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Der Wettermacher Jetstream verändert sich: Klimafakten – Teil 4

Ein Erklärungsversuch von Matthias Hüttmann

Der menschengemachte, beschleunigte Klimawandel, besser als Klimakatastrophe benannt, wird immer mehr zur Ursache von Extremwettersituationen, ist mitverantwortlich für das rasante Artensterben, führt zu Landflucht und Migration, sozialen Verwerfungen und vielem mehr. Aber auch wenn das alles wissenschaftlich unumstritten ist, so ist unser Hintergrundwissen oft nur rudimentär, sind Zusammenhänge nur bedingt bekannt. In einer losen Reihe wollen wir deshalb darüber informieren.

In diesem vierten Teil beschäftigen wir uns mit dem Jetstream, dem Starkwindband, das in großer Höhe von West nach Ost weht. Wind ist der Motor für unser Wetter. In unseren Breitengraden sorgt er für einen Wechsel zwischen Hoch- und Tiefdruckgebieten. Der Jetstream scheint nun eine maßgebliche Ursache dafür zu sein, dass es immer häufiger zu einer „Verstetigung“ des Wetters kommt – über diesen Trend haben wir an dieser Stelle schon öfter geschrieben. Es sind es vor allem die Hitzewellen in Westeuropa, welche zu Dürren führen, die in unserem Gedächtnis haften bleiben, lassen sie sich doch am einfachsten mit der globalen Erwärmung in Verbindung bringen. Aber ebenso können langanhaltende Starkregenereignisse durch einen vom Klimawandel beeinflussten Jetstream ausgelöst werden. Auch hier wechselt das Wetter ungewöhnlich lange nicht. Im Wetterbericht spricht man in dem Zusammenhang gerne von einer stabilen Wetterlage. Diese hat eine hohe Verweildauer, bei der es etwa wochenlang nicht regnen kann, oder eben viel mehr Wasser als üblich vom Himmel fällt. Wegen des ungewöhnlich langen Zeitraums der quasi konstanten Wetterlage (siehe auch “Methusalem-Hoch“) kommt es zu Überschwemmungen oder Dürreereignissen; das Wetter mutiert zum einem immer wiederkehrenden Groundhog Day (Dt. Titel: Und täglich grüßt das Murmeltier). Der Vergleich ist auch deshalb so passend, da in besagtem Film der Wetteransager in einer Zeitschleife festsitzt und ein und denselben Tag immer wieder erlebt.

Immer wieder Jahrhundertereignisse
Im Mai ‘23 war es in den meisten Teilen Südeuropas und im Westen Islands überdurchschnittlich feucht, so dass starke Niederschläge zu Überschwemmungen in Italien und auf dem westlichen Balkan führten. Aber auch bei der aktuellen Unwetterkatastrophe in Spanien wurde ein Sturmtief „geblockt“, es verharrte stationär. Da gleichzeitig aufgrund des sehr warmen Mittelmeers ungewöhnlich viel Wasser in der Atmosphäre war, konnte sich das Sturmtief massiv abregnen. Diese Regenfälle, die nicht immer nur örtlich eng begrenzte danieder gehen, aber immer häufiger stattfinden, sind ein weiteres Indiz für eine vonstatten gehende Veränderung. Verantwortlich für eine Folge vieler Tiefs (oder eben auch Hochs) ist wohl oftmals der Jetstream, aber nur als letztes Glied in der Kette. Denn ursächlich ist natürlich vor allem die Erderwärmung dafür verantwortlich, da immer mehr Feuchtigkeit in der Luft gebunden wird, welche auch über Land abregnet. Wie es passiert, dass die globale Atmosphäre durch hohe Meerestemperaturen mit zusätzlicher Feuchte angereichert wird, haben wir bereits im Teil 1 dieser Serie skizziert.

Das andere Extrem sind ausbleibende Niederschläge: 2015/2016 kam es in der kanadischen Region Alberta zu einer Rekordhitze mit anschließend verheerenden Waldbränden. Die Wetterverhältnisse hatten dabei wahrscheinlich eine tiefere Ursache: ein ins Stocken geratener Jetstream. Als Folge blieb die vorherrschende sommerliche Wetterlage ungewöhnlich lange bestehen. Hinzu kam ein sehr starkes El-Niño-Ereignis im Pazifik, das die ungewöhnliche Trockenheit und hohen Bodentemperaturen noch verstärkte. Und auch auf die Rekordsommer der letzten Jahre und weitere Wetterereignisse bei uns hatte der Jetstream sicherlich großen Einfluss. Diese, auch als Blockadewetter-Lagen bezeichneten Konstellationen tragen zu den langanhaltenden Trockenzeiten bei. Apropos El-Niño: Auf der Nordhalbkugel beeinflusst El Niño unter anderem die Lage des Jetstreams über dem Pazifik und Nordamerika. Seine Verlagerung kann sich bis nach Europa auswirken. So ist die Ursache vieler Herbststürme in Westeuropa auch ein starker und teils weit südlich gelegener Jetstream.

