenden Spezies von internationalen Managern, die nicht  so stark von des Gedankens Blässe und der eigenen Sicherheitsvorstellung abgehalten werden, das nächste Abenteuer zu beginnen. Er schildert ein Schlüsselerlebnis, wahrscheinlich deshalb, weil das ihm später als UNO-Mitarbeiter mit dem Sicherheitshypertrophen System eigentlich nicht mehr hätte passieren dürfen, selbst in den gefährlichsten Situationen ist ‚man‘ ja durch Sicherheitsdienste geschützt. Bis 1988 hat Kilian Kleinschmidt ein wildes Leben geführt, das ausdrücklich ohne akademische Diplome, ohne akademische Sicherheiten ablaufen und ihn mit einer Suzuki durch Afrika bringen sollte. Er verdingte sich dann als Stuntman für Claude Charliez, der grauen Eminenz aller Stuntmen in Frankreich, später noch bewarb er sich als Statist bei einer Filmproduktion in der alten Festung Carcassone. Er hatte sich aber bei einigen Hilfsorganisationen beworben, u.a. bei Action contra la Faim, der „Aktion gegen den Hunger“.

Er wurde auch ohne akademischen Abschluss als Projektmanager für Uganda genommen, für ein Ausbildungscamp in Masulita im Luwero Triangel. Nach zwei Jahren wurde er gefeuert, hatte vorher aber Martine geheiratet und mit ihr Annalou als Baby bekommen, neun Monate nach der Hochzeit am 14. Juli 1989. Bis heute gehen Entwicklungshelfer vor der Geburt eines Kindes im Vertrauen auf die besseren medizinischen Dienste in der Regel zurück nach Europa. Nicht so der sture Kleinschmidt, der seine Martine in das Nsambya Krankenhaus brachte für den Kaiserschnitt, aber man fand den Schlüssel zum OP-Saal nicht. Es ist dann doch noch gut gegangen und der Kaiserschnitt wurde gemacht. In Rubaga einem Stadtteil von Kampala, hatten sie ein Schlüsselerlebnis. Sie wurden von einer Bande in der Nacht am 11. Juli 1991 überfallen, die bei ihnen 30.000 US-Dollar vermuten, er hat aber nur 20 US Dollar im Haus.

Dann geht es durch alle Grösstkatastrophen der Zeitgeschichte. Er wird Food Manager bei der Operation Lifeline Sudan. Er kennt die Akteure, die das oft in ihre eigenen Tasche wirtschaften, wie John Garang, den Chef der SPLA und seinen Rivalen Riek Machar, der bis heute als Vertreter des Stammes der Nuer dem amtierenden Präsidenten des neuen Süd-Sudan Probleme macht. Die Schreckensbilder sind echt, er beschreibt den Horror der Hungersnot im Süd Sudan auf Grund der Dürre: „Überall nur Leichen und Kadaver, von Menschen und Kühen. Ein entsetzlicher Gestank kroch durchs Wagenfenster, noch Monate später lag der Verwesungsgeruch über diesem Gebiet“. Das ist etwas, woran ich immer bestimmen konnte, weshalb selbst best gefilmte Horrorszenen aus dem Bürgerkrieg im Sudan oder dem Völkermord in Ruanda nicht die Realität trafen: diesen einzigartigen Gestank kann man nicht senden. Kleinschmidt versuchte als „hartgesottener Kerl aufzutreten, den nichts zu schrecken schien. Aber nicht nur ich hatte diesen Adrenalin Kick, der einen unbesiegbar fühlen lässt. Alle retteten sich in schwarzen Humor“.

Das wirkt sehr glaubwürdig, dass man, wenn man als UNO-Manager dauernd von der nobelsten Welt wieder zurück und wieder hin fliegen muss, gibt es dieses Flashbacks. So im Hauptquartier der Weltbank, dem Riesengebäude an der Pensylvania Avenue in Washington, dort kommt er später an, um über Wohnungsbauprogramme für Südosteuropa zu reden. Da gibt es in der Mitte der Halle eine Bronzeskulptur, die ein Kind zeigt, das einen blinden Mann mit einem Stock führt. Das erinnerte ihn an das Erlebnis auf der Piste im Sudan. Ein kleiner Junge, der im Tod einen Stock festhielt, wie  auch die Hand eines Mannes den Stock umklammerte. Sie waren gleichzeitig erschossen worden. Der Junge höchstens fünf. „Heulen hätte ich wollen, er war aber wie versteinert.“

