Putins Demokratur – Ein Machtmensch und sein System
Die lupenreine Demokratie. Von Rupert Neudeck
Eines kann man dem russischen Präsidenten nicht absprechen, ein zupackendes Selbstbewusstsein. Als Wladimir Putin bei der Gipfelkonferenz zwischen Russland und der EU in Samara anzüglich gefragt wird, ob er wirklich ein lupenreicher Demokrat sei, gab er zurück: „Gibt es irgendwo eine lupenreine Demokratie, in Deutschland z.B.?“
Das Buch macht bekannt mit einer verstörenden Entwicklung in dem Teil des alten Sowjetreiches, das Russland heißt. Dort hat eine Aufarbeitung der von Solschenizyn einst weltweit bekannt gemachten grauenvollen Lagerzeit, der Zeit des Gulagsystems noch nicht einmal begonnen. Oder, genauer gesagt, wenn sie einmal unter Michail Gorbatschow und Jelzin begonnen haben sollte, wurde sie zurückgefahren. Das Buch macht mit Einzelheiten dieser Entwicklung schonungslos bekannt, der Autor war lange genug in Rußland für ein deutsches Nachrichtenmagazin, um sich bei der Analyse und beim Urteil nicht zurückzuhalten. Er beschreibt, wie die geheimdienstliche Durchseuchung der Gesellschaft schon so groß ist, dass wieder Angst und Sorge vor dem Verlust einer Arbeits- oder Hierarchieposition die Szene beherrscht. Wen immer er beschreibt, es ist immer dasselbe Szenario: Wer einmal anfängt, das System zu durchschauen oder in Frage zu stellen wie Michail Chodorkowskis, landet zehn Jahre in erbarmungslosem Knast.
Der Autor kann von Putin schon aus einem Artikel zitieren über den Militärischen Komplex, der 1999 erschienen ist und wahrscheinlich so etwas wie sein Programm darstellt. Das Buch zitiert aus der unbekannten Fachzeitschrift „Notizen der Bergbau Hochschule“ 1999. Damals habe der Artikel keine Resonanz gefunden, heute wirkt er wie die Kampf- und Programmsage des lebenslangen Präsidenten Wladimir Putin. Rußland müsse große branchenübergreifende Finanz und Industriekorporationen schaffen, die in der Lage seien, „auf Augenhöhe mit den transnationalen Korporationen des Westens zu konkurrieren.
“Die Rohstoffwirtschaft sei die „Grundlage für die Verteidigungsmacht des Landes“ und die „unbedingte Voraussetzung für die Vervollkommnung des militärisch-industriellen Komplexes“. Egal, meinte Putin schon damals, in wessen Besitz sich die Rohstoffe befinden, der Staat habe das Recht, den Prozeß Ihrer Förderung und Nutzung zu regulieren. Wie ernst das Putin meinte, bekam der Yukos Chef Michail Chodorkowski zu spüren, als er sich gegen Anweisungen aus Moskau stellte und sogar mit einem US-Konzern anbandeln und eine Pipeline nach China in Eigenregie bauen wollte. Das alles ging zu weit.
Reitschuster hat wahrscheinlich hier den Nagel auf den Kopf getroffen: Auf dem Hinterhof in Sankt Petersburg habe der kleine Wolodja Putin gelernt, dass nur der Starke Recht hat. Im Kreml angekommen, habe er feststellen müssen, dass Rußland nicht stark war. Nach der Geiseltragödie in Beslan 2004 trat ein schockierter Putin vor die TV-Kameras. „Wir haben Schwäche gezeigt. Und Schwache werden geschlagen“. Deshalb hat er alles getan, um die Armee, die Geheimdienste, die Polizei stark zu machen. Der Staat muss stark sein, Rechte seiner Bürger gibt es nicht. Der Kreml, so zitiert der Autor einen Spötter, sei die einzige börsennotierte Staatsführung der Welt. Und deshalb gibt es auch nur eine Fassadendemokratie, die in Rußland herrscht. Witze machen diese Entwicklung besonders deutlich, die es jetzt wieder wie in Sowjetzeiten gibt:
Bush sr. Schröder und Bush jr. fliegen über Moskau. Bush sr. klagt: „Hätte ich so willfährige Staatsanwälte und Richter gehabt, wäre Clinton nie ins Weiße Haus gekommen und säße bis heute im Knast“. Schröder schluchzt: „Hätte ich so eine Wahlkommission gehabt, wäre ich mit 70 Prozent wiedergewählt worden und Merkel an der fünf Prozent Hürde gescheitert“. Dazu kommt der junge G.W. Bush: „Hätte ich die Journalisten im Griff gehabt wie Putin, würden heute alle glauben, dass der Irak Krieg eine Erfolgsstory ohnegleichen war“.
