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The Tyranny of Experts – Der falsche Weg

Der falsche Weg: Die Tyrannei der Experten, die Missachtung der Geschichte und die Faszination von autoritären Regimen. Zu einem neuen Buch von William Easterly. Von Rupert Neudeck

Seit Jahrzehnten, sechs mindestens versucht sich unsere Welt einzureden, dass unsere größtes Herzensanliegen die Bekämpfung der Armut und der Ungerechtigkeit unter den Menschen ist. Aber obwohl wir nun schon hunderttausenden von Experten in die Welt der Habenichtse und der Schmuddelkinder gejagt haben, von denen einige hunderte auch wieder kluge Bücher geschrieben haben, ist im Grunde wenig bis nichts wirklich geschehen. Stattdessen sind wir weiter auf dem Holzweg, für diese Probleme technische Lösungen, Experten und autoritäre Entwicklungsdiktaturen vorzusehen. Das nun widerspricht allem, was die Literatur und auch der wache Blick in unsere Zeit uns abverlangen. Das Buch wird eröffnet mit einer „unerhörten Begebenheit“. Am Morgen des 28. Februar 2010 verjagten US-Amerikanische Soldaten etwas bis 20.000 Bauern in dem Wood County im ländlichen Nordwest Ohio. Ein Britischer Konzern hatte dieses Land gekauft und wollte es sich so in Besitz nehmen.

Diese Gesellschaft war dabei die Wälder zu plündern und das Holz zu verkaufen. Die Bauern waren noch mehr aufgebracht, als sie hörten, dass die Weltbank – also eigentlich eine Institution, die entstanden war, um die Armut zu bekämpfen – dieses Projekt mitfinanziert und begünstigt hatten. Die Bauern in Ohio mögen gehofft haben, dass die öffentliche Aufmerksamkeit ihnen geholfen hätte. Dem war aber nicht so, ein erster Bericht über diese skandallöse Landbesitznahme erschien bei OXFAM, die New York Times kam am 21. September 2011 ebenfalls erst ein Jahr später damit heraus. Dann kommt aber auf der nächsten Seite erst der Theatercoup, der auch zeigt, wie wirksam der Autor schreiben kann. Selbstverständlich habe das alles so stattgefunden. Aber natürlich NICHT in den USA und Ohio, sondern in dem Distrikt Mubende in dem ostafrikanischen Staat Uganda. Und da können sich die Menschen nicht wehren, weil sie keine Rechte haben und ihnen in ihrer Geschichte niemals gesagt wurde (bisher), dass Menschen Rechte haben.

Das Buch ist gründlichst recherchiert und gearbeitet. Im ersten Teil geht Easterly auf die Pilgerväter dessen zurück, wann dann Entwicklungspolitik genannt wurde. Friedrich Hayek  und Gunnar Myrdal. Leider haben sie sich nicht ihre Argumente um die Ohren gehauen, es hätte daraus etwas entstehen können. Man war sich irgendwie einig, so war es bei Myrdal, dass man als Experte der autoritären Regierungsweise anhängen müsse, andernfalls wäre man kein Entwicklungsexperte. Daran knüpft schon seine Hauptargument: In der ganzen Geschichte der Entwicklungshilfe gäbe es keine Debatte über individuelle Rechte, aber die Rechte des Einzelnen sind der Grundstock der sozialen, politischen, wirtschaftlichen Entwicklung. Ohne dass Menschen in den Ländern Afrikas, Lateinamerikas und Asiens nicht Subjekte von Rechten sind, wird nichts Entscheidendes geschehen.

Easterly ist wütend über diese Haltung, in der diese Experten herausgegangen waren und sich nicht für die Geschichte der Völker und Menschen interessiert haben. Für sie war es alles eine leere Schiefertafel, ein leeres Blatt Papier, auf das Sie ihre wunderbaren technischen Lösungen schrieben konnte. Die Debatte ging selten über die Verhinderung der Entwicklung durch zu viel Anerkennung und Respekt gegenüber autoritären Herrschern. Und in der Geschichte der Entwicklungshilfe gab es natürlich die Unterscheidung zwischen bösen-dämonischen und wohlwollenden autoritären Regimes. Und eine Entwicklungsdiktatur ist natürlich immer benevolent, wohl-wollend. Es gab schon zwischendurch immer wieder Menschen, die dagegen angegangen sind. Z.B. der Rebell der SPD-Fraktion im Bundestag, Klaus Thüsing, der nach seiner Zeit in der Hohen Politik in den Dienst einer Entwicklungsagentur nach Afrika, Kenya, dann Südafrika ging. Er  hatte in einem Interview, was ihm dann aber auch die Reputation bei der Entsendeagentur genommen hat, erklärt, dass bisher die Entwicklungshilfe nur die fetten autoritären „Wa-Benzis“-Kerle alle noch fetter und sicherer im Sattel gemacht hatte. Also, Thüsing war schon ein Easterly vor dem aktuellen Buch, das uns heute vorliegt. Wa-Benzi ist das Kisuaheli Wort für die fetten Katzen: Die, die einen Mercedes-Benz fahren oder zur Verfügung haben.

