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Maos Grosser Hunger – Massenmord und Menschenexperiment in China

Mehr als die Gulag Tragödie: 45 Mio durch Hunger Getötete. Von Rupert Neudeck

Die Vorgeschichte des „Großen Sprungs“ – um den das Buch in einer einzigartigen Recherche kreist – ist dramatisch: Mao Tse Tung war in seiner ganzen großen Zeit des großen Marsches noch lange nicht ein ebenbürtiger Mitkämpfer des großen Jozef Wissarionowitsch Stalin. Ganz im Gegenteil, er war total im Schatten der Sonne, die der große und unerreichbare Führer der Oktoberrevolution ausstrahlte.

Stalin verlangte von Mao, in eine Einheitsfront mit dem Erzfeind Chiang Kaichek gegen die Japaner in der Mandschurei einzutreten. Stalin schickte dem Kuomintang Regime Flugzeuge und Militärberater. Mao mußte schon 1936 Chiang freilassen auf Anweisung von Stalin, der Mao bat, die Geisel freizulassen. Stalin blieb auf Distanz zu Mao, wie vice versa. Stalin hatte das schlimmste Schimpfwort übrig für Mao: Er sei ein Bauer und Höhlenmarxist. Dazu erregte Mao wegen eines latenten Widerspruchgeistes Sorgen, er könnte zu einem zweiten Tito mutieren. Tito war ja mit seiner kommunistischen Partei in Jugoslawien ohne sowjetische Hilfe an die Macht gekommen.

Kränkungen vergaß Mao nie. Im Dezember 1949 erhielt dann Mao eine Einladung nach Moskau, aber diese galt allein der größeren Sonne im kommunistischen Weltorbit, zur Ehre von Stalin, dessen 70. Geburtstag gefeiert wurde. Er musste nach Ankunft „mehrere Wochen in einer Datscha auf dem Land leben“ und auf eine Audienz warten. Dann kam die Audienz und wurde eine große Enttäuschung. Zwar bekam Mao eine Militärhilfe von 300 Mio US-Dollar, aber auf fünf Jahre gestreckt. Als Gegengabe musste Mao Gebietszugeständnisse machen. Die Sowjetunion erhielt die Kontrolle über Port Arthur und die Transmandschurische Eisenbahn und durfte die Bodenschätze der Provinz Xinjang ausbeuten. Dann kam Stalins Tod und Chruschtschow wurde der neue Generalsekretär. Mao hielt ihn für einen Tölpel. Dann kam hinzu, dass Chruschtschow seine weltberühmte Entstalinisierungs-Rede auf dem XX. Parteitag der KPdSU ohne Vorinformation von Mao hielt. Mao hielt diese Entstalinisierung für eine Bedrohung seiner Macht. Wer Kritik an Stalin übte, untergrub die Autorität Maos. „Außerdem glaubte Mao, nur er allein dürfe sich auf Grund seiner erhabenen moralischen Position ein Urteil über Stalins Fehler erlauben“.

1956 war Mao auch enttäuscht über die langsame wirtschaftliche Entwicklung. Er meinte, nur eine beschleunigte Kollektivierung der Landwirtschaft würde zu einem sprunghaften Anstieg der Produktion führen. Schon im Frühjahr 1956 brach eine Hungersnot in einigen Provinzen aus, weil diese Entwicklung weder gut vorbereitet noch behutsam genug eingefädelt war. Dann kam Mao zu einer neuen Wende, bei der er meinte, Unzufriedenheit und abweichende Meinungen abschöpfen zu können. Im April 1957 kam es zur Wende mit der „Kampagne der Hundert Blumen“. Doch führte diese Öffnung zu einer heftigeren Kritik als erlaubt war. Die Kampagne scheiterte. Im Oktober 1957 wurde die Parole ausgegeben: „Größer, schneller, besser und wirtschaftlicher“. Damit war die Politik des „Sprungs nach vorn“ geboren. Ähnlich wie Chruschtschow sich in die Illusionen hineinsteigerte, er werde in 15 Jahren die USA überholen, meinte Mao: Ich kann euch sagen, dass wir in 15 Jahren Großbritannien einholen oder hinter uns lassen können. Wir – so meinte er, erzeugen in diesem Jahr 5,2 Mio Tonnen  Stahl, in fünf Jahren werden es 15 Mio sein, in weiteren fünf Jahren werden es 25 und nach noch einmal fünf Jahren werden es 40 Mio Tonnen sein.

