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Vb, die ehemalige Jahrhundertwetterlage: Klimafakten – Teil 1

Ein Erklärungsversuch von Matthias Hüttmann

Der menschengemachte, beschleunigte Klimawandel, besser als Klimakatastrophe benannt, wird immer mehr zur Ursache von Extremwettersituationen, ist mitverantwortlich für das rasante Artensterben, führt zu Landflucht und Migration, sozialen Verwerfungen und vielem mehr. Aber auch wenn das alles wissenschaftlich unumstritten ist, so ist unser Hintergrundwissen oft nur rudimentär, sind Zusammenhänge nur bedingt bekannt. In einer losen Reihe wollen wir deshalb darüber informieren.

In dem ersten Teil nehmen wir die aktuellen Hochwasserereignisse in Europa zum Anlass, um zu erklären, wie diese mit der Erderwärmung in Zusammenhang stehen. Wie groß die Zunahme an ungewöhnlichen Wettereignissen ist, lässt sich bereits sehr gut daran erkennen, dass wir immer mehr Probleme damit haben, diese sprachlich entsprechend zu benennen. So kommt das eigentlich sehr selten auftretende Mittelmeertief (siehe unten) allein statistisch betrachtet immer häufiger vor, so dass das Superlativ Jahrhundertwetter eigentlich schon länger nicht mehr passt, und bisweilen auch schon vom Jahrtausendwetter die Rede ist. Gab es diese Wetterlagen früher einmal in einhundert Jahren, so ist diese abnorme Wetterlage, auch Vb-Wetterlage („Fünf-B-Wetterlage bzw. Vb-Tief) bereits zum dritten Mal in diesem Jahr aufgetreten.

Unterschied Klima-Wetter
Ein Hinweis dazu: Klima wird gerne mit Wetter verwechselt. Manch einer fragt sich, wie es möglich sein soll, langfristige Berechnungen zur globalen Mitteltemperatur anzustellen, wenn man sich bei der Wettervorhersage bereits nach zwei Tagen gerne mal vertut. Der Unterschied: Die Wettervorhersage prognostiziert regional detailliert. Das Klimamodell dagegen simuliert langfristig das große Ganze. Bisweilen sorgt auch die vielzitierte 2-Grad-Schwelle (oft als Grenze fehlinterpretiert) für Verwirrung. Die Temperaturzunahme ist dabei regional sehr unterschiedlich. Oder anders: Wetter ist das, was zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort in der Atmosphäre passiert. Kleine Veränderungen können große Auswirkungen auf das Wetter haben, auch an weit entfernten Orten. Klima ist dagegen das durchschnittliche Wetter über einen langen Zeitraum. Bestimmen lässt sich das Klima mit Wetterbeobachtungen, die über Jahrzehnte gesammelt und statistisch ausgewertet werden.

Die Superlative gehen aus
Wie die aktuelle Situation in Polen, Tschechien, der Slowakei und in Österreich lag auch dem Oderhochwasser 1997, dem Elbehochwasser 2002, dem Alpenhochwasser 2005, der Flut in der Sächsischen Schweiz 2010, den Fluten an Elbe und Oder 2013, den Überschwemmungen in Slowenien und Kärnten 2023 und einigen kleineren Katastrophen zwischendurch, jeweils eine Vb-Wetterlage zu Grunde. Hier von Jahrhunderthochwassern zu reden, ist daher sehr fragwürdig. Auch kam es von Ende Mai bis Anfang Juni 2024 in Teilen von Bayern und Baden-Württemberg zu ergiebigen Dauerniederschlägen und regional begrenzten Starkniederschlägen. Eine Attributionsstudie des DWD hat mit Hilfe von Beobachtungs- und Modelldaten untersucht, in welchem Maße der Klimawandel die Wahrscheinlichkeit und Intensität eines solchen Ereignisses aus Dauer- und Starkniederschlägen in Süddeutschland beeinflusst hat. Die Studie zeigt, dass sich die Wahrscheinlichkeit für vergleichbare Niederschlagsereignisse in diesem Gebiet mit einer aktuellen Wiederkehrzeit von 30 Jahren durch den bisherigen Klimawandel bereits um den Faktor 1,4 erhöht hat. Die Ergebnisspanne liegt dabei zwischen 0,8 und 4,4 und umfasst damit auch eine mögliche Abnahme in der Wahrscheinlichkeit. Auch die Intensität eines solchen Ereignisses hat sich um circa +4 % (-1 % bis +13 %) verändert.

Beispiel: Jahrhundertflut an der Elbe und Mittelmeer
Im August 2002 hatte sich über der nördlichen Adria ein Tiefdruckgebiet entwickelt und war auf einer typischen Vb-Zugbahn über Österreich und Tschechien nach Norden gezogen. Dabei wurde auf der Ostseite des Tiefs extrem feuchte Luft vom östlichen Mittelmeerraum in die Zirkulation mit einbezogen. Dadurch ergaben sich nach Westen hin sehr hohe Temperaturkontraste. Mit der auf der Westseite des Tiefs vorherrschenden nordwestlichen Strömung wurden die feuchten Luftmassen gegen die Alpen und östlichen Mittelgebirge geführt und zum Abregnen gebracht. Deshalb kamen vor allem im Stau des Erzgebirges extrem hohe Niederschlagsmengen zusammen.

