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Codename Caesar: Im Herzen der syrischen Todesmaschinerie

Der Horror – Fotos aus den Folterkellern des Regimes in Syrien. Von Rupert Neudeck

Wenn man dieses Buch über die syrischen Folterkeller in Damaskus gelesen hat, wird man an aller Politik, auch an der Realpolitik, die die Welt nach 1945 über die UNO und Ihre Organe eingerichtet hat, verzweifeln. Man kann diese Politik nur noch hassen.

Diese Akte Caesar ist ein Abbild des syrischen Konflikts, Caesar hat als bestallter und bezahlter Luftwaffenoffizier die Aufgabe übernommen, in den Folterkellern des Regimes, in denen es weiter 150.000 Gefangenen geben soll, Leichen zu fotografieren.  Er hat sich dann in einem bestimmten Moment entschlossen, dieses Foto-Handwerk sein zu lassen und auch ins Ausland zu gehen. Vorher hat er in einer langen Zeit täglich sein Leben riskiert, denn er hat von den Fotos Kopien anlegen lassen. Irgendwann wurde ihm klar, was für einen verbrecherischen Job er hier ausübt und war der Überzeugung, dass er das an die große Öffentlichkeit bringen sollte.

Es gelingt ihm irgendwie die Flucht, auch das ist dramatisch zu lesen, zunächst muss er sich aber vor den Schergen Assads und seinen vier Geheimdiensten schützen und untertauchen. Erst zwei Jahre später gelingt es der Journalistin Garance le Caisne, das alles aufzuzeichnen. Der Verlag hat klugerweise darauf verzichtet, einige von den 26.448 Aufnahmen in das Buch hineinzugeben. Das sind so schreckliche Bilder, so grauerregend  und von solcher Wucht, dass man von ihrem Anblick überwältigt sein kann und die Zeugenaussagen gar nicht mehr hören will, die die Autorin noch gesammelt hat, weil sie meinte, es würde der Geschichte der Akte Caesar noch weiterhelfen durch solche Interviews mit einigen von denen, die ebenfalls fotografiert wurden, aber dann später auch aus Syrien geflohen sind. Der französische Außenminister hat sich ganz besonders ins Zeug gelegt, die Geschichte der Bilder ganz wirkungsvoll im Second Empire Speisesaal des französischen Außenministeriums zu zeigen.

Das geschieht am 12. Januar 2014. Laurent Fabius hat seinen Kollegen, den US-Außenminister John Kerry zu Besuch. Die Kronleuchter werden ausgeschaltet, zu der von Itzhak Perlman für Schindlers Liste komponierten Musik sieht man eine Abfolge nackter Leichen, nur mit einem Slip bekleidet oder auch in Lumpen. Auf die Knochen abgemagert, auch verstümmelt. Einigen hat man die Augen ausgerissen. Andere sind von chemischen Substanzen entstellt. Dann gibt es Leichen, die schon in Plastiksäcken aufgestapelt sind. Sorgfältig erfasst das Objektiv die Nummer, die jeder Leichnam trägt, mit Filzstift auf die Stirn geschrieben oder auf die Haut. Aus dem Off bekommen die Außenminister einen vollen Schock. „Akte systematischen Nahrungsentzugs und brutaler Folter sind selten auf diese Weise dokumentiert worden. Vom Tod gleich nach der Festnahme bis zur physischen Liquidierung von Gefangenen in den Gefängnissen oder Militärkrankenhäusern archiviert das Regime die Todesfälle mit Fotos, die von der Kriminalabteilung der Militärpolizei gemacht werden.“ Die Ansage schließt: Ist dieses ein neuer Holocaust? All das dauere an.

Die Minister verlassen wortlos den Saal, Kerry ist bleich. Das anschließende Mittagessen wird kaum angerührt. Fabius weiß noch nicht, dass die Wahrheit über diese Dokumente längst installiert und ganz klar ist. Das Buch ist dafür ein schriftlicher Beweis.

Im Innern Syriens riskieren weiter die Aktivisten ihr Leben, um weiterhin Informationen zu beschaffen. Im Ausland bewegen sich die Aktivisten in Diplomatenkreisen und organisieren eine Zusammenkunft nach der anderen, um Beschlüsse zu fassen, die den Konflikt beenden sollen.

Das Buch hat seinen Höhepunkt in der abgrundtief enttäuschenden Erkenntnis: Im April 2014 organisiert der französische Botschafter bei den UN eine Besprechung der Mitglieder des Sicherheitsrates nach der ARRIA Formel, die es den 15 Mitgliedern des Rats erlaubt, zu informellen Sitzungen zusammenzukommen. An diesem 15. April sind sämtliche Vertreter des Rates anwesend, Russland eingeschlossen. Botschafter Gerard Araud zeigt die Aufnahmen von Caesar, um das Terrain für die Abstimmung über eine Resolution vorzubereiten, in der es um die Anrufung des IStGH geht, des Internationalen Strafgerichtshofes. Um die Russen für eine solche Resolution zu gewinnen, bezieht Frankreich sämtliche Konfliktparteien ein, das Regime, die Kämpfer der Opposition, die Dschihadisten. „Nach dieser Entscheidung“, sagte Francois Arnaud, „werden Sie sich beim Blick in den Spiegel fragen müssen: Was habe ich damals getan?“

Es gibt die Vorführung von 30 der Fotos von Caesar (Codename), darauf folgen lange Minuten Stille. „Die anwesenden Vertreter des Sicherheitsrates haben eingeräumt, dass es nie eine derart erschütternde Sitzung im Sicherheitsrat gegeben hat. Selbst der russische Delegierte war bestürzt“. Frankreich erhöht den Druck, der französische Außenminister erwähnt am selben Tag die chemischen Waffen, die Fassbomben, die Angriffe auf die Zivilisten. „Gefangene werden zu Zehntausenden gefoltert. Das internationale Recht wertet solche Gräueltaten als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Frankreich ist nicht allein mit der Forderung, der IStGH müsse tätig werden. Es kommt zu der Sitzung des Sicherheitsrates am 22. Juni 2014. 13 von 15 Ländern stimmen mit erhobener Hand dafür. Russland und China legen ein Veto ein. Russland muss den französischen Text einen „P R Coup“ nennen. China ist wie immer vom Prinzip seiner Nichteinmischung überzeugt. Das ist die UNO Sackgasse, das ist die Sackgasse der Realpolitik.