Im zweiten Teil beschreibt Easterly die Wurzeln des Scheiterns dieser Debatte am Beispiel der realen Geschichte der Entwicklung in China. Im dritten Teil geht es dann um die Kernthese: Experten lernen nicht aus der Geschichte, sie sind die Negierer der Geschichte. Er beschreibt den langen Weg, den der Kampf um die Rechte von Individuen geführt werden musste.

Das fast aktuellste Kapitel in diesem wegweisenden Buch geht über die Frage, warum Migration der bessere Weg zur Entwicklung sein kann und wir uns immer dann verrennen, wenn wir uns in das nationale Gewebe allzu fest einbinden und einigeln. Das Schlusskapitel ist nun die Apotheose des lebenslangen Kampfes, den William Easterly gegen die Tyrannei der Experten und Zuständigen führt, aber auch der Assoziationen derer, die das Problem immer schon kennen und damit lösen. Immer wieder setzen sie nur auf Technik und Technology, und damit hat sich die Kuh Armut noch niemals vom Eis wegbewegen lassen.

Wie sich bestimmte tief innere Haltungen durchhielten, aus der Zeit der rassistischen kolonialen Reiche bis in unsere Zeit von Weltbank, IMF und Welthungerhilfe, das ist frappierend. Während des zweiten Weltkrieges sah sich die Weltmacht BBC genötigt, sich am 6. März 1941 zu entschuldigen. Denn der Kolonialbeamte George Ernest London hatte aus der britische Kolonie Goldküste nach London gemeldet, dass seine kolonialen Untertannen sich beschwert hätten über den bis dahin völlig unzögerlich verwendeten Begriff „Nigger“.  Öffentlich wurden vor dem 2. Weltkrieg diese Zuschreibungen von „Nigger“ für Afrikaner und „Coolies“ für die Inder ohne Scham gebraucht. Aber es hielt sich alles durch, denn die Menschen blieben ohne Rechte. Das Armutsproblem sollte durch technische Lösungen und autoritäre Regime bezwungen werden.

In Großbritannien wurde Lord Hailey als großer Afrikanist gesehen. Aber er verbrachte die meiste Zeit seines Lebens in Indien. Er schrieb dann aus indisch-kolonialer Erfahrung den großen Africa Survey 1938. Easterly schreibt: Das sei die Haltung dessen gewesen, der vor einer leeren Schiefertafel sitzt und sie vollschreiben soll: Wenn jemand Erfahrung in einem Teil der Dritten Welt gemacht hatte, dann war er auch Experte für jeden anderen Teil. Als die ersten Unruhen 1925 zwischen weißen Siedlern und den Landbesitzern in Kenya begannen, war das ganze Bemühen der britischen Experten darauf gerichtet, die Frage zu vermeiden, ob die Afrikaner als Landbesitzer nicht ein Anrecht auf ihr ganzes Land hatten, das gegen die Beschlagnahme von Land und die Ausbeutung durch weißer Farmer („Ich hatte eine Farm in Afrika“) gerichtet war.

Diese Haltung haben wir immer noch nicht verloren, auch dann, wenn sie uns als solche nicht mehr bewusst ist. Wir verbnachlässigen weiter die Rechte der nicht weißen Weltbevölkerung und konzentrieren uns auf die Anhebung des Lebensstandrads in den Ländern, von denen wir meinen, dass nur autoritäre Regime und technische Lösungen ihnen helfen können.

Der Autor hat die allerbesten Beispiele und man spürt, das ist jemand, der die Erfahrungen am Boden wirklich kennt. Er resümiert die Erfolgsberichte sowohl der Gates Foundation wie auch der Initiative „Africa Governance Initiative“ von Tony Blair. Beide betonen, dass die Rate der Kindersterblichkeit durch ihre Arbeit in Äthiopien drastisch gefallen sei: Von 198 Kinder auf 1000 1990 auf nur noch 81 Kinder unter Tausend im Jahre 2010. Mühelos kann Easterly natürlich nachweisen, dass es in keinem afrikanischen Land so etwas wie Statistik geben kann, denn dann würde es ja einen allgemeinen Überblick geben. Und gleichzeitig kann er darauf verweisen, wie diese Experten – Gates und Tony Blair – sich mit dem Diktator Meles Zenawie anfreunden, der bei der nächsten Wahl 2005 ohne Problem gut hundert junge Demonstranten erschießen lässt, die seinen Wahlfälschungen auf die Schliche gekommen sind. Die Opposition hatte nämlich klar gewonnen, das durfte aber nicht sein.

