Erhard Eppler: Links leben
Ein Politiker, der sich zu mehr berufen fühlte. Erhard Epplers Biographie. Rezension von Rupert Neudeck
Das ist ein höchst ehrbares Buch: Erhard Eppler, der Mann im Hintergrund der deutschen Sozialdemokratie hat uns seine Biographie geschenkt. Er beschreibt seine Kindheit in Schwaben, dann seinen Weg zum Politiker, der er dann wurde Das große Unrecht, das ihm in seiner Karriere angetan wurde, geschah durch Helmut Schmidt und das beschreibt er im dritten Teil. Er wurde von seinem politischen Ziehvater Willy Brandt in das Bundeskabinett gebeten für das Ressort, das wir heute besser nicht mehr so nennen, aber Eppler nennt es weiter so ohne Anführungszeichen: Entwicklungspolitik.
Er beschreibt dann seine Rufer-Rolle in der SPD-Wüste als Vertreter der Ökologie, die er in der SPD heimisch machen will, auch um die eigene grüne Partei überflüssig zu machen, sed frustra. Er beschreibt die schwierige Rolle, die er als führender Sozialdemokrat gegen Helmut Schmidt und andere „gerne“ durchhalten musste. Er war Hauptredner im Bonner Hofgarten am 10.10.1981 gegen den Nachrüstungsbeschluss, den die westlichen Regierungen fällen wollten und Helmut Schmidt und danach Helmut Kohl mit ihnen. Er leitet die Diskussionsforen mit Vertretern der SED in der damals noch nicht uns bewussten End-Phase der DDR vor ihrem Exitus. Und er hat ein Vermächtnis weiterzugeben.
Das in jeder Hinsicht sympathische und gut geschriebene Buch hat eine Schlagseite. Eppler hat die Verbitterung mitgenommen, dass er von diesem Posten des Ministers für Wirtschaftliche Zusammenarbeit zurücktreten musste. Und in den Erwartungen, die er damals als Minister der westdeutschen Republik äußerte, drückt sich eine gutgemeinte Hybris aus. Ihn hatte diese Aufgabe gepackt, die des BMZ-Ministers, „der sogenannten Dritten Welt auf die Sprünge zu helfen“, schreibt er. Und: „Als Minister, der für die ärmsten Teile der Erde (!) zuständig (!) war, trug ich eine räumlich ausgedehntere Verantwortung als Schmidt“.
Und: Er war jahrelang mit dem Argument durch die Republik gezogen, „wer jetzt nicht mehr für Afrika tue, müsse in zwanzig oder dreißig Jahren mit immer gewaltigerem Einwanderungsdruck rechnen. Wer uns 2015 sagt, wir müssten die Lebensbedingungen in Afrika verbessern, muss wissen, dass dies die Zahl der Flüchtlinge im Mittelmeerraum frühestens in zehn Jahren verringern kann“. Aber wie hätte die kleine Bundesrepublik selbst mit einem höheren Etat in „Afrika“ die Lebensbedingungen verbessern sollen? In AFRIKA?
Das ist ein Kontinent, mit 53 oder 54 (je nachdem, ob man die Okkupation der Westsahara durch Marokko akzeptiert oder nicht) Staaten, und wir waren schon dabei, uns aus innenpolitischen Gründen schwer in die Nesseln zu setzen, in dem wir ein Land aus Dankbarkeit für eine innenpolitische Geste (Befreiung der Geiseln der LH Landshut 1977 auf dem Flughafen Mogadiscio) mit allem ausstatteten; aber nicht bemerkten, wie das Land auseinanderbrach – und bis heute als Staat nicht mehr zusammengewachsen ist. Ich war damals auf einer privaten Zusammenkunft des Botschafters in Kampala, Christian Nakonz, der die Helfer aus Somalia empfing – nach dem Staats-Ende von Somalia. Wir diskutierten darüber, was uns das bedeute, dass da ein Staat verschwinde, dessen Staatsaufbau wir lebhaft unterstützt hatten? Es gab zu meiner Überraschung keine Traurigkeit, keine Sorge, dass uns dadurch etwas fehlen würde, ein Betriebsunfall eben.