Die Autorin vergleicht die Lage zu Recht mit der vor 71 Jahren, als Jan Karski, der Pole, die Beweise für den Holocaust sammelte. Es gelingt Karski – der am 28. Juli 1943 in Washington ankommt, sowohl in London wie in Washington höchstrangig empfangen zu werden. „Das Treffen mit Franklin D. Roosevelt wird über eine Stunde dauern.“ Genau das wird dem Caesar als dem Abgesandten der Syrer nicht gelingen. Heute muss man sich überlegeben, was man aus der UNO macht, die so wenig von Jan Karski gelernt hat. Bassma Kosmani, einer der Rechts-Aktivisten der syrischen Sache, sagt: Wenn diese Ausstellung der Fotos „keine rechtlichen Konsequenzen hat, ist das, als würde man die Syrer aus dem internationalen Rechtssystem ausschließen.“ Und weiter: „Als stünden sie außerhalb des Rechts, indem man ihnen sagt: Ihr habt kein Recht. Assad hat es Euch entzogen. Ihr könnt nicht vor Gericht ziehen, für Euch gibt es keine Rechtfertigung, keine Wiederherstellung des Rechtszustandes“.  

Um einen Eindruck zu bekommen von der Penibilität der Fotografier-Dienste des Luftwaffengeheimdienstes. Wenn die Leichen im Krankenhaus eintrafen, trugen sie zwei Nummern. Diese waren mit Filzstift auf die Haut, die Stirn oder den Oberkörper geschriebene. Die erste Nummer war die des Gefangenen selbst, die zweite die der Geheimdienstabteilung, in der er inhaftiert gewesen war. Der Rechts(!)Mediziner, der früher morgens eintraf, wies der Leiche die dritte zu für seinen ärztlichen Bericht. Der Autor der Akte Caesar erklärt: Nie zuvor habe er so etwas gesehen. Vor der Revolution folterten die Mitglieder des Regimes, um an Informationen zu kommen. Heute folterten sie, um sie zu töten. Einmal sei der Abdruck einer Heizplatte zu erkennen, wie man sie benutzt um Tee zu erhitzen Man hatte einem Gefangenen Gesicht und Haare damit verbrannt. Manche hatten tiefe Schnitte, herausgerissene Augen, eingeschlagene Zähne, Spuren von Schlägen mit Starterkabeln. Es gab Wunden, die voller Eiter waren, als hätten sie sich infiziert, weil man sie lange nicht versorgt hatte. Manchmal waren die Leichen mit Blut bedeckt, das noch kaum geronnen war.

Der Autor, der über die Autorin auch immer in Ichform spricht. Er erklärt, dass er das nicht aushielt. Er musste Pausen machen, um nicht in Tränen auszubrechen. Er sagt von sich selbst: Ich hatte mich verändert. Er regte sich plötzlich zu Hause schnell auf, über seine Eltern, seine Brüder, seine Schwestern. Tatsächlich lebt er in Angst und Schrecken. Was er tagsüber gesehen hatte, ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. „Ich sah meine Brüder und Schwestern und stellte mir vor, sie würden zu einer dieser Leichen. Das machte ihn krank“.

Ich habe nie richtig herausbekommen, wie viele Geheimdienste es in Syrien gibt. Es wurde die Zahl 15 ventiliert. Aber Caesar hat eine klare Vierer-Aufteilung: Die Mukhhabarat, die Geheimdienste sind in vier Sektionen aufgeteilt. Die Militärische Sicherheit, die Allgemeine Sicherheit, die Politische Sicherheit (die dem Innenministerium untersteht) und die Luftwaffensicherheit (die von Hafiz al Assad geschaffen wurde). Diese Dienste sind unterteilt in zentrale Abteilungen in Damaskus, regionale Abteilungen in den Provinzen und lokale in den Städten des ganzen Landes. Jede dieser Abteilungen unterhält eine der mehreren Hafteinrichtungen verschiedener Größe.

Zwischendurch gibt der Autor klare lapidare Auskünfte über das System, dem er entflohen ist. Die Fotos auf dem Rechner anzusehen war fast noch schmerzhafter als die Leichen zu fotografieren. Sie wurden von Beamten der Sicherheitsdienste beobachtet, die ihre Reaktionen festhielten. Und dann der Satz: „In Syrien überwacht ohnehin jeder jeden“.

Caesar gelangt nicht bis zu den höchsten Spitzen der Gesellschaft, auch ein Zeichen wie wenig ernst wir die Krise genommen haben in Syrien. Der Kompagnon von Caesar Imad as Dinh al- Rashid wird im Gespräch mit Joe Biden sehr ungehalten: „Statt Geld für Nahrung auszugegeben, sollten Sie besser etwas beschaffen, das diese Flugzeuge daran hindern, die Syrer umzubringen.“ Und er fügt hinzu, dass den Syrern immer deutlicher bewusst wird, dass ihr Leben für die Vereinigten Staaten kein Wert habe.

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C.H. Beck Verlag
Quelle

Rupert Neudeck 2016Grünhelme 2016

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