Das Buch bekommt seine große Glaubwürdigkeit und Durchschlagskraft durch die Einbeziehung aller Kontinente. Das große Kapitel über Lateinamerika macht uns bekannt mit der totalen Verkrümmung und Verballhornung aller Wertediskussionen in der Zeit, in der der Kalte Krieg alles in der Agenda der Auß0enpolitik beherrschte. Die technokratische Entwicklungspolitik sorgte dafür dass der Kolonialismus in weiten Teilen Afrikas weiterherrschte und der halbkoloniale Status auch in China weiter existierte. In Lateinamerika war diese technische Entwicklungspolitik, die ja auch das Militärische umspannte, etwas, was einfach den Partner in den Auseinandersetzungen an Unterstützung zukam. Ob man das bis 1990 Kalter Krieg oder nach 2001 Krieg gegen den Terror nennen würde, war eigentlich gleichgültig.

Das Buch ist meisterlich geschrieben. Der Autor erwähnt im ersten Hinsehen sehr eindrucksvolle Gegenargumente, um dann aber diese ganz im Detail zu zerpflücken. Z.B. wird am 7. März 2012 in der New York Times ein Artikel des Journalisten Matt McAllester, mit dem Titel „Amerika ist dabei, die Ärzte der Welt zu stehlen“. Insbesondere erwähnt der Autor die Ärzte, die alle aus Afrikas Staaten in die USA kommen. Und der Artikel erwähnt einen Schuldigen, Dr. Kunj Desai, der seinen Platz in Zambia verließ, um eine lukrative Position in Newark New Jersey anzutreten. Das, so Easterly, seien nationalistische Obsessionen. Zambia hat nicht das Recht, seine Ärzte und Krankenschwestern alle festzuhalten und zum Dienst in ihrem Land zu verpflichten. Das Kapitel über die Migration erscheint mir als das wichtigste in dem neuen Buch. Der Nationalismus ist einer der Hauptübeltäter, weil er Individuen verweigert, ihre Heimat und ihre Liebe zu einem Land ganz woanders zu beweisen als in dem Land der Geburt. Deshalb haben ja besonders die Minderheiten sich nach den USA und Australien gesehnt, um endlich für sich selbst eine Entwicklung zu haben. Tutsis, bosnische Muslime, Kurden, Tibeter, Darfuris. Es werden 283 Minoritäten aufgelistet bei der Universität Maryland, die im Risiko des eigenen Überlebens stehen. Das Buch ist deshalb so eindrucksvoll, weil dieser Autor lebt von keinerlei Hypothesen und akademischen Analysen, sondern von der genauen Kenntnis der Verhältnisse.

So taucht das Unterkapitel auf: Muriden (frz. Mourides). Das sei eine religiöse Bruderschaft, die auch ein internationales geniales Netzwerk von Händlern geworden ist. Die Muriden geben einander Kredite, um Einkäufe zu finanzieren und neue Betriebe zu gründen. Sie ernähren ihre Familien und vermitteln Kredite an andere Mitglieder. Unter der französischen Herrschaft gründete Ahmadou Bamba Mbacke (1853 – 1927) diese Muriden-Bruderschaft 1883. Sie verlangt von den Mitgliedern harte Arbeit, einen asketischen Lebensstil und eine Gruppen Solidarität als Weg zu ewiger Erlösung.

Vor seinem Tod gründete Bamba die heilige Stadt der Muriden im Senegal, Touba, die mittlerweile die zweitgrößte Stadt im Senegal ist, vier Stunden mit dem Auto im Osten von Dakar. Das, was die Mikrokreditbewegung so heftig ins Gespräch brachte, praktizieren die Muriden schon längst. Das Netzwerk bleibt in Senegal mit seiner Basis, im Sandaga Markt in Dakar gibt es geradezu die – wie der Autor es nennt- die Wallstreet der Muriden. Man hat dort und weltweit auch den KARA International Money Exchange, das ist die Muriden Bank als Variante von Western Union. „Während die Hilfs-NGO-Establishment weltweit mit gemischten Resultaten die Mikrokredit-projekte unterstützt, hat man permanent das Vorbild der Muriden übersehen, die den Stolz haben, schon Jahrzehnte erfolgreiches Mikrofinanzwesen zu betreiben.“

