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Die große Ozeanzirkulation und ihr Zustand: Klimafakten – Teil 3

Ein Erklärungsversuch von Matthias Hüttmann

Der menschengemachte, beschleunigte Klimawandel, besser als Klimakatastrophe benannt, wird immer mehr zur Ursache von Extremwettersituationen, ist mitverantwortlich für das rasante Artensterben, führt zu Landflucht und Migration, sozialen Verwerfungen und vielem mehr. Aber auch wenn das alles wissenschaftlich unumstritten ist, so ist unser Hintergrundwissen oft nur rudimentär, sind Zusammenhänge nur bedingt bekannt. In einer losen Reihe wollen wir deshalb darüber informieren.

In diesem dritten Teil beschäftigen wir uns mit dem ozeanischen Förderband, welches in der Fachsprache auch als die atlantische (meridionale) Umwälzbewegung (Atlantic Meridional Overturning Circulation, AMOC) bezeichnet wird. Wir werden hier der Einfachheit halber die Abkürzung AMOC verwenden. Achtung, diese große Ozeanzirkulation ist nicht mit dem Golfstrom zu verwechseln, er ist nur ein Teil der AMOC. Ein möglicher Zusammenbruch dieser Ozeanzirkulation wird oft als ein mögliches Kipppunktelement angeführt, das zu einem Wendepunkt bezüglich der Stabilität unseres Klimas führen kann. Und sind wir erst einmal an einem solchen Wendepunkt angelangt, gibt es möglicherweise kein Zurück mehr, zumindest nicht innerhalb eines gesellschaftlichen Zeithorizonts.

Gemäßigtes europäisches Klima dank Golfstrom

Meeresoberflächentemperaturen aus einer Simulation mit dem globalen Klimamodell CM2.6 des Geophysical Fluid Dynamics Lab in Princeton, USA. Das warme Wasser des Golfstroms ist in rot dargestellt. Aus: Stefan Rahmstorf: Is the Atlantic Overturning Circulation Approaching a Tipping Point? Oceanography. [DOI: 10.5670/oceanog.2024.501]

Globale Meeresströme spielen eine zentrale Rolle, speziell für unser Klima. Das liegt daran, dass die AMOC warmes Wasser aus Äquatornähe zu uns nach Europa fördert. Denn im Vergleich zu ähnlich nördlichen Regionen wie Kanada oder Russland ist das Klima bei uns in Europa deutlich milder. In Schottland können Palmen wachsen, wo auf gleicher geografischer Breite in Kanada nur Moose und Flechten zu finden sind. Die AMOC ist Teil der großen „Thermohalinen Zirkulation“, der weltumspannenden Ozeanströmung. Angetrieben vom globalen Förderband, besagter thermohalinen Zirkulation, wirkt sie wie eine große Heizung. Nur so ist es möglich, dass große Teile West- und Nordeuropas, wie Irland, Großbritannien und Skandinavien, ein wärmeres Klima aufweisen, als aufgrund ihrer hohen geographischen Breite zu erwarten wäre.

Aber auch ganz allgemein sind die Wassermassen der Ozeane auf unserem Planeten, der bekanntlich zu 71 Prozent mit Wasser bedeckt ist, ständig in Bewegung. Im Nordatlantik sinkt beispielsweise kaltes, salziges Wasser in die Tiefe und zieht Wasser aus dem Süden nach, welches schließlich seine Wärme in die Atmosphäre vor Europa abgibt. Dabei ist zu beachten, dass die Atmosphäre meist nur im Winter kälter als der Ozean ist und dieser nur dann Wärme abgeben kann. Die Auswirkungen der AMOC sind deshalb vor allem zu dieser Jahreszeit für das Klima in Europa eminent. Mit seiner massiven Bewegung und Freisetzung von Wärme sorgt die AMOC dafür, dass der Nordatlantik und die angrenzenden Landgebiete mehrere Grad wärmer sind, als sie es sonst wären. Angetrieben wird die AMOC von Winden und von Dichteunterschieden des Wassers, die Dichte des Wassers hängt dabei von dessen Temperatur und Salzgehalt ab.