Damit hatte Mao den Start freigegeben für die größte Hungersnot der Menschheit, die nicht von der Natur, sondern allein von Menschen, den Funktionären der Kommunistischen Partei gemacht wurde. Die Zahlen- und Quantitätsgläubigkeit Maos war extrem. Dem Abgesandten der Provinz Hunan, die zu wenig produziert hatte, hielt er entgegen: „Luxemburg hatte nur 300.000 Einwohner, produzierte jedoch 3 Mio Tonnen Stahl pro Jahr“. Und wie viele Einwohner habe Hunan?, wollte Mao vom Parteichef in Hunan wissen.

Man denkt Ja immer, dass wir schon ausreichend informiert waren über den „Großen Sprung nach vorn“. Da sich China ja zumindest in der globalisierten Weltwirtschaft und sogar im Weltbankensystem auf einem der vorderen Plätze befindet, scheint ja erst mal soweit alles in Ordnung zu sein. Ob das Land noch mal zu einer Form der Freizügigkeit der verschiedenen Bevölkerungsteile führen wird, ist zweifelhaft, aber auch nicht unbedingt zu fordern. Denn es könnte wieder so aussehen, als ob der Westen sich wieder wie ein Pseudo-Kolonialherr in die inneren Angelegenheiten des Reiches der Mitte einmischen wollte. Nun aber erfahren wir mit diesem Buch über dieses China sehr viel Neues und Genaueres, denn der Autor hat sich in vielen Parteiarchiven Chinas umgetan. Er behandelt ganz konzentriert diese vier Jahre des „Sprunges nach vorn“, die eine alles in allem grauenhafte Periode der Menschheitsgeschichte war, in der Menschen zu Wölfen gegeneinander wurden. Sogar Mütter zu ihren eigenen Kindern, einfach weil das Land in eine von oben befohlene Hungersnot hineintaumelte.

Das System beruhte auf einer unglaublich disziplinierten Ordnung, die auf alle Haushalte ausgelegt war und in diesen vier Jahren niemanden zum bewaffneten oder unterirdischen Widerstand herausforderte, allein schon, weil alle viel zu schwach waren, denn es gab nichts mehr zu essen. Menschen mussten sich durch absichtliches Stehlen ernähren, oder auch durch das Herausgehen aus den ländlichen Regionen hin zu den Städten. Denn in den Städten gab es noch etwas zu essen auf Bezugsscheine, während man die Bevölkerung auf dem Land ohne Nahrungsverteilung ließ, in dem klaren Bewusstsein, die werden sich die Nahrungsmittel schon besorgen.

Die Perversion begann mit der Bevorzugung der Parteihierarchie, wie das ja schon die Perversion des egalitären Bolschewismus gewesen war. Die Zahl der Parteimitglieder wuchs während sich die Hungersnot ausbreitete, von 12,45 Mio 1958 auf 17.38 Mio 1961. Das waren dann die Privilegierten, für die alles herangeschleppt wurde. Die Mitglieder der Parteispitze wohnten in besonderen Residenzen, hinter hohen Mauern. Sie wurden rund um die Uhr von Leibwächtern begleitet und hatten Dienstautos mit Chauffeur. Es gab wie in der DDR spezielle Einkaufsläden für die Elite. Ausgewählte Bauernhöfe erzeugten für diese Elite besonders hochwertiges Gemüse, Fleisch, Eier. Auch die unteren Parteikader schlugen sich bei lokalen Versammlungen die Bäuche voll – eben in einer Zeit, in der mindestens 45 Mio Chinesen schlicht vor Hunger auf der Straße tot zusammenbrachen.

