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Das Kambodscha-Drama

Schwieriges Gelände, von Pol Pot weiter zu Kambodscha. Zu einer detailreichen Publikation. Von Rupert Neudeck

Das Buch bietet zu Beginn einen Paukenschlag in Form eines Telefonats des damaligen US-Präsidenten Richard Nixon mit seinem Sicherheitsberater Henry Kissinger vom 9. Dezember 1970. Im Grunde beschwert sich der US-Präsident über die lahme Ente, die seine Geheimdienste und der Oberbefehlshaber der Pazifik- und Atlantikflotte Moorers darstellen. „Ich glaube, dass sie sich die ganze Zeit über nicht genügend bemühen, dort drüben an Informationen zu kommen.“ Kissinger sagt zwischendurch nur „Jawohl“. Kissinger soll Admiral Moorers sofort veranlassen einen Plan vorzulegen, nach dem „jedes verdammte Ding, das fliegen kann, nach Kambodscha fliegt und jedes erkennbare Ziel angreift.“ Da ein US- Präsident sich als mächtigster Mann der Welt begreift, sagt er, die US-Luftstreitkräfte sollten nur den Dschungel bombardieren. Und: „Sie kennen das ja, die müssen da richtig hineingehen. Die Kanonenboote will ich nicht, ich will die Schiffe mit Helikoptern. Ich will dass alles, was fliegen kann, an Ort und Stelle kommt und denen ganz ordentlich einheizt. Ganz egal, wie weit die fliegen müssen, und egal was es kostet“ Alles klar?, fragt er Henry Kissinger. Der antwortet total subaltern: „Jawohl, Herr Präsident“.

Das geschah alles, während in dem kleinen Kambodscha (halb so groß wie Deutschland) die Menschen um ihr Leben zitterten, besonders wenn sie gebildet oder wenn sie Städter waren. Insgesamt sind es 2 Mio.  defensiv geschätzt, die durch direkte Tötungen wie durch Verhungern ermordet wurden. Bevor die Roten Khmer am 17. April 1975 in Phnom Penh einmarschieren, die Massendeportation der Stadtbevölkerung beginnt, hatte es ohne Zustimmung des US-Kongresses, ja am Anfang sogar ganz geheim die US-Luftoperation „Breakfast“ gegeben, zur Unterstützung der eigenen und der südvietnamesischen Operation im Krieg Süd- gegen Nord-Vietnam. 247 B-52 Bomber werfen 539.129 Tonnen Bomben auf Kambodscha ab.

Später als die französische Botschaft in Phnom Penh noch arbeitete, meldete sich ein alter Mann, dessen Aussehen auf einen aristokratischen Hintergrund schließen ließ. Der alte Mann steht vor dem Gitter der Botschaft und deutet auf sein Zeichen, das ihn als „Ritter der Ehrenlegion“ ausweist. „Ich bin Prinz Sisovath. Ich habe die Ehre, Frankreich um politisches Asyl zu bitten“. Auf die Frage ob er einen französischen Pass habe, muss er passen. Der Attache muss ihm sagen, dass die Roten Khmer ihm nicht gestatten werden, in der Botschaft zu bleiben. Sie erkennen das Recht auf Asyl nicht an. Prinz Sisovath bedankt sich, dreht sich um und verschwindet.

Der Autor zitiert die Genozid Definition, die sich aber nicht nur auf die Verfolgungen von Minderheiten konzentriert. Es gibt natürlich die Minderheiten, wie der Autor herausbringt, wie die Khmer Cham, es gibt die Khmer Loeu, aus den Bergstämmen holte sich Pol Pot wegen deren Zuverlässigkeit seine Bodygads. Es gibt die Khmer Vietnamesen und Chinesen. Aber das Programm der Roten Khmer und von Pol Pot und seiner engsten Clique war ein einziger große Mord am eigenen Volk. Dann erst noch an dem des Cham Volkes, das waren die einzigen Muslime in der Region, denen 1975 jegliche Religionsausübung verboten wurde. Der renommierte australische Historiker Ben Kiernan berichtet: „Jetzt müssen sie in Stücke zerhauen werden. An welcher Stelle sie auch beschäftigt sind, sie müssen in Stücke gehauen werden“. Beobachter schätzen, dass auch 90.000 Cham ermordet wurden oder starben auf Grund der drei Genozid Mittel: Exekutionen, Unterernährung, Krankheiten.  

Das Buch erfüllt nicht ganz die Erwartungen an eine Aufklärung des Völkermordes der eigenen verhetzten Führung an dem eigenen Volk. Der Autor hat alles zusammengestellt und zusammengesucht, was einem Beobachter zugänglich ist nach so vielen Jahren, in denen der Völkermord stattfand. Man ist streckenweise bei der Lektüre überwältigt.

