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Der schwarze Tiger

Was wir von Afrika lernen können. Ein ganz frischer Blick auf Teile von Afrika. Zu einem Buch eines Managers. Von Rupert Neudeck

Wenn man statt Helfer mit rührseligen Ideen oder besten Bezahlungen Manager von Wirtschaftsunternehmen in wenige Staaten Afrikas geschickt hätte, um dort etwas für die Ankurbelung der Wirtschaft zu tun, sähe der Kontinent Afrika besser aus. Das Buch des Managers und Management-Beraters Hans Stoisser gibt uns da wirklich einiges mit auf den Weg, was aber bis heute nicht beachtet wird. Woran das liegt? Die Apparate, riesengroße, manchmal sich gegenseitig verdoppelnde an Beratern und Experten in den Ministerien für wirtschaftliche Zusammenarbeit, gewachsen und aufgepäppelt bis zur Unerträglichkeit in den Zeiten des Kalten Krieges, sind schlecht wegzubekommen.

Ich bin überzeugt, der Bundesminister für das BMZ, Gerd Müller, würde seine Politik lieber mit einem kleinen Küchenkabinett von 20 Leuten machen als in verschiedenen großen Gebäuden in Berlin und in Bonn. Aber er kann den Apparat nicht abschaffen. Diese Riesenarmee von bestbezahlten Helfern, ein nicht todzukriegender Verein, macht auch auf Kosten des Steuerzahlers unglaublich teure Konferenzen und schämt sich nicht, nach 50 – 60 Jahren 2005 eine Konferenz in Paris (!) abzuhalten über Aif-Effectiveness. Während diese katastrophale Erklärung in Paris verabschiedet wurde, die vorsah, dass die Gelder der Steuerzahler Europas direkt an „lokale Regierungen im Empfängerland übergeben werden sollten“. Sagt der Autor: Gerade 2005 gab es günstige Bedingungen, dank der Globalisierung waren einige Empfängerländer wirtschaftlich erfolgreich. „Die westlichen Entwicklungskooperationen hätten sich mit Anstand und guter Nachrede langsam zurückziehen können und sich auf die Katastrophenhilfe konzentrieren können.“

Aber wie der Autor feststellt, diese Hilfsindustrie ist weiter ungeheuer profitabel und boomt. In den letzten Jahren setzte die westliche Entwicklungszusammenarbeit etwa 120 Mrd. Euro im Jahr um. „Jährlich absolvieren in Namen der Hilfe Tausende private und staatliche Hilfsorganisationen und Unternehmen zehntausende Projektreisen in die armen Länder der Welt“. Deshalb sei es nicht übertrieben, von diesem Sektor als Hilfsindustrie zu sprechen.

Was das Buch deutlich macht: Es verweist auf den bis heute nicht aufgegebenen Grundfehler aller Entwicklungshilfe. Man durfte nichts aufbauen, was dann profitabel und gewinnbringend war, es gab nur sog. Soziale Projekte, mit denen keiner einen Gewinn machen durfte. Das war meist der Tod eines Projektes. Das Vorhaben musste immer sozial sein und möglichst Geschenke beinhalten, auch zusätzlich Schmiergelder für alle nichtsnutzigen Beamten der jeweiligen afrikanischen Regierung.

Der Autor macht auf Wachstumsprofile in einigen Staaten aufmerksam. Er unterschlägt das Kapitel „Schlechte oder miserable Regierungen“, bad oder worst governance, Afrikas Völker haben zu Teilen die miserabelsten Regierungen, die am Staats- und Weltgeschehen kaum teilnehmen, so sehr sind sie mit der Einhegung ihrer Konten in der Schweiz und ihrem Wohlstand beschäftigt. Es ist wie bei vielen Büchern über Afrika: der Kontinent ist zu groß, der Autor ist dorthin gegangen, wo sich ökonomisch etwas bewegt. Aber er stellt fest, dass an dem Aufschwung und den Potentialen der Entwicklung in Afrika Europa kaum noch vertreten ist. Oder nur in der Rolle eines Hilfsbedürftigen.

