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C.H. Beck Verlag | Kinder sprechen mit dem Dalai Lama | Wie wir eine bessere Welt erschaffen

© C.H. Beck Verlag | Kinder sprechen mit dem Dalai Lama | Wie wir eine bessere Welt erschaffen

Kinder sprechen mit dem Dalai Lama

Der gute Mensch Dalai Lama – Zu einem Interviewbuch mit Schülern. Von Rupert Neudeck

Der Dalai Lama ist vielleicht nächst dem Papst in Rom einer der Hüter von Moral und der Vorstellung vom guten Leben. Was diesen Mann so ausnehmend sympathisch macht, ist seine untrügliche Bescheidenheit. Er kann nicht eitel, großkotzig, auffahrend werden. Obwohl er wieder demütig berichtet, dass er in seiner Jugend und Kindheit eine ganze Menge lernen musste, um das Aufbrausen zu verhindern.

Der Buddhismus ist insoweit keine Religion, als er keinen Gott erkennt. Aber er passt für einen Christen sehr gut in die Reihe der Religionen, die ja auch immer wieder wie das christliche Evangeliums sagen: Gott hat niemand je gesehen!“ und das Gott sehen und Gott erleben in allen Geschöpfen predigen. Insoweit würde man den Buddhismus gut in die Reihe der Religionen einbeziehen können. Das Buch gibt eine kleine Einführung in den Glauben und die Ethik des Buddhismus und zugleich auch in das weltpolitische Gebaren des Dalai Lama. Immer dann wird es in dem Buch spannend, wenn er von sich selbst erzählt.

Im zweiten Teil spricht er von der Stabsübergabe an die jüngere Generation. „Die ältere Generation, zu der ich auch gehöre, bereitet sich darauf vor, sich von dieser Welt zu verabschieden. Die Jugend muss die Verantwortung für die Zukunft übernehmen.“

Das Buch lebt davon, ein Bewusstsein, ja auch ein Gefühl von den sieben Milliarden Glücksuchern zu vermitteln, die wir sind. Deshalb geht die Frage bei dem Dalai Lama vorbei: Nicht die eigene Welt, nicht der eigene Stamm, nicht die eigene Religion in klarer Abgrenzung von den anderen darf das Ziel sein, sondern unser Bewusstsein von den sieben Milliarden Glückssuchern.

Nie ist der Verstand, nie akademische Klugheit allein wichtig, sondern immer auch das Herz. Diejenigen, die Unglück und Elend über die Menschheit brachten, hatten durchaus einen brillanten Verstand. Das zeigt, dass ein kluger Kopf immer durch ein gutes Herz ausgeglichen werden muss. Der Dalai Lama war 24 Jahre, als er seine Heimat verlassen musste. Eine Schülerin fragt den Dalai Lama: Sie käme aus Polen. „Wie kann ich mich in Deutschland zu Hause fühlen?“ Darauf sagt der große Vertreter der Tibeter: Er sei auch heimatlos. Er hätte sein Land 1959 verlassen müssen. Es war am 17. März 1959 um 22 Uhr, und „Ich wusste nicht, ob ich den nächsten Morgen erleben würde“. Seit diesem Tag sei er nicht mehr nach Tibet zurückgekehrt, d.h. er durfte nicht mehr. Und er zitiert ein tibetisches Sprichwort, das auch schon bei den Lateinern üblich war: „Wo immer du glücklich bist, dort ist deine Heimat. Wo immer man dich liebt, das sind deine Eltern.“ Er betrachte sich als Weltbürger. „Ich bin überall zuhause, wo man mich anlächelt“.

Das wird manchmal den nationalbewussten Tibetern auch zu viel sein, denn der Weg zu einer Europäischen Union führt erst über die Anerkennung der eigenen Nationalität. Aber das faszinierende ist, dass dieser Dalai Lama danach lebt. Er spricht von seinem Freund George W. Bush, den er gleich nach den Terrorangriffen am 9. 11. 2001 auf den World Trade Tower gesprochen habe. Er habe ihm sein Mitgefühl ausgedrückt, aber auch gesagt: er hoffe, dass er das Problem auf gewaltfreie Weise lösen werde. „Ich kenne George Bush jr. gut und schätze ihn auf der menschlichen Ebene sehr“. Wenn er das nicht tue, würden aus einem Bin Laden in kurzer Zeit zehn, hundert oder tausend Bin Laden werden. So war es dann ja auch. Der Irak wurde zerstört.