Aus der Balance gekommen
Bekanntlich gibt es ja kein Perpetuum Mobile; Energie kann nun mal nicht aus dem Nichts erzeugt werden. Ebenso wenig treibt sich das Wetter nicht selbst an, sondern agiert im quasi geschlossenen Energiekreislauf der Erde. Dieser wird gespeist von der Energie der Sonne, dem Motor des Wettergeschehens auf unserem Planeten. Das funktioniert grundsätzlich sehr gut, so lange das Ganze dank des natürlichen Treibhauseffekts mit einer fein abgestimmten Wärmebalance von Energieeinstrahlung und gleichzeitiger Rückstrahlung in den Weltraum geregelt wird. Durch die von uns freigesetzten klimaschädlichen Treibhausgase wird dieses Gleichgewicht jedoch ausgehebelt. Die Energie im System nimmt zu. Und auch wenn es schon immer Klimaschwankungen gab, findet die heutige Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur um Größenordnungen schneller statt – sie ist in ihrer Geschwindigkeit beispiellos in der Geschichte unseres Planeten.

Wettermotor
Die Sonne lässt Wasser verdunsten und reguliert so den Feuchtigkeitsgehalt der Luft. Sie erwärmt die Ozeane und Kontinente und lässt dadurch gewaltige Luftmassen aufsteigen. Gebiete mit hohem und niedrigem Luftdruck entstehen, und Winde, die den Druckunterschied in diesen Systemen ausgleichen. Bestimmt wird unser Wetter von der Temperatur, dem Luftdruck, der Luftfeuchte und der jeweiligen Beschaffenheit der Erdoberfläche. Die Atmosphäre und die Weltmeere sind in etwa zu gleichen Teilen bemüht, dieses energetische Ungleichgewicht durch Luft- und Meeresströmungen auszugleichen. Das gelingt jedoch nie, weswegen es immer wieder neues Wetter gibt.

Der Wasserkreislauf und seine Wechselwirkung mit dem Treibhauseffekt: Oben links der relative Anstieg des potenziellen Wasserdampfgehalts in der Luft bei Temperaturzunahme (ca. 7%/Grad). Weiße Kringel: Verdunstung, die durch Niederschlag kompensiert wird, um den Wasserhaushalt auszugleichen. Rote Pfeile: die von der Erdoberfläche ausgehende Infrarotstrahlung, die teilweise von Wasserdampf und anderen Gasen absorbiert wird – ein Prozess, der einen Bestandteil des Treibhauseffekts darstellt. Quelle: IPCC

Der Zusammenhang zwischen der anthropogen verursachten Klimakatastrophe und diesem Wetterphänomen scheint auf der Hand zu liegen: Warme Luft kann mehr Wasserdampf aufnehmen: Je mehr Wasserdampf, desto höher die relative Luftfeuchte. Und nicht zu vergessen: Wasserdampf ist wie CO₂ ein Treibhausgas. Höhere Temperatur bedeutet also mehr Wasserdampf in der Luft, wodurch sich wiederum die Erderwärmung verstärkt.

Die Indizien sprechen deutlich für diese Korrelation. So können Regenwolken heute mehr Wasser und somit mehr Energie aufnehmen. Das physikalische Gesetz dahinter wurde vom französischen Physiker Émile Clapeyron erkannt, es erklärt, wie viel Wasserdampf in einen Kubikmeter Luft passt und dass diese Wasserdampfmenge mit der Temperatur exponentiell zunimmt. Dazu muss man noch wissen: Bei der Klimaerwärmung ändert sich die relative Luftfeuchte im Mittel fast nicht, denn je mehr Wasserdampf in der Atmosphäre ist, desto mehr regnet wieder runter.

Es ist dennoch zu konstatieren, dass es noch bislang keine wissenschaftliche Evidenz, also eine sehr große Sicherheit gibt, dass die Klimaerwärmung mehr Vb-Wetter nach Mitteleuropa bringt. Ganz generell regnet es, irgendwann im Anschluss, nachdem feuchte Luftmassen aufgestiegen sind. Umso wärmer diese Luftmassen nun sind, desto mehr Wasser enthalten sie. Pro Grad Temperaturerhöhung sind das etwa sieben Prozent mehr Wasserdampf, der dann als Regen fällt. Das passt im Übrigen ganz gut zu den realen Messwerten. Eine Studie der ETH Zürich hat das speziell für die Wetterstationen in Deutschland, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz gezeigt: Extremniederschläge haben hier signifikant zugenommen, im Mittel um 7,3 Prozent pro Grad Erwärmung der Nordhalbkugel.