Wachstum und wirtschaftlicher Erfolg erklärt sich oft aus den regionalen Bezügen. Ruanda, das der Autor mit seinem beachtlichen Wachstumsraten erwähnt, hat es schwer, weil es in einem ‚falschen‘ Umfeld auftrumpft. Nicht ohne Grund gibt es in Ruanda den Erfolgsslogan, der vom Präsidenten stammen soll: „Es gibt keinen genetischen Grund, weshalb wir nicht Singapur oder Dubai sein können?!“

Die gesamte südostasiatische Szenerie ist durch Auslandschinesen angereichert. Die alle kommen in der Regel aus der Provinz Fujian, das ist die Provinz, von der aus die besiegten Nationalchinesen damals nach Taiwan übersetzten. Zwischendurch schildert der Autor, wieder um akademische Wolken zu vermeiden, einen Eka Tjipta Widjaja, der 1923 in Fujian geboren wurde. Die Familie  verließ das  Heimatland, „weil sie nicht Bauern sein wollten“. Er ging nach Jakarta und machte Riesengeschäfte mit Kokosnüssen und anderen Produkten. 2009 wurde sein Sohn Teguh Widjaja der Vorstandsvorsitzende der Sinar Mas Gruppe APP, die allein 150.000 Menschen beschäftigte und geschätzt wurde auf 20 Milliarden US-Dollar Kapital. Diese Familie machte Geschäfte in Indonesien, Singapur und Hongkong. Diese Übersee-Chinesen werden auch manchmal die „Juden Asiens“ genannt. Ein Kollege Easterlys  meinte, es sei angebrachter die Juden die „Chinesen von Europa“ zu nennen. Die Chinesen, die seinerzeit auf Grund des Oriental Exclusion Act nicht in die USA einwandern durften, sind außerhalb der USA die produktivsten Migranten in der Geschichte.

Easterly betont: Afrika ist und bleibt der Sorgenkontinent. Nicht Asien und nicht Lateinamerika. Er beschreibt ohne Übertreibung, wie wenig die Demokratische Republik Kongo ein Staat bisher genannt werden kann. Die Zolleinnahmen werden an den Grenzen als Bestechungen eingenommen, die Regierung, die irgendwo in Kinshasa sitzt, hat keine Einnahmen aus vielen Landesteilen.

Wie kam Meles Zenawie auf die Stelle, auf der ihm von der Weltbank und der EU zugetraut wurde, etwas nicht nur für sein Land Äthiopien, sondern für ganz Afrika  tun zu können? Blair hatte einen Narren an ihm gefressen. Doch als es ans Eingemachte ging, zog der Diktator seine Polizei zusammen und ließ die jungen Leute reihenweise erschießen, die sich über die offensichtlichen Wahlfälschungen beschweren wollten – auf der Straße. Der äthiopische Journalist und Blogger Eskinder Nega wurde für 18 Jahre ins Gefängnis geworfen. Es gelang ihm die Haftbedingungen bekannt zu machen. Es wird nie ohne politische Rechte des Einzelnen gehen, nicht nur ökonomische Rechte. Autoritäre Regime sind das Grab jeder Politik, die Menschen in diesen Ländern das Leben etwas erleichtern wollen. Das ist die Grundbotschaft des Buches.

Das gilt auch für China. Die Finanzkrise von 2008 meisterte China wie kein anderes Land. Das wurde ganz schnell als Argument dafür gesehen, dass nur Autokratien solche Krisen bewältigen. Wenn die Partei-Diktatur von einer gruppe aufgeklärter Menschen geleitet wird, schrieb der wichtige Reporter Thomas Friedmann in der New York Times – und der Altbundeskanzler Helmut Schmidt meint das ähnlich, den allerdings Easterly nicht erwähnt – dann könnte diese Autokratie von großem Vorteil sein. „Dass dann diese eine Partei die politisch schwierigen aber ganz wichtigen Maßnahmen durchführen kann, die notwendig sind, eine Gesellschaft in das 21. Jahrhundert zu führen“. Ja, aber diese 1,3 Mrd Chinesen warten immer noch auf die grundaussage der Aufklärung: Sapere aude, habe Mut Dich Deines Verstandes zu bedienen. Und das ist auch Dein Recht.

Quelle

Rupert Neudeck 2014

Grünhelme 2014

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