Es gibt sehr wichtige politische Einschätzungen in dem Buch. Immer da, wo der Autor auf double standards hinweist: Z.B. bei der unterschiedlichen Behandlung zwischen dem sog. Islamistischen Regime Numeiri in Khartoum und der befreundeten Oligarchen Monarchie in Saudi Arabien: „Der eine wird bekriegt, der andere dagegen hofiert. Der eine verletzte Menschenrechte und wird international angeklagt, und der andere darf sie ungehindert weiterverletzen und bekommt Staatsempfänge und den roten Teppich“. Es gibt wenig Kritik an dem UNO-System, dem Kleinschmidt auf Gedeih und Verderb verbunden ist, auch gewiss dort zu der Menschenrasse gehört, die weltweit eine Einheit bildet und über keine nationalen und sonstigen Beziehungen mehr verfügt. Man hat seine Heimat, die UNO, die für einen sorgt. Ich lernte einen hochrangigen Mitarbeiter kennen, der nach Deutschland kam, um über unbegleitete Einzelkinder in Konflikten zu sprechen, das Amt hatte er von Kofi Annan bekommen. Aber er trat auf für den Senegal. Ich sagte ihm, dass er doch geborener Ugander sei. Das sei jetzt egal, das wisse nur ich, sagte er mir beruhigend.

Für Menschen weniger aus Deutschland, aber aus Staaten, die noch keine sind (Palästina) und die keine mehr sind (Somalia, Westsahara) sind die Mitarbeiter die einzigen, die ihr Schäfchen ins Trockene gebracht haben. Ein Schicksalsland war für ihn Somalia, dann, als es das nicht mehr gab, Mogadischu. Der Autor beschreibt, wie diese fröhliche Weltorganisation Milliarden US-Dollar ausgibt, um einen Zustand zu camouflieren, den es auf der Welt nicht geben darf: dass ein Land seinen Staat und damit seinen Sitz in der UNO-Generalversammlung verliert. Dafür wird eine Ersatzregierung vorgehalten, die mehr in Nairobi in Luxuswohnungen residiert und sich einen Scheißdreck um Somalis kümmert. Die UNO-Helfer sitzen auch im Trockenen, für sie wird etwas mehr als übliche Sicherheit eingeführt, die natürlich, wie überall auf der Welt, nicht versichern kann, dass es einen Verrückten im Compound gibt, der ein Selbstmordattentat macht. Kleinschmidt lernt die Somali Gangster kennen, auch den General Morgan, den man auch den „Schlächter von Hargeysa“  nannte. Für Männer wie General Morgan durfte man nicht nett sein. Er ließ am Hafen die Autos der Hilfsorganisationen klauen. Das totale Scheitern dieses aufwendigen Versuchs hat Kleinschmidt nicht zugeben wollen, dafür war er in Mogadischu viel zu bedeutend.

Aber man erfährt, dass die Sicherheit dort nur mit ex-Buren, Soldaten der exApartheid Armee aufrechterhalten werden konnte, und nur für die wenigen Hansels aus Europa. Er wird nach Sarajevo geschickt und darf das Scheitern des UNO-Systems dort auch nicht erklären. Er hat aber noch eine Idee, die beim ersten Zusehen faszinierend aussieht. In den beiden größten Flüchtlingscamps der Welt, dem ersten für Somalis in Dabaab in Kenya und in dem Camp Zataari in Jordanien kommt er auf die Idee, diese Camps an Firmen und Konzerne zu verscherbeln, in dem er aus ihnen große Städte macht mit einer vergleichsweise besseren Infrastruktur als in den Slums von Nairobi und Rio de Janeiro. Aber das lässt natürlich alles außer acht, was außerhalb des Wirtschaftlichen Überlebens eine große Rolle spielt: Die Heimat, die eigene Scholle, der Besitz an Land und Vieh, die Rückkehr zu den Quellen des Lebens, er will im Grunde das verlängern, was immer schon ein Unsinn der Maßnahmen des UNHCR war: man hatte die Menschen viel zu lange in unglaublich adretten Lagern untergebracht. Manchmal müssen sich die Menschen daraus befreien, und gehen aus eigener Kraft zurück.

Es kann aber einen guten Effekt haben, wenn man den Menschen nicht alles macht und gibt, sondern sie in der neuen Stadt arbeiten lässt.