Der Dalai Lama ist sehr stur und kann das Gerede von dem: man kann da  nichts machen, nicht hören. Alles muss beim Einzelnen beginnen. Er habe damals vorgeschlagen, dass ein Friedensnobelpreisträger nach Bagdad reisen sollte, jedenfalls kein Regierungsvertreter. Und dann hatte man auch die Idee, dass es der Dalai Lama sein sollte. Aber da kam wieder seine überzeugende Bescheidenheit zur Sprache. Das wäre nicht richtig gewesen, denn er sei dafür nicht der Richtige, da er keine Verbindungen und Kontakte in der Region habe.

Die große Botschaft des Dalai Lama, wir sollten uns nicht in die einen und die anderen auseinander dividieren lassen. Es sei die Zeit gekommen, von einem großen WIR auszugehen. Das gelte auch für sein Land Tibet, das gar keine Unabhängigkeit anstrebe. Das aber die Überwindung der Feindschaft anstrebe. So wie er das bewundert habe bei den Franzosen und den Deutschen. Der deutsche Kanzler Adenauer und der französische Präsident de Gaulle hätten während ihrer Lebenszeit geschafft, das Modell eines friedlichen und vereinten Europas zu verwirklichen. Er habe 1954 und 1955 viele Monate in China verbracht und sich damals mehrmals sich mit Mao Tse Tung getroffen. Er habe sich damals sehr zum Marxismus und Sozialismus hingezogen gefühlt. Und er sagt: was die sozialökonomische Theorie angeht, sei er immer noch „überzeugter Marxist. Der Dalai Lama bekam von Mao Tse Tung die beschränkte Autonomie für Tibet in Aussicht gestellt. Leider kam es bisher nicht dazu.

Das Buch hat zwei Teile. Der erste Teil beschreibt die Botschaft des Dalai Lama, im zweiten Teil gibt es die Rede des Dalai Lama an die Generation des 21. Jahrhunderts und die Fragen der Schülerinnen und Schüler. Es war im Mai 2014, als 800 Schülerinnen und Schüler aus Hessen die wunderbare Möglichkeit bekamen, in der Frankfurter Paulskirche mit dem Oberhaupt des tibetischen Buddhismus zu sprechen und ihn im Wortsinn zu interviewen. Die Autorin Claudia Rinke hat aus diesen Gesprächen ihr Buch komponiert. Ich könnte mir das Buch noch lebendiger vorstellen, wenn es nur die nicht arrangierten und korrigierten Fragen der Jugendlichen (womöglich auch mit deren Namen) aufgenommen hätte mit den spontanen Antworten des Dalai Lama.

Dieser Dalai Lama ist in der Lage, ohne Abstriche sich selbst bei Widersprüchen zu ertappen. Auf die Frage einer Schülerin: Essen sie Fleisch? antwortet er, dass er überzeugt sei, dass man auch Tieren kein Leid zufügen darf. Er habe viele Jahre kein Fleisch gegessen. Dann hatte er Probleme mit der Galle, sein Arzt empfahl ihm von Zeit zu Zeit Fleisch zu essen. “Das ist mein persönlicher Widerspruch. Von meinem Herzen bin ich Vegetarier und empfehle das allen Menschen“.

Er will niemals missionieren. Er sagt „Wer einer anderen Religion angehört und Vertrauen in einen allmächtigen Schöpfergott habe, sollte nicht erst darüber nachdenken“. Er habe mal mit einem katholischen Priester über die Praxis der liebenden Güte gesprochen. Der bat ihn, ihm auch das Prinzip des abhängigen Entstehens zu erklären. Da antwortete der Dalai Lama: „Das ist nicht Deine Angelegenheit. Bleibe du bei Gott“. Das sei nur etwas für diejenigen, die sich intensiv mit dem Buddhismus auseinandersetzen wollen Man nimmt ihm nach diesen schönen Gesprächen wirklich ab, dass er keine Angst habe. Hoch spannend, wen er als Menschen-Vorbilder für sich erkennt. Da sagt er sofort: Vaclav Havel, der nach der Befreiung der Tschechen und Slowaken ihr erster Präsident wurde. Dann Professor Carl Friedrich von Weizsäcker, den Physiker, der ihm die Grundlagen der Quantenphysik beibrachte. Er geht soweit, sogar Mao Tse Tung zuzugestehen, dass er in den 50er Jahren überhaupt nicht grob war. Er habe viel für das Wohlergehen der Menschen getan. „Im Laufe der Zeit sei er korrumpiert worden. Er nennt auch Willy Brandt, der als Bundeskanzler mitten im Kalten Krieg „Vertrauen in Leonid Breschnew entwickelt und einen Dialog geführt hat. „Dafür bewundere ich ihn“.