Strömungen im Atlantik. Warme oberflächennahe Strömungen (rot), kalte Tiefenströmungen (blau), Quelle: Deutsches Klima-Konsortium/Konsortium Deutsche Meeresforschung

Die Meeresströme, die alle zusammen zu unserem stabilen europäischen Klima beitragen, kann man auch noch weiter unterteilen. So verlängert der Nordatlantikstrom den Golfstrom bis nach Europa, bzw. wird der Golfstrom bei uns zum Nordatlantikstrom.

Weitere Begrifflichkeiten: Auch wenn das gesamte Band an warmen Strömungen der oberen Meeresschichten, dass von der Floridastraße bis in die Arktis reicht, oft als Golfstrom betitelt wird, so unterscheidet man dabei viele Strömungsäste wie den kalten Labradorstrom vor der Küste Neufundlands oder auch den sogenannten Norwegischen Strom, der bis nach Spitzbergen reicht. Auch driften andere Teile in Richtung Island ab.

Veranschaulichung der wichtigsten Komponenten der Oberflächen- und Tiefenwasserzirkulation des Ozeans, die zusammen das globale Förderband bilden, einem Kreislauf von Meeresströmungen, entnommen aus: „Moment der Entscheidung“, ISBN, 1. Auflage 2024, © 2024 Michael E. Mann, All rights reserved


Zustand der AMOC
Mit dem Klimawandel ändern sich wichtige Faktoren in den Regionen der Tiefenwasserbildung, die von entscheidender Bedeutung sind:

  • Die Lufttemperatur: Sie steigt, wodurch der Ozean weniger Wärme an die Atmosphäre abgeben kann. Das Wasser bleibt wärmer und damit leichter.
  • Der Salzgehalt: Große Teile des grönländischen Eisschilds schmelzen. Das Schmelzwasser fließt ins Meer.
  • Außerdem, gibt es aufgrund der wärmeren Atmosphäre mehr Niederschlag.

Die letzten zwei Punkte, geschmolzenes Eis und Niederschlag, führen zu einem erhöhten Süßwassereintrag. Dieser „verdünnt“ das Wasser der Ozeane, der Salzgehalt nimmt ab, es wird spezifisch leichter. Das alles sorgt dafür, dass weniger Wasser in die Tiefe sinkt und die thermohaline Zirkulation vor allem im Nordatlantik schwächer wird. Das bedeutet wiederum, dass weniger salzhaltiges Wasser aus dem Süden in den Nordatlantik gelangt. Dadurch wird die Strömung geschwächt.

Die Forschung hat gezeigt, dass die Zirkulation unter bestimmten Umständen sehr schwach werden, kollabieren, oder ganz zum Erliegen kommen könnte. Würde die Ozeanzirkulation zusammenbrechen, hätte das weitreichende Folgen. Zu den Auswirkungen gehören ein Rückgang der Fischpopulationen im Nordatlantik, dem ergiebigsten natürlichen Fischfanggebiet der Welt, heftigere Winterstürme in Europa, ein beschleunigter Anstieg des Meeresspiegels – ein Nebeneffekt der physikalischen Gesetzmäßigkeiten, die die Meeresströmungen bestimmen – und das Risiko verstärkter atlantischer Wirbelstürme, da sich im tropischen Nordatlantik Wärme aufstaut. Durch die Veränderung der Wärmeverteilung können auch noch weitere große Wettersysteme beeinflusst werden, so zum Beispiel der indische Monsun oder der Niederschlag über der Sahel-Zone. Zusätzlich führt eine Verlangsamung der thermohalinen Zirkulation zu einer verminderten CO2-Aufnahme der Ozeane, da dieses in geringeren Mengen in die Tiefen des Ozeans transportiert wird.