Am eindringlichsten stellt Kleinschmidt das Scheitern dieses Systems am Beispiel Mogadischu dar. Dort wird eine untergründige Struktur aufgebaut, die mit einem Leben außerhalb nichts mehr zu tun hat, „Eigentlich wird militärische und humanitäre Hilfe strikt getrennt, das nahm man hier aber nicht so genau“, das muss man aber genau nehmen. In Mogadischu wird ein künstlicher Zustand aufrechterhalten, der durch das Hineinfliegen nach Mogadischu und das Herausfliegen am Abend gewährleistet wird. Das System der UNO ist falsch, das sind fast alles vornehme Pinkel, der Kleinschmidt ist wahrscheinlich eine gute Ausnahme, davon gibt es auch einige, die ich kennengelernt habe. Als er im Februar 2011 mit Mark Browden nach Mogadischu flog, wurde Browden nicht von den Chefs der anderen UN-Organisationen anerkannt. Sie arbeiteten meistens gegen ihn, unterwanderten seine Bemühungen und wollten ihre Unabhängigkeit. Sehr spannend, wie Kleinschmidt Scheinprojekte aufdeckt, die von Nairobi aus mit großen Geldern betrieben werden.

Er entdeckt ein Lager, in das massive Mittel hineingehen, das aber ein reines Potemkinsches Dorf ist. Er besuchte die 20 Suppenküchen, die von der UNO unterstützt wurden. Dort sollten jeden Tag Mahlzeiten für 6000 Menschen gekocht werden, doch jedes Mal wenn er dort war, sah er nur ein paar hundert. Es wurden Gelder für die Renovierung eines Krankenhauses lockergemacht, aber es wurde nicht mal ein Farbtopf gekauft. Die Beobachtungen mündeten in ein vernichtendes Fazit: „Innerhalb von zehn Jahren waren vor Ort insgesamt rund 13 Milliarden US-Dollar an Nothilfe geleistet worden. In dunkle Kanäle sickerten bis zu 80 Prozent der humanitären Hilfe, die nach Somalia geflossen war. Es war ein einziges Luftschloss“. Es wurden dann schöne Berichte in Nairobi herumgereicht. Wenig hatte man erreicht. Wenn man wie Kleinschmidt vor Ort war, angesichts der gewaltigen Summen erst recht nichts.

Eines der bewegendsten Kapitel beschreibt die Lage der völlig verschreckten Ruanda Flüchtlinge, die von Ruandischen und Ugandischen Soldaten ermordet werden sollten. In den Wäldern um Biaro an der Eisenbahnstrecke entlang, alles noch im Reich des Diktators Mobutu, dem damals noch so genannten Zaire.  Da habe ich selbst auch die Arbeit von Kleinschmidt als sehr wichtig erlebt. Ich habe beim Lesen des Buches natürlich auch gedacht, dass es ein Jammer ist, dass wir noch keine internationale Menschheitsorganisation haben, die mehr Macht und selbstverständliche Autorität hat. Es ist gut, dass der Manager Kleinschmidt nicht verbirgt, dass er auch gern mal ein Held geworden wäre. Das war er ja zu Zeiten, aber nicht so im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit, wie er das wohl gewünscht hat. Wenn er die Fahrt damals nach dem Ruanda Völkermord den Kongo herunter auf einem kolonialen Flusskahn beschreibt, kann man die Abenteuer-Gefühle erahnen, die in ihm stecken: „Humphrey Bogart hätte seinen Spaß gehabt“.

Nicht wirklich erfolgreich, sondern nur durch die eigene Anwesenheit charakterisiert, die den Eingeschlossenen von Sarajevo nichts gegeben hat, war der Posten Sarajevo gewiss ein Scheitern, denn er hat den Menschen nichts gebracht, er hat Blauhelmsoldaten dorthin geflogen, die ausdrücklich nichts tun sollten, die aber ganz große Geldmengen gebracht haben.

Das Programm Flüchtlingslager als infrastrukturelle Stadt mit Wirtschaftsbetrieben  halte ich für interessant, aber nur wenn es eine staatliche Ansiedlung bedeutet, ist es ein realistischer Plan. Der Staat Jordanien muss die Ansiedlung, re-settlement von Syrern wollen, der Staat Kenya die Ansiedlung von einer halben Million Somalis. Es spricht einiges für sich, was Kleinschmidt aus seinen Erfahrungen schlussfolgert:  Die Menschen dort in Zataari, die die Möglichkeiten einer Stadt erfahren haben, „werden sich nie mehr in einem Dorf wohlfühlen. Sie werden die kleinen Cafes auf immer vermissen, die sich auf der sog. ‚Champs Elysees‘ etabliert haben. Die sozialen Strukturen, die sich durch ein urbanes Leben entwickeln, verändern die Menschen für immer.“

Kilian Kleinschmidt „Weil es um die Menschen geht – Als Krisenhelfer an den Brennpunkten der Welt“ – online bestellen!

Econ Verlag 2015
Quelle

Rupert Neudeck 2015 | Grünhelme 2015

Diese Meldung teilen

‹ Zurück zur Übersicht

Das könnte Sie auch interessieren