Abgas-Skandal: Was die Verkehrsminister wussten
In der Abgas-Affäre um Volkswagen hätte das Verkehrsministerium viel früher einschreiten können.
Die DUH hatte bereits 2007 in einer vielbeachteten Pressekonferenz parallel zur Eröffnung der damaligen „grünen“ Automobilausstellung auf die rechtswidrigen Tricksereien der Autobauer hingewiesen und die Bundesregierung zum Handeln aufgefordert.
Anfang Februar 2009 erhält Bundesverkehrsminister Tiefensee Post von der Deutschen Umwelthilfe. In dem Schreiben vom 6.2.2009 kritisiert sie die Absicht der Bundesregierung, auf Drängen der Autohersteller die Diesel-Abgasuntersuchung für neuere Fahrzeuge abzuschaffen und ab 2010 ausschließlich auf die „on board diagnostic“ (OBD) der Hersteller zu setzen sowie auf die sogenannte Endrohrmessung zu verzichten. Die DUH warnt vor der bevorstehenden Selbstkontrolle der Autoindustrie bei den Schadstoffmessungen. Gleichzeitig gelingt es der DUH, eine parteiübergreifende Initiative von Bundstagsabgeordneten auszulösen, die sich mit Fragen an das Verkehrsministerium wenden.
Der VDA zieht die Strippen im Hintergrund
Der DUH liegt ein dreiseitiges Papier des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) an das Verkehrsministerium vor, in dem der VDA am Ende unter der Überschrift „Empfehlungen“ klare Handlungsanweisungen mit Nennung der auszuführenden Abteilung macht. So verfuhr dann auch das Ministerium. In einem Schreiben vom 15.4.2009 teilt das Verkehrsministerium der DUH mit, dass Minister Tiefensee aus terminlichen Gründen dem Gesprächswunsch der DUH nicht nachkommen kann. Die Endrohrmessung wird für Fahrzeuge mit OBD in Deutschland abgeschafft, obwohl eine EU-Vorschrift dies verbietet.
Die DUH gibt nicht auf. Am 9. Februar 2010 bittet sie den neu berufenen Bundesverkehrsminister Ramsauer schriftlich um ein Gespräch, in dem es unter anderem über die Luftreinhaltepolitik gehen soll. Auch er sagt aus Termingründen ab und verweist auf Staatssekretär Dr. Scheuer. Diesen trifft die DUH am 5. Mai 2010 und wirbt für die Wiedereinführung einer modernen Endrohrmessung als „wichtigen Beitrag zur Reduzierung der Umweltbelastungen durch Feinstaub, welcher von Dieselmotoren ausgestoßen wird.“ Doch auch dieses Gespräch bleibt ergebnislos.
Rechtswidrig: VW mit zu hohen NOx-Emissionen
10. Februar 2011. DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch ist zu Gast im Bundesverkehrsministerium (BMVBS). Begleitet wird er von dem Verkehrsexperten und ehemaligem Abteilungsleiter für Umwelt und Verkehr im Umweltbundesamt (UBA), Axel Friedrich sowie der Bereichsleiterin für Verkehr bei der DUH. Thema ist die zu starke Beeinflussung des Messzyklus bei der Typzulassung, die sogenannte Zykluskennung (= Abschalteinrichtung). Das BMVBS erklärt, dass es das Problem kenne. Die DUH fordert die Kontrolle der von den Herstellern ermittelten Werte durch das zuständige Kraftfahrtbundesamt (KBA). Außerdem spricht sie erstmals Probleme von Volkswagen mit zu hohen NOx-Emissionen an. Am Beispiel des Passat Euro 6 werden konkret „die hohen NOx-Emissionen, die über den Werten für Euro 5 liegen“ genannt. Resch und Friedrich erklären, diese seien rechtswidrig. Vier Jahre vor Bekanntwerden des US-VW Skandals warnte somit die DUH das Verkehrsministerium sogar ganz konkret vor den Problemen bei VW, ohne dass das Ministerium tätig wurde.
Verkehrsministerium und KBA reagieren auch knapp fünf Monate später nicht als die DUH am 19. Juli 2011 in einer Pressekonferenz und Pressemitteilung veröffentlicht, dass die derzeitige Durchführung der Abgastests „nicht geeignet ist, Belastungen von Luft und Klima zu verringern“. In einem von der DUH beim ADAC Prüfzentrum in Auftrag gegebenen Test an einem BMW 116i hält das Fahrzeug im Prüfzyklus die NOx-Grenzwerte ein. Als allerdings auf dem Rollenprüfstand ein leicht abweichender Prüfzyklus (ADAC Autobahntest) mit 130 statt 120 km/h Höchstgeschwindigkeit gefahren wird, übersteigen die NOx-Emissionen den gesetzlichen Grenzwert um mehr als das 30-fache.
Am 11. Juli 2012 schlägt die DUH in einem Arbeitsgespräch mit Bundesumweltminister Peter Altmaier vor, eine vom KBA unabhängige Institution angehängt an das Umweltbundesamt zu schaffen. Diese Stelle soll in die Lage versetzt werden, die bisher vom KBA verweigerten Kontrollmessungen beim Spritverbrauch „zu veranlassen“. Die DUH fordert: „Es müssen Nachmessungen stattfinden, die nach einem vom BMU, BMVBS und anderen Fachinstitutionen definierten und präzisierten Prüfzyklus stattfinden müssen. Dieser Prüfzyklus schließt die in der regulären Prüfung ausgenutzten Spielräume, so dass Werte ermittelt werden, die mit dem realen Verbrauch deckungsgleich sind.“
Minister Altmaier sagt zunächst eine Prüfung zu. Am 21. September 2012 informiert sein Büro dann aber die DUH telefonisch darüber, dass der Vorschlag der DUH nicht weiterverfolgt werde, da nach Rücksprache mit dem BMVBS nicht das Umwelt-, sondern das Verkehrsministerium zuständig sei.
Seit 2007 besteht bei der DUH ein monatlicher Fachgesprächskreis zu Dieselruß, Umweltzonen und Luftreinhaltung. Es nehmen daran Vertreter der Länder, Verbände, Kraftfahrzeuggewerbe, Automobilindustrie, Bundesbehörden und Wissenschaftliche Institutionen teil. Mit am regelmäßigsten, d.h. fast jeden Monat, ist das zuständige Umweltbundesamt mit dabei (nicht das Kraftfahrtbundesamt, wie Der Spiegel in dem Artikel „Der Möchtegern-Ermittler“ seiner aktuellen Ausgabe 41/2015 vom 2.10.2015 behauptet und DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch leider falsch zitiert). In der Oktobersitzung 2014 wurde auch die ICCT-Studie von Peter Mock vorgestellt, die in den USA die Abgas-Manipulationen bei VW mit ans Licht brachte.
Und das Verkehrsministerium will von nichts gewusst haben…
Der Kniefall der Bundesregierung vor den Autokonzernen – eine Chronologie des Abgas-Skandals