Was mir aber fehlt ist eine Darstellung der Szene der Rote Khmer-Unterstützer, die es im Westen gab. Es gab ja in den 70ern eine Menge an links-kommunistischen Gruppen, die die  Radikalität und das Schräge in der sog. Verkündigung para-marxistischer und maoistischer Gruppen gierig aufnahmen. Der Autor erwähnt: Am 14. Dezember 1975 sollte wieder etwas ganz Neues werden. „Demokratisches Kampuchea“. Im gleichen Moment wurde die Monarchie unter dem eigentlich beliebten König Sihanouk abgeschafft. Der Buddhismus war keine Staatsreligion mehr. Im Januar 1976 wurde sogar eine Verfassung proklamiert, Wahlen im März 1976 sollten das System legitimieren. In einer Grußadresse an den chinesischen Außenminister Tschou En Lai hieß es: „Die Machthaber melden den Sieg an die chinesischen Verbündeten. Unser Sieg ist Euer Sieg“. Mao Tse Tung antwortete: „Kambodscha wird in dem Gesamtbereich einen ganz neuen Aspekt darstellen“.

Diese Szene findet nicht genügend Raum, denn sie hat bestimmten K-Gruppen und anderen sektiererischen Clubs  in Europa manchmal schier den Kopf verdreht. Es waren westliche Zuträger zu diesem radikalsten aller bolschewistischen Methoden, die besonders gefährlich wurden. Jan Myrdal aus Schweden, Sohn des berühmten Gunnar Myrdal, spielte eine verhängnisvolle Rolle, in dem er seine beinharte Khmer Rouge Argumentation in gar keiner Weise ändern wollte. Noch 1983 schrieb Myrdal in einem Buch eine totale Apologie der Politik der Leerung der Städte, der Vernichtung der Gebildeten, das es einem ganz schlecht wird: „Phnom Penhs Evakuierung drückte bloß die Stimmung aus. Die Evakuierung war ein Einzelfall. Langsam begann man auch wieder, die Städte zu bevölkern.“ Alexander Goeb zitiert einen Journalisten, der sich später sogar zu einer Selbstkritik verstand: „Leider kann ich nicht sagen, dass alles, was ich geschrieben habe, immer so ehrenvoll war. Der größte Fehler meiner Karriere ist, dass ich den Berichten der kambodschanischen Flüchtlinge nicht ausreichend geglaubt habe!“ Es gehörte zu den Revolutionsbesuchern auch immer eine Delegation des „Kommunistischen Bundes Westdeutschlands“.

Man erfährt es als Leser, weshalb diese Szene so wenig beleuchtet wird. Nachdem er schon belegt hatte, dass die DDR-SED-Parteizeitung „Neues Deutschland“ über die Gräueltaten und den Völkermord in Kambodscha nichts berichtet habe. Diese Menschheitsverbrechen würden erst Thema geworden sein, als Vietnam dem Regime ein Ende durch seine Invasion gemacht hätte und 1979 das Tribunal gegen Pol Pot und Jeng Sary stattfand. Dann äußert sich der Autor sehr ominös, wie folgt: In ähnlicher Weise agierte in der Bundesrepublik Deutschland die „Deutsche Volkszeitung“, „für die ich damals als Redakteur vom Tribunal berichtete.“ Und, um das Versagen der Linken in Bezug auf diesen unglaublich barbarischen Völkermord kleiner zu machen erklärt er am Schluss dieses Kapitels: Hier waren über Jahre die westliche und die östliche Wertegemeinschaft aus unterschiedlichen Gründen im Weglassen, Vertuschen und Verfälschen einig“. Das halte ich dann doch für eine gefährliche Harmonisierung.

Was gab es in der Bundesrepublik nicht Bemühungen auch bei den vielen, die gar nicht wussten, dass es die Deutsche Volkszeitung gibt?. Auch möchte der Leser natürlich gern viel mehr über die Doktorarbeiten des marxistischen Zirkels  erfahren, die 1949 eintrafen in Paris. Es bildete sich direkt ein geheimer Zirkel, aber es wird nicht bekannt über die Studien, über die Beziehungen zur Kommunistischen Partei,- nichts. Der Saloth Sar, der sich später Pol Pot nennt und zu einem der grässlichsten Gräuel- und Verbrechersynonym  wird, hält sich damals im Hintergrund. Der Zirkel wird von Alexander Groeb so geschildet, als hätten die da in einer splendid isolation gelebt. Auf jeden Fall kommen die jungen Leute mit dem Gedankengut des Marxismus in Berührung und der Realität der internationalen Weltbewegung. So können sie oder die meisten von ihnen zu den Weltjugendfestspielen nach Berlin. Saloth Sar alias Pol Pot nimmt das Angebot einer Gratisreise nach Jugoslawien an. Es heißt: Er trat damals für die Unabhängigkeit des Landes ein, der Kommunismus war seine Sache noch nicht. Dann wird vermerkt, dass Jeng Sary, der heimliche Leiter der Gruppe Kontakt aufnahm zu dem Pariser Skandalanwalt Jacques Verges. Warum? 1960 ging die Gruppe wieder zurück.

