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Die Welt reparieren – wo es geht

Die Welt ist nicht in gutem Zustand, wer möchte das bestreiten. Wie, mit was und mit wem ließe sie sich wo reparieren? Zu dieser Frage gibt es ein neues, umfangreiches Buch. Eine erste Einschätzung dazu von Professor Udo E. Simonis

Ein Buch, das dazu einlädt, die Welt zu reparieren, könnte ein außergewöhnliches Buch sein – der Leser ist entsprechend gespannt. Es beginnt mit 18 animierenden Farbbildern, auf denen man lauter aktive Menschen am Werke sieht, von denen einige auch Reparatur-Werke sein mögen. Was aber ist eigentlich Reparatur? Der Begriff müsste unbedingt definiert werden, das ist der erste Eindruck, der entsteht. Was sagen die Herausgeber dazu in der Einleitung und einem einführenden Beitrag – und was ist ihr Konzept für die Auseinandersetzung mit dem Begriff?

Man habe die Gesellschaft schon immer verändern wollen, heißt es dazu in der Einleitung. Bei dieser Unternehmung bildeten theoretische Vordenker und praktische Vorreiter oft auch wirkmächtige Koalitionen. Die einschlägigen Theorien füllten Bücherwände: Schreiben, lesen und diskutieren ließen entsprechende Netzwerke entstehen. Dies sei den Älteren unter uns auch noch vertraut, meinen die Herausgeber, doch verliere es mehr und mehr an Wirkungskraft: „Es wird bereits historisiert“ (S. 23). Die neuen Praktiken der Interaktion, der Versammlung und Zugänglichmachung von Wissen über das Internet choreografiere nun das Politische neu, forme eigene Kollektive und Communities, die ihre eigenen Plattformen betreiben. Das Netz der Wissensallmende und die Vorstellung der Welt als Commons konvergierten, die Praxis der Interaktion und der Konvivialität ebenfalls. So sei ein neuer Stil des Politischen in die Welt gekommen, der darin bestünde, die Welt gemeinsam reparieren zu wollen. Dieses „Projekt“ beinhalte unendlich viele praktische Revisionen und Handanlegungen, die sich klar jenseits der pessimistischen Annahme bewegten, dass man eh nichts ändern könne und täglich Belege für die „politische Schönheit“ des Selbermachens (DIY – Do-It-Yourself) und des Zusammenmachens (DIT – Do-It-Together) lieferten. Die Herausgeber wollen diese neuen Angänge mit dem vorliegenden Buch umfassend präsentieren.

Nach einem einführenden Aufsatz, der ihre Sicht auf das Projekt „Weltreparatur“ skizziert, kommen im ersten Teil des Buches 12 Autoren mit ihren Visionen zu Wort. Im zweiten Teil werden dann 32 ausgewählte Praxisbeispiele in Form von „Begehungen“ präsentiert, während in dritten Teil 7 analytische Perspektiven vorgestellt werden, die die gesellschaftlichen Dimensionen des Themas Reparatur behandeln.

Die Visions-Autoren folgen keinem vorgegebenen gedanklichen Rahmen, schwelgen aber alle in Kürzeln und amerikanischen Begrifflichkeiten des Internet-Zeitalters. Der eine will eine Welt vorstellen, in der alle gut leben können. Der andere stellt 10 Gebote der Peer-Produktion und der Commonsökonomie vor. Andere wollen Offenheit organisieren oder eine offene freie Technik. Open Source für die Circular Economy, und Open State heißen andere Kapitel. Ein Autor bekennt sich als aktiver Reparateur, ein anderer will das Feuer der Renaissance neu entfachen. Und die beiden Autoren des letzten Kapitels streiten darüber, dass Design unfassbar hässlich sein könne.

Der Rezensent möchte angesichts der Heterogenität dieser Beiträge und der teilweise massiven Misshandlung der deutschen Sprache dem Leser eigentlich empfehlen, diesen Teil ganz schnell durchzublättern; dann aber könnten einige interessante Aspekte divergierender Reparatur-Visionen übersehen werden.

Der zweite Teil des Buches über Praxisbeobachtungen ist in anderer Weise verwirrend. Fünf Beiträge gelten dem Kapitel „Werkzeuge und Produktionsmittel“. Darunter die Themen Fräsen für Folk; Schreddern für die Umwelt; Siebdruck mobil. „Anbauen, Kochen und Essen“ heißt das zweite Kapitel, in dem u. a. mobile Küchen, Aquaponik und foodsharing präsentiert werden.