Vermeintliche Zukunft der AMOC

Die Klimamodelle sagen für dieses Jahrhundert bereits eine Abschwächung der AMOC voraus. Ursache dafür ist in erster Linie das Schmelzwasser des Grönländischen Eisschilds, der sich aufzulösen beginnt. So hat Stefan Rahmstorf, Leiter der Forschungsabteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und ein Team, darunter auch Michael E. Mann, die Veränderungen der AMOC im Laufe des Erdzeitalters ermittelt. Alle dabei berücksichtigen paläoklimatischen Daten kommen zu demselben beunruhigenden Ergebnis: Die AMOC hat sich im letzten Jahrhundert so stark abgeschwächt wie nie zuvor innerhalb unserer Zeitrechnung. Obwohl die Klimamodelle eine wesentliche Schwächung der AMOC erst gegen Ende dieses Jahrhunderts vorhersagen, scheint diese bereits eingetreten zu sein, da die Grönlandschmelze die bisherigen Modellvorhersagen wohl übertrifft. Allein im Juli 2019 sind fast 200 Milliarden Tonnen Schmelzwasser in den Nordatlantik geflossen – genug, um den globalen Meeresspiegel um das kleine, aber messbare Stückchen von einem halben Millimeter anzuheben. All dieses Gletscherschmelzwasser reduziert den Salzgehalt im Nordatlantik, und zwar früher als angenommen. Obwohl unmittelbare Untersuchungen der AMOC in den letzten Jahrzehnten teilweise widersprüchliche Tendenzen zeigen, kommen Studien, die eine Reihe sich ergänzender Messgrößen vergleichen, zu dem Schluss, dass der Kollaps der AMOC bereits im Gange ist. Eine Einschränkung besteht bei den Klimaprojektionen, welche die Grundlage für die IPCC-Bewertungen bilden, darin, dass die Klimamodelle in der Regel nicht mit umfassenden Modellen für die Eisschilde gekoppelt sind, so dass die Wechselwirkungen zwischen dem Zerfall und der Schmelze der Eisschilde, dem Süßwasserabfluss und der AMOC-Dynamik in den Modellierungen nicht gut dargestellt werden.

Beobachteter Trend der Meeresoberflächentemperatur von 1993 bis 2021 (Daten von Copernicus), mit grober Illustration der Ozeanströmung. Es ist ein Abkühlungstrend im Nordatlantik zu erkennen. (©meteoschweiz/Ruijian Gou)“

Auch wird deutlich, dass der Zusammenbruch der AMOC durch den Wärmestau im tropischen Atlantik zu wärmeren Meeresoberflächentemperaturen im tropischen Südatlantik führt. Dies wiederum bewirkt eine weiträumige tropische atmosphärische Zirkulation im Stil einer Meeresbrise, wodurch sich die Passatwinde verstärken und der Auftrieb von kaltem Tiefenwasser zunimmt, was zu einem La Niña-ähnlichen Zustand beiträgt.

In einem aktuellen Überblicksartikel schreibt Rahmstorf, dass die AMOC sich bereits abschwächt hat und womöglich auf einen Kipppunkt zusteuert. Das ist als solches nicht komplett verwunderlich, da seit mehr als einem halben Jahrhundert bekannt ist, dass die Ozeanzirkulation einen Kipppunkt hat. So sei die AMOC bei vergangenen Klimaänderungen der Erdgeschichte über die letzten 100.000 Jahre bereits wiederholt „umgekippt“, was jeweils dramatische Klimafolgen ausgelöst hat. Wird nun dieser Kipppunkt erneut überschritten, kann die Zirkulation möglicherweise nicht länger aufrechterhalten werden; sie würde wohl versiegen. Nicht zuletzt würde es auch dazu führen, dass die Ozeane weniger CO2 aufnehmen könnten und die Südhalbkugel sich noch stärker erwärmen würde. Aus der Erdgeschichte heraus wissen wir auch, dass es ein Jahrtausend oder länger dauern würde, bis sich die Atlantische Umwälzzirkulation erholen würde.