Das Buch beschreibt die letzte Karriere von Garri Kasparow, der auf seine alten Tage seine Rußland- und Welt-weite Bekanntheit gern für die Gründung einer neuen Partei benutzen will, um gegen den allmächtigen Wladimir Putin aufzutreten. Er wird an allen Ecken und Ende blockiert. Säle werden vorher geschlossen, Hotelbuchungen nicht beachtet. Flugzeuge landen nicht an den Orten mit dem Schachweltmeister, wo sie landen sollen, weil plötzlich Steine oder Kühe auf der Landebahn sind oder unerwartet Reparaturarbeiten sich ergeben haben. Das kommt davon, wenn man einen berühmten Namen hat und eine neue Partei gründen will. Den bekannten Namen hat er seit 1985 weg, als er dem Liebling von KPdSU Generalsekretär Breshnjew Anatoli Karpow unerlaubterweise die Schachkrone im Tschaikowski Saal in Moskau abnahm. Überall wird Kasparows neu gegründete „Vereinigte Bürgerfront“ behindert. Übrigens, das macht zusätzlich noch einen besonderen Lesegewinn des Buches aus: Auch in den deutschen öffentlichen Medien.
Als im Dezember 2006 Garri Kasparow in einer Sendung des öffentlich-rechtlichen und staatsfreien deutschen Fernsehens und zwar in die Talk-Sendung „Sabine Christiansen“ eingeladen wird, verhindert der ebenfalls eingeladene damalige russische Botschafter Wladimir Kotenev seine Teilnahme. Das heißt, die Feigheit der Moderatorin sorgt dafür, dass auf Einrede des Botschafters Kasparow nicht erscheinen darf. Zwei Tage vor der Sendung jedenfalls bekommt Kasparow einen Anruf, es gäbe technische Probleme bei der Vorbereitung der Sendung. Einen Tag vor der Show heißt es, die technischen Probleme seien nicht zu lösen. Kasparow mokiert sich darüber, weil das ein Zeichen der todkranken und von Putin maltraitierten russischen Medien ist, zu sagen, es gäbe technische Probleme. Auch der ehemalige ARD-Moskau Korrespondent Klaus Bednarz erfährt, dass der Botschafter sich geweigert habe, mit Kasparow gemeinsam vor die Kamera zu treten. Natürlich sagt die feige Redaktion von Christiansen: das stimme nicht.
Dann am Ende gibt man die dritte Version heraus, die Kosten für eine Schaltung nach Moskau seien zu hoch gewesen. Auch das kann Klaus Bednarz bezweifeln: Schaltungen nach Moskau sind möglich und erfolgen mehrmals täglich. Auch Bednarz wird ausgeladen, weil er für den Botschafter zu gefährlich war, an seiner Stelle wird Gabriele Krone-Schmalz auf Kosten des Gebührenzahlers aus Spanien eingeflogen. Selbst die Bundesregierung hält das für einen Skandal, der aber mehr bei der feigen ARD liegt, die nichts dagegen unternimmt, dass kritische Stimmen aus Rußland auf Anweisung aus Moskau nicht dem deutschen Publikum vorgestellt werden.
Zurecht schreibt der Autor, Russland sei auf den Hund gekommen. Wörtlich und bildlich, denn die Hunde der Frau Ljudmila Putina, Rodeo und Toska spielen in der Berichterstattung eine große Rolle wie des Präsidenten Labrador mit Namen Cony. Reitschuster: „Wie einst im alten Rom Seher aus den Eingeweiden von Vögeln die Zukunft Lesen; so könnte den Bürgern im modernen Rußland bald blühen, aus dem Wedeln von Hundeschwänzen politische Neuigkeiten zu erfahren“.