Entstehung und Funktion
Mit Windgeschwindigkeiten von über 500 Kilometer pro Stunde vereint der Jetstream die schnellsten Luftbewegungen, die über der Erde wehen. Der Jetstream „ernährt“ sich dabei von Temperaturunterschieden, die aufgrund unterschiedlich intensiver Sonneneinstrahlung auf der Erde hervorgerufen werden. So steigt warme Luft über dem Äquator sehr weit nach oben auf. Die kalte Luft am Pol – sie ist wesentlich dichter und damit schwerer – verharrt dagegen in Bodennähe. In dieser dichteren, kalten Luft nimmt der Luftdruck mit der Höhe rascher ab, als das bei warmer Luft der Fall ist. Das Druckgefälle vom Bodenniveau hin zu höheren Sphären ist sehr groß. Das führt zu großen Unterschieden des Luftdrucks in höheren Luftschichten, ein hierdurch entstandenes Druckgefälle lässt starke Winde in Richtung der Pole strömen. Diese werden von der Corioliskraft, eine Folge der Erdrotation, auf der Nordhalbkugel nach rechts und auf der Südhalbkugel nach links abgelenkt. Dabei entsteht ein sogenanntes „geostrophisches Kräftegleichgewicht“ zwischen der Druckgradient- und der Corioliskraft. Die Strömung verläuft dann parallel zu den Isobaren, der Jetstream weht stets nach Osten.

Der Jetstream besteht aus vielen einzelnen Strahlströmen. Die vier wesentlichen sind die polaren Strahlströme (oder auch Polarfrontjetstream, PJT) und die subtropischen Strahlströme (Subtropenjetstream, SJT). Der Plural rührt daher, da sie jeweils als nördliche und südliche Strahlströme gibt. Der SJT ist schwächer als der PJT und bildet sich oft nur in den jeweiligen Wintermonaten aus, die bekanntlich auf jeder Erdhalbkugel zu unterschiedlichen Zeiten vorkommen. Dazu gibt es noch den Tropical Easterly Jet (TEJ), die Low Altitude Jets, den Nocturnal Jet sowie weitere stratosphärische wie auch mesosphärische Jetstreams. Durch eine Jetstreamverwirbelung aus einem PFJ und STJ kann schließlich ein „Supersturm“ entstehen. Die aktuelle Lage des Polarfrontjetstreams kann man im Übrigen hier (siehe auch Bild 1) sehr gut verfolgen.

Bild 1: Lage des Polarfrontjetstreams am 20.11.24: Die konturierten Bänder zeigen die aktuelle Lage und Mächtigkeit des Jetstreams, die hinterlegte Farbe zeigt die Windgeschwindigkeit an. [Quelle: flaeming-wetter.bplaced.net]

Unser Wettergeschehen hängt nun mit dem Jetstream insofern zusammen, dass sich die unteren Luftschichten synchron verhalten. Verfolgt man seinen Verlauf und seine Lage, so lässt sich vorhersagen, wo ein Tief entsteht und in welche Richtung es zieht. Typische Bahnen des Jetstreams verlaufen dabei von den Britischen Inseln über Norddeutschland und Polen bis nach Russland. Der Luftstrom pendelt mehr oder weniger in Schlangenlinien in Richtung Osten. Schlägt er beispielsweise stark nach Süden oder Norden aus und bildet große Wellen, führt das dazu, dass sich subtropische Warmluft mit polarer Kaltluft durchmischt. Verläuft er über Nordeuropa ist es der Sommer in Mitteleuropa warm und beständig.

Bild 2a/2b: Der verstärkte Jetstream ist ein entscheidendes Merkmal für die Kälte in Europa. [Quelle: scottduncanwx.com]

Zustand
Die Lage des Jetstreams war schon immer variabel. Michael E. Mann schreibt in seinem aktuellen Buch „Moment der Entscheidung“ beispielsweise: „Etwa 700.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung hatte sich das Klima noch weiter abgekühlt, und Gletscher dehnten sich bis weit nach Nordamerika und Eurasien hinein aus. Diese weiten Eisflächen verschoben den Jetstream in Richtung Äquator. Dadurch wurden die Subtropen und Tropen kühler und trockener, einschließlich großer Teile Afrikas, wo die Homininen lebten. Womöglich haben die durcheinander gebrachten Klimamuster eine Selektion zugunsten von Arten mit leistungsfähigeren Gehirnen bewirkt.“

Auch während der Eiszeit, in der die Vereisungen vor etwa 21.000 Jahren ihre maximale Ausdehnung erreichten – im sogenannten Letzteiszeitlichen Maximum (LGM) –, drängte ein bis zu drei Kilometer dicker Eisschild den Jetstream nach Süden, und in Regionen der mittleren Breiten, die heute trocken oder halbtrocken sind, befanden sich riesige Binnenseen. Grundsätzlich war der Jetstream wie auch der Einfluss von El-Niño während den Eiszeiten, als die Temperaturkontraste zwischen Äquator und Pol wesentlich größer waren, viel stärker.