Bereits 1987 hat Wally Broecker davor gewarnt, dass die Emission von Treibhausgasen die Atlantische Umwälzzirkulation über ihren Kipppunkt hinaustreiben könnte. Das ist in der Tat eine der großen Gefahren der globalen Erwärmung. Wir wissen immer noch nicht, wie weit wir von diesem Kipppunkt entfernt sind. Einerseits lassen Klimamodelle erwarten, dass diese Gefahr in unserem Jahrhundert nur klein ist. Andererseits haben diese Klimamodelle noch sehr mit einer akkuraten Darstellung der Stabilität der AMOC zu kämpfen. In den Beobachtungsdaten finden aber durchaus glaubwürdige und alarmierende Anzeichen dafür, dass wir diesem Punkt schon gefährlich nahe sein könnten. Eines ist sicher: Heute ist es die menschengemachte Erderwärmung, die das Strömungssystem beeinflusst. Es sei „eine Art Fingerabdruck“ des Klimawandels, so Mojib Latif vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, dass die Erderwärmung zur Abschwächung beitragen wird, bis das Strömungsverhalten kippt. „Da sich in der Atmosphäre weiter Treibhausgase anreichern, sagen alle Modelle eine starke Verlangsamung der Zirkulation voraus“, erklärt Latif.

Deshalb haben auch erst kürzlich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler:Innen unter anderem aus Deutschland, den USA, Norwegen, China und Australien in einem offenen Brief gefordert, das Risiko eines solchen Kollapses ernst zu nehmen. Sie fürchten, dass ein solcher Kipppunkt zu noch nie dagewesenen Wetterextremen führen könnte, weil sich eine „Kälteblase“ (Cold Blob) in einer Region südlich von Grönland im subpolaren Atlantik, die aufgrund der sehr kalten Temperaturen, so genannt wird, bilden und vergrößern könnte. Diese Kälteblase im Nordatlantik (auch nordatlantisches Wärmeloch genannt) beschreibt eine kalte Temperaturanomalie des Oberflächenwassers, welche die AMOC beeinträchtigt und möglicherweise mit dem durch die globale Erwärmung verursachten Abschmelzen des grönländischen Eisschilds zusammenhängt. Aber auch wenn die Daten hier noch nicht eindeutig sind – das sind sie bekanntlich erst, wenn es zu spät ist und alle Vorhersagen eingetroffen sind – und ein solcher Kollaps „erst“ zum Ende des Jahrhunderts passieren könnte, wie beispielsweise das deutsche Klimakonsortium glaubt, ist das natürlich kein Grund zur Entwarnung. So haben auch diese Forschenden einen Brief an den Nordischen Ministerrat geschrieben und dort sinngemäß folgendes formuliert: die Tatsache, dass nur ein „mittleres Vertrauen“ in das Nicht-Zusammenbrechen der AMOC besteht, ist nicht beruhigend. Denn es besteht eindeutig die Möglichkeit eines Zusammenbruchs der AMOC in diesem Jahrhundert. Es ist sogar wahrscheinlicher, dass ein Zusammenbruch in diesem Jahrhundert ausgelöst wird, sich aber erst im nächsten Jahrhundert voll entfaltet.


Weiterführende Links (Inhalte daraus sind teilweise in den Text eingeflossen)

Die Klimafaktenreihe von Matthias Hüttmann
Vb, die ehemalige Jahrhundertwetterlage: Klimafakten, Teil 1
Die Moleküle des Treibhauseffekts: Klimafakten, Teil 2
Die große Ozeanzirkulation und ihr Zustand: Klimafakten, Teil 3
Der Wettermacher Jetstream verändert sich: Klimafakten, Teil 4
Von Negativemissionen und Kohlenstoffsenken: Klimafakten, Teil 5


Quelle

Der Bericht wurde von Mattias Hüttmann 2024 | Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie e.V. verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung von Matthias Hüttmann weiterverbreitet werden!

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