Die Geschichten, die alle auch noch wahr sind, sind Ausdruck der Absurdität des russischen Alltags. Die Gewissheit der Mächtigen, so meint der Autor, über dem Gesetz zu stehen, verleitet sie auch zu der Annahme, über den Gesetzen der Physik und der eigenen Existenz zu stehen. So koste es immer wieder Apparatschiks das Leben, die bei viel zu schlechtem Wetter den Befehl zum Start Ihres Flugzeugs geben oder mit überhöhter Geschwindigkeit durch das Land düsen.
Dennoch hält der Autor es nach über zehn Jahren Beobachtung des russischen Lebens für gewiss, dass trotzdem eine „Bürgergesellschaft im Entstehen“ sei. Beispiele gäbe es zur Genüge. Meistens handele es sich um Proteste in der Provinz gegen Moskau. Aber: „Alle diese Proteste haben vor allem eines gemeinsam: Sie werden im Fernsehen und in den wichtigsten Medien meistens totgeschwiegen“. Die vermeintliche Stabilität in Rußland berufe darauf, dass Widerspruch von den Oberen ignoriert wird.
Der Faktor Angst spielt eine große Rolle. Als Chodorkowski verbannt und weggeschlossen wird und das für grausame zehn Jahre, ducken sich die Mit-Milliardäre weg: Die Angst geht um. Die Kollegen russische Geschäftsleute springen ihrem Kollegen nicht etwa bei, sie überbieten sich in der Distanzierung. Bei einer Vorstandssitzung des Verbands mit dem Kreml Chef wird berichtet: „Es war gespenstisch, wie lange sie applaudierten, wie bei Stalin, als jeder Angst hatte, als erster mit dem Klatschen aufzuhören“, sagt der Moskauer Politologe Andrej Piontkowski. Das System der Bürokratie und der Herrschaft der Apparatschiks erinnert an die 30jährige Hinterlassenschaft von Sese Seko Mobutu im Zaire/Kongo.
Die Bürokraten verdienen nicht genug und müssen für ihr Überleben auf zusätzliche Verdienstmöglichkeiten ausweichen. „Das System ist geradezu darauf angelegt, die Menschen zu Gesetzesvorstößen zu verleiten, denn sobald sie gegen das Gesetz gehandelt haben, waren sie erpressbar“. Debrouillez-Vous (dt. etwa: Bedient Euch!) war das geheime Zauberwort des Kaisers im Kongo, der seinen Staatsangestellten auch empfahl, sich das bei den Bürgern zu nehmen was sie brauchten.
Wie schwer es auch ausländische Journalisten haben können, in Rußland zu arbeiten, war Reitschuster mehr als bewusst. Es gab Morddrohungen gegen ihn. Er wurde in den Staatsmedien übel beschimpft. In einem Interview hat der Autor gesagt, in den Medien wurde gesagt, man solle eine Prämie für den größten Rußland-Hasser einführen und nach ihm benennen. Man suggerierte, Menschen wie der Großvater des Autors müßten Hitler zum Angriff auf Rußland überredet haben. Es wurde sogar die Adresse des Autors, damals eben noch Korrespondent in Rußland, im Internet veröffentlicht mit der Aufforderung, es ihm mal zu zeigen.
„Transparency International“ läßt Rußland auf den ganz billigen Plätzen der Korruption verharren. Von 159 der korruptesten Länder steht Rußland auf Platz 126, neben Sierra Leone, Niger und Albanien. Ein insgesamt bedrückendes Buch. Es wäre gut, wir würden eine realistische Strategie gegenüber Putin beginnen und nicht eine, die auf falschen Illusionen und Träumen aufbaut. Nach Georgien, der Fälle Abchasien und Süd-Ossetien, der von Putin erpreßten Hinnahme der Entvölkerung eines Landes wie Syrien und der Ermordung von 150.000 Syrern durch die Luftwaffe und den Militärischen Apparat des Herrschers in Damaskus, nach der illegalen Besetzung der Halbinsel Krim und nach dem Versuch einer illegalen Besetzung von Teilen der Ost-Ukraine wird es Zeit, dass die Politik auf jeden Fall mal zu einer klaren Sprache führt und wenn nötig zu wirklichen Wirtschaftssanktionen. Solche Sanktionen sind der Ausdruck von Druck und Politik in einer Zeit, die aus guten Gründen keine militärische Auseinandersetzung mehr erlauben will.
Boris Reitschuster: „Putins Demokratur – Ein Machtmensch und sein System“ | Online bestellen!