Wie gefährlich eine Veränderung des Jetstreams ist, wird nach wie vor untersucht. Denn, so die Erkenntnis der letzten Jahre: Klimamodelle unterschätzen das tatsächliche Hitzestressrisikos, da sie dazu tendieren, den schwankenden sommerlichen Jetstream, der mit den hartnäckigsten Hitzeextremen verbunden ist, unterzubewerten. Dazu nochmal Mann: „Wie mein Team und ich nachgewiesen haben, wird dieses Resonanzverhalten durch die beschleunigte Erwärmung der Arktis begünstigt. Der verringerte Temperaturgegensatz zwischen der kalten Arktis und den warmen Subtropen führt dazu, dass sich der Jetstream verlangsamt und unter bestimmten Umständen, wie sie Anfang Juni 2021 herrschten, eine stabile und stark geschlängelte Position einnimmt. Dank der Resonanz konnte sich das sehr tiefliegende Hochdruckzentrum im Westen ausbilden und sich dort festsetzen, wo es zu einer gefährlich heißen Hitzekuppel heranwuchs.“

Vieles ist jedoch auch noch unklar: Dr. Georgios Fragkoulidis vom Institut für Physik der Atmosphäre der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) möchte sich beim Jetstream nicht allzu sehr festlegen, wenn er schreibt: „Denn während sich bei der Klimaerwärmung der CO2-Eintrag direkt auf die Erwärmung auswirkt, liegen bei der atmosphärischen Zirkulation chaotische Prozesse vor.“ Dennoch versuchen die Forschenden der JGU den Veränderungen des Jetstreams auf die Schliche zu kommen, wozu sie Jetstream-Daten aus den letzten 40 Jahren analysierten. Jedoch bleibt es sehr schwierig, Vorhersagen bis zum Ende des Jahrhunderts zu treffen, denn schließlich ist die Erwärmung nicht auf dem gesamten Globus gleich. Vielmehr erwärmen sich die Ozeane langsamer als das Land – was sich wiederum auf die atmosphärische Zirkulation auswirkt. Darüber hinaus variiert das Ausmaß der Erwärmung in verschiedenen Höhen der Troposphäre.



Hintergrund von zunehmend länger anhaltende Wettersituationen, sind Phasen, in denen sich der Jetstream in zwei Äste aufspaltet, sogenannte Doppeljet-Lagen. Das ist grundsätzlich nichts ungewöhnliches; schließlich sind die Strahlströme oft in zahlreiche Teilstücke und Äste aufgespalten. Diese haben meist eine Länge von einigen Tausend Kilometern und eine Breite von einigen Hundert Kilometern. Mit den stabilen Doppeljet-Lagen lässt sich, so Forscher des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), jedoch ein großer Teil des Trends zu Hitzewellen in Westeuropa erklären. Ausgelöst werden können sie unter anderem durch „chaotische Schwankungen in der Atmosphäre“, so Mitautor Dim Coumou, Forscher am Institut für Umweltstudien (IVM) der Vrije Universiteit Amsterdam und am Königlichen Niederländischen Meteorologischen Institut (KNMI).

Bild 3: Stabiler und welliger Polarwirbel [Quelle insideclimatenews.org]

Weiter sagt er: „Die interessante Frage ist jedoch, was die Doppeljets so hartnäckig macht. Eine mögliche Erklärung ist die verstärkte Erwärmung der hohen Breiten, insbesondere über Landregionen wie Sibirien, Nordkanada und Alaska. Im Sommer haben sich diese Regionen viel schneller erwärmt als der arktische Ozean, da die überschüssige Energie über dem Ozean das Schmelzen des Meereises beschleunigt.“

Problem: Die Arktis, speziell das Land rund um den arktischen Ozean, erwärmt sich im Sommer viel schneller als der Rest des Planeten. Einhergehend mit einem schnellen Rückgang der Schneedecke im späten Frühjahr, nimmt der Temperaturunterschied zwischen Land und Ozean ab. Und die Temperaturgegensätze bringen Jetstreams ins Schlingern. Der Jetstream überschreitet dann eine kritische Strömungsgeschwindigkeit. Folglich beginnt er zu mäandrieren. Der Jetstream ist also dank Klimaerhitzung von einem stabilen Höhenwind zu einem „Wackelwind“ geworden. Der dann wellige Strahlstrom bleibt an Ort und Stelle. Einst war der Jetstream viel stärker, sodass die kalte Luft in der Arktis verblieb. Heute ist er teilweise so schwach, bzw. ausgefranst, dass er kalte Luft weit in den Süden und sehr warme Luft sehr weit in den Norden transportiert (Bild 3).



Weiterführende Links
 (Inhalte daraus sind teilweise in den Text eingeflossen)

Die Klimafaktenreihe von Matthias Hüttmann
Vb, die ehemalige Jahrhundertwetterlage: Klimafakten, Teil 1
Die Moleküle des Treibhauseffekts: Klimafakten, Teil 2
Die große Ozeanzirkulation und ihr Zustand: Klimafakten, Teil 3
Der Wettermacher Jetstream verändert sich: Klimafakten, Teil 4
Von Negativemissionen und Kohlenstoffsenken: Klimafakten, Teil 5

Quelle

Der Bericht wurde von Mattias Hüttmann 2024 | Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie e.V. verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung von Matthias Hüttmann weiterverbreitet werden!

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