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Das Raunen und Tuscheln der Wüste: Eine Reise durch das alte Syrien

Eine mutige Frau –  Gertrude Bells Raunen und Tuscheln der Wüste. Von Rupert Neudeck

 

Dass es so etwas schon vor hundert Jahren gab, ist atemberaubend. Eine Frau, die sich für keine Strapaze zu gering ist. „Alle Reisen waren anstrengend und entbehrungsreich. Manchmal ritt sie auf einem Pferd oder Kamel 12 Stunden durch Schneestürme, Wolkenbrüche, sengende Sonne und eisigen Gegenwind, durch Schlammlöcher, über Geröllwüsten, wacklige Brücken“. Sie war eine in jeder Hinsicht schillernde Person im Nahen Osten und Syrien.  Einmal hatte sie das Arabische so gut gelernt, dass sie keinen Dolmetscher mehr brauchte. Dann war sie eine – heute würde man sagen – politische Journalistin, denn die Möglichkeit und Notwendigkeit, mit den Ergebnissen der Wüstenreisen etwas zu bewirken, lag ihr nahe. Sie hatte auch starke archäologische und ethnografische Interessen. Gertrude Bells nutzte ihren Status als Engländerin strategisch. Einerseits weigerte sie sich, in die Häuser durch den Eingang der Frauen zu gehen. Andererseits hatte sie dadurch auch einen Zugang zu den Frauen Arabiens, die ein Mann von außen, ein Europäer nie haben könnte.

Das, was diese Frau so bezwingend macht, auch und gerade für die arabischen Paschas und Emire: Sie begab sich mit Haut und Haaren in die Lebenskultur der Araber. Sie beschreibt, wie sie auf halbem Weg nach Jericho ist und in eine Gaststube tritt, auch um sich aufzuwärmen. Handlungsreisende waren dort. „Ich lauschte ihren unsinnigen, vulgären Reden, es würde für viele Wochen das letzte Mal sein, dass ich eine europäische Sprache hörte, aber ich trauerte der Zivilisation nicht nach, die ich nun verließ“. Allein deshalb ist das Buch bis heute mehr als lesenswert, weil es wirklich eine Menge von Zugängen enthält zu diesem arabischen Lebenskosmos. Sie betont, dass zwischen Euphrat und Jordan das Wort „Gast“ heilig sei. Sie waren untergekommen in Namruds Höhle im Tneib Berg, die diese Gastfreundschaft allen Besuchern gewährte, so ungelegen sie sein mochten. Gertrude Bells trug ihren Teil zur Geselligkeit bei, indem sie Zigaretten verteilt. „Als ich aufbrach, war zwischen den Männern der Beni Sakhr und mir ein gegenseitiges Wohlwollen entstanden“.

Es verwundert ein wenig, dass der Verlag es nicht geschafft hat, ein einziges wirklich illustratives Foto von der Gertrude Bell in dem Buch zu platzieren, zumal sie im Vorwort als außerordentlich attraktiv geschildert wird, die sich auch immer sehr gut anzog. Natürlich war sie, wie auch ihr Kollege Lawrence of Arabia, im Dienste der britischen Armee und auch des Geheimdienstes. Gertrude Bell wurde 1915 im Rang eines Majors nach Kairo geschickt. Sie war die erste weibliche Unteroffizierin im britischen Nachrichtendienst. Lawrence (der Mann) wurde zum weltbekannten Mythos, die nicht minder mutige und einfallsreiche Gertrude Bell konnte es nicht auf eine solche weltweite Bekanntheit bringen. Wie schwierig es für eine christlich-britische Frau in Bagdad war, das schrieb sie ihrer Mutter 1920 sehr genau. Auch der Versuch, über Frauen Freundschaften zu schließen, misslingt: „Wenn sie mich sehen dürften, würden sie sich vor mir verschleiern, als sei ich ein Mann. Wie Du siehst“ schreibt sie der Mutter –„bin ich für das eine Geschlecht zu weiblich und das andere zu männlich“.

Sie war unverheiratet, alleine und litt darunter. Sie traf den britischen Konsul Richard Doughty-Wylie 1907 in Konya. Erst 1912 bei einer nächsten Begegnung verliebte sie sich unsterblich in ihn, aber der Diplomat war feige und wollte wegen der Karriere sich nicht scheiden lassen. Auch diese Beziehung endete unglücklich. Der Konsul fiel bei der Schlacht von Gallipolli im April 1915. Sie kam 1917 nach Bagdad, wo sie sich in einem eigenen Haus mit Garten niederließ. Aber das Leben als unverheiratete Frau unter nur Männern war anstrengend. Das Leben, so sagte sie, war einsam. Sie gründete in Bagdad das Irakische Nationalmuseum (damals noch das Archäologische Museum Bagdad). Es wurde im Juni 1926 eröffnet. Kurz danach am 12. Juli 1926 fand ihr Dienstmädchen sie morgens tot im Bett. Sie hatte zu viele Schlafmittel eingenommen. Es gab von der Irakischen Regierung ein Staatsbegräbnis.

Die Räuberei als eine Vermögensanreicherung, die hingenommen wird und deshalb als Institution gelten durfte, erlebte Gertrude Bell als ein Gesetz der Wüste. Sie beschreibt es unerbittlich klar: „Das Vermögen eines Arabers ist ebenso unbeständig wie das eines Spekulanten an der Londoner Börse. An einem Tag ist er der reichste Mann der Wüste, am nächsten Morgen nennt er nicht einmal mehr ein Kamelfohlen sein Eigen. Er lebt im ständigem Kriegszustand“. Und selbst wenn ihn mit den Nachbarstämmen die heiligsten Schwüre verbinden, kann er nie wissen, ob nicht aus vielen hundert Meilen Entfernung eine Räuberbande kommt und nachts sein Lager überfällt. Sicher sei, so Gertrude Bell, dass es diese Form von Raum schon immer gegeben habe, und in all diesen Jahrhunderten habe der Araber daraus keine Lehren gezogen. Er kann niemals sicher sein und benehme sich doch, als sei Sicherheit das unverbrüchliche Fundament seines Lebens.

