Das Klimaschutzrelevanzparadox
Merkwürdig: Die Bedeutung von Klimaschutz nimmt ab, obwohl die Bedrohung steigt. Es ist das Klimaschutzrelevanzparadox, englisch „climate protection relevance paradox“. Wie kam ich zu meiner Eingebung? Das hat mit der spärlichen Medienberichterstattung zum Klimagipfel in Doha zu tun. Der Klimaschutz ist nämlich zur Zeit medien- und relevanztechnisch so out wie Filterkaffee und Röhrenfernseher.
Mein Sohn lernt griechisch in der Schule. Das finde ich wichtig, denn damit kann er im Berufsleben später mal mächtig angeben. Ich mache ihm das heute mal vor. Aufgepasst! Ein Paradoxon (griechisch παράδοξον) im hier verwendeten Sinne ist ein Phänomen oder eine Frage, die dem menschlichen Verstand bzw. der Intuition widerspricht. Beispielsweise das bekannte Eierkocherparadoxon: Je mehr Eier ich koche, desto weniger Wasser brauche ich im Topf! Oder: Wenn ein Manager mehr Leute entlässt, verdient er mehr Geld! Man denkt darüber nach und denkt, uch, ist das Gaga, obwohl der Widerspruch sich natürlich bei näherer Betrachtung auflösen kann.
Heute ein Paradoxon, das ich selbst entdeckt habe. Es ist das Klimaschutzrelevanzparadox, englisch „climate protection relevance paradox“. Wie kam ich zu meiner Eingebung? Das hat mit der spärlichen Medienberichterstattung zum Klimagipfel in Doha zu tun. Der Klimaschutz ist nämlich zur Zeit medien- und relevanztechnisch so out wie Filterkaffee und Röhrenfernseher. Kein Vergleich mit den Zeiten des medialen Al-Gore-Klimakarnevals 2007/2008 als die Klimakanzlerin die EU auf verbindliche Ziele einschwörte. Oder 2009, da wurde der Kopenhagener Gipfel im Fernsehen wie ein Eurovision Songcontest runter und raufgenudelt. Groß war dann allerdings der Kopenhagenblues und dann verloren die Medien irgendwie die Lust an dem leidigen Thema.
Die PolitikerInnen übrigens auch. Keine Partei wird 2013 im Wahlkampf detaillierte Ansagen machen in Sachen langsamer und teurer Autofahren, mehr Häuserdämmen oder weniger Fleisch essen. Und das ist auch im Sinne der Partei gut so. Parteien können nämlich im Moment mit derartigen Grausamkeiten jenseits des üblichen Energiewende-Blablas nur verlieren, aber keinen Klimatopf gewinnen. Eher wohl mit dem Versprechen, Strom, Gas und Sprit würden nach der Wahl endlich wieder billiger.
Das wiederum widerspricht – und jetzt kommt das Paradox – der tatsächlichen Relevanz und Dringlichkeit engagierten Handelns. Ist doch verrückt: die politischen und wissenschaftlichen Gewissheiten sind nämlich heute wesentlich besorgniserregender als noch vor 5 Jahren. Politisch wissen wir heute, dass die internationale Gemeinschaft keine wirklichen Lösungen liefern wird.
Das heißt: wenn nicht einzelne Länder richtig fix vorangehen, wird sich weltweit gar nix tun.
Auch haben wir von der Wissenschaft im Jahr 2012 einige Horrorstories gehört, die wesentlich heftiger sind als noch vor kurzen gedacht: das zwei Grad Ziel ist kaum mehr erreichbar. Selbst die eher zurückhaltende Weltbank spricht in ihrem letzten Update wissenschaftlicher Studien von der Wahrscheinlichkeit einer 4 Grad Temperaturerhöhung, die unbedingt vermieden werden müsse. Der Meeresspiegel steigt laut neusten IPCC Berichten ebenso schneller als gedacht.
Das Merkwürdige ist nun, dass diese neue Faktenlage anscheinend keinen Einfluss auf die gesellschaftliche Bedeutung des Klimaschutzes hat, eher im Gegenteil: das Thema scheint die Gesellschaft langsam zu nerven. Das „Klimaschutzrelevanzparadoxon“ lautet also: Je besorgniserregender die politischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse werden, desto mehr verlieren die Themen Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung an medialer und gesellschaftlicher Bedeutung. Die gesellschaftliche Wahrnehmung des Problems ist also nicht proportional gekoppelt an die gestiegene Bedrohung. Ich muss zugeben, ich habe das nicht wirklich Erfunden.
Volker von Prittwitz hat bereits vor vielen Jahren das sogenannte Katastrophenparadox beschrieben. Demnach sind in der Umweltpolitik objektive Belastung und handlungsorientierte Belastungswahrnehmung zwei Paar Schuhe. Gilt eine Bedrohung als heftig und beinah unabwendbar, hat man demnach schon gar keine Lust irgendwas zu versuchen. Pipifax Probleme dagegen werden gern angegangen, weil sie praktisch zu bewältigen sind. Ja, man kann Bierflaschen in der Bahn verbieten. Porsche Cayenne auf der Autobahn eher nicht. In Sachen karbonloser Gesellschaft fehlt nämlich immer noch die Fantasie: wie soll das gehen, radikal weniger oder sparsamer Autofahren? In gedämmten Häusern wohnen? Weniger Ressourcenverbrauch? Da hilft anscheinend nur Problemverdrängung.
Quelle
Ökosex 2012Martin Unfried 2012