Wir können nicht für „die ärmsten Teile der Erde“ die Lebensbedingungen verbessern. Wir können als Bundesrepublik vielleicht mit zwei-drei Staaten ganz große Beziehungen aufnehmen, die zur wirklichen „Amitie allemand“ führen könnte, aber das wäre etwas viel Bescheideneres und Wirksameres, als wir uns in unserer Hybris – Zuständigkeit für die Dritte Welt – eingebildet haben.
Ansonsten ist der schwäbische Sozialdemokrat in seinem Buch bemüht, seine Urteile noch mal zu schärfen über die, die größere Verantwortung trugen in der deutschen SPD. Für Willy Brandt hat er wunderbare Sätze geschrieben, die in das Bild gehören, das wir Deutsche uns von diesem großen Menschen in der deutschen Politik machen sollen. Bei Helmut Schmidt kommt er nicht davon weg, dass er Kanzler im Palais Schaumburg am Tage des Rücktritts von Eppler gesagt haben soll: „Ich habe ihn rausgeschmissen!“ Später habe Schmidt gesagt, dass er sich nicht mehr genau erinnere, ob es ein Rausschmiss war oder ob Eppler selbst gegangen sei.
Er berichtet eine bewegende Episode nach dem Kniefall in Warschau im Dezember 1970. Nach einer Besprechung im Kanzlerbungalow fragte Brandt Eppler, ob er noch Zeit habe, es war schon Mitternacht. Man ging ins Nebenzimmer, wo schon zwei Weingläser standen. Dann schob Brandt die BILD auf den Tisch. Dort stand die Schlagzeile: „Knien tut man nur vor Gott“. Eppler berichtet, dass es da aus Brandt herausgebrochen wäre: „Woher wissen diese Schweine, vor wem ich gekniet habe?“ Brandt sei nach einer Nordafrikareise zurückgekommen, auch von einem Gespräch mit dem algerischen Präsidenten Houari Boumedienne, der damals auch die Gruppe der 77 vertrat. Nach dieser Reise kam Brandt auf Eppler zu mit einem Satz: „Jetzt habe ich’s begriffen. Jetzt lass uns zusammen Entwicklungspolitik machen!“ Was Brandt da neu begriffen hat, sagt uns Eppler in dem Buch leider nicht.
Oskar Lafontaine bekommt das härteste Urteil in dem Buch. Er sei ein Narziss gewesen, „selbstverliebt, egozentrisch, für Teamarbeit nicht zu gebrauchen“. Epplers Verhältnis wurde nicht nur durch die Art zerstört, wie er seinen Konflikt mit Gerhard Schröder zelebrierte. „Dass er nicht teamfähig ist – es sei denn als Nummer eins, dem alle folgen, hat inzwischen auch die Linkspartei erfahren.“ Und noch einmal: dass hier ein „unwiderstehlicher Narzissmus eine seltene politische Begabung korrumpiert hat, konnte schließlich auch Willy Brandt nicht übersehen.“ Viel von dem, was Brandt aufgebaut habe, habe Lafontaine eingerissen. Das bekomme die Partei zu spüren, bis ins 21. Jahrhundert hinein. Spannend nachzulesen, was Eppler über die Gespräche mit den SED-Leuten und zu dem gemeinsamen Papier SPD/SED schreibt, das am 27 August 1987 verabschiedet wurde.
Bei all seinen Auftritten in Sachen Ökologie vermisst man zwei Namen, die auch in dieser Früh oder Vorzeit der Ökologie wichtig waren in Deutscher Politik. Der eine kommt gar nicht vor, Herbert Gruhl, der fast eine ähnliche Rolle in der CDU von Kohl spielte, wie sie Eppler sich in der SPD zudachte in Bezug auf die Ökologie. Der andere wird dann mit einem sehr lobenden Satz bedacht auf S. 262. Im vorletzten Teil ‚Traum und Wirklichkeit‘ erwähnt Eppler einen einzelnen Abgeordneten seiner Partei, Hermann Scheer, der „das geniale Gesetz zu den erneuerbaren Energien anregen und durchsetzen konnte, das dem Energiemarkt einen neuen Rahmen gab und von vielen Staaten übernommen wurde“.