Die Autorin hat allerdings einen Schutzbrief, der sie sicher macht. Nun ist der Reisende  sicherer als Europäer und dann noch als alleinstehende Frau hier herumzureiten. Es ist ein Brief des Fellah ul’Isa an Nasib al Atrasch, Scheich von Slkhad im Djebel el Druz. Der sollte wohl seine Wirkung machen.

Sie war durch nichts aus der Fassung zu bringen, konnte sich mit ihren Arabischkenntnissen sicher auf jede Konversation einlassen. Aber sie war als Christin von der westlichen Manie weit entfernt, alle Christen im Nahen Osten nach Europa zu evakuieren. Sie kam auch an der Kreuzritter Festung Krak des Chevaliers vorbei, nach dem Besuch schreibt sie nachdenklich: „Die christlichen Nationen können diese Seite ihrer Geschichtsbücher nicht aufschlagen, ohne zu erröten, und sie nicht ohne jenes Gefühl von widerstrebendem Mitleid lesen, das vergeblicher Heldenmut in uns hervorruft. Für eine unwürdige Sache zu sterben, ist die bitterste Niederlage“.

Wenn sie auf einen Gastgeber  stößt, der zufällig auch Christ ist, ist das aber erst mal für sie ein Araber. So ergibt sich neben dem Interessanten und Spannenden auch das Kurzweilige in der Reiseschilderung. Sie erzählt von dem Besuch im griechischen Kloster Maalula. An der Westwand war eine Tür, die zwischen zwei Türpfosten so schmal war, dass man kaum hindurch kam. Die Mönche hatten ihren asketischen Reim darauf: Das gelinge nur dem, der reinen Herzens sei. Bell: „Ich verzichtete auf den Versuch, um meinen Ruf nicht zu gefährden.“ Dem Kaimakam auf einer der letzten Etappen ihrer Reise, der Ihr Gastgeber wurde sogar für zwei Nächte, dankte sie und beteuerte, „dass sie seine arabische Herkunft allein an seiner großzügigen Gastfreundschaft erkannt hätte.“

Sie hatte sehr aktuelle Einschätzungen der Lage im Nahen Osten – bis auf eine: Sie und Lawrence of Arabia waren ungeschmälert überzeugt von der Richtigkeit und einzigartigen Gültigkeit des britischen Regierungsmodells auch für die arabischen Länder. In Damaskus wird sie freundlich bis enthusiastisch empfangen. Man sagt ihr, „Engländer und Afghanen sind gute Freunde“. Aber Nachrichten von der Zerstörung eines britischen Regiments an der Grenze Afghanistans kamen direkt bis nach Damaskus und könnten die Folge haben, dass  Briten verhöhnt wurden. Sie aber sagt. „Der Islam ist das Band, das den Westen und die Mitte des asiatischen Kontingents verknüpft, er leitete noch die kleinste Befindlichkeit weiter wie ein elektrischer Strom“. (214)

Es ist eine traurige nostalgische Lektüre. Die Reise durch Syrien, die Reise durch die vielen großen und kleinen Städte, die Ritterburgen, die Klöster von Salt nach Theib über Najareh bis Salchad, Damaskus, Homs, Hama, Apamea, Aleppo bis Basufan –  eine solche Reise wird in den nächsten Jahrzehnten kein Besucher oder Pilger je machen können. Alles ist in diesen Städten zerstört, so dass die Bemühungen der Autorin, die Schönheit dieser Welt aufzuzeigen, nur noch Geschichte und nostalgische Erinnerung sind. Es ist eine gewaltige Reise, die die britische Autorin unternommen hat. Sie beschreibt die Wüstendämmerung, in der sie in Djebel al Aliya den Aufbruch organisiert. „In der Wüstendämmerung zu erwachen, ist, als erwache man in einem Opal. Alles werde erst vom sanften Leuchten des östlichen Himmels, dann im strahlenden Gelb der aufgehenden Sonne durchflutet“. Hier könnte man den berühmten Neapel Spruch variieren: „Die Wüste an einem schönen Morgen sehen und sterben – wenn man kann!“

Was in einem Regierungschef wie Baschar al Assad vorgehen mag, der nicht nur weit über die Hälfte der Bevölkerung ausgrenzt und zu Terroristen erklärt und der auch noch die letzten Städte, Dörfer bombardieren lassen will, Hospitäler eingeschlossen, bleibt total unerfindlich. Die einzige Stadt, die der Leser noch wird besuchen können ist die im türkischen Verbund bleibende Stadt Antiochia, die türkisch Antakya heißt. Das ist die letzte Station auf der Reise, in der sie noch lernt, sich keinesfalls ins Gestrüpp der armenischen Fragen ziehen zu lassen.

Man erkennt als Leser, wie Gertrude Bell richtig beschrieben wurde, als es in der New York Times hieß: „Engländerinnen sind sonderbar. Es gibt auf der Welt vermutlich keine größeren Sklaven der Konventionalität als sie, aber wenn sie mit ihr brechen, dann ganz und gar“.

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Quelle

Rupert Neudeck 2016Grünhelme 2016

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