„Während die Provinz Guizhou hungerte oder verhungerte, brauchten 260 Parteifunktionäre vier Tage, um bei einer Konferenz in Naxing 210 Kilo Rindfleisch, 500 Kilo Schweinefleisch, 680 Hühnchen, 40 Kilo Schinken, 130 Liter Wein und 79 Stangen Zigaretten sowie Berge von Zucker und Gebäck zu verschlingen“. Es gab manchmal Proteste, aber es gab keine Kraft, um einen wirklichen Aufstand gegen diese Blutsauger-Funktionärskaste zu beginnen. Dazu kommt, dass man in der Tradition der chinesischen Bittschriften an den Kaiser glaubte, der Machtmissbrauch sei nicht das Ergebnis der von Mao eingeleiteten Kollektivierung, sondern werde auf den unteren Ebenen praktiziert. Nach dem Motto, „Wenn nur Mao davon wüßte…“ In der Hauptstadt habe die Gerechtigkeit überlebt. Das Briefeschreiben gab den Menschen Hoffnung, weil manchmal auch auf Grund von Briefen etwas geschah. „Lieber Vorsitzender Mao“, hieß die Anrede. So beschrieb ein Mann namens Ye Lizhuang den Hunger und die mit dem Hunger einhergehende Korruption in Hainan.

Ein ganzes Kapitel beschreibt den Zusammenbruch der Ethik einer Gesellschaft unter den Bedingungen des Mangels. Wo es Mangel gibt und man ihn nicht ersetzen kann, kommt es zu einer Umwertung der Werte. Man begann damals sich Nahrungsmittel durch Diebstahl, durch organisierten und spontanen Diebstahl einzuverleiben. Der Hunger war so groß, dass es bei einem solchen Diebstahl nicht mal mehr Schuldgefühle gab. In den Betrieben gab es die unausgesprochene Devise:  Keine überflüssige Bewegung, weil alles, was Anstrengung bedeutete, war zu vermeiden. Diebstahl war endemisch. Die Devise galt: „Wer es schaffte, ein wenig Essen zu stehlen, starb nicht!“  Es griff das System des sog. „Grünessens“ um sich (chinesisch: Chiqing), die Bauern schnitten auf dem Feld heimlich Ähren ab, die sie in der Hand mahlten und roh aßen. Der Verzehr unreifen Getreides war im Norden verbreiteter, weil man zwischen dichten Reihen von Maispflanzen oder Weizenpflanzen nicht so auffällt wie auf einem Reisfeld.

In einigen Volkskommunen verschwand die ganze Herbsternte des Jahres 1960, weil die Bauern sich auf den Feldern ‚satt aßen‘. Auf dem Land untergrub der Überlebenskampf jegliche Sitte und Ethik des Zusammenlebens, da die Menschen eben auf ein gewisses Mindestmaß an Nahrung auch angewiesen sind. In einigen Dörfern nahm der Mundraub derart überhand, dass den Parteikadern nichts anderes einfiel, als den Bauern Straffreiheit zu versprechen, wenn sie nicht in der Nachbarschaft, sondern in anderen Dörfern stehlen gingen.“  Das Grauen: Der Mundraub war in der Zeit des Hungers der Gewinn des einen gegen den Verlust des anderen.

Man liest diese Kapitel wie in einem politischen Kriminalroman, muss sich zwischendurch immer in den Arm zwicken, um sich zu sagen: Nein, das ist keine Fiktion, das war eine Realität, die nicht 1984 geschehen ist, sondern in der realen Lebenszeit von damals 650 Mio Menschen in China. Und es ist eine Realität, die unsichtbar aber subkutan die gesellschaftliche Realität berührt, denn sie ist bis heute im Wortsinn verscharrt, wie in einem Sarg eingedeckelt und unter die Erde gebracht, um nur ja nicht mehr archäologisch-politisch zum Vorschein zu kommen.

So kam es zwar nicht zur Explosion, zur Revolte und zum Aufruhr, aber zur Implosion des Landes. In den Hungergebieten auf dem Land konnte man kaum zwischen Selbstverteidigung und Selbstzerstörung unterscheiden. Aber es war immer klar, wer am meisten litt: Die Schwachen, die Kinder, die Verwundbaren, die Armen, die Frauen. Da das alles das Ende von Recht und Gerechtigkeit war, wurde 1959 folgerichtig das Justizministerium abgeschafft. Es war einfach sinnlos, sein Recht zu verlangen. Ein Parteifunktionär hatte einer einfachen alten Frau ein Huhn gestohlen und verspeiste es. Die empörte Frau wollte den Dieb vor Gericht bringen. Aber solche Klagen wurden sinnlos, denn das Rechtssystem war unter diesem Hunger-Druck zusammengebrochen.