Für die Nachgeborenen ist gewiss das Kapitel “Mein Weg zum Politiker“ spannend. Eppler engagiert sich kurzfristig in der Gesamtdeutschen Volkspartei des von ihm bewunderten Gustav Heinemann. Die Debatte über die Wiederbewaffnung der Deutschen wurde damals nicht ausreichend geführt. Nicht nur um der deutschen Einheit willen, auch um der deutschen Zukunft willen hätte der Verzicht auf eine Armee in der ganzen Welt nur Anerkennung gefunden. Wir hätten uns alternativ und komplementär mit einem großen Corps an Zivil-, an Medizin- und Techniker-Helfern in der Welt einrichten sollen. Schön, wie Eppler beschreibt, dass er alle Reisen mit einem Motorrad der NSU-Quick, 98 Kubikzentimeter, Höchstgeschwindigkeit 55 km/h machen durfte. Völlig unvermittelt behandelt in diesem Kapitel der Autor seine von ihm geschätzte Rolle als Putinversteher heute 2015f. Das müsste er noch mal mit den unglaublich tapferen Vertretern der Menschenrechtsorganisationen in Russland bereden, mit der Swetlana Gannuschkina, den Journalisten, die noch nicht ermordet wurden, der Tochter des vor dem Kreml erschossenen Boris Nemzow.
Bewundert hat der Autor den elder statesman Carlo Schmid und die Urbegabung der SPD Fritz Erler. Eppler schrieb 1955 einen Brief: „Wenn Sie auf Ihrem Grabstein die Inschrift haben wollen: ‚Er hat immer recht behalten‘, bleiben Sie, wo Sie sind. Wenn Sie Politik machen wollen, kommen sie zu uns“. Er beschreibt das einschneidende Ereignis, den Godesberger Parteitag, der zu dem Godesberger Programm führte, das die Partei ummodeln sollte. Es sind oft bezwingende kurze Beschreibungen. In seiner pietistischen Heimat verteidigte Eppler jemand gegen Kritiker und sagte: Er sei eben eine Mischung aus einem schwäbischen Bauern und einem schwäbischen Prälaten. Er fand diese Zeichnung gut, denn im Grunde möchte er bis heute nicht leben ohne handfeste Gartenarbeit, ohne das Wühlen in der Erde, das Hacken und Häufeln von Kartoffeln und das Gießen von Bohnen oder Auberginen.
Ein Kommunalpolitiker kann die Ergebnisse seines Politik-Tuns sehen, ein Bundespolitiker nicht. „Ein Gärtner kann es jeden Tag“. Eppler gibt zu, dass er seit seiner Arbeit mit ihm nicht wusste, wer Herbert Wehner ist. „Ich weiß einfach nicht, wer Wehner war.“ Dabei sei das Urteil von Wehner ganz einfach über ihn gewesen: Ein Intellektueller, den man von Zeit zu Zeit zusammenstauchen muss, damit er ordentliche Arbeit leistet. Wehner war auch der Erfinder des Pietcong für Eppler, eine Zusammenballung von Vietcong und Pietisten. Eppler kommt über die Landesliste 1961 in den Bundestag. 1965 kämpfen die beiden großen Parteien um die Deutungshoheit für den Wohlstand und wie man ihn rasch als Bruttosozialprodukt verdoppeln könne. „Hätte jemand über Ökologie gesprochen, hatte ich ihn gefragt, was denn dieses Fremdwort bedeute“.
Altersweise gibt der Autor am Ende in einer Art Vermächtnis Ratschläge; in Bezug auf die Ukraine muss man den Putin verstehen wollen, der im Verhältnis zu Stalin in Russland sicher so etwas wie den Rechtstaat aufgebaut habe. Was die Ökologie angeht, wird Eppler Recht haben, die beiden großen Parteien haben diese Herausforderung nicht akzeptiert, weshalb es dann in Europa überall grüne Parteien gab. Bei Helmut Schmidt wird ihm klar: Wäre er nicht schon wegen der Entwicklungspolitik zurückgetreten, er hätte es nach der Kabinettsklausur auf Schloss Gymnich 1974 machen müssen. Denn für Helmut Schmidt war die Ökologie nur eine modische Sache, die bald vergessen sein würde.
Erhard Eppler „Links Leben – Erinnerungen eines Wertkonservativen“