‹ Zurück zur Übersicht

© Sonnenseite

Dieter Hildebrandt: Letzte Zugabe

Grünhelme erinnern sich an Dieter Hildebrandt und den 22. April 2013. Von Rupert Neudeck

Ich kann dieses Buch mit Dieter Hildebrandts Texten vielleicht erst in ein paar Jahren richtig genießen, richtig dabei lachen. Warum? Er ist noch zu lebendig, zu nah (am 20. November 2013 gestorben), mit seinen großen neugierigen Schalkaugen schaut er mich immer noch an und durchschaut mich.

Wir (=Grünhelme) haben ihn noch am 22. April 2013 in München gesehen, er hatte uns gewissermaßen alle nach München gelockt, denn er hatte uns eingeladen zu einem wunderbaren Abend im Circus Krone. Das war nämlich so, wir hatten Dieter Hildebrandt beglückwünschend geschrieben zu seinem 85 Geburtstag 2012 und ihn noch mal an die typische Hildebrandtgeschichte erinnert, die mit dem Beginn des Deutschen Komitees „Ein Schiff für Vietnam“ zusammenhängt.

Als wir 1979 anfingen und – wie man im Kabarett sagen dürfte – noch keine Sau uns kannte, wir die erste Pressekonferenz im Bonner Tulpenfeld hinter uns gebracht hatten und Franz Alt die erste Fernsehsendung, Report Baden-Baden, da flatterte in Troisdorf ein kleiner Brief durch den Postschlitz. Er war von Dieter Hildebrandt. Inhalt 1000 DM und ein Zettel. „Das, was Ihr da vorhabt ist zwar verrückt. Aber ich mag Verrückte“. Und wünschte uns für das Unternehmen viel Glück. Immer war er großzügig.

So hatte es angefangen, und immer hat er unsere humanitären und anti-bürokratischen Verrücktheiten und Regel-Verletzungen unterstützt. Und jetzt noch mal mit der Veranstaltung am 22. April 2013, für die er alles organisiert hatte. Im Januar rief er nur an und sagte: „Neudeck, Sie müssen nur in München sein am 22.04.2013 im Circus Krone“. Er hatte es organisiert als Benefizveranstaltung für den Afghanischen Frauenverein und die Grünhelme. Gewonnen hatte er die Stars der deutschen Kabarettbühne: Roger Willemsen, Georg Schramm, Konstantin Wecker und Erwin Pelzig.

Es wurde ein rauschhafter Abend, wir bekamen einen Batzen Geld. Und wir dachten, was werden wir mit diesem Dieter Hildebrandt alles noch durcheinander bringen können?

Jetzt mit diesem Erinnerungsbuch kommt das alles wieder hoch. Was ist das Bewegende an diesem Mann? Er war uns und den Menschen in ihren Lebensbedingungen ganz nahe. Er bewegte sich durch die Republik zu seinen Lesungen und Auftritten in der Eisenbahn, zweiter Klasse. Niemand hat über die Unsitte, plötzlich aus einem Großraumwagen eines ICE der eigenen Frau mit Stentorstimme zu befehlen, was sie am Abend kochen solle, besser und tolldreister geschrieben denn er, Dieter Hildebrandt. Man kann dieses Buch uns allen empfehlen, die sich im Leben mal abseits der TV_Schirme, des smart phones, des Handys, des Internets was gönnen wollen.

Er war mit dem von Reklame, Werbung, Firlefanz, „Wenn Sie mehr wissen wollen“-Tagesschau und dem Fernsehprogramm so überkreuz, dass er einen eigenen „tv-Störsender“ in München gegründet hatte, dem man nur wünschen kann, dass er mit Dieter Hildebrandt nicht untergeht.

Er war ein Kämpfer gegen die Bürokratie auch in den Sendern. Er hatte sich immer schon so etwas gewünscht wie „Störsender TV“. „Hier können Verrückte Dampf ablassen.“ Das sei immer schon sein Traum gewesen. Da stehe in einem kleinen Studio eine kleine Kamera. „Ich erinnere mich. Einer machte mal in meiner Wohnung ein Interview. Einer fragte, ich antwortete. Zwei Personen. Als ich dann die Aufstellung derer las, die an dem Interview beteiligt waren, zählte ich 27 Personen“.

Auch mit den Verträgen war das bei Störsender anders als bei ARD/ZDF. „Bevor ich gelesen hatte, wozu der Sender alles berechtigt war und welche Rechte an meinen eigenen Texten ich nicht mehr hatte, begann schon die Sendung.“

Die schönsten Bemerkungen in dem neuen Buch, über dem man vor Lachkrämpfen heulen kann, weil es ihn nicht mehr gibt, gehen zu der Sicherheitsmanie der Deutschen. Wir Deutsche wollen immer Sicherheit. Sein Nachbar hat einen Springbrunnen im Garten und viel Angst, dass andere ihm den wegnehmen wollen. Also hatte er eine drei Meter hohe Hecke um sein Gelände angelegt. Vier Bewegungsmelder an allen Ecken von seiner Burg. Eines Tages habe er stolz verbreitet, dass er nun endgültig Sicherheit habe vor den Räubern, Arabern, Dieben, Ausländern, Sozialsysteme-Einsteigern. Er hatte auf der Security Messe die moderne und teuerste Alarmanlage gekauft, die es auf dem Sicherheitsmarkt gab. 180.000 Euro.

„Eine Woche später hat man doch bei ihm eingebrochen. Es fehlte nichts. Nichts war geklaut. Nur die Alarmanlage!“ Immer hatte ich das Gefühl, und wusste auch, dass das richtig war, dass man ihm etwas schicken konnte, eine Idee, eine Anregung. Nicht über das mail, das lehnte er ab, dafür war er zu alt. Aber er nutzte als Fan das Fax. Und die alte gute Dampfpost.

Eine Sache kann ich jetzt nur hinschreiben, ihm hinterherschreiben, die ich ihm andienen wollte. Ich finde, der Erfinder dieses Satzes, der mehrmals die Stunde in allen deutschen Flughäfen und auf allen Bahnhöfen verbreitet wird, deute auf  dessen Gemeingefährlichkeit. Der Satz kommt jetzt auch überall zweisprachig und ist eine Aufforderungen nur ja niemanden in dieser Welt, diesem Deutschland und diesem Bayern zu trauen. Den in nachtumschwärmter Stentorstimme gesprochenen Satz kennen wir alle. Alle sind über diesen dummdreistblöden Satz empört. Aber niemand tut etwas. „Sicherheitshinweis: Bitte lassen Sie ihren Gepäck nicht unbeaufsichtigt“.

Ich hatte vor, vor dem 20. November 2013 Hildebrandt zu bitten, als Sprachschöpfer und Sprachmerker, der er war, diesen Satz einzureichen für das Unwort- oder den Unwortsatz des Jahres bei der Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung.

Das kann ich jetzt nicht mehr tun. Ich kann hier nur noch anfügen, wie der Satz englisch lautet. „Security advice. Please do not let Your luggage unattended“. Und lesen Sie das Buch posthum nach Dieter Hildebrandt.

Quelle

Rupert Neudeck 2014Grünhelme 2014


‹ Zurück zur Übersicht

Das könnte Sie auch interessieren