Nachdem bis 1961 ganz viele in die Städte gezogen waren, mehr als 30 Mio, um dort Arbeit und was zu essen zu bekommen, drehte die Hungersnot die Politik um. Ein Befehl erging am 18. Juni 1961: Die Partei befahl, 20 Miio Menschen aus den Städten auf das Land zu deportieren. Damit wollte man 2 Mio Tonnen Getreide sparen, indem man die Bevölkerung der Städte bis zum Jahresende um 10 Mio Menschen verringerte. Man versuchte vor dem Horrer des Hungers nach Burma auszuweichen, 20.000 Flüchtlinge sollen das geschafft haben, andere 6.000 gingen in die UdSSR. Im Verlauf des Hungers gelang es vielen, man schätzt 20.000 nach Hongkong durchzukommen, das damals über Nacht zum West-Berlin Asiens wurde. Doch wie der Autor schreibt – waren diese chinesischen Flüchtlinge anders als die ostdeutschen in Westberlin in Hongkong nicht willkommen. Die damals noch Kronkolonie fürchtete von Festlandschinesen überrannt zu werden.

Auch erkannte die UNO die Volksrepublik China noch nicht an. Also konnte es „Flüchtlinge aus China nicht geben. Das furchtbarste Kapitel des Buches ist überschrieben „Kinder“, und man kann die Leseerinnerung nicht wegschieben. Die Rechte der Kinder wurden mit Füßen getreten. In Abwandlung des berühmten Satzes von Thomas Hobbes könnte man sagen: Der Mensch ist dem Kind ein Wolf. Immer wieder wurden Nahrungsmittel aus Kindergärten gestohlen. Im November 1960 starben im Kreis Qichun in Hubei jeden Tag ein bis zwei Kleinkinder, weil die Pfleger den Großteil der Nahrungsmittel selbst verzehrten.

Die Kinder gehörten dem Kollektiv. Sie wurden nicht auf die Schule, sondern zur Arbeit geschickt. Sie wurden nicht von den Eltern, sondern von den Parteikadern angetrieben. Ein 13 Jahre altes Mädchen namens Tang Suoquin wurde gezwungen, eine 41 Kilo schwere Ladung gemähtes Gras zu schleppen, ein 14jähriger musste eine Ladung Dung tragen, die 40 Kilo wog. Grauenhafte Einzelschicksale, die  sich zu einem Millionen- fachen Schrei nach Gerechtigkeit für diese Kinder summieren. Guo Huansheng hatte allein drei Kinder aufzuziehen. Sie durfte sich von der Arbeit nicht beurlauben, um ihren 5jährigen Sohn ins Krankenhaus zu bringen. Doch sie brach ohne Erlaubnis einfach nach Guangzhou auf. Ihr Kind starb im Krankenhaus. Als die Mutter nach zehntägiger Abwesenheit heimkehrte, merkte sie, dass sich niemand im Dorf um ihre beiden anderen Kinder gekümmert hatte. Sie langen in ihren Exkrementen, Anus und Achselhöhlen waren von Würmern übersät. Der Parteifunktionär He Liming kam zu ihrem Haus und beschimpfte Guo als „Drückebergerin“, worauf sie wahnsinnig wurde. Im Dorf Liaojia floh eine alleinerziehende Mutter in die Stadt. Die Parteikader sperrten die beiden Kinder im elterlichen Haus ein und ließen sie verhungern.

Homo homini lupus…Der Menschen wird dem Menschen ein Wolf.