Der Autor beschreibt den Besuch des portugiesischen Staatspräsidenten eines EU-Schengenlandes im November 2011. Der portugiesische Premierminister Passos Coelho machte einen Blitzbesuch in Luanda, der Hauptstadt des nach allgemeiner Lesart weiter unterentwickelten Landes Angola. Zum ersten Mal war alles umgekehrt zwischen Europa und Afrika. Afrika empfing einen Bittsteller. Eduardo dos Santos erklärte, er sei sich der Probleme Portugals bewusst. Und: „Angola ist offen und bereit, Portugal zu helfen!“ Seit dieser Zeit investieren angolanische Investoren in Portugal. Die größte private Bank, die Millenium Banco Comercial Portugues ist 2012 bereits zu 14 Prozent im Besitz von Sonangol, der staatlichen angolanischen Ölgesellschaft. Heute ist der Anteil bei 20 Prozent. Die Investitionen der Angolaner gingen mit ihren Petrodollars in die portugiesische Fluggesellschaft Tap, den Flughafenbetreiber ANAM, den Stromnetzbetreiber Energias de Portugaldie Energiegesellschaft GALP u.v.a. In Luanda geben sich nicht nur die portugiesischen Minister die Klinke in die Hand. 2003 waren es bereits 23.000 Portugiesen, 2014 sind es schon weit über 100.000, die ihr Glück und wirtschaftliches Weiterkommen in Angola suchen. Afrika wird von China und Brasilien erobert. Natürlich geht es um zukünftige Absatzmärkte und die Sicherung von Rohstoffversorgung.

Auch bei Brasilien geht es darum. Die brasilianischen multinationalen Unternehmen investieren in der Bauwirtschaft und im Bergbau in Afrika. Man kann dem Autor nur zustimmen: Europa verschläft diese Kraftanstrengung in einigen kräftigen Staaten Afrikas, es geht noch auf den total ausgelatschten Bahnen riesiger Heere von althergebrachten sog. Helfern, denen man für Afrika sogar ein patentiertes Berufsbild gezimmert hat, was für den Erfolg der Beziehungen verhängnisvoll schlecht ist.

Stoisser hat damit sicherlich Recht: „Die Chancen, die jetzt von den BRICS Staaten und anderen Ländern wahrgenommen werden, sind die Chancen, die Europa gerade vergibt, um sich im neuen weltpolitischen Machtgefüge zu positionieren“. Es sei Europa, nicht Afrika, das jetzt zum abgehängten Kontinent zu werden droht. Was der Autor nicht behandelt: Wir sind, auch unsere Techniker-Eliten, so verwöhnt, dass wir die Bedingungen, unter denen brasilianische und chinesische Bauingenieure und Architekten in Afrika sich einnisten, niemals akzeptieren würden. Wer das einmal erlebt hat, wie bei einem Straßenbau in einem afrikanischen Land geradezu ein deutsches Dorf mit Badezimmer und Badewanne gebaut werden muss, der weiß, wovon ich spreche. Auch kein deutscher Bundeswehrsoldat würde es ja ohne so etwas tun, ob in Afghanistan oder Mali.

Im ersten Teil beschreibt er einen Aufschwung, den wir in Europa nicht wahrgenommen haben. Einen Aufschwung, der zustande gekommen ist durch eine beginnende Verstädterung in Afrikas Ländern und durch die Chinesen, Inder und Brasilianer. Der Autor macht seine Folgerungen immer an kleinen Erlebnissen klar. Er sei Mitte der 90er Jahre von Frankfurt nach Johannesburg geflogen, wollte ganz schnell die Passkontrolle erreichen, um als einer der ersten durchzukommen, wegen der Abholung. Aber da war ein Jumbo aus Südostasien angekommen, hunderte Chinesen: „Ein regelrechter Pulk von Chinesen arbeitete sich unkontrolliert nach vorn und verstopfte den Zugang zur Passkontrolle“. Er entsinnt sich der Fragen, die man sich stellte: was suchen Chinesen hier in unserem Kontinent. „Irgendwie schwang im Hintergrund auch mit, dass Afrika ja eigentlich europäisch sei“. Seit 2010 wickelt Afrika ein Viertel seines Handels mit China, Indien, Brasilien ab. Seit 2009 ist China der größte Handelspartner Afrikas mit 180 Mrd. Euro im Jahr 2012. Der Wirtschaftsboom in Afrika hänge eindeutig mit der Präsenz nicht westlicher Partner zusammen.