Dem folgt ein Kapitel „Infrastrukturen“, mit der Beobachtung eines BioLab, von Komposttoiletten und Trinkwasser für alle. Dem folgt – immerhin – ein Kapitel „Reparieren“, um das es dem Titel nach ja im ganzen Buch gehen sollte. Vier weitere Kapitel schließen den zweiten Teil ab: „Dezentralisierung von Energie“; „Kommunikation für alle“; „Postfossile Mobilität“; „Re-use und Upcycling“. Die dazu jeweils präsentierten einzelnen Themen hinterlassen den Eindruck großer Beliebigkeit, auch wenn einige von ihnen durchaus interessant sind.

Danach stürzt sich der Rezensent erwartungsfroh auf den dritten Teil des Buches, die Analysen. Und hier wird es dann inhaltlich, wenn auch nicht sprachlich spannend: „Technologie gegen Technokratie – Reverse Engineering als politische Praxis“; „Reparatur und Postwachstumsökonomie“; „Reparieren in der Do-It-Yourself-Kultur“; „Stadt gemeinsam entwickeln“; „Von der industriellen Stadt zur Community Fabrication“.

In diesem Teil findet sich dann aber auch der Essay, der den Rezensenten aus seiner temporären Depression befreit – und der die Struktur des gesamten Buches hätte bestimmen können. Es ist der Text von Jürgen Bertling und Claus Leggewie über „Die Reparaturgesellschaft. Ein Beitrag zur Großen Transformation“ (S. 275-294).

Die Autoren präsentieren hierzu eine logisch formulierte, konsistente Theorie. Die „Reparaturgesellschaft“ addressiere einen abgeklärten Blick auf die Zukunft und fokussiere auf das Ausbessern von Schäden an drei zentralen Entitäten: Artefakte, Umwelt und soziale Strukturen. Sie habe bisher jedoch noch keine ernsthafte Umsetzung erfahren, obwohl die Umweltbelastung die planetaren Tragekapazitäten erreicht und teils überschritten hat (Rockström et al.), obwohl der globale Ressourcenverbrauch ständig steige und obwohl die Lebensdauer von Produkten sich verkürzt habe und der Konsum selbst zum Erlebnis geworden ist, während das gemeinsame Nutzen über eine längere Lebensdauer aus dem Blick geraten sei. Zwar gäbe es im Kleinen zahlreiche Reparaturpraktiken und auch begrenzte Reparaturkulturen, doch müsse die Reparatur als Thema der Großen Transformation erst noch auf die gesellschaftliche Agenda gelangen. Warum dies geschehen müsse und wie es geschehen könne, ist ihr besonderes Anliegen.

Das Fertigen und Reparieren der Dinge, so beginnen die Autoren, wurde vor der Herausbildung des Manufakturwesens und der nachfolgenden Industrialisierung von den gleichen Akteuren betrieben. Fertigung und Reparatur trennten sich erst mit der zunehmenden Mechanisierung, vor allem der Kernprozesse der Fertigung: der Stoffumwandlung und Formgebung. Diese Trennung ging einher mit der Zentralisierung der Fertigung, dem massiven Einsatz fossiler Energie und der Beschleunigung der Fertigungsprozesse.

In der Folge der Industrialisierung entstanden ausdifferenzierte Wertschöpfungsketten; jede Wertschöpfungsstufe lieferte ein exakt definiertes Vorprodukt als Einstieg in die folgende Stufe. In diesem Produktionsmodus wurde es, so konzidieren die Autoren, zunehmend schwierig, Schäden an Produkt, Natur und Mensch zu berücksichtigen. Diese organisatorische Trennung machte aber zugleich die Berücksichtigung einer prinzipiellen Reparaturfähigkeit immer weniger wichtig. Kein Wunder, dass Reparatur heute fast nur noch ein Nischendasein hat und ihre Kosten im Vergleich zu denen der Fertigung überproportional gestiegen sind.

Aus diesem Grundverständnis des Problems entwickeln Bertling und Leggewie ihre Idee der Notwendigkeit einer „Reparaturgesellschaft“. Sie nennen drei starke Begründungen: a) Reparieren als Element der Nachhaltigkeit; b) Reparatur als Treiber für eine neue Technikmündigkeit des Bürgers; c) Reparatur als Anstoß für mehr Geselligkeit und Konvivialität.