Auf dem Land wurden Kinder verkauft und weggegeben, wenn die Familie sie nicht mehr ernähren konnte. Dies war eine alte Tradition, an der die neuen Verhältnisse nichts ändern konnte. Es gibt keine verlässlichen Statistiken. Aber in großen Städten wie Naking wurden im Laufe eines Jahres mehrere Tausend Kinder aufgegriffen, die man ausgesetzt hatte. 1961 wurden bis 21.000 Kinder in staatlichen Waisenhäusern untergebracht. „Überall lagen sterbende Kinder mit geschwollenen Bäuchen und ausgemergelten Gliedern, die schweren Köpfe an dünnen Hälsen schlackernd, in Bauernhütten, auf kahlen Feldern oder in staubigen Straßengräben.“ Der Autor erzählt die Geschichte der Zhao Xiaobai und ihrer sechsjährigen Schwester, die bei einem Onkel aufwuchsen. Sie wurden bei Kältegraden von minus 20 Grad nach draußen geschickt, um Holz zu suchen. Um die Schwester vor der Misshandlung durch den Onkel zu schützen, nahm Zhao die sechsjährige mit, wenn sie arbeiten ging. Aber auch da war die kleine Schwester nicht sicher. „Jemand bewarf sie mit Sandklumpen, überall lagen um sie Sandklumpen. Sie hatte die Augen voller Sand und weinte und weinte.“

Zhao begegnet einem Paar, das nach Henan in die Stadt wollte. Sie kaufte zwei Fahrkarten und zurück in Henan fand sie ihre Großmutter, die ihre beiden Enkelkinder unter ihre Fittiche nahm.

Auf die Frage des Autors, wie sie zu der Frau wurde, die sie heute ist – denn sie hat überlebt, sagte sie ohne zu zögern: „Durch das Leiden!“

Aufatmend nimmt der Leser im Nachwort zur Kenntnis, dass sich im Januar 1962 das Blatt wendete. 7000 Parteifunktionäre waren in der Großen Halle des Volkes zusammengekommen, um den Bericht von Staatschef Liu Shaoqi zu vernehmen. Er sprach drei Stunden und damit wurde eindeutig klar; die Phase des großen Sprunges, die 45 Millionen Chinesen das Leben gekostet hatte, war zu Ende. Ein Alptraum kam an sein Ende. Liu wurde aber schon in seiner Rede von Mao unterbrochen. Er meinte, ob er das Verhältnis zwischen Erfolgen und Rückschlägen bei 7 zu 3 ansetzen könne. „Es gibt nur wenige Regionen, in denen die Zahl der Irrtümer einem Finger und die der Erfolge neun Fingern entspricht“. Da griff ein verärgerter Mao ein. Liu war klug genug zuzugestehen, dass ein abschließendes Urteil über diese Phase der Geschichte erst in fünf bis zehn Jahren möglich sein wird. Mao vertraute seinem Leibarzt an: Liu hätte über Naturkatastrophen im Gegensatz zu dem von Menschen verursachten Chaos gesprochen. „In meinen Augen ist dieses Geschwätz die eigentliche Katastrophe“.

Zhou EnLai tat das, was er immer tat, er sprach Mao von den Fehlentwicklungen frei. Bis heute sei nicht geklärt, wann Mao sich entschloß, Liu zu Fall zu bringen und eine weitere Katastrophe über die Menschen in China zu bringen: die Kulturrevolution. Es kam wohl an einem Nachmittag im Juli 1962 zum Bruch, als Mao in seinem Schwimmbecken planschte. Liu kam zu ihm und erklärte dass zwei der schärfsten Kritiker des Großen Sprunges ihre Einschätzung der Landverteilung darlegen wollten. Mao beschimpfte darauf Liu. Der sagte: So viele Menschen sind verhungert. Die Geschichte wird über Sie und mich urteilen. Sogar der Kannibalismus wird in den Büchern stehen“. Mao war außer sich vor Wut. Er ahnte, dass Liu sein Chruschtschow werden würde. So wie Chruschtschow in seiner großen Rede zum 20. Parteitag der KPdSU mit Stalin abgerechnet hatte, so würde das auch Liu mit ihm, dem großen Mao tun. Mao wartete den Moment ab, um Liu abzusetzen und den Boden für die Kulturrevolution zu bereiten. Die Zeit der Kulturrevolution war nicht minder grausam für die Chinesen. Sie wird möglicherweise in einem zweiten Buch von Frank Dikötter seinen Niederschlag finden.

Man ist von diesem Buch als Zeitgenosse und Zeitzeuge erschüttert. In einer Zeit, die der Rezensent noch bewußt als Student erlebt hat, sind in gut drei Jahren in einem Land unserer globalisierten Welt über 45 Millionen Menschen in China durch absichtlich und politisch produzierten Hunger ermordet worden.

Quelle

Rupert Neudeck 2014Grünhelme 2014

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