Stoisser erzählt sehr gut die wichtige geschichtliche Erfahrung, die Afrikaner mit den Chinesen gemacht haben. Als 1421 der chinesische Admiral ZHENG HE an der Ostafrika Küste landete, bestand seine Flotte aus 300 Schiffen mit 28.000 Mann Besatzung. Aber die Chinesen eroberten nicht 70 Jahre vor dem großen europäischen Eroberer Christoph Kolumbus. Die Chinesen brachten Porzellan und Seide nach Afrika und erwarben im Gegenzug Gewürze, Heilkräuter, Elfenbein, Hölzer usw. Der entscheidende Unterschied zu uns, die Chinesen leben als Investoren, sie kommen und bauen Produktionsniederlassungen in Äthiopien, Tansania, Mosambik, Angola, Nigeria selbst auf und produzieren Schuhe, Kleidung, Lebensmittel, Baumaterialien. Das hat natürlich zu einem enormen Aufschwung geführt. Der Autor erwähnt natürlich die Einreden. „Hans, Ihr könnt doch den Chinesen nicht einfach das Feld überlassen“, habe ihn ein Lebensmittelhändler aus Kap Verde gefragt. Die Chinesen wurden erst sehr misstrauisch beäugt, man vermietet nicht gerne Zimmer an sie. Das hat sich um 180 Grad gedreht. Der legendäre indische Unternehmer Sumil Mittal ist einer der ganz großen Geschäftsleute Afrikas, er ist der Gründer von Bharti Airtel, einem der größten Mobiltelefonunternehmen der Welt, kaufte 2010 für acht Milliarden Euro den kuwaitischen Anbieter Zain auf und bietet nun in 17 afrikanischen Ländern mobile Telefon- und Datenkommunikationsleistungen, setzte jährlich 5 Milliarden Euro um.

Nicht ganz gerecht erscheint mir der ständige Verweis auf die Medien und Öffentlichkeit in Europa, die diese Entwicklungen nicht mitbekommt. Ein guter Teil ist davon richtig beobachtet, aber der Autor blendet auch einige makabre Fälle von Duodezfürstentümer in Afrika aus. Volker Seitz, der das gute Buch geschrieben hat „Afrika wird armregiert“, war Botschafter in Kamerun, einem Land, in dem außer der Apanage für die Herrscherfamilie, nicht viel weitergeht. Auch einige der Länder, die jetzt nichts dagegen tun, dass die jungen Leute alle abhauen und nach Europa gehen, sondern verantwortungslose Regierungen, die sich an den Ämtern bereichern, aber sich nicht für das eigene Volk und deren Wohlfahrt verpflichtet fühlen. Sonst würden wir aus Afrika über die Tragödie der Boots-Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern mal irgendeinen Klagelaut und eine Trauer-Bekundung hören. Trotzdem ist das ein blitzgescheites Buch eines Ökonomen über Afrika, der Europa attestiert, dass es die Chancen verspielt, die die BRIC-Staaten gerade ergreifen. Er sagt, die großen Machtblöcke dieser Welt, die USA, China, auch der arabische Raum oder Indien, wissen, wer sie sind, wohin sie wollen und was dafür zu tun ist. Europa hat noch keine klare europäische Identität gefunden, deshalb „verspielen wir unsere Beziehungen zu den afrikanischen Ländern. Auch wenn wir noch so viel Geld in die Entwicklungshilfe stecken“.

Das letzte Kapitel ist ein Mahnruf. Bisher ist Afrika im Wortsinn eine vernachlässigbare Größe. Fast der Kosmetik halber fliegen die Bundeskanzlerin und der Bundespräsident einmal im Jahr in ein, zwei, drei Länder. Eines davon ist Äthiopien (wegen der AU), das andere Südafrika. Aber es wird von den begleitenden Journalisten bemerkt, dass hier im Regierungsflugzeug die Unternehmer und Personen der Wirtschaft fehlen. Wir haben den Kontinent zu einem Länderkonglomerat von geringerem Wert gemacht. Nicht eigentlich Außen- sondern Entwicklungspolitik ist die Beziehungsleiste. Und darin liegt der ganze Irrtum begraben. Kann Europa ihn korrigieren? Auch der Autor weiß nicht, wie lange das braucht.

Fazit: „Unser Bild von Afrika als armem, krisenbehafteten, ja abgehängten Kontinent ist völlig veraltet.“

Hans Stoisser „Der Schwarze Tiger – Was wir von Afrika lernen können“

Kösel Verlag
Quelle

Rupert Neudeck 2015 | Grünhelme 2015

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