Die bisher dominierenden Strategien der Nachhaltigkeit – Effizienz und Konsistenz – hätten bisher weder zu einer absoluten Verringerung des Ressourcenverbrauchs und Abfallvolumens  noch zu einer Reduktion der Treibhausgasemissionen geführt. Vor diesem Hintergrund werde Suffizienz als Nachhaltigkeitsstrategie immer wichtiger. Letztendlich käme es zukünftig aber auf einen klugen Strategiemix an.

Reparierbarkeit und konkretes Reparieren könnten zu wichtigen gesellschaftlichen Treibern werden. Letztlich bedarf es zur Durchführung von großen, wichtigen Reparaturen aber auch des praktischen Geschicks der Ausführenden; diese Aufgabe verbindet Forschung und Praxis. Die Autoren glauben, dass die Aufwertung, Optimierung, Instandhaltung, Konversion und Renovation vorhandener Produkte und Artefakte eine nicht minder relevante Aufgabe als die der Schaffung des Neuen sei. Die Praxis der Reparatur könne so zu größerer Technikmündigkeit des Bürgers führen.

Der dritte wichtige Faktor der Reparatur liegt in ihrem Anstoß zu mehr Geselligkeit und Konvivialität. Das Reparieren ist meist eine gemeinsame Praxis im familiären, freundschaftlichen Rahmen. Sie findet ihre gesellschaftliche Chance in unzähligen assoziativen Projekten, in freiwilligem Engagement, in einer solidarischen Ökonomie, in Kooperativen und Genossenschaften, in nachhaltigem Konsum, in NGOs, in Netzwerken, in Fair Trade, Repair Cafés und anderen Reparaturinitiativen.

Ist dazu eine Wissenschaft der Reparatur erforderlich?  Bertling und Leggewie glauben, dass das Thema Reparatur in der Wissenschaft bisher eine viel zu geringe Aufmerksamkeit erfahren hat. Das sollte sich unbedingt ändern, wofür dieses Buch auch viele Anregungen gibt. Sie schlagen deshalb eine Forschungsagenda vor, die eine Vielzahl von Fragen zusammenstellt, die für ein umfassendes Bild zum Status und zu den Potenzialen einer Reparaturkultur relevant sind. Die Agenda reicht von der Klärung grundlegender Begriffe, über historische und technische Analysen, zur Frage der Reparierbarkeit und Reparaturfähigkeit, der Reparierbereitschaft und Reparaturökonomie bis hin zu den positiven Reparaturfolgen und dem Entstehen einer genuinen Reparaturkultur.

Die Autoren enden mit der Frage, wer die Realisierung einer Reparaturkultur vor allem verantwortet beziehungsweise betreiben solle. Sie geben darauf eine allgemeine, aber nur vorläufige Antwort: „Nur im Dreiklang von reformierter Politik, gemeinwohlorientierten Unternehmen und selbstbewusster und kreativer Zivilgesellschaft kann eine große Transformation gelingen“ (S. 284).

Fazit: Ohne Zweifel, dies ist ein spannendes, aber auch schwieriges Buch. Es hätte eines strengen Herausgebers und eines erfahrenen Redakteurs bedurft. Was Reparatur ist beziehungsweise primär sein sollte, bleibt weitgehend offen. Kein konkretes Konzept ist erkennbar für die Entwicklung einer funktionsfähigen Reparaturgesellschaft, gar einer Reparaturkultur. Gäbe es da nicht den fulminanten Beitrag von Bertling und Leggewie würde man sagen müssen: Problem erkannt – Ziele, Maßnahmen und Institutionen der Problemlösung weitgehend verpasst.

Immerhin: Das Buch enthält zahlreiche gute Ideen und mögliche Ansatzpunkte zum apostrophierten Thema „Die Welt reparieren“, sodass jetzt unbedingt  weitere, aber andere Initiativen ergriffen werden sollten, um das Potenzial des Begriffs der Reparaturgesellschaft voll zu erkennen und den darin liegenden intellektuellen und praktisch-politischen Schatz zu heben. Legte man dem das Konzept von Bertling und Leggewie zugrunde, dann könnte es um drei zentrale, global relevante Reparaturaufgaben gehen, die jedoch viele kleinteilige Lösungen erfordern: die De-Karbonisierung der Wirtschaft, die Re-Naturierung der Umwelt und die De-Materialisierung der Gesellschaft. Wer nimmt diese Einladung an?

Andrea Baier, Tom Hansing, Christa Müller & Karin Werner (Hrsg.) „Die Welt reparieren – Selbermachen als postkapitalistische Praxis“

transcript-verlag.de
Quelle

Udo E. Simonis 207 ist Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Redakteur des Jahrbuch Ökologie

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