Und er hat einen wunderbaren Witz. Er wird zur Gleichberechtigung von Mann und Frau gefragt. Männer und Frauen sagt er haben die gleiche Fähigkeit, Erleuchtung zu erlangen. Das sei im buddhistischen System so grundgelegt. Er meint, dass Frauen im Vorteil seien, weil sie ein stärkeres Mitempfinden mit den Schmerzen anderer haben und mit mehr Sensibilität reagieren. Das würden auch wissenschaftliche Studien belegen, „Nehmen wir an, dass 200 Nationen von Frauen regiert werden. Dann wäre es wahrscheinlicher, dass weniger Gewalt bei der Lösung von Problemen eingesetzt wird, denn in der bisherigen Menschheitsgeschichte waren es meistens Männer, die Konflikte und Kriege verursacht haben.“  Das ist natürlich noch nicht erprobt. Maggie Thatcher als Premierministerin von Großbritannien bietet da mit ihrem Falkland Krieg ein ganz anderes Bild. Aber er antwortet mit einer schönen typischen Geschichte auf die Frage, ob er sich auch vorstellen könne, als Frau wiedergeboren zu werden. Er antwortet. Falls es für Tibet nützlicher ist, dass der Dalai Lama eine Frau ist, kann das passieren. Aber er fügte hinzu. „Wenn der Dalai Lama eine Frau sein sollte, dann aber bitte eine hübsche Frau. Das wäre nützlicher.“

Es sind sehr gute Fragen, die dem Dalai Lama gestellt werden. Er gibt ohne Rückhalt Auskunft. Und, er ist ein Mensch voller Hoffnung, das zeichnet ihn auch als religiösen Menschen aus. Auf die Frage, ob eine Welt ohne Krieg überhaupt möglich ist, reagiert er nicht wie ein typischer Journalist und Politiker, sondern mit dem Hinweis darauf, wie gewaltig der Unterschied zu den vorigen Jahrhunderten ist. Damals noch bei unseren Ur-Ur-Großeltern war der Krieg etwas Normales. Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde sogar der Atomkrieg für möglich gehalten. Er beobachtet, wie „in vielen Ländern der Welt, auch in  den westlichen, die Menschen zunehmend von inneren Werten sprechen. Sie verstehen, dass es ihnen besser geht, wenn sie in einem Zustand inneren Friedens sind.“ Es spräche sehr viel dafür, „dass wir auf ein glücklicheres Jahrhundert zusteuern“. Und dann sagt er etwas, was mit der Wiedergeburt zusammenhängt. Er sei jetzt 80 Jahre alt. Eventuell (aber sicher ist er da nicht) werde er diese friedliche Welt nicht mehr kennenlernen. Er werde aber einen Beitrag zu ihrer Entstehung leisten. „Wenn ich dann wiedergeboren werde, kann ich den Frieden im nächsten Leben genießen“.  Ganz typisch, dass die kürzeste Antwort auf die Frage der größten Beleidigung kommt. Ein Schüler fragt ihn, was er empfindet, wenn Regierungen und Präsidenten ihn einfach ausladen, weil Peking das so will? Darauf sagt er nur lapidar, für ihn sei es nur wichtig, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen und „mich für die Verbreitung menschlicher Werte einzusetzen“.

In der Frage der Gewaltlosigkeit ist er klar und unerbittlich. Er hält nur den passiven Widerstand zur Befreiung seines Landes Tibet für realistisch und den einzigen Weg, zur Befreiung der eigene Lebensweise zu kommen.

Claudia Rinke „Kinder sprechen mit dem Dalai Lama. Wie wir eine bessere Welt erschaffen“

Quelle

Rupert Neudeck 2015 Grünhelme 2015

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