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© bigstock | smaglov | Ende 2022 wird die Stromerzeugung durch Atomenergie in Deutschland beendet – dennoch ist die Endlagerfrage derzeit ungelöst und die Produktion von Atombrennstoff soll weitergehen. Auch nach 2022 fallen entsprechend hohe staatliche Ausgaben an.

Wie die Atomkraft scheitert

Buchempfehlung: „Vision für die Tonne“ oder: Eine Epoche des Wahnsinns – von Toni Rütti

Die Atomgeschichte hat interessante Charaktere hervorgebracht: Zum Beispiel einen Atommanager, der die Seiten wechselt; einen Landrat, der sich quer stellt, einen Zoologen, der den DDR-Staat mit seinen Recherchen zum Uranabbau düpiert, einen Physiker, der das Ende der Ostreaktoren besiegelt. Alles zu lesen im neuseten Buch «Vision für die Tonne» von Bernward Janzing.

Der deutsche Energiejournalist Janzing hat die Protagonisten und Betroffenen kontaktiert und erzählt auch anhand ihrer Biografien die Atomgeschichte Deutschlands, Österreichs und der Schweiz. Er beschreibt die anfänglich so naive Atomeuphorie, dann die ersten Widerstände in den sechziger Jahren, gefolgt von den Bauplatzbesetzungen in den Siebzigern und Achtzigern. Er schildert, wie die Atomwirtschaft mit Arroganz und Leichtfertigkeit den Widerstand immer wieder aufs Neue ankurbelte, speziell durch die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima.

Alternativen gesucht und gefunden
«Vision für die Tonne» ist die journalistisch aufgearbeitete Historie einer sozialen Bewegung, die wie keine andere die mitteleuropäische Nachkriegsgeschichte geprägt hat. Die Epoche wurde beherrscht von Beharrlichkeit und Kreativität. Man suchte – und fand – Alternativen, die stets einen Querschnitt der Meinung der damaligen Gesellschaft repräsentierte. All dies machte die Bewegung erfolgreich, wenn auch erst relativ spät, wie der deutsche Energiejournalist Bernward Janzing in seinem neuesten Werk «Vision für die Tonne» konstatiert: Wie man dies von ihm nicht anders erwartet, stützte er sich auch bei der Aufarbeitung der atomgeschichtlichen Vergangenheit immer wieder auf seinen naturwissenschaftlichen Hintergrund.

Unsäglich teure Hinterlassenschaften der Atomwirtschaft
In «Vision für die Tonne» kommt der engagierte Energiejournalist Janzing selbstverständlich auch auf die Problematik Uranabbau und -verarbeitung sowie die unsäglich teuren und gefährlichen Hinterlassenschaften der Atomwirtschaft zu sprechen. Im Zuge seiner Recherchen traf er sich mit diversen Akteuren persönlich zum Gespräch. So entstand die Historie einer sozialen Bewegung, die wie keine andere die mitteleuropäische Nachkriegsgeschichte prägte. Ihr Erfolg hatte natürlich Gründe: Die Atomkraftgegner repräsentierten stets einen Querschnitt der Gesellschaft! Ihr Protest war aufrichtig, denn die Bürger vertraten nicht Einzelinteressen.

«Aber bitte auch nicht anderswo»
Vor allem basierte der Widerstand nie auf dem Sankt-Florian-Prinzip: Einem «Nein» an einem betroffenen Standorten folgte meist auch die Zusatzforderung: «Aber bitte auch nicht anderswo.» Wahrlich, ein konstruktiver Protest, der in seiner Gesamtheit nicht an Ideologien gekoppelt war. Klar, standen die Atomgegner lange Zeit einer mächtigen Lobby und einer üppig dotierten Atombranche gegenüber. Doch diese sah sich ihrerseits immer wieder mit Störfällen, Katastrophen, teuren Flops und technischen Pleiten konfrontiert – Wasser auf die Mühlen der wachsenden Schar der Atomkraftgegner. Den nicht enden wollenden Negativschlagzeilen versuchte die Kernkraftbranche zwar mit Arroganz oder Mauscheleien zu trotzen, doch von all diesen Tricks liessen sich die AKW-Gegner nicht beirren – im Gegenteil, Bürgerinitiativen und Protestbewegungen konnten mit der Zeit einen Erfolg nach dem anderen verbuchen.

Von der Vision für die Zukunft zur Epoche des Wahnsinns
Am Anfang des Buchs «Vision für die Tonne» finden wir folgende Passage: «Es ist der 8. Dezember 1953, die Abwürfe der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki liegen erst gut acht Jahre zurück. Die Welt hat die Bedrohung durch die Kernspaltung im militärischen Einsatz noch unmittelbar vor Augen. Einerseits. Andererseits aber erscheint die erst vor anderthalb Jahrzehnten entdeckte Kernspaltung plötzlich als die grosse Vision für die Zukunft. Aller militärischen Grausamkeiten zum Trotz will man sie nicht verdammen, schliesslich scheint sie geeignet, die Industriestaaten mit Strom in unfassbarer Menge zu beglücken.» Das Werk mit dem Untertitel «Wie die Atomkraft scheitert – an sich selbst, am Widerstand, an besseren Alternativen» endet mit folgender Passage: «Die Hinterlassenschaften einer Epoche, die in Deutschland keine hundert Jahre währte, werden die Menschen noch über Tausende von Generationen begleiten. Und niemand weiss, wie man sicherstellen will, dass diese Abfälle auch in zukünftigen Kulturen noch angemessen bewahrt und bewacht werden. Eine schwere Hypothek. Im Rückblick wird man diese Ära vielleicht nüchtern ‹das Atomzeitalter› nennen. Denkbar ist aber auch, dass die Geschichtsschreibung einen deftigeren Ausdruck finden wird. Angemessen wäre: ‹Epoche des Wahnsinns›.» Die letzte der zahlreichen Abbildungen zeigt ein Plakat: «Besuchen Sie das Technikmuseum Beznau». Dazu folgende Bildlegende: «Ikone der Atomgeschichte – Unrühmlicher Weltrekord: Das älteste AKW der Welt steht in der Schweiz.»

Quasi am Vorabend des 27. November 2016
Der deutsche Wissenschaftsjournalist Bernward Janzing hat das Geschehen, die Entwicklung und die Trendwenden als Chronist verfolgt. Seit 1995 führt er ein eigenes Pressebüro und schreibt für deutsche Tages- und Wochenzeitungen, wie Frankfurter Rundschau, Die Zeit und Der Spiegel. Für sein Engagement wurde ihm auch schon der Umweltmedienpreis verliehen. Als Argumentarium und Entscheidungshilfe empfohlen wird sein Werk «Vision für die Tonne» nicht zuletzt auch aus aktuellem Anlass: Am 27. November 2016 befindet das Schweizer Volk über «einen geordneten Ausstieg aus der Atomenergie» sowie darüber, ob der Atomenergie (endlich) ein verbindliches Ablaufdatum gesetzt werden kann.

Picea VerlagBernward Janzing
Quelle

Text: Toni Rütti | Redaktor ee-news.ch

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