Man erfährt nur, dass Khieu Samphan eine Dissertation abgeben konnte an der Sorbonne: „Die Wirtschaft Kambodschas und die Probleme seiner Industrialisierung“ und die Doktorarbeitet Hou Yuons“. Die kambodschanische Landbevölkerung und ihre Aussichten für eine Modernisierung.

Was fehlt ist ein Exkurs in die Tiefen der mörderischen und halsbrecherischen Ideologie, die im Grunde betont, wie sehr sie die Städte hasst und die Landbevölkerung bevorzugt, Bildung verachtet, aber dass man diese Liebe am besten im Blutrausch, im Töten von denen, die man liebt, ausübt.

Es wird dieses Buch dennoch wegen seiner Detail-dichte das einzige sein, dass uns einen Überblick über diese chaotischen Zeiten in dem lieblichen Kambodscha informiert.

Ich besinne mich aus dieser Zeit, dass es nichts gab, was so abstrus war, dass man es den Pol Pot Leuten nicht doch zutrauen könnte. Sie wollten die Malaria ohne die normalen Medikamente ausrotten und baten deshalb darum, keine Medikamente mehr zu schicken;  die Roten Khmer hätten die Malarias ausgerottet und beendet. Jedenfalls gab es kleine Sektierer Gruppen, die an so etwas fanatisch glaubten, weil sie ein Bedürfnis nach Glauben hatten. Elizabeth Becker (Journalistin der New York Times) war auch zu selbstkritischen Einschätzungen gelangt, zumal was das Ernstnehmen der Äußerungen der Flüchtlinge anging. Es gab ein sog. Interview mit Pol Pot, das aber ein Monolog war, denn Fragen waren nicht erlaubt. „Unser Land ist 8.000 Jahre alt – so alt wie Rom. Wir haben keine andere Revolution kopiert, als es uns gelang, einen Sieg über die USA davon zutragen. Und wir werden auch gegen die Vietnamesen siegreich sein.“

Das Buch ist ansonsten in seinem stupenden Fleiß sicher sehr wertvoll für die Forschung und Historiographie. Es ist aber nur in seinem ersten TEIL (bis 203) ein Bericht über den Rothe Khmer Völkermord. Dann beginnt der Bericht über das Tribunal 1979. Obwohl für die Lesbarkeit eine Beschränkung auf bestimmte Namen, Gruppen besser gewesen wäre.

Als ich den Fremd-Beitrag  der deutschen Anwältin Silke Studzinsky lese, die für die UNO im Tribunal sitzt, bin ich voller Erwartung, dass da jemand sagen wird: Wie schwierig es ist mit der 1:1 Übernahme von Völkerrechtsprozeduren nach Kambodscha, die nun mal alle im Westen ausprobiert und durchgeführt wurden. Gerichte und Gerichtsverfahren spielen im Alltag der Menschen keine Rolle. Sie sind schwer zugänglich. Noch 2010 haben nur 52 Prozent der Kambodschaner erklärt, dass sie Vertrauen in das Justizsystem des Landes hätten. 68 Prozent gehen davon aus, dass man an Richter Bestechungsgeld zahlen muss. Wie agiert man mit einem so gewaltigen Ozeanriesen, der sich da in Phnom Penh einnistet in einer Bevölkerung, der das alles sehr fremd ist.

Es heißt in dem Buch: dass man auf kambodschanisches Recht zurückgreifen wollte in dem kambodschanischen Strafprozessrecht, man führte die Nebenklage ein, da es zu alter kambodschanischer Rechtstradition gehört. Das wird aber schon bald dementiert. Die Rechtstradition ist eine französisch-koloniale, also eine römisch-germanische Tradition. Die sieht diese Nebenklage vor. Ich habe gedacht, es müsste ein Aufatmen über Kambodscha geben und den Völkermord, einen allgemeinen Jubel, dass das Volk sich freut über dieses Ende der Alptraumzeit. Dass dann so lange gehen muss und nicht wegen verständlicher Momente, sondern immer wegen prozeduraler Geschichten und anderer externer Gründe, ist auch ein Grund, der mich zweifeln lässt, ob wir Westler, die wir es dann ja betreiben, das alles richtig machen.

Alexander Goeb: „Das Kambodscha-Drama: Gottkönige, Pol Pot und der Prozess der späten Sühne“ Berichte, Kommentare, Dokumente – online bestellen!

Quelle

Rupert Neudeck 2016Grünhelme 2016

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