Bedenkt man nun, dass relativ warme Wasserflächen, Stichwort Mittelmeer, für Nachschub an feuchtegesättigten Luftmassen sorgen, dort also günstige Bedingungen für Extremregen herrschen, dann passt das ebenso gut ins Bild. Und wie von Wissenschaftler:innen schon seit Jahrzehnten vorhergesagt, erwärmt sich im Zuge des Klimawandels die Region ums Mittelmeer besonders schnell. Die Sommer werden heißer und trockener, die Wassertemperaturen steigen unter der mediterranen Hitzeglocke stark an. Schon jetzt sind auftretende Niederschläge um zehn bis zwanzig Prozent intensiver, wie Klimaforscher nachweisen, in Schauern und Gewittern sogar noch stärker.

Artensterben
Um kurz auf die Einleitung dieses Textes zurückzukommen: Ja, auch ein solches Wetterereignis ist nicht nur für uns Menschen eine Katastrophe, auch andere Dramen spielen sich im Hintergrund ab. So führt der Dauerregen und die Kälte dazu, dass z.B. in Österreich tausende Schwalben und Mauersegler sterben, weil sie kein Futter mehr finden.

Fazit
Wer heute noch erklärt, dass wir uns die Kosten für den Klimaschutz nicht leisten können, kann entweder nicht rechnen, oder sagt wider besseres Wissen, also bewusst, die Unwahrheit. Solange überfällige Maßnahmen von hohen politischen Funktionsträgern als „Klimaschutz mit der Brechstange“ tituliert werden, wird immer wieder Sand ins Transformationsgetriebe geschüttet. Wir verlieren damit Zeit, die wir nicht haben. Und ganz banal: Wir müssen was unternehmen, weil nur wir es können.


Das Mittelmeertief Vb ist, so steht es auf Wikipedia, durch die Zugbahn eines Tiefdruckgebietes von Italien über die Poebene oder Nordadria hinweg nordostwärts gekennzeichnet. Wikipedia weiter: „Das Tief entsteht durch einen Kaltluftvorstoß über Frankreich in das westliche Mittelmeer, häufig in Verbindung mit einer Nordwestwetterlage, mit Bildung eines Tiefs im westlichen Mittelmeerraum, oder durch einen von England oder der Biskaya (Biskayatief) über Frankreich südwärts geschobenen Tiefkern (Va), der südlich der Alpen weiterzieht. Liegt der Aktionskern über dem Mittelmeerraum, gleiten die dortigen feuchtwarmen oder über der Sahara überhitzten Luftmassen auf der (östlichen) Vorderseite des Tiefdruckgebietes auf die in Zentraleuropa der nördlicheren Zonen am Boden liegende Kaltluft auf (Aufgleiten von Südost). Weil eine südliche Strömung mit hohen Lufttemperaturen viel Feuchtigkeit transportieren kann, führt dies zu teils langanhaltenden Niederschlagsphasen, die in Staubereichen an den Alpen und höheren Mittelgebirgen auch recht ergiebig sein können (Stauniederschläge) und Hochwässer oder abnorme Schneemengen mit Lawinengefahr verursachen. Im Raum des östlichen Mittelmeeres wird trockene, warme Saharaluft gegen Südosteuropa gesteuert und führt dort zu übersteigerter Wärme, das Windereignis wird Scirocco (Jugo) genannt: Vor der Frontlinie des heranziehenden Mittelmeertiefs können sich Saharastaub-Ereignisse bis auf Mitteleuropa ausweiten. Nördlich der Alpen begleiten abnormale Föhnereignisse die Mittelmeertiefs, wenn die Niederschläge an der Alpensüdseite abregnen.“


Der große Energiespeicher
Um einmal zu verdeutlichen, welche Energiemengen beispielsweise bereits in das oberflächennahe Wasser des Mittelmeers eingebracht wurden, hier der Versuch einer überschlägigen Rechnung. Diese Rechnung hat sicherlich so manche Ungenauigkeit oder gar falsche Dezimalstelle und birgt vielleicht auch den einen oder anderen Denkfehler, jedoch ändert das nichts an den gewaltigen Dimensionen der Energie, die alleine in der mediterranen Region gespeichert ist. Wichtige Vorbemerkung dazu: Bei dieser Betrachtung wurden keinerlei Verluste berücksichtigt, d.h. es wurde eine erheblich größere Energiemenge in das Mittelmeer eingebracht, um diese Energiemenge dort einzulagern. So kühlt das oberflächennahe Wasser vor allen in den Nächten und in der kalten Jahreszeit aus, verliert aber auch Energie durch Umwälzungen, Reflexion, Abstrahlung und allerlei biologische Prozesse. Diese Verluste nehmen auch noch zu, je größer die Temperaturen des Wassers sind.

Michael E. Mann „Moment der EntscheidungWie wir mit Lehren aus der Erdgeschichte die Klimakrise überleben können“
Im Original: Our Fragile Moment (von Michael E. Mann)
- In der deutschen Übersetzung von Matthias Hüttmann und Tatiana Abarzúa. Mit einem Vorwort des Meteorologen Özden Terli.
Hier können Sie direkt bei der DGS online bestellen. Sie können es auch über diesen Link beim Verlag oder (gerne im lokalen Buchhandel) kaufen.

Quelle

Der Bericht wurde von Mattias Hüttmann 2024 | Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie e.V. verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung von Matthias Hüttmann